Ich lese gerade nochmal den "Fänger im Roggen" und meine Begeisterung hält sich in Grenzen. 60 Jahre alt, 1951 erschienen und es ist nicht lang genug her, um klassisch, und doch schon zu lang, um modern zu wirken. Erinnere mich, wie aufgeregt ich war, als ich es, ich weiss nicht mehr auf welchen Wegen, endlich in der Hand hatte. Kurz davor hatte ich Kerouac gelesen und wir (alle so um die 14, 15) machten zynische Witze darüber, wie wir als Rentner, also im Reisealter, durch die USA trampen würden.
Und dann gab mir meine Mutter zwei dünne Bände, "9 Erzählungen oder Ein guter Tag für Bananenfisch" und "Franny und Zooey", beide von Salinger und beide mit Helden aus der Familie Glass, einer bunten Ansammlung von Wunderkindern inclusive schräger Eltern aus New York, die von Kindesbeinen an in einer Radioshow auftraten und die wunderlichsten Dinge von sich gaben. Man bedenke, ich 14, DDR, frühreif und erstaunlich ignorant, und zu dem Zeitpunkt nur mit mittelguten Kenntnissen der englische Sprache ausgestattet.
Es wurde ein einschneidendes Leseerlebnis. Zum Beispiel meine Zuneigung zu Sappho wurzelt im Titel der letzten der neun Erzählungen: Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute.
Raise high the roof-beams!
Sing the Hymeneal!
Raise it high, O carpenter men!
Sing the Hymeneal!
The bridegroom enters, like to Ares,
by far bigger than a big man.
Hebt den Dachbalken hoch!
Singt das Hochzeitslied!
Hebt ihn hoch, o Zimmerleute!
Singt das Hochzeitslied!
Der Bräutigam tritt ein, Ares gleich,
Viel größer als ein großer Mann.
Ich liebe die Vorstellung, dass man in Vorfreude auf das Eintreffen des Geliebten, das Dach vom Haus heben möchte. Und dann war da Seymor, der älteste der Glass-Kinder, der sich auf der Hochzeitsreise umbringt an einem guten Tag für Bananenfisch. Und, da war die fette Dame. Wer ist sie? Ich habe die Zitate nur im Original gefunden, aber es geht etwa so:
"Seymor hat mir gesagt, dass ich meine Schuhe putzen soll, gerade als ich mit Waker zur Tür raus wollte. ich war wütend. Das Studiopublikum bestand nur aus Idioten, der Ansager war ein Idiot, die Sponsoren waren Idioten, und ich würde verdammt nochmal nicht meine Schuhe für sie putzen. Das habe ich Seymor gesagt. Ich sagte, dass sie könnten sie sowieso nicht sehen, da wo wir saßen. Er sagte, ich solle sie für die Fette Dame putzen. Ich hatte keine Ahnung wovon er zum Teufel redete, aber er hatte diesen Seymor-Ausdruck im Gesicht, und da habe ich es gemacht. Er hat mir nie gesagt, wer die Fette Dame war, aber ich habe meine Schuhe für die Fette Dame geputzt, jedesmal wenn ich wieder auf Sendung ging - all die Jahre, die du und ich zusammen in dem Programm waren, wenn du dich erinnerst. Ich glaube, ich habe es höchstens zweimal verpasst. Dieses schrecklich klare, klare Bild der Fetten Dame entstand in meinem Kopf. Ich sah sie, wie sie den ganzen Tag auf dieser Veranda saß, Fliegen wegwedelte, mit dem Radio auf voller Lautstärke vom Morgen bis in die Nacht. Ich vermutete, die Hitze war furchtbar, und sie hatte wahrscheinlich Krebs, und - ich weiß nicht. Jedenfalls, es schien verdammt klar, warum Seymor wollte, dass ich meine Schuhe putze, wenn ich auf Sendung ging. Es machte Sinn."
"Es ist mir egal wo ein Schauspieler spielt, es kann im Freilichttheater, es kann im Radio sein, es kann im Fernsehen sein, es kann in einem gottverdammten Broadway Theater sein, komplett mit dem modischsten, bestgenährtesten, sonengebräuntestem Publikum, das man sich vorstellen kann. Aber ich werde dir ein schreckliches Geheimnis verraten - hörst du mir zu? Es gibt da draußen keinen, der nicht Seymors Fette Dame ist. Es gibt nirgends niemanden der nicht Seymors Fette Dame ist. Weisst du das nicht? Kennst du das verdammte Geheimnis noch immer nicht? Und weisst du nicht - hör mir jetzt zu - und weisst du nicht, wer diese Fette Dame wirklich ist?...Ah, Kumpel. Ah, Kumpel. Es ist Christus. Christus, Kumpel."
"Seymour'd told me to shine my shoes just as I was going out the door with Waker. I was furious. The studio audience were all morons, the announcer was a moron, the sponsors were morons, and I just damn well wasn't going to shine my shoes for them, I told Seymour. I said they couldn't see them anyway, where we sat. He said to shine them anyway. He said to shine them for the Fat Lady. I didn't know what the hell he was talking about, but he had a very Seymour look on his face, and so I did it. He never did tell me who the Fat Lady was, but I shined my shoes for the Fat Lady every time I ever went on the air again — all the years you and I were on the program together, if you remember. I don't think I missed more than just a couple of times. This terribly clear, clear picture of the Fat Lady formed in my mind. I had her sitting on this porch all day, swatting flies, with her radio going full-blast from morning till night. I figured the heat was terrible, and she probably had cancer, and — I don't know. Anyway, it seemed goddam clear why Seymour wanted me to shine my shoes when I went on the air. It made sense."
...
"I don't care where an actor acts. It can be in summer stock, it can be over a radio, it can be over television, it can be in a goddam Broadway theatre, complete with the most fashionable, most well-fed, most sunburned-looking audience you can imagine. But I'll tell you a terrible secret — Are you listening to me? There isn't anyone out there who isn't Seymour's Fat Lady. ... There isn't anyone anywhere that isn't Seymour's Fat Lady. Don't you know that? Don't you know that goddam secret yet? And don't you know — listen to me, now — don't you know who that Fat Lady really is? . . . Ah, buddy. Ah, buddy. It's Christ Himself. Christ Himself, buddy."