Montag, 16. Mai 2011

Erich Kästner - Traurigkeit die jeder kennt

Man weiß von vornherein, wie es verläuft.

Vor morgen früh wird man bestimmt nicht munter.

Und wenn man sich auch noch so sehr besäuft:

die Bitterkeit, die spült man nicht hinunter.

Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.

Und angefüllt ist man mit nichts als Leere.

Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.

Es ist, als ob die Seele unwohl wäre.

Man will allein sein. Und auch wieder nicht.

Man hebt die Hand und möchte sich verprügeln.

Vorm Spiegel denkt man: "Das ist dein Gesicht?"

Ach, solche Falten kann kein Schneider bügeln.

Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?

Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.

Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.

Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.

Man möchte fort und findet kein Versteck.

Es wäre denn, man ließe sich begraben.

Wohin man blickt, entsteht ein dunkler Fleck.

Man möchte tot sein. Oder Gründe haben.

Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.

Sie schwand noch jedes Mal, so oft sie kam.

Mal ist man unten, und mal ist man oben.

Die Seelen werden immer wieder zahm.

Der Eine nickt und sagt: "So ist das Leben."

Der andre schüttelt seinen Kopf und weint.

Wer traurig ist, sei´s ohne Widerstreben!

Soll das ein Trost sein? So war´s nicht gemeint.

Erich Kaestner  (1899-1974)

 

Sonntag, 15. Mai 2011

Theater hat auch eine verrückte Tante im Ensemble 4


Der Trinker (meist männlich) - es gibt ihn in drei, höchst unterschiedlichen, Variationen. 
Da wäre das trinkende Genie oder der geniale Trinker, fast alle Vertreter der übergeordneten Gruppe halten sich dafür, die wenigsten sind es. Er ist ein Mysterium, sein Gehirn, alkoholmariniert, produziert Grossartiges, selbst volltrunken, spricht er auf der Bühne klar und verständlich, seine Spieleinfälle sind unerklärbar und zauberhaft, seine Aura atemberaubend. Als Partner stellt er eine Herausforderung dar, ich erinnere mich, wie ein Kollege sich genüßlich verweigerte, mir einige für den Fortlauf des Stückes notwendige Informationen zu geben, die meiner Figur unmöglich bekannt seien konnten, und nicht weil er seinen Text nicht erinnerte, sondern aus kindlich bösartigem Vergnügen an der Provokation. Man wächst daran, auch wenn man sich gelegentlich beim Durchspielen phantasievoller und schmerzhafter Tötungsversuche erwischt. Er ist ein grandioser, unermüdlicher Kantinenclown und auf wunderbare Weise am nächsten Morgen um Punkt zehn probenfähig. Besitzer einer tiefinneren Traurigkeit, die er bekämpfen muss und koste es den Verstand. Wenn diese Ausnahmen, aus gesundheitlichen oder spirituellen Gründen, aufhören zu trinken, passiert oft Trauriges, sie strahlen nicht mehr, nurmehr ein Schatten ihres vormaligen ständig gefährdeten Selbst, werden sie ordentliche, brave Schauspieler. Dafür leben sie länger, als die die weitertrinken. Und die, die durchhalten, sprich weitersaufen, bezahlen einen hohen Preis, mit zunehmendem Alter und abnehmender Widerstandskraft des Körpers, rutschen sie in die zweite Kategorie: den gewöhnlichen Alkoholiker. Kommt er heute, oder nicht, in welchem Zustand?
Was soll man dazu sagen. Es ist eine Krankheit. Wir ignorieren es so gut oder schlecht es geht, reden nur ungern darüber. Ein kranker Mensch. Es gibt ihn in allen Professionen.
Und dann all die, die jeden Abend schnell mal 10 Bier trinken und die, die vor der Vorstellung ein Sektchen kippen und in der Pause und danach. Manchmal werden "trockene" Wochen eingelegt, Selbstexerzitien zur Selbstversicherung. Ein Beruf, wie unserer, in dem das Selbstwertgefühl in starkem Maße von einem schwerlich beeinflußbaren Außen bestimmt wird, gibt der Sehnsucht nach dem Rausch guten Boden. (Wobei ich hier nicht dem Vorurteil, alle Schauspieler seien Trinker und Hedonisten, das Wort reden will. Oder doch?)
 
Der Tod und der einsame Trinker
Eine Mitternachtscene.

"Guten Abend, Freund!"

        "Dein Wohl!"
"Wie geht's?"
        "Dein Wohl!"
"Schmeckt's?"
        "Dein Wohl!"
"Du zürnst mir nicht mehr?"
        "Dein Wohl!"
"Im Ernst?"
        "Dein Wohl!"
"Hab Dank!"
        "Dein Wohl!"
"Aber -"
        "Dein Wohl!"
"Zuviel!"
        "Dein Wohl!"
"Nun -"
        "Dein Wohl!"
"Wie du willst!"
        "Dein Wohl!"
"Narr!"
        "Dein Wohl"
"Genug!"
        "Dein -"

Christian Morgenstern

Viktor Oliva: Der Absinthtrinker (1901)

Filmtipp:
Ein Draufgänger in New York oder My Favorite Year, Film gedreht 1982 mit Peter O'Toole in der Hauptrolle, Regie: Peter Bejamin. Basierend auf Erlebnissen von Mel Brooks, dem Produzenten, als er für eine Unterhaltungsshow beim Fernsehen arbeitete und Errol Flynn, betrunken wie eine Raderhacke als Gast erschien. O'Toole ist brillant, er weiss wovon er spielt!



Radehacke: im gemeinen Leben einiger Gegenden, eine Haue oder Hacke, mit einer nach der Quere gehenden breiten Schärfe zum raden, d. i. reuten oder ausrotten, daher sie im Hochdeutschen richtiger Reuthaue heißt (Oeconomischen Encyclopädie 1773 - 1858 von J. G. Krünitz)
In der Online Enzyclopädie: »Nach dem Fusel biste blau wie ’ne Radehacke.« Abgeleitet vom Schwindelgefühl, das seit dem 16. Jh. in folgender Wendung ausgedrückt ist: »Mir wird blau (schwarz) vor Augen.« Der Betrunkene ist so voll wie die mit Erde, Unkraut und Wurzeln gefüllte Radehacke.
oder in "Die Richtigen Berliner in Wort und Redensarten": Die blanken Stellen bei neuen Rübenhacken waren immer blau gestrichen.

Repost, verändert - Helene Weigel






 





Samstag, 14. Mai 2011

Nachtcafé von Gottfried Benn


824: Der Frauen Liebe und Leben.

Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte
rülpst tief drei Takte lang: das schöne Abendbrot.
Die Trommel liest den Kriminalroman zu Ende.

Grüne Zähne, Pickel im Gesicht

winkt einer Lidrandentzündung.

Fett im Haar

spricht zu offenem Mund mit Rachenmandel
Glaube Liebe Hoffnung um den Hals.

Junger Kropf ist Sattelnase gut.

Er bezahlt für sie drei Biere.

Bartflechte kauft Nelken,

Doppelkinn zu erweichen.

B-moll: die 35. Sonate

Zwei Augen brüllen auf:
Spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal,
damit das Pack drauf rumlatscht!
Schluß! He, Gigi! -

Die Tür fließt hin: Ein Weib.

Wüste ausgedörrt. Kanaanitisch braun.
Keusch. Höhlenreich. Ein Duft kommt mit.
Kaum Duft.
Es ist nur eine süße Verwölbung der Luft
gegen mein Gehirn.

Eine Fettleibigkeit trippelt hinterher.
1912

George Grosz Nachtcafé

Theater hat auch eine verrückte Tante im Ensemble 3


Kommen wir zum "Seriösen". Er hat noch andere Interessen, er liest, er malt, er versenkt sich in die großen Denker oder fernöstliche Religionen (Sein mildes Zen in der Hektik einer Hauptprobe kann dich in den Wahnsinn treiben.). Er weiss mehr als seine Kollegen, was nicht unbedingt heissen muss, dass er besser spielt. Sein weibliches Equivalent ist oft geschieden oder Single und begeistert sich für Esoterik, Horoskope, Mondphasen (Nur nicht die Haare waschen, wenn der Mond abnimmt, auch wenn du bereits aussiehst, als hättest du einen gewachsten Helm auf dem Kopf). Manche bleiben 20, 30 Jahre an einem Haus, dass eigentlich nur ein Sprungbrett seien sollte. Aber dann hat es sich anders ergeben oder es war bequem oder die Kinder kamen in die Schule. Ihre Lesungen und Kleinkunstprogramme sind der kulturelle Hauptknotenpunkt mancher kleineren Stadt, in den größeren Städten entspricht dem eine stetige Nebenrolle in einer langlaufenden Serie. 
Bei den besten Vertretern dieser Gruppe führt das zu großer Ernsthaftigkeit dem Beruf gegenüber aus eine gewissen Ruhe heraus, sie geben Acht auf die ganz Jungen und sind immer wieder neugierig auf die ihnen unbekannten Regisseure und neuen Kollegen, die wechselnde Intendanten in ihr Haus spülen. Wenn der Prophet halt auf den Berg wartet.

