Dienstag, 1. März 2011

Theater ist Heimat

Das Volkstheater Rostock ist häßlich. Ich meine das Haus. Nachdem das ehemalige, den Bildern nach, sehr schöne neoklassizistische Gebäude am Steintor, 1942, von Bomben zerstört worden war, zog das Theater in ein eigentlich nicht als Theater gedachtes Gebäude und dort befand es sich noch bis vor wenigen Tagen, und seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts spricht, palavert, streitet man über einen Neubau.

Wie gesagt, das Gebäude ist häßlich.

Was gibt es denn noch so? Eine Stadthalle, riesig und ebenfalls häßlich. Das Theater am Stadthafen, eigentlich wunderbar, nur hat man beim Bau einige theatereigene Forderungen einfach außer Acht gelassen. Wenn es regnet, schlagen die Tropfen hart auf das nichtisolierte Dach, aber warum muß man denn verstehen was der Mitspieler sagt? Ach ja, Bühnenbildteile dürfen nicht breiter als einen Meter sein, sonst kriegt man sie nicht auf die Bühne. Das alte "Kleine Haus" in der Innenstadt zu renovieren wäre nicht teurer gewesen, aber irgendwer hätte dann nicht genug verdient. Die Bühne 602, klein und sehr tapfer, aber durch den Druck sich zu erhalten, in der Programmauswahl stark eingeschränkt. Ein Literaturclub am Kuhtor. Ein oder zwei Studentenclubs im DDR-Neubaustil, die kleine Komödie in Warnemünde - darf unter Strafandrohung nicht durch Hinweisschilder findbar gemacht werden und ist winzig, und, warum auch immer, hellblau angestrichen, für einen Theaterraum die ideale Farbe (reflektiert schön!). Was habe ich vergessen? Das LiWu, ein Programmkino, gibt es das noch?  Ich hoffe, aber es stand praktisch jedes Jahr unter Geldentzugsandrohung, also weiß ich es nicht. Zwei Riesenkinos, einige gute Buchhandlungen und außer im Kaufhaus, keinen Plattenladen.

Rostock hat circa 200 000 Einwohner.

Kultur (zu lat. cultura, „Bearbeitung“, „Pflege“, „Ackerbau“, von colere, „wohnen“, „pflegen“, „den Acker bestellen“) ist im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur.

Rostock liegt an der Ostsee.

Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist. Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind.

Rostock steckt in enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Was also nun? Theater zu. Neubau zu teuer.
Es geht hier gar nicht "nur" um die Bedürfnisbefriedigung einiger theaterbesessner Egomanen! Es geht um Heimat für Kultur. Möglichkeit für gesellige Kunst. Heimat im gesellschaftlichen Sinne. Gemeinsame Orte, um uns zu treffen und auszutauschen.

Theater (von altgr. τό θέατρον théatron „Schaustätte, Theater“; von θεάομαι theaomai „anschauen“) ist die Bezeichnung für eine szenische Darstellung eines inneren und äußeren Geschehens als künstlerische Kommunikation zwischen Akteuren (Darstellern) und dem Publikum.

Ehemaliges Rostocker Theater.


(Alle Definitionen aus "Wikipedia")

Sankt Sebastian

Tempera auf Holz um 1473 Alessandro di Mariano Filipepi Botticelli

Sebastian, Hauptmann der Prätorianergarde am kaiserlichen Hof, konvertierte öffentlich zum Christentum, woraufhin Kaiser Diokletian ihn zum Tode verurteilte und von Bogenschützen erschießen ließ. In dem Glauben, er sei tot, ließ man ihn danach liegen. Sebastian war jedoch nicht tot und wurde von einer frommen Witwe mit dem Namen Irene wieder gesund gepflegt. Nach seiner Genesung kehrte er zu Diokletian zurück und bekannte sich erneut zum Christentum. Diokletian befahl daraufhin, ihn mit Keulen im Circus zu erschlagen.

Ein herrliches Bild, cooler kann man mit 6 Pfeilen im Körper nicht auf die Welt schauen. Und schön ist er.

Montag, 28. Februar 2011

Nicht winkend sondern ertrinkend


NOT WAVING BUT DROWNING


Nobody heard him, the dead man,
But still he lay moaning:
I was much further out than you thought
And not waving but drowning.

Poor chap, he always loved larking
And now he's dead
It must have been too cold for him his heart gave way,
They said.

Oh, no no no, it was too cold always
(Still the dead one lay moaning)
I was much too far out all my life
And not waving but drowning.


Sinngemäße Übersetzung

NICHT WINKEND SONDERN ERTRINKEND

Niemand hörte ihn, den toten Mann,
Aber noch lag er stöhnend:
Ich war viel weiter draußen, als ihr dachtet
Und nicht winkend sondern ertrinkend.

Armer Kerl, immer zum Scherzen aufgelegt
Und nun ist er tot
Es muß zu kalt für ihn gewesen sein, sein Herz gab auf
Sagten sie.

O, nein nein nein, es war immer zu kalt
(Immer noch lag der Tote stöhnend)
Ich war mein Leben lang zu weit draußen
Und nicht winkend sondern ertrinkend. 

Stevie Smith, 1957

Stevie Smith, eigentlich Florence Margaret Smith, lebte von 1902 bis 1971 in in London, davon 66 Jahre im Haus ihrer Tante. Sie schrieb.


Sonntag, 27. Februar 2011

Franny and Zooey by Jerome David Salinger

Ich lese gerade nochmal den "Fänger im Roggen" und meine Begeisterung hält sich in Grenzen. 60 Jahre alt, 1951 erschienen und es ist nicht lang genug her, um klassisch, und doch schon zu lang, um modern zu wirken. Erinnere mich, wie aufgeregt ich war, als ich es, ich weiss nicht mehr auf welchen Wegen, endlich in der Hand hatte. Kurz davor hatte ich Kerouac gelesen und wir (alle so um die 14, 15) machten zynische Witze darüber, wie wir als Rentner, also im Reisealter, durch die USA trampen würden.
Und dann gab mir meine Mutter zwei dünne Bände, "9 Erzählungen oder Ein guter Tag für Bananenfisch" und "Franny und Zooey", beide von Salinger und beide mit Helden aus der Familie Glass, einer bunten Ansammlung von Wunderkindern inclusive schräger Eltern aus New York, die von Kindesbeinen an in einer Radioshow auftraten und die wunderlichsten Dinge von sich gaben. Man bedenke, ich 14, DDR, frühreif und erstaunlich ignorant, und zu dem Zeitpunkt nur mit mittelguten Kenntnissen der englische Sprache ausgestattet.
Es wurde ein einschneidendes Leseerlebnis. Zum Beispiel meine Zuneigung zu Sappho wurzelt im Titel der letzten der neun Erzählungen: Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute.

Raise high the roof-beams!
Sing the Hymeneal!
Raise it high, O carpenter men!
Sing the Hymeneal!
The bridegroom enters, like to Ares,
by far bigger than a big man.

Hebt den Dachbalken hoch!
Singt das Hochzeitslied!
Hebt ihn hoch, o Zimmerleute!
Singt das Hochzeitslied!
Der Bräutigam tritt ein, Ares gleich,
Viel größer als ein großer Mann.

Ich liebe die Vorstellung, dass man in Vorfreude auf das Eintreffen des Geliebten, das Dach vom Haus heben möchte. Und dann war da Seymor, der älteste der Glass-Kinder, der sich auf der Hochzeitsreise umbringt an einem guten Tag für Bananenfisch. Und, da war die fette Dame. Wer ist sie? Ich habe die Zitate nur im Original gefunden, aber es geht etwa so:

"Seymor hat mir gesagt, dass ich meine Schuhe putzen soll, gerade als ich mit Waker zur Tür raus wollte. ich war wütend. Das Studiopublikum bestand nur aus Idioten, der Ansager war ein Idiot, die Sponsoren waren Idioten, und ich würde verdammt nochmal nicht meine Schuhe für sie putzen. Das habe ich Seymor gesagt. Ich sagte, dass sie könnten sie sowieso nicht sehen, da wo wir saßen. Er sagte, ich solle sie für die Fette Dame putzen. Ich hatte keine Ahnung wovon er zum Teufel redete, aber er hatte diesen Seymor-Ausdruck im Gesicht, und da habe ich es gemacht. Er hat mir nie gesagt, wer die Fette Dame war, aber ich habe meine Schuhe für die Fette Dame geputzt, jedesmal wenn ich wieder auf Sendung ging - all die Jahre, die du und ich zusammen in dem Programm waren, wenn du dich erinnerst. Ich glaube, ich habe es höchstens zweimal verpasst. Dieses schrecklich klare, klare Bild der Fetten Dame entstand in meinem Kopf. Ich sah sie, wie sie den ganzen Tag auf dieser Veranda saß, Fliegen wegwedelte, mit dem Radio auf voller Lautstärke vom Morgen bis in die Nacht. Ich vermutete, die Hitze war furchtbar, und sie hatte wahrscheinlich Krebs, und - ich weiß nicht. Jedenfalls, es schien verdammt klar, warum Seymor wollte, dass ich meine Schuhe putze, wenn ich auf Sendung ging. Es machte Sinn."
"Es ist mir egal wo ein Schauspieler spielt, es kann im Freilichttheater, es kann im Radio sein, es kann im Fernsehen sein, es kann in einem gottverdammten Broadway Theater sein, komplett mit dem modischsten, bestgenährtesten, sonengebräuntestem Publikum, das man sich vorstellen kann. Aber ich werde dir ein schreckliches Geheimnis verraten - hörst du mir zu? Es gibt da draußen keinen, der nicht Seymors Fette Dame ist. Es gibt nirgends niemanden der nicht Seymors Fette Dame ist. Weisst du das nicht? Kennst du das verdammte Geheimnis noch immer nicht? Und weisst du nicht - hör mir jetzt zu - und weisst du nicht, wer diese Fette Dame wirklich ist?...Ah, Kumpel. Ah, Kumpel. Es ist Christus. Christus, Kumpel."
 
"Seymour'd told me to shine my shoes just as I was going out the door with Waker. I was furious. The studio audience were all morons, the announcer was a moron, the sponsors were morons, and I just damn well wasn't going to shine my shoes for them, I told Seymour. I said they couldn't see them anyway, where we sat. He said to shine them anyway. He said to shine them for the Fat Lady. I didn't know what the hell he was talking about, but he had a very Seymour look on his face, and so I did it. He never did tell me who the Fat Lady was, but I shined my shoes for the Fat Lady every time I ever went on the air again — all the years you and I were on the program together, if you remember. I don't think I missed more than just a couple of times. This terribly clear, clear picture of the Fat Lady formed in my mind. I had her sitting on this porch all day, swatting flies, with her radio going full-blast from morning till night. I figured the heat was terrible, and she probably had cancer, and — I don't know. Anyway, it seemed goddam clear why Seymour wanted me to shine my shoes when I went on the air. It made sense."
...
"I don't care where an actor acts. It can be in summer stock, it can be over a radio, it can be over television, it can be in a goddam Broadway theatre, complete with the most fashionable, most well-fed, most sunburned-looking audience you can imagine. But I'll tell you a terrible secret — Are you listening to me? There isn't anyone out there who isn't Seymour's Fat Lady. ...  There isn't anyone anywhere that isn't Seymour's Fat Lady. Don't you know that? Don't you know that goddam secret yet? And don't you know — listen to me, now — don't you know who that Fat Lady really is? . . . Ah, buddy. Ah, buddy. It's Christ Himself. Christ Himself, buddy."

Mein Computer und mein Gehirn

Was für ein erstaunliches Ding, so ein Computer. Ich sitze in Ingolstadt, da die Schauspieler unglaublich viele Vorstellungen spielen, habe ich nur gelegentlich Probