Mittwoch, 30. März 2011

Weegee 2



Von der Diktatur zur Demokratie: Ein Leitfaden für die Befreiung


Hochinteressanter Text über die Methoden des gewaltlosen Widerstands. Einiges davon könnte man auch in einer Demokratie nutzen, wenn dort Widerstand nötig ist oder auch gegen diktatorische Demokraten. Liest sich gut und ist auch noch kurz!

Von der Diktatur zur Demokratie: Ein Leitfaden für die Befreiung von Gene Sharp
Unter dem Link kann man auch die deutsche Version runterladen und lesen! 

http://www.facebook.com/5x5strategie/posts/10150156022326113

Hier noch ein Artikel der Tagesschau:

Ein Büchlein mit weltweiter Schlagkraft

Von Nicole Markwald, HR-Hörfunkkorrespondentin New York
Gene Sharp  
Auch mit 83 geht Gene Sharp noch jeden Tag arbeiten. Langsam läuft er ins Büro: Sein Weg ist nicht weit, denn sein kleines unscheinbares Backsteinhaus im Osten von Boston ist gleichzeitig der Sitz seiner Albert Einstein-Institution. Lediglich zwei Angestellte hat das Haus: ihn und seine Geschäftsführerin Jamila Raquib, die sich morgens erst einmal durch Anfragen arbeitet.
Es gibt wieder mal Übersetzungsanfragen für sein Buch "Von der Diktatur zur Demokratie": für China und Somalia. Solche Anfragen seien nicht ungewöhnlich, sie kämen von überall, erzählt Gene Sharp bedächtig. Der Amerikaner hat mit "Von der Diktatur zur Demokratie" einen Bestseller verfasst und er vertreibt ihn, ohne einen Cent dafür zu kassieren.

Wichtigster Tipp: sorgfältig planen

Das Buch ist ein Leichtgewicht: Es hat nur 93 Seiten, doch seine Schlagkraft ist in der ganzen Welt spürbar. Von Burma bis Bosnien, von Ägypten bis Zimbabwe, überall tauchten Sharps praktische Ratschläge, wie man eine unblutige Revolution durchführt, auf. Wichtigster Tipp: sorgfältig planen.
Sein Leitfaden wurde bereits in 28 Sprachen übersetzt – von diesem Erfolg ist auch der Autor überrascht: "Jedes Mal, wenn es in einem neuen Land auftaucht, sagen die Leute: 'Ahh - das ist extra für uns geschrieben worden.’'"

198 Methoden des gewaltfreien Widerstands

Geschrieben hat Sharp "Von der Diktatur zur Demokratie" 1993 nach einer Reise nach Myanmar, dem ehemaligen Birma. Dort lehrte er heimlich gewaltlosen Widerstand. 198 Methoden dazu hat er gesammelt: Vom Wahlboykott, Hungerstreik und Sitzstreiks bis dahin, gezielt die Zusammenarbeit mit der Regierung abzulehnen. Es gebe viele Wege, "Nein" in einem Polizeistaat oder zu einem Regime zu sagen, so Sharp. "Finde heraus, wo Dein Regime stark ist und wo es schwach ist", erzählt er in einem Trailer zu einem Dokumentarfilm, der in diesem Jahr über ihn erscheinen soll und fügt hinzu: "Jede Diktatur hat ihre Schwächen."

Sein ganzes langes Leben hat sich Gene Sharp mit gewaltlosem Widerstand beschäftigt. Natürlich hat er unter anderem Leben und Werke von Mahatma Gandhi und Martin Luther King intensiv studiert. Als Jugendlicher erschütterte ihn die Schreckensherrschaft der Nazis. Als er selbst zum Koreakrieg eingezogen werden sollte, verweigerte er den Kriegsdienst und ging dafür neun Monate lang ins Gefängnis. Der studierte Politikwissenschaftler lehrte mehr als 30 Jahre lang in Harvard. 1973 verfasste er sein Hauptwerk "Politik der gewaltfreien Aktion".
Sharp ist schüchtern, ein stiller Denker. Aber seine Ratschläge werden weltweit beherzigt, bei den friedlichen Protesten in der Ukraine und Georgien, auf dem Balkan und in Ägypten. Er glaubt nicht daran, dass Menschen ohne Waffen in einem Regime machtlos sind. Und diese Botschaft reist um die Welt.
Die Regierenden in Venezuela, dem Iran oder in Burma verunglimpfen Sharp: Er sei ein CIA-Agent, der Unruhe stiften solle. Sharp kann darüber nur müde lächeln. Nie würde er mit irgendeiner Regierung kooperieren, nicht einmal mit der eigenen - auch wenn er das Geld gut gebrauchen könnte. Stattdessen arbeitet er an einem neuen Buch und züchtet seine Orchideen in dem kleinen, unscheinbaren Backsteinhaus im Osten 

Zitat:

"Wenn man auf gewaltsame Mittel vertraut, entscheidet man sich genau für die Art von Kampf, bei der die Unterdrücker so gut wie immer überlegen sind."
Quelle: Gene Sharp, im Vorwort seines Buches "Von der Diktatur zur Demokratie"


Dienstag, 29. März 2011

Weegee!!!


Weegee, eigentlich Arthur Fellig, geboren als Usher Fellig (* 1899 bei Lemberg, Galizien † 1968 in New York) war ein amerikanischer Presse-Photograph. Sein Markenzeichen waren Fotos aus nächster Nähe, frontal und hart mit dem Blitz ausgeleuchtet.


Montag, 28. März 2011

Plumpsack - Ein Spiel

Plumpsack, m. ein schwerer mit wucht niederplumpender sack: da fiel der tropf
zu boden wie ein plumpsack.
Blumauer (1839)

Dreht euch nicht um
Der Plumpsack geht um
Und wer sich umdreht oder lacht
Kriegt den Buckel vollgemacht.
oder Kriegt den Buckel schwarz gemacht.


Die mittelalterliche Spielform:
Zuerst wählten die Kinder mit einem Abzählreim den ersten Plumpsack-Schleuderer aus, der der Einfachheit halber ebenfalls Plumpsack genannt wurde. An einen Ast oder Stock wurde mit einer Schnur ein Säckchen gebunden. Stock- und Schnurlänge zusammen ergaben das Maß, in dem um einen Mittelpunkt ein großer Kreis auf den Boden gezeicBildausschnitt hnet wurde. In der Mitte nahm der 'Plumpsack' Aufstellung, die Mitspieler verteilten sich innerhalb des Kreises.
Das Spiel begann mit dem Singen eines Plumpsackliedes. Das in der Mitte stehende Kind musste durch geschicktes Schleudern ein anderes mit dem Plumpsack treffen, ohne sich jedoch vom Fleck weg bewegen zu dürfen. Tat es das doch und traf dadurch eines der anderen Kinder, zählte dieser Treffer nicht. Neuer 'Plumpsack' wurde, wer regulär getroffen worden war oder auch, wer aus dem Kreis heraus stolperte.
Natürlich waren im Plumpsack keine Steine; es sollte ja niemand verletzt werden. Im Säckchen befand sich damals Asche aus den Feuerstellen und wer häufiger getroffen wurde sah bald aus wie der "Schwarze Mann". Sieger wurde, wer am saubersten geblieben war.




Sonntag, 27. März 2011

Wenn ein Theater schließt und keiner es hört...


Wenn im Wald ein Baum umfällt, und keiner ist da um das zu hören, gibt es dann ein Geräusch?
Gestern in Rostock: "Effie Briest" inszeniert von Matthias Brenner mit Lisa Flachmeyer, Tim Ehlert, Ulrich K. Müller, Petra Gorr, Undine Cornelius, Jakob Kraze, Paul Walther, Dirk Donat, Laura Bleimund, Peer Roggendorf, Caroline Erdmann, Jörg Schulze, Michael Ruchter, Jessica Reinicke, Jewgeni Potschekujew und den Mitarbeitern aller Gewerke des Volkstheaters Rostock.
Premiere. Der Saal war leer. Kein einziger Zuschauer war anwesend. Keine Karte war verkauft worden.
Brandschutzprobleme waren seit Jahren bekannt, geforderte Nachbesserungen wurden aus dem Etat des Theaters durchgeführt, für ein weiteres Gutachten brauchte es über ein Jahr, zuletzt wurde noch eine Wand mit Brandschutztür mitten ins Foyer gebaut, in einer morgendlichen Probe erhielten die Spieler via Privat-Telefon aus Berlin (!) Nachricht von der Schließung ihres Hauses.
Niemand hat vorher von den baupolizeilichen Problemen gewusst? Das war eine ganz plötzliche Entdeckung? Man konnte vor der Katastrophe keine Vorbereitungen für einen Notfallplan treffen? Und jetzt, nach der Entscheidung, soll es bitte keine unsachlichen Diskussionen geben?
„Es geht nicht darum zu bremsen, aber auch nicht darum, irgendeine schnelle Entscheidung durch die Gremien zu ´peitschen`.“ Originalton des Bürgermeisters.
Das Haus ist seit dem 22. Februar 2011 für den Publikumsverkehr geschlossen.
Bisher gibt es einige sehr behelfsmäßige Notspielstätten, Es ist nicht bekannt, wann und ob es zu einer Wiedereröffnung des alten Hauses kommt, oder wo die Produktionen (Tanztheater, Oper, Konzerte, Schauspiel) in der Zwischenzeit oder bis zur Eröffnung des magischen Neubaus (von dem seit ungefähr 25 Jahren die Rede ist) zur Aufführung kommen könnten. Der früheste Termin für die Wiedereröffnung bei einer Investition von circa 3 Millionen wäre März 2012. Ein Neubau könnte frühestens 2016 realer 2017 fertig werden.
Das Theater Stuttgart hat die Sanierungsschließung seines Grossen Hauses in Zusammenarbeit mit der Stadt gründlich vorbereitet und spielt jetzt in einer tollen Übergangslösung vor vollen Zuschauerreihen. Andere Beispiele lassen sich finden.
Für eine Protest-Vorstellung des "Münchhausen" musste das Volkstheater 1000 Euro Miete an die Stadt für drei Stunden Aufenthalt im Rathaus der Stadt Rostock bezahlen.
Der jetzige Intendant ist der 10. seit der Wende. Soweit mir bekannt, hat es fast keiner der 9 Vorgänger bis zum regulären Ende seiner Amtszeit geschafft. Ein Großteil hat die Stadt nach vorfristiger Vertragsaufkündigung mit Abfindung verlassen müssen oder dürfen.

DIE VERANTWORTLICHEN:
Bürgermeister der Stadt Rostock:
Roland Methling
Intendant und Kaufmännischer Geschäftsführer:
Peter Leonhard
Aufsichtsrat:
Dr. Liane Melzer
Dr. Ingrid Bacher
Sandra Benzmann
Sabine Friesecke
Dr. Christel-Katja Fuchs
Eva-Maria Kröger
Heide Mundo
Dr. Anne-Kathrin Riethling
Susanne Schulz

Noch besitzt Deutschland ein Stadttheatersystem.
Und Geldmangel ist sicher nur eines seiner Probleme. Auch eines ist, auf welche Art sich Theater in einer Welt der Digitalisierung, Schnittverschnellerung, Zeitraffung in den sozialen Umbruch unserer Gesellschaft einmischen kann. Wie es Schau - Spiel bleiben kann, in dem Sinne, dass es erkennbare Vorgänge spielerisch durchforstet und sie zum Anschauen anbietet, damit wir uns wiedererkennen mögen in unserer Verzweiflung, unserer Komik und unserem Geheimnis. Diese Fragen, bedürfen jeden Tag neuer Antworten und manche dieser Antworten wollen wir nicht hören und unterhalten uns lieber untereinander in altbekannter Weise weiter, versichern uns gegenseitig unserer Sensibilität und Modernität und lassen die, die wir "bespielen" enttäuscht und ununterhalten zurück.
Aber es gibt auch die Politik! Und die will, zu großen Teilen, Kunst nicht finanzieren. Warum auch? Kunst? Die Schulen müssen bezahlt werde, die Krankenhäuser, die nationale Verteidigung, die Diäten, die Subventionen für die Industrie. Sparen tut not und Geiz ist geil, besonders wenn es etwas betrifft, was man eh nur unter Kinderkram einsortieren sollte. Altes Zeugs, archaischer Müll. Weg damit. Schaut nach Amerika! Da geht es doch auch ohne Subventionen. Und die Engländer arbeiten an einem ähnlichen Plan.
Politiker in Rostock gehen nicht ins Theater. Am gestrigen Abend, einem wichtigen und bedrückenden in der Geschichte des Rostocker Theaters war, wie schon so oft, kein Vertreter der Stadt anwesend. Der Anstand verlangt doch zumindest die Anwesenheit beim Begräbnis eines ungeliebten Kindes, oder?
§ 223 des Strafgesetzbuches sagt über den Tatbestand der Körperverletzung: Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Ich sage, wer ihm anvertraute Institutionen, auch kulturelle, misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, soll bestraft werden.
Aber zurück zum gestrigen Abend: Die Premiere wurde via Livestream übers Internet angeboten. Etwa 4000 Menschen sollen geschaut haben, toll, ABER mit Ausnahme von zwei, drei Clubs, die gemeisam Video guckten: es wurde nirgends hin gegangen, um gemeinsam mit anderen zu schauen, niemand konnte den Schweiß riechen, der vergossen wurde, kein Lacher veränderte den Lauf einer Szene, kein Atem nahm Einfluss auf das Tempo. Entsolidarisierung. Entfremdung. Am Ende verbeugten sich die Spieler vor dem leeren Saal und aus einem iPhone hörte man leise den Applaus der Zuschauer, die die "Vorstellung" in einem Musikclub verfolgt hatten.

Gestern haben viele geweint, ich nicht, mir war schlecht.

Samstag, 26. März 2011

Krankenzimmer Nummer 6 am DT

Dimiter Gottscheff, 7 Schauspieler, eine Tuba mit Musiker und zahllose Scheinwerfer sinnieren über Tschechow.
Eine kleine traurige Erzählung aufgebläht durch eine Auswahl von best of Tschechow Monologen.
Margit Bendokat, Wolfram Koch so toll wie immer, aber wozu?
Ich habe "Die Perser" vom selben Regisseur mit nahezu derselben Besetzung aufgesaugt, jeder Satz geformt und gedacht, zu gross, zu viel und grandios. Hier und heute: Atmosphärisches Stimmungsgewaber.
Wenn die Scheinwerferbatterien zu Beginn abwärts fahren und die Spieler beinah erdrücken, ist das eindrucksvoll, und auch die ersten Male, wenn so ein Riesenscheiner elektronisch gesteuert auf die neue Position eines Spielers fährt, aber nach 10 Minuten wird es öde und nach 20 fand ich mich auf der Suche nach anderweitiger Unterhaltung. Zuschauer angucken ist auch Theater erleben.
War selten so maulfaul nach einem Theaterbesuch und nicht aus Beeindruckung.
Angestrengt.


Das ist Wolfram Koch, wahrscheinlich als Tasso? Lorbeerkranz könnte darauf hinweisen.

Freitag, 25. März 2011

Theater hat einen Dramaturgen


DER DRAMATURG

Das Wort Dramaturg kombiniert die griechischen Begriffe Drama und Ourgos, in etwa "Schauspiel-Arbeiter". Aber das sind wir, die am Theater arbeiten irgendwie, alle. Was also ist seine Besonderheit? 

Im Voraus, der Dramaturg ist oft arm dran, sitzt unbequem zwischen drei, vier und mehr Stühlen, die im Theater auch noch Klappsitze sind und wird nur selten gelobt. Wenn es ein Erfolg wird, ist es nicht wirklich seiner, floppt es, hätte er besser aufpassen müssen. Schauspieler misstrauen ihm, weil er kein Praktiker ist, Regisseure hören nur scheinbar zu und machen dann, was sie wollen.

Amerikaner, Engländer und die meisten anderen Völker haben keinen Dramaturgen, wir Deutschen haben ihn erfunden. Herr Lessing und Frau Neuberin haben den Hans rausgeworfen und durch den Dramaturgen ersetzt. (Leicht vereinfacht.)

Ich möchte mich hier dem praktischen Nutzwert des Dramaturgen zuwenden und der kann, je nach Besetzung, beachtlich sein oder so fragwürdig, wie nur vorstellbar. 

Der während der Probe das Stück mitlesende Dramaturg: Schauspieler anzugucken, macht ihn nervös. Buchstaben sind konstant. Konzepte sind eisern einzuhalten. Wenn da nur nicht dieser wackelige unzuverlässige menschliche Faktor wäre. Schauspieler sind ihm zu dumm, lesen die falschen Bücher, wenn sie überhaupt lesen, und auch Regisseure verlieren sich manchmal, unverständlicherweise, in die Schönheit des Probenmoments und werfen durchdachte Pläne über Bord. Das Ziel ist alles, der Weg ist nichts! Sein Unwohlsein entströmt ihm in dicklichen Wellen, und kann die sowieso schlechtriechende Luft einer Probebühne, vollends in Gestank verwandeln. Er ist ein bisschen wie der Witz vom Pathologen. Der Chirurg kann alles und weiß nix. Der Internist weiß alles und kann nix. Der Dramaturg Pathologe weiß alles, kann alles und ist immer zu spät. Hin und wieder steigert er sich so sehr in seine durch ständige Enttäuschung wachsende Verzweiflung hinein, dass er selbst inszenieren will. In solchen Produktionen habe ich zweimal mitgespielt, und sie sind der einzige Grund, der Altersdemenz freudig entgegenzusehen. 

Der Dramaturg, der nie da ist: 
Kommt häufig vor. Was so ein kleines Programmheft an Schreibtischarbeit, Bibliotheksbesuchen und anderen Abwesenheitsbegründungen bedeutet, kann der durchschnittliche Theatermacher gar nicht einschätzen. Probenbesuche sind lästig. Die leisen Probenschnarchgeräusche dieser Gattung sind, aus dem dunklen Zuschauerraum auf die Bühne dringend, wie eine leise Beruhigungsmelodie. Bei Probenschluss pünktlich wach geworden, ermahnt er einen auf die Verständlichkeit der Schauspieler zu achten und entschwindet für die nächsten zwei Wochen gen Schreibtisch.

Der Dramaturg ohne Meinung: 
Sein Lieblingsgeräusch ist:"Hmmm." Seine Haltung zum Projekt entscheidet sich entweder mit den Reaktionen des Intendanten oder der Kritiker. Wie auch immer es ausgeht, er hat es immer schon gewusst. Wenn Buchrücken so weich wären, wie sein Rückgrat, wäre Lesen ein Jonglierakt.

Der Theaterwissenschaftler, der durch die Ungunst des Schicksals zum Dramaturgen wurde:
Man könnte ihn auch den theaterwissenschaftlichen Polizisten nennen. 
Ein Dialog während einer "Amphytrion" Probe (Heinrich von Kleist Version):
1. Akt Szene 4: Jupiter und Alkmene, sie über seiner Schulter hängend, betreten erschöpft die Szene.
Dramaturg: 
Aber Alkmene ist doch der Inbegriff von Reinheit und Treue und sich selbst gewisser Liebe, wie kann sie dann so wild und sexuell daherkommen?
Regisseur: 
Weil sie gerade siebzehn Stunden Sex hatte?
Dramaturg: 
Aber sie sagt doch "...da ich zwei kurze Stunden dich besaß."
Regisseur:
Und Merkur sagt eine Szene später: "Die gute Göttin Kupplerin (die Sonne) verweilte / Uns siebzehn Stunden über Theben heut;" Vielleicht verging ihr die Zeit wie im Fluge, weil es so gut war?
Dramaturg:
Vorwurfsvoller Blick.
Der Text ist für ihn ein Heiligtum, aber, und das verblüfft mich immer wieder, er wird gelesen, als würden Menschen nicht sich und andere belügen, als wäre die Situation in der etwas gesagt wird ohne Einfluss, als würden wir alle immer sagen, was wir denken oder fühlen. 
Hatte mal einen riesigen Krach mit einem D., weil er darauf bestand, dass Karl Mohr, der "gute" Bruder in den Räubern sei, und als ich ihm vorrechnete, dass keine der unzähligen Leichen des Abends durch Franz zu Tode kam, hielt er mir einen unendlichen Vortrag über Idealismus und jugendliches Aufbegehren, streifte kurz RAF und 68, und ließ sich von den Fakten nicht im Geringsten beeindrucken.
Haltungssinn geht über Textsinn, hat mein Vater immer gesagt und Recht hat er!

Der andere Dramaturg:
Hier mein Geständnis: Einige meiner besten Freunde sind Dramaturgen.
Es begann mit Ilse Galfert, einer zarten, zähen Dame am Deutschen Theater, die mir unendlich viel beigebracht hat und Szenen so beschreiben konnte, das man auf der nächsten Probe viel schlauer war. Sie sprach über Theater, wie über einen herrlichen, aber launischen Liebhaber, der sich, unachtsam behandelt, in einen rachsüchtigen Miesepeter verwandeln konnte. In Folge einer verpfuschten Stimmbandoperation war ihre Stimme sehr leis und hoch, aber Klugheit und Humor ersetzten die fehlenden Basstöne. 
Annette Reber, meine beste Freundin, Co-Regisseurin, Gehirnhälfte. Das sie mit 42 sterben musste, ist Grund genug, nicht an Gott zu glauben.
Öhme, Walch, van Dyk, Scharffenberg und und und. Die "anderen" Dramaturgen, die brennen, sich durch Texte wühlen, die ich nie finden und manchmal nicht verstehen würde, die Geduld haben, streng seien können und in einem Nebensatz den Drehpunkt einer Szene beschreiben, nach dem man probenlang vergeblich gesucht hat. Die, die um ihr Talent wissen. Die beschreiben können, zum richtigen Zeitpunkt, die richtigen Fragen stellen und die sich für unsere "harsh mistress" die Seele aus dem Leib denken.



Donnerstag, 24. März 2011

Themen - Ideen - Interessen - Blödsinn

Ich hatte heute ein ganz wunderbares Gespräch mit einer Freundin. So ein richtiges mit vielen Themenwechseln und ernst/albern/sachlich Themen. Schön!
Und sie hat mir zwei Themen für den Blog vorgeschlagen.
Und da dachte ich mir, vielleicht haben andere auch Vorschläge? Wenn ja, kurzer 
Kommentar?
Würde mich freuen!
Apropos freuen: ES IST DEFINITIV FRÜHLING!!!!!!!! Man habe ich das gebraucht. Endlich nicht frieren. Egal wie warm ich angezogen bin, ab Februar friere ich, oder vielleicht zittere ich vor Ungeduld, dass es FRÜHLING werde?

Gedanken über der Zeit - Paul Fleming

Barockgedichte haben meist so eine lüsterne Morbidität, dieses eher nicht, eher ein Wort- und Gedankenpuzzle. Erstaunlich klar und modern.

Gedanken über der Zeit
 
Ihr lebet in der Zeit und kennt doch keine Zeit;
so wißt, ihr Menschen, nicht von und in was ihr seid.
Diß wißt ihr, daß ihr seid in einer Zeit geboren
und daß ihr werdet auch in einer Zeit verloren.
Was aber war die Zeit, die euch in sich gebracht?
Und was wird diese sein, die euch zu nichts mehr macht?
Die Zeit ist was und nichts, der Mensch in gleichem Falle,
doch was dasselbe was und nichts sei, zweifeln alle.
Die Zeit, die stirbt in sich und zeugt sich auch aus sich.
Diß kömmt aus mir und dir, von dem du bist und ich.
Der Mensch ist in der Zeit; sie ist in ihm ingleichen,
doch aber muß der Mensch, wenn sie noch bleibet, weichen.
Die Zeit ist, was ihr seid, und ihr seid, was die Zeit,
nur daß ihr wenger noch, als was die Zeit ist, seid.
Ach daß doch jene Zeit, die ohne Zeit ist, käme
und uns aus dieser Zeit in ihre Zeiten nähme,
und aus uns selbsten uns, daß wir gleich könten sein,
wie der itzt jener Zeit, die keine Zeit geht ein!

Paul Fleming 1609-1640

Hübsch war er nicht! Seine Liebste hat einen anderen geheiratet, da hat er sich mit deren Schwester vermählt. Und noch eins:

An sich

Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!

Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren,

Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut.
Tu, was getan sein muss, und eh man dirs gebeut.
Was du noch hoffen kannst das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke

Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
Dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn,

Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt und alles untertan.

Mittwoch, 23. März 2011

Der Knabe mit der roten Weste - Paul Cezanne

Ein Kritiker bemängelte, der Arm des Jungen sei doch viel zu lang, woraufhin der Berliner Maler Max Liebermann lakonisch antwortete, dass ein so schön gemalter Arm gar nicht lang genug sein könne.