Die unerfreulicheren Fälle sind bequemliche Alleswisser, die langes Engagement an einem Ort mit einer Form von feudalem Hausherrenrecht verwechseln. Sie sind die Pest. Nörgler und Zyniker ohne Theaterliebe, aber mit der Fähigkeit, durch leises Murmeln Proben in Nahkämpfe zu verwandeln. Da hilft nur gnadenlose Direktheit.

Alles nur Theater - 1988, Film nach einem Stück von Alan Ayckbourn, Regie: Michael Winner mit Jeremy Irons und Anthony Hopkins als Laiendarsteller an einem Provinztheater. Wunderbare Schauspieler spielen Laienspieler, gedreht bevor die beiden Herren anfingen zu glauben, dass sie Großschauspieler sind. Klasse.

Freitag, 13. Mai 2011

Repost - Sofi Oksanen Fegefeuer


Die Wände haben Ohren
und in den Ohren schöne Ohrringe
Paul-Eerik Rummo

Eine Freundin hat mir das Buch empfohlen, weil es "über Dinge spricht, die ich nicht weiss, aber wissen sollte." Sie hatte Recht.
Bedenkend, dass wir nun alle Mitglieder dieser Gemeinschaft europäischer Länder sind, ist es erschreckend, wie wenig ich über manches dieser Länder weiss.
Estland, Baltikum, Talinn, hmmm? Ein kleines Land mit nur eineinhalb Millionen Einwohnern, jahrhundertelang unter Herrschaft einer deutschen Oberschicht in einer Art Autonomie zwischen Schweden und Russland hin- und hergeworfen, zwischen 1920 und 1940 dann zwanzig Jahre Selbstherrschaft, erfochten in einem Freiheitskrieg (1918-1920), aber durch den Hitler-Stalin Pakt, 1940 der UdSSR anheimgefallen. Man spricht von 10.000 Verschleppten, viele von ihnen verreckten in den sowjetischen Lagern. 1941 Einmarsch der Deutschen Armee, viele estnische Männer wurden eingezogen, manche flohen nach Finnland, manche kollaborierten heftig mit den Deutschen.
Zitat:
Im unabhängigen Estland genossen Juden religiöse und politische Autonomie. Am Vorabend der deutschen Besetzung lebten 4.500 Juden in Estland, davon 2.500 in Tallinn. Während sowjetischen Okkupation in der Folge des Hitler-Stalin Paktes wurden etwa 10% der Juden deportiert (Ähnlich war es in Litauen und Lettland), jüdische Institutionen wurden großteils geschlossen.
Der Treppenwitz der Weltgeschichte ist, von den nach Sibirien deportierten Juden aus dem Baltikum überlebten mehr als die Daheimgebliebenen. Knapp nach der deutschen Invasion wurden etwa 1.000 Juden durch die Deutschen und ihren lokalen Helfern ermordet. Die anderen konnten großteils in die UDSSR fliehen. Es gab ein Konzentrationslager in Estland, Klooga, etwa 35 km von Tallinn entfernt.

www.arbeit-und-leben-hochtaunus.de/Estland.Kollaborateure.pdf


1944 kamen die Russen wieder, Estland wurde wieder Sowjetrepublik. Weitere Deportationen und gezielte massive Ansiedlung von Russen, erst 1990/91 Erlangung der Unabhängigkeit, da Russland hatte genug mit sich selbst zu tun.

Soweit die kalten Fakten: die Geschichte des Buches findet hauptsächlich in einem estnischen Dorf statt, im Haus einer Familie, es springt in der Chronologie durch das letzte irrwitzige Jahrhundert und erzählt von zwei Frauen, denen ihre Körper entrissen wurden, missbraucht, okkupiert, zertreten. Bei der einen, der Alten, als "Nebenprodukt" von paranoider Sicherheitspolitik und Allmachtsmissbrauch, bei der jungen aus merkantilem  restlosem Moralverlust. Beide sind auch Mörderinnen. Und da sind Landschaft, Pflanzen, Bäume, Früchte, der Schatten einer Erinnerung an etwas ganz Altes, Sinnliches im nützenden Umgang mit Natur. Und da ist Gewalt, ebenfalls beschrieben wie eine Naturgewalt. Fleisch, Schweiss, Fett, Gelächter, Brutalität und die Frauen verlassen den geschundenen Körper, sie wurden "zu einer Maus in der Zimmerecke, zu einer Fliege an der Glühbirne, sie flog fort, sie wurde zu einem Nagel in der Wandpappe, zu einer rostigen Reißzwecke..."
Ein Roman über Ausgeliefertsein und Schuld, über eine schreckliche Liebe und über die Fähigkeit mehr zu ertragen, als ich mir überhaupt vorstellen kann. Und es ist ein bescheidenes Buch, nicht hochtrabend, nicht anklagend, es staunt mit  vor Schrecken aufgerissenen Augen.


Hof in Estland

Helene Weigel geboren am 12. Mai vor 111 Jahren

Ist leider von Google gelöscht worden.

Dienstag, 10. Mai 2011

Die Brüder Kleobis und Biton




um 600 v. Chr.

geschaffen von Polymedes aus Argos

Marmor, H. 216 cm

Delphi, Museum

Nach Herodot haben die beiden Brüder den Wagen ihrer Mutter Kydippe, die Hera-Priesterin war, von Argos anlässlich eines Opferfestes zu Ehren der Hera bis zum Tempel
gezogen

Die Zugochsen für Kydippes Zweigespann waren noch nicht vom Feld zurückgekehrt und so stellten die Brüder sich selbst unters Joch und zogen den Wagen die fünfundvierzig Stadien (8,3 km) zum Heiligtum. Dort legten sich beide nach dem Opfermahl, erschöpft von den Strapazen des langen Weges zur Ruhe und schliefen ein. Die Mutter Kydippe, stolz auf ihre wohlgeratenen Söhne, betete zu Hera und bat sie, ihren Söhnen das Beste zukommen zu lassen, was ein Mensch von den Göttern erhalten könne. Hera entschied, dass die Brüder im Schlaf sterben sollten, woraufhin die beiden nicht wieder aufwachten und so, noch in Jugend und Schönheit, einen schnellen und sanften Tod erhielten. So erwiesen die Götter den beiden ihre besondere Gunst und Huld ("... jung stirbt, wen die Götter lieben ..."). Die Argiver haben die beiden als Weihegeschenk in Delphi aufgestellt. 

Asaf Avidan & The Mojos

Seit Ewigkeiten wieder mal bei einem Live-Konzert. War das schön! Was für eine Stimme! Vier Oktaven und auch noch mit Witz, dein Körper tanzt von ganz allein. Wenn Asaf Avidan spricht, hat er eine angenehme, aber übliche Baritonstimme, wenn er singt allerdings, sucht das Auge manchmal die Frau, aus der die Töne kommen, die dieser Mann hervorbringt.
Eine hochprofessionelle Band mit wunderhübscher, sinnlicher Cellospielerin und einem Lead-Gitarristen der aussieht, wie man sich einen Mossad Assassin vorstellen mag. Wilde Wechsel von zart nach wild und immer lustvoll. Erinnert manchmal an Janis Joplin und manchmal an Marianne Faithful und auch an die Tigerlillies, aber doch ganz sie selbst, Fünf Israelis die Musik machen, die man glauben möchte.



Die Abrechnung - The Reckoning Song

No more tears, my heart is dry
I don't laugh and I don't cry
I don't think about you all the time
But when I do ? I wonder why

You have to go out of my door
And leave just like you did before
I know I said that I was sure
But rich men can't imagine poor.

One day baby, we'll be old
Oh baby, we'll be old
And think of all the stories that we could have told

Little me and little you
Kept doing all the things they do
They never really think it through
Like I can never think you're true

Here I go again ? the blame
The guilt, the pain, the hurt, the shame
The founding fathers of our plane
That's stuck in heavy clouds of rain.

One day baby, we'll be old
Oh baby, we'll be old
And think of all the stories that we could have told.

Eines Tages werden wir alt sein, Liebes
O Liebes, wir werden alt sein
Und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.

http://www.youtube.com/watch?v=KAsA9HZfvvU&feature=related

http://www.taz.de/1/leben/musik/artikel/1/frauenstimme-maennerkoerper/

Montag, 9. Mai 2011

Theater hat auch eine verrückte Tante im Ensemble 2


Kommen wir zur verrückten Tante und ihrer Familie. Ich vermute, dass ich in 30 Jahren Theater, ich habe die Neuberin noch geduzt, vielleicht 30 Theaterensembles kennengelernt habe und es scheint mir, als hätten sie alle im Kern eine nicht unähnliche Konfiguration. 

Zuerst die Frischlinge, die Schule noch unausgeschwitzt, intensiv, enthusiasmiert und berückend ahnungslos, stolpern sie in die Untiefen des deutschen Stadttheateralltags. Die Jungs haben auffällig oft fehlende Hemdknöpfe und kaputte Schuhe, die Mädchen einen ganz individuellen Kleidungsstil und klare Haut. Ihre Erwartungen sind beglückend / erschreckend hoch. Kurz vor dem Gagentag gibt es Spaghetti mit Tomatensauce ohne Parmesan, sie initiieren verrückte Nachtprogramme, ernsthafte Ensembleversammlungen und die Musik zu Premierenfeiern, bei denen sie länger tanzen und trinken als die Alten, mit einer Ausnahme, zu der ich später komme. Die Beziehung aus der Schauspielschule ist jetzt 800 Kilometer entfernt engagiert und löst sich meist bald, ersetzt durch einen der Counterparts im Ensemble. Im November, Dezember des ersten Jahres sieht man sie mit müden Augen morgens um 8 Uhr zur vierzigsten Weihnachtsmärchenvorstellung wanken, Kindersoldaten für die gute Sache. Diese ersten 24 Monate prägen sehr, der Sprung vom behüteten Studium einer Szene in die Qualitätsschwankungen des Theateralltags kann zu harten Aufschlägen führen, manche verschwinden danach für immer im Meer der hoffnungsvollen Freischaffenden. Sie zu behüten, zu hegen sollte die vornehmste Aufgabe der Gruppe sein, denn wie hat Cat Stevens schon gesagt: "The first scar is the deepest."

Der Ensemble-Casanova, schwingt um die Vierzig, ist oft ein guter Spieler, lebt entweder auffällig junggesellig in spartanischer Einzimmerwohnung oder hat eine Ehefrau, die niemals im Theater auftaucht, im schlimmsten Fall ist sie die Erste Charakterspielerin und Mutter seiner Kinder. Er ist der, der die Premierenfeiern bis zum letzten ausreizt immer auf der Spur der nächste Eroberung. Während die Beziehung läuft, ist der Casanova ungewöhnlich wagemutig in der Arbeit, witzig, jugendlich und energiegeladen. Aus irgendeinem Grund nehmen beide Beteiligten an, dass niemand etwas bemerkt, trotz der innigen Blicke, der verhauchten Stimmen und der unglaublich geheimen Berührungen. Proben können sehr anstrengend sein, wenn sie in den Zeitraum der Beendigung eines solchen Verhältnisses fallen. Tapfer verweinte Augen auf der einen Seite oder tragischer Blick auf der anderen. Wenn die nächsten Absolventen kommen, beginnt die neue Jagdsaison.
Hey, ich war dabei, ich muss es wissen.
Fortsetzung folgt.

Noch ein Filmtipp:

Freaks - Regie: Tod Browning 1932
Dieser Film ist noch heute in einigen US Bundesstaaten auf dem Index, trotzdem oder deshalb möchte ich ihn euch ans Herz legen. Er ist schwer zu ertragen und doch zauberhaft und erschütternd und kann durchaus als Allegorie auf die menschliche Gesellschaft im allgemeinen gesehen werden. 
„Ein verstörendes, faszinierendes Meisterwerk. Ein humaner, zärtlicher Horrorfilm. “ Kölner Stadtanzeiger