Donnerstag, 17. Mai 2012

Christi Himmelfahrt - Weg ist er!


Und da er solches gesagt, ward er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor 
ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen 
bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, 
was stehet ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen 
gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.
Apostelgeschichte Kapitel 1


Hans Suess von Kulmbach, Himmelfahrt, circa 1513

Himmelfahrt, Bamberger Apokalypse (Ausschnitt)

Albrecht Dürer, Nürnberg, 1511, Holzschnitt

Antwerpener Schnitzaltar

Fußabdruck Christi nach Himmelfahrt

Himmelfahrts Füße "Statue" 
at Our Lady of Walsingham, England

Mittwoch, 16. Mai 2012

Nocheinmal Boris Mikhailov


Eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Boris Mikhailov
Time is out of joint - Photographien 1966 - 2011

Boris Mikhailov Rote Serie, 1968-75 © Boris Mikhailov
 
Zum Tode J.W. Stalins
Johannes R. Becher
Danksagung

Auszug: 

Neigt euch vor ihm in ewigem Gedenken!
O sag auch du, mein Deutschland, Stalin Dank.
Er kam, ein neues Leben dir zu schenken,
Als schon dein Land in blutgem Schutt versank.

Es wird ganz Deutschland einstmals Stalin danken.
In jeder Stadt steht Stalins Monument.
Dort wird er sein, wo sich die Reben ranken,
Und dort in Kiel erkennt ihn ein Student.

Dort wird er sein, wo sich von ihm die Fluten
Des Rheins erzählen und der Kölner Dom.
Dort wird er sein in allem Schönen, Guten,
Auf jedem Berg, an jedem deutschen Strom,

Allüberall, wo wir zu denken lernen
Und wo man einen Lehrsatz streng beweist.
Vergleichen wir die Genien mit den Sternen,
So glänzt als hellster der, der Stalin heißt.

Dort wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte
Der Apfelbäume an dem Bodensee,
Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,
Und winkt zu sich heran ein scheues Reh.

(Bitte nicht auf den Computer kotzen!) 

Boris Mikhailov Ohne Titel (51), aus der Serie Die Daemmerung, 1993, © Boris Mikhailov

Die zwei folgenden Bilder sind aus der, für mich, schönsten Serie, Salt Lake oder Salzsee. Mikhailov reiste 1986 zu einem See im Süden der Ukraine, der in den Zwanziger Jahren für die heilende Wirkung seines warmen, salzigen Wassers bekannt war. Nun war er umgeben von Fabriken und Lagerhäusern, riesige Abflußrohre leiten das Dreckwasser direkt in den See. Aber immer noch kommen die Menschen aus der Umgebung hierher zum Sonnenbaden, Schwimmen und Tratschen. Sie scheinen den Schmutz und die Häßlichkeit nicht zu bemerken, oder sind daran gewöhnt. Viele der Leute sind unglaublich dick.
Ich habe einen ähnlichen Ort, mit auch solch fetten Badenden, mal in den Südstaaten der USA erlebt. Ich bin auch rein ins Wasser, schlimmer als die Spree, in der ich als Kind heimlich geschwommen bin, am Mombijoupark mit wachem Blick für Grenzpatroullien, kann es nicht gewesen sein.

Aus der Serie Salzsee 1986 © Boris Mikhailov

Aus der Serie Salzsee 1986 © Boris Mikhailov

Tom Waits
Seeds on Hard Ground - Samen auf Hartem Grund
Auszug:

When I was born
 My folks wept at my beauty
I was the package that all
 Their good luck came in
 I was bright and shining, magnetic
And flaming
 Am I just something that got eaten
By the gods.

Als ich geboren wurde, 
Beweinten meine Leute meine Schönheit. 
Ich war das Päckchen, in dem all 
Ihr Glück steckte. 
Ich war hell und leuchtend, magnetisch 
Und flammend. 
Ich bin nur etwas, das gegessen wurde 
Von den Göttern.

wahrscheinlich aus der Serie "Case History" 1998/99 © Boris Mikhailov
(nicht Teil der Ausstellung)

noch ein Auszug:

Home is a place
to get a letter
if they can find you
I have heard
because you can't
send a letter
to a bird 



Dienstag, 15. Mai 2012

Oper im Kino - Romeo et Juliette


"Romeo et Juliette" von Hector Berlioz ist eine, wie der Komponist es nannte, dramatische Sinfonie, oder schöner klingend Symphonie, 1839 uraufgeführt, das Libretto schrieb Émile Deschamps. Die Komposition wurde durch ein Geldgeschenk von Paganini ermöglicht, 20.000 Franc für den Mann vor dem er niederkniete und ihn Beethovens Erben nannte.

Doch genug davon, das eigentlich Umwerfende des heutigen Abends war, dass ich im Kino "International" in Berlin die Liveübertragung einer Vorstellung der Pariser Nationaloper sehen konnte, dass heißt ich und die Besucher in noch 230 anderen Kinos weltweit. 
Der Kinovorhang öffnet sich und man sieht den Zuschauerraum des Opernhauses und genau wie hier im Kino füllen sich langsam die Reihen, ein bisschen Vorinformation, ein offensichtlich vorab aufgenommenes Interview mit Sasha Waltz, denn sie sitzt jetzt auch hier im Kino, und dann beginnt die Vorstellung. Im übrigen wurde in der Oper mehr gehustet, als bei mir im Kino.
Aber der technische Vorgang selbst hat mich sehr beeindruckt. Ist das toll, oder was? Zweimal gab es kleine technische Pannen, aber das hat nur die Spannung erhöht. Sicher manchmal hätte ich mir mehr Totalen gewünscht und du kannst halt nicht selbst den Blickkonzentrationspunkt wählen, aber das Livegefühl ist trotzdem da.
Die New Yorker Metropolitan Opera hat sich das wohl als erste ausgedacht, und so können Leute in Städten ohne Oper oder einfach weit weg für bezahlbare Kartenpreise große Inszenierungen sehen. Ich finde das großartig.
Applaudieren fühlt sich allerdings merkwürdig an, da die, für die man klatscht, einen ja nicht hören können, aber wir hatten ja Frau Waltz.

 Das ist der "echte" Balkon in Verona

 Und das die "echte" Julia ebenda

Zum Abend selbst: schön, für mich, ein wenig zu schön. Der Bürgerkrieg, der wie ein Schatten über oder unter dem Stück liegt, war kaum zu spüren, so wie auch die Extreme der Verzweiflung. Da blieb es halt ein bisschen kühl.
Viele Tänzer, ein riesiger Opernchor und drei Sänger in sehr formalen Kostümen in Schwarz und Weiß, die Bühne ebenso streng.
Über Romeo und Julia gibt es wohl nichts mehr Neues zu sagen, Liebe ist schön, Sterben ist traurig und wäre die Welt doch besser; aber das Pas de Deux der beiden Liebenden war hinreißend. Ein Tänzer ist hingefallen und die Synchronität des Corps de Ballet war nicht berauschend. Ein paar vom Chor haben in die Kamera geguckt.

Ein kleiner Ausschnitt mit Aurelie Dupont und Hervé Moreau
http://www.youtube.com/watch?v=g7sOPvILpuU

Ich ♥ Sprache - wendig und wendisch


Gestern habe ich Hausaufgaben gemacht mit meiner einzigen und Lieblingsnichte. Sie ist acht, geht in die zweite Klasse und sie ist schlau. 
Zuerst das kleine und große Einmaleins und Division oder Teilen. Kann ich noch, Gott sei Dank. Aber es wird nicht mehr lange gut gehen, sobald Integral- und Differentialrechnung auftauchen, wird sich das allwissende, alles könnende Lügenbild in armseligen Rauch auflösen.
Dann Deutsch. Das Substantiv heißt Dingwort, das Verb Tunwort (Und auch wenn es den Sinn treffen mag, nenne ich Tunwort ein Unwort.) und das gute alte Eigenschaftswort. Lieben ist demnach ein Tunwort, die Liebe ein Dingwort, liebevoll eine Eigenschaft.
Und auch wenn ich begreife, dass man Kindern die Unwägbarkeit und Grenzenlosigkeit von Sprache in verdaubaren Häppchen anbieten muß, tut mir solch pragmatischer Würgegriff doch weh. 
Als Nelly, die eben erwähnte Nichte, sprechen lernte, schmeckte sie Wörter wie unbekannte Nahrungsmittel. Dieses Wort probiere ich aus, wo und wie könnte es passen? Es 'helfte', es helfte sehr, wenn der Klang stimmte.

Zum Beispiel

Ein kleines Wort: wenden, von althochdeutsch wendten < anrühren, betasten, umwenden, umkehren, abwenden >, dies kleine Wort wendet sich wendig hier- und dorthin und wandelt, verwandelt sich. Die Wende, Wendeltreppe, Aufwand, Aufwendung, Wandel, aufwendig, gewandt, verwenden, wendig und auch wetterwendisch, was unbeständig, wankelmütig heißt. Oder stammt letzteres von wetterwindisch, wie sich die Wetterfahne nach den wechselnden Winden wendet?
Aufwendig, darf man jetzt übrigens auch als aufwändig schreiben, hergeleitet von Aufwand. Dann wäre belägt von Belag, frässen von Fraß, Kräbs von krabbeln doch auch möglich? Dänken von Gedanken oder denken von Gedenken, na Dankeschön. Ob das die alten Ältern noch begreifen? 'Wendungsfähigkeit' habe ich in einem Wörterbuch gefunden, die Fähigkeit, sich nach den jeweiligen Erfordernissen umzustellen.

Vorne, hinten, vorne, vorne © Lena Bindrum
Zweifel


Am Scheideweg der Worte muß man schwanken,
ob dies da besser oder jenes dort.
Denn der Gedanke hält nicht immer Wort,
jedoch das Wort hält mancherlei Gedanken.

Karl Kraus

ADELUNG

Wênden, verb. irregul. & regul. folglich sowohl Imperf. wandte als wendete, Particip. gewandt als gewendet. 

Es ist:
Ein Activum, und bedeutet, die horizontale Richtung eines Dinges ändern, besonders, wenn es durch Bewegung um einen gewissen Punct geschiehet.

   1. Überhaupt und eigentlich. Den Wagen wenden, seine horizontale Richtung verändern. Das Schiff wenden. Die Augen auf etwas wenden, sie von etwas wenden. Ingleichen als ein Reciprocum. Der Wind hat sich gewandt oder gewendet, hat seine Richtung verändert. Das Glück hat sich gewendet, verändert, begünstiget nunmehr einen andern. Der Elephant kann sich nicht wenden, ohne einen großen Umfang zu nehmen. Sich zu jemand wenden, eigentlich, seinen Körper gerade auf ihn zu richten, wenn man ihn z. B. anredet. Das Blatt wendet sich, figürlich, die Sache gewinnet eine andere Gestalt. Gott wende es zum Besten! er gebe der Sache einen guten Ausgang.
   2. In einigen engern und figürlichen Bedeutungen. (1) Für umwenden, nur in einigen Fällen. Das Getreide wenden, es umstechen. Den Braten wenden, ihn am Spieße umdrehen. (2) * Für abwenden; im Hochdeutschen veraltet. Ein Unglück wenden, abwenden. Gott wende es! verhüte es. Des Reichs Schaden wenden, in den Oberdeutschen Kanzelleyen. Wende Schaden und Verdruß, Canitz. (3) Ein Kleid wenden, die inwendige Seite des Oberzeuges auswärts bringen. Handschuhe, welche sich wenden lassen. (4) Den Rücken wenden, sich entfernen, gemeiniglich nur von kleinen Entfernungen. Kaum wandte ich den Rücken, so ging der Streit an. (5) Sein Gemüth auf etwas wenden, richten. Sein Herz zu jemand wenden, seine Neigung auf ihn richten. Sein Herz hat sich von mir gewandt, er ist mir abgeneigt geworden. (6) Sich an jemand wenden, etwas von ihm verlangen. Sich mit seiner Klage an den Richter, mit einer Bitte an seinen Freund wenden. (7) Eine Unterredung wenden, die Gegenstände derselben unvermerkt bestimmen. Sie hatte völlige Freyheit, die Unterredung so zu wenden, wie es ihr am besten gefiel. (8) Mit dem Nebenbegriffe der fortgesetzten Bewegung. Sich zur Rechten, zur Linken wenden, seine Richtung ändern, und rechts oder links gehen. Er weiß nicht, wohin er sich wenden soll, wohin er seinen Weg nehmen soll. (9) Fleiß auf etwas wenden, es zum Gegenstande seines Fleißes machen. Seine Zeit, seine Kräfte auf eine Sache wenden. Viel Geld auf etwas wenden. Er will nichts darauf wenden. Ist aber der Gegenstand des Aufwandes eine Person, so bekommt sie die Präposition an. Viel Geld an jemand wenden. Ich habe viel an dich gewandt, viel Geld. (10) Den Acker wenden, ein Feld wenden, in der Landwirthschaft, einen Acker zum zweyten Mahle pflügen, vermuthlich, weil alsdann die Oberfläche eigentlich umgewandt wird; zum Unterschiede von dem Brachen oder Stürzen, dem ersten Pflügen, und von dem Rühren, dem dritten Pflügen. In einigen Provinzen wird dieses zweyte Pflügen die Wendefahre, oder Wendefahrt genannt. (11) In Franken hat das Wort wenden noch eine andere Bedeutung, nähmlich einen Weinberg anlegen; vermuthlich auch, weil der Boden vorher umgewandt oder bearbeitet wird. Am Rheine heißt solches anrotten. Endlich (12) wird noch das Mittelwort gewandt in einer besondern Bedeutung gebraucht, indem es so viel ist, als erfahren, fähig, sich in alle Fälle zu schicken, eigentlich, fähig, sich nach Maßgebung der Umstände zu wenden. Ein gewandter Mann, ein erfahrner, geschickter Mann.

Sonntag, 13. Mai 2012

Marie Chouinard



Samstag, Marie Chouinards Company aus Kanada in Heilbronn zum Tanzfestival, bODY rEMIX/ gOLDBERG vARIATIONS. 
Perfekte Technik, unperfekte Körper, zu groß, zu dick, zu stämmig, tolle Bilder und fast, aber nur fast, der Absturz ins Kunstgewerbe. Verbiegungen, Verkrampfungen, Verstümmelungen auf der vergeblichen Suche nach der freien Bewegung im Raum. Je mehr Beschränkungen den Tänzern auferlegt werden, desto intensiver wird die Sehnsucht nach dem eigenen freien Atem. Der Hass des Tänzers auf den Spitzenschuh, hier trägt er diesen gelegentlich sogar an den Händen, stille zu stehen auf der Spitze ist unmöglich, also ist dauernde Anstrengung unvermeidlich. Nur so lange ich tanze, scheine ich zu fliegen, der Moment der Erschöpfung ist auch der Moment des Absturzes.
Ruckediguh, Blut ist im Schuh.



Wiki Sagt: Mit dem Spitzentanz wurde das scheinbare Überwinden der Schwerkraft dominierend in der europäischen Ballettgeschichte. Technische Schwierigkeiten sollten durch Beherrschung unsichtbar werden.

Die höchste, schmerzhafteste Anstrengung, um den Anschein von größter Leichtigkeit zu erwecken. Die Qual muß unbemerkt bleiben, unbedingt.

Lied der Rosetta

O meine müden Füße, ihr müßt tanzen,
In bunten Schuhen,
Und möchtet lieber tief
Im Boden ruhen.

O meine heißen Wangen, ihr müßt glühn,

In milden Kosen,
Und möchtet lieber blühn-
Zwei weiße Rosen.

O meine armen Augen, ihr müßt blitzen

Im Strahl der Kerzen,
Und schlieft im Dunkel lieber aus,
Von euren Schmerzen.

Georg Büchner

Vertonung von FM Einheit (Einstürzende Neubauten) für eine Inszenierung von Büchners "Leonce und Lena"


SCHREISSE! - König Ubu



»Die Antialkoholiker sind Kranke in den Klauen jenes Gifts, des Wassers, das derart ätzend und zersetzend ist, dass ein Tropfen genügt, um eine reine Flüssigkeit, wie den Absinth zum Beispiel, zu trüben.« Alfred Jarry


Joan Miro, Drawing for “Ubu Roi” 1953

Freitag in Ingolstadt "Ubu Roi" von Alfred Jarry und Simon Stephens, eine Koproduktion zwischen der freien Budapester Theatergruppe "KoMa" und den Ingolstädter Stadttheater. Als Ubu Roi 1896 Premiere hatte, begann das Gebrüll im Publikum schon nach dem ersten gesprochenen Wort: "Merdre!" oder "Schreiße!", an diesem Abend "Pscheiße!", knapp 120 Jahre später folgt ein leises fast zärtliches Kichern: Ja, damals, als das Wort noch ein schlimmes war! 
Die Ausstattung dieser ersten, und zu Jarrys Lebzeiten einzigen Aufführung mit menschlichen Spielern, alle anderen waren mit Marionetten, wurde übrigens von Toulouse-Lautrec und Pierre Bonnard gestaltet.
2012: Eine Stunde bis zur Pause: Clowns in Hochform, böse Clowns, clevere Clowns, brutale Clowns. Hier wird nicht begründet, hier wird gegiert, gehirnspinst und geschlachtet. Die Scham- und Gewissenslosigkeit mit der Ubu & Co ihre Gelüste ausleben, läßt unser Lachen etwas atemlos klingen. Ist da auch Neid, ob der eigenen Unfähigkeit sich einfach zu greifen, was man haben will. Ich meine, gut, dass es sie gibt, aber manchmal, nur manchmal...

Nach der Pause, die überdimensionalen Möbel des ersten Teils sind nun ganz klein geworden, die Kostüme ergraut, die Haare gekämmt, steht Papa Ubu vor dem Internationalen Gerichtshof, angeklagt vielfacher Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Seine ehemalige rechte Hand beruft sich auf Befehlsnotstand, Mama Ubu hat sich alles Geld unter den Nagel gerissen und will immer nur gewarnt haben, einzig der Handlanger, ein exzellenter Killer, benennt sachlich die ungeheuerlichen Untaten. Ubu selbst besteht auf Nichtanklagbarkeit, weil er König sei. Das würde schultheaterpädagogisch wirken, hätte man nicht die ganze Zeit die grellen, geilen Bilder des ersten Teiles vor Augen, auf die sich ja bezogen wird. Eine schlaue Kombination. Die ungarischen und deutschen Spieler radebrechen und sprachspielen sich durch Europas Sprachen und verstehen tut man alles.



Joan Miro, Drawing for “Ubu Roi” 1953 

"Du bist ein Former oder Macher eines Stückes. Stückemacher sollten sich nicht zu sehr um Sprache kümmern; es ist unsere Aufgabe Verhalten zu untersuchen. Du zeichnest das Verhalten der Charaktere, wie sie ihren Weg durchs Leben aushandeln, auf der Jagd nach dem was sie wünschen."
"You are a shaper or maker of a play. Playwrights shouldn’t get too concerned with language; it is our job to consider behaviour. You’re mapping the behaviour of characters as they try to negotiate their way through life, in pursuit of what they want." 
Simon Stephens
Joan Miro, Lithograph, Ubu Roi (King Ubu) from Suites pour Ubu Roi, 1966

Schreibübungen:

Nimm einen Küchenwecker, gib dir 10 Minuten und schreibe eine Liste von 20 Dingen, die Deine Figur haben will.
Schreibe in 10 Minuten eine Liste von 50 Dingen, an die sie sich erinnert.
Schließ deine Augen, gib dir eine Minute und zeichne mit geschlossenen Augen ein Bild deiner Figur. Mit geschlossenen Augen wirst du das Bild nicht sehen, aber die Form wird sich herauskristallisieren.
Gib dir 5 Minuten, um alles aufzulisten, was die Figur über sich weiß, das andere Leute wissen.
Gib dir 5 Minuten, um alles aufzulisten, was andere Leute über die Figur wissen, das die Figur selbst nicht weiß.
Dann gib dir 5 Minuten, um Dinge aufzulisten, die du über die Figur weißt, von denen weder die Figur noch jemand anders etwas weiß.


Get a kitchen timer, give yourself 10 minutes and in that time write a list of 20 things your character wants.
In 10 minutes write a list of 50 things they remember.
Close your eyes, give yourself a minute, and with your eyes closed draw a picture of your character. With your eyes closed, you won’t see the picture but it’ll crystallise the image of your character.
Give yourself five minutes to list everything the character knows about themselves that nobody else knows.
Give yourself five minutes to list everything the character knows about themselves that other people know.
Give yourself five minutes to list everything that other people know about the character but the character doesn’t know.
Then, give yourself five minutes to write a list of things you know about the character that neither the character nor anybody else knows.

Simon Stephens



Freitag, 11. Mai 2012

Spiegel - Ruth Orkin und Rainer Maria Rilke



(III) Spiegel: noch nie hat man wissend beschrieben...

Spiegel: noch nie hat man wissend beschrieben,
was ihr in euerem Wesen seid.
Ihr, wie mit lauter Löchern von Sieben
erfüllten Zwischenräume der Zeit.

Ihr, noch des leeren Saales Verschwender - ,
wenn es dämmert, wie Wälder weit ...
Und der Lüster geht wie ein Sechzehn-Ender
durch eure Unbetretbarkeit.

Manchmal seid ihr voll Malerei.
Einige scheinen in euch gegangen - ,
andere schicktet ihr scheu vorbei.

Aber die Schönste wird bleiben - , bis
drüben in ihre enthaltenen Wangen
eindrang der klare gelöste Narziß.

Rainer Maria Rilke, Gedichte an Orpheus

©Estate of Ruth Orkin

Dame vor dem Spiegel

Wie in einem Schlaftrunk Spezerein,
löst sie leise in dem flüssigklaren
Spiegel ihr ermüdetes Gebaren;
und sie tut ihr Lächeln ganz hinein.


Und sie wartet, daß die Flüssigkeit
davon steigt; dann gießt sie ihre Haare
in den Spiegel und, die wunderbare
Schulter hebend aus dem Abendkleid,


trinkt sie still aus ihrem Bild. Sie trinkt,
was ein Liebender im Taumel tränke,
prüfend, voller Mißtraun; und sie winkt


erst der Zofe, wenn sie auf dem Grunde
ihres Spiegels Lichter findet, Schränke
und das Trübe einer späten Stunde.


Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte

Mittwoch, 9. Mai 2012

Zwei Friedhöfe in Berlin-Mitte


Friedhöfe sind gut zum Spazieren, besonders für Großstädter mit einem unterentwickelten Hang zur Natur. Man muß nirgendwo mit Hilfe des Nahverkehrs hinfahren, keine Badehose oder ähnliches einpacken und auch kein praktisches Schuhwerk anziehen. Das nächste Cafe ist nicht weit und man ist unter Leuten, nur dass die eben tot sind.
In welche Stadt ich auch komme, immer besuche ich auch ihre Friedhöfe. Ich war bei Marx und Jim Morrisson, bei Michail Bulgakow und auf dem herrlich gruseligen St. Louis Friedhof in New Orleans. Ein Freund hat mich vor Jahren auf den riesigen jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee geschleppt, inclusive über die Mauer klettern und von einem zauberhaften gesprächigen Totengräber wieder rausgelassen werden. Der jüdische Friedhof in Prag ist zum Weinen schön und in Neapel war ich in Katakomben voll theatralisch lebendigtoter Mumien. 

„Wenn ein Freund weggeht, muß man die Türe schließen, sonst wird es kalt.“ Bertolt Brecht

Merkwürdigerweise gehe ich selten an die Gräber der Menschen, die ich liebe und verloren habe. An die denke ich lieber ohne Grab.
Jetzt hat mich eine Freundin vor ein paar Tagen zum Besuch zweier sehr persönlicher Friedhöfe verführt, dem Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden und dem I. Französische Friedhof inmitten von Mitte, ganz dicht beieinander, nur durch eine Mauer (aber mit Durchgang) getrennt. Hier liegen einige mir nahe Menschen. Mein Vater. Und meine Großmutter, die ich sehr geliebt habe. Und der Klaus Piontek, ein guter, ein sehr guter Freund.

Ich will sterben, und ich hoffe
daß ich sterbe wie erhofft
nicht verwirrt und nicht besoffen
sterben mehrmals, oft und oft.

Meinetwegen auch mit Schmerzen
meinetwegen auch mit Wut
sterben nicht nur mit dem Herzen
sterben so, als sei es gut.

Ekkehard Schall
 
Und hier liegt eine riesige kunterbunte Gruppe deutscher Denker und Spinner und Künstler. Was muß das für eine geistvolle Geisterparty sein, so zwischen Mitternacht und die Minute danach
Anna Seghers tratscht mit Hermlin über die Situation des Schriftstellerverbandes und was der Hochhuth sich wohl gedacht hat. Da raucht Heiner Müller mit Hegel, Fichte und Marcuse. (Marcuse hat übrigens den guten Spruch: "weitermachen" auf seinem Grabstein!) Mein Mentor und erster Intendant Gerhard Wolfram, Langhoff, Devrient und Eysoldt und der gute alte Trinker Piet Dommisch streiten sich mit Eberhard Esche und Hacks über den Niedergang des Berliner Theaters. Und jetzt kann sich Ivan Nagel dazusetzen und Langhoff auch. Gosch ist ja wohl eher wortkarg. Hans-Peter Minetti muß sehen, wo er bleibt.
Die Bonhoeffers, Brecht, Bronnen und Eisler und Erich Engel und der wilde Geschonneck quatschen über was? - Da möchte ich gern zuhören. 
Oder bleiben die alten Feindseligkeiten bestehen? Bahro und Bohley noch unter Beobachtung von toten Stasileuten? Liest Jürgen Kuczynski noch jede Nacht die Börsenberichte? Bleiben Rauch, Schadow und Schinkel unter sich oder mischen sich alle Zeitalter? Posthume neue Freundschaften könnten entstehen. Und wird hier Theater gespielt? - Ein kleines edles Ensemble bekäme man zusammen. Iffland, Eysoldt, Devrient stoßen auf Schall, Weigel, Piontek und Franke.
Gibt es Bier für die berühmten Geister? Und für die anderen auch?
Denn das ist eines der schönen Dinge auf diesen Friedhöfen - hier liegen berühmt und unberühmt nebeneinander, friderizianisches und wilhelminisches Deutschland, DDR und alles dazwischen und danach auf wenigen hundert Quadratmetern zusammengedrängelt. Bombastische Grabmäler und Findlinge, immer wieder peinliche von Herzen kommende Sprüche und der quadratische kleine Klotz für den quadratisch kleinen Hanns Eisler. Leider hat Herr Litfaß keine seiner Säulen bekommen.



Wirklich und ohne Quatsch, auch ein Herr Piefke fand hier seine letzte Ruhestätte. Berlin lebe hoch!
Ich möchte übrigens verbrannt werden und mir ist schnurzpiepe was danach mit dem Rest passiert.

LVI.

     Ich hab’ im Traum’ geweinet,
Mir träumte du lägest im Grab’.
Ich wachte auf und die Thräne
Floß noch von der Wange herab.
     Ich hab’ im Traum’ geweinet,
Mir träumt’ du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.

     Ich hab’ im Traum’ geweinet,
Mir träumte du wärst mir noch gut.
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Thränenfluth.

Heinrich Heine
(Nein, der liegt nicht hier, würde aber gut hierher passen, oder?)

Wiki schreibt:
Der Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden (kurz: Dorotheenstädtischer Friedhof) liegt im Berliner Ortsteil Mitte. Er bedeckt eine Fläche von 17.000 Quadratmetern. Der Zugang befindet sich in der Chausseestraße Nr. 126. Zahlreiche bedeutende und prominente Persönlichkeiten haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Durch die Gestaltung ihrer Grabmäler ist der Friedhof auch ein wichtiges Zeugnis für die Berliner Bildhauerkunst, besonders des 19. Jahrhunderts. Die Anlage steht vollständig unter Denkmalschutz.
Der I. Französische Friedhof in der Oranienburger Vorstadt von Berlin ist ein kunsthistorisches Denkmal in unmittelbarer Nachbarschaft zum Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden. Der Französische Friedhof bildet gemeinsam mit dem benachbarten Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhof das bedeutendste erhaltene und noch genutzte Friedhofsensemble Berlins aus dem 18. Jahrhundert. Auf dem Friedhof sind Beispiele klassizistischer Grabmalkunst des 19. Jahrhunderts zu finden. 

Dienstag, 8. Mai 2012

Ruth Orkin - Die Kartenspieler


Ruth Orkin - Die Kartenspieler - New York - 1947







Estate of Ruth Orkin

There was a little girl

By Henry Wadsworth Longfellow

There was a little girl,
Who had a little curl,
Right in the middle of her forehead.
And when she was good,
She was very very good,
But when she was bad 
she was horrid.
Leider unübersetzbar.







Estate of Ruth Orkin

Montag, 7. Mai 2012

Meine erste Demo


Meine erste Demo

Meine erste Demo seit November 1989. 
Selbstverständlich habe ich seitdem viele Petitionen unterschrieben, Protestbriefe verfaßt und was es sonst an demokratischen Widerspruchsmöglichkeiten gibt. Aber keinerlei Teilnahme an größeren Ansammlungen von langsam laufenden Leuten zum Zwecke des Protestes. Ochlophobie oder Demophobie - Angst vor Menschenmengen nennt man das, habe ich gerade herausgefunden. Es ist genau genommen die Angst, eingequetscht oder zertrampelt zu werden, sagt mir Wiki. Sogar von meinem ersten Bob Dylan Konzert bin ich weg, ehe der gute Herr Zimmermann auftrat, weil ich mich so vor den vielen Leuten auf der Wiese in Treptow gegrault habe und es wurde auch noch dunkel. Nee, nichts wie weg. Und dann saß ich zu Hause vor dem Plattenspieler, das war so ein Kasten mit dem man Vinyl-Schallplatten abspielen konnte, und habe mir Highway Revisited zum 700sten Male angehört.

Demophobie klingt wie Angst vorm Volk, eine phobische Störung vieler Politiker.

Aber heute war ich doch mit auf einer nicht riesigen, aber sehr lebendigen und notwendigen Protestaktion der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch".
Wenn ich versuchen wollte, eine Liste der durch diese Schule gegangenen Schauspieler niederzuschreiben, die schon gestern und noch heute das Niveau und die Vielfältigkeit des Theater- und Filmlebens dieses Landes miterschaffen, würde dies ein seeeeehr langer Blogeintrag werden. Also nur einige wenige: Alexander Lang, Christian Grashoff, Nina Hoss, Margit Bendokat, Jürgen Gosch....

Protest ist nötig!

Die Buschler arbeiten nun seit circa drei Jahrzehnten in vier über Berlin verstreuten Gebäuden, die, das kann ich zumindestens für das Gebäude in Schöneweide beeiden, jetzt in einem recht veralteten, beengten und leicht heruntergekommenem Zustand sind. Asbest gibt es wohl auch. Ein neuer zentraler Standort wurde von unserem Bürgermeister versprochen und unter hohen Kosten geplant und verworfen und wieder geplant, immer mehr Geld wurde ausgegeben. Pankow oder Mitte oder wo?  Die finanziellen Fakten kann man in den Zeitungen Berlins nachlesen. Jedenfalls sieht es nun so aus, als solle es gar keinen Neubau geben, obwohl die Schule sich zu großen Kompromissen bereit erklärt hatte, um die Kosten niedrig zu halten. 

Protest ist nötig!

Und das allerbeste an der Demo heute war, dass die Studenten all die Aktionen der letzten Tage, selbst organisiert haben und sicherlich auch die der kommenden, organisieren werden. Sich zu wehren lernen ist großartig. Ob die Herren, die den BAU gestoppt haben, dies wohl beabsichtigt hatten?
DER BAU.fakten
Seit 15 Jahren ist ein gemeinsamer Campus für die Hochschule „Ernst Busch“ in Planung, der nun, kurz vor Baubeginn, von der SPD gekippt werden soll. Als Grund werden Mehrkosten angegeben, die 1,8 Millionen über den genehmigten Baukosten liegen. Dies scheint in Anbetracht der 5 Millionen Euro, die bereits vom Land Berlin investiert worden sind (u.a. 500.000 Euro für das Grundstück in der Chausseestraße), eine Farce zu sein. Die Hochschule hat bereits Abstriche und Kompromisse in Höhe von 4,7 Millionen gemacht und auf Räume und Ausstattung verzichtet. Ein Flügel der SPD schlägt vor, statt des Neubaus lieber die einzelnen Standorte zu sanieren (das BAT-Studiotheater und Schöneweide) und somit einen Betrag einzusparen, welcher für die Verbesserung der Berliner Grundschulen genutzt werden soll. Dieser Vorschlag ist sowohl unkonkret wie unverschämt. Er ist eine kurzfristig gedachte Sparmaßnahme, die letztendlich erhebliche Mehrkosten verursachen würde. Eine Sanierung von Schöneweide ist bei laufendem Schulbetrieb nicht möglich. Ein solcher Neubau wäre im angegebenen Rahmen von 10 Millionen Euro niemals finanzierbar. Die Schule müsste in einem solchen Fall in zunächst als Provisorium gedachte Container ausweichen und womöglich dort für längere Zeit bleiben. Letztendlich könnte das gar das Aus der Schauspielabteilung oder die Zusammenlegeung mit einer größeren Kunsthochschule bedeuten. Einen innerhalb verschiedener Bildungseinrichtungen initiierten Kulturkampf können wir nicht akzeptieren, genauso wenig wie die Tatsache, zu einem Spielball eines innerparteilichen Ränkespiels der SPD zu werden. Wir, als Studentenschaft, dürfen dies nicht zulassen und fordern deshalb den Senat des Landes Berlin auf, den Stop des Neubaus zu überdenken. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass das für die Stadt historisch wie kulturell so bedeutende Theater nicht der Willkür der Politik ausgesetzt bleibt. Wir brauchen ein Statement. 
Auf dieser Seite kann man auch die Petition unterschreiben.

Einige aktuelle Beiträge zum Thema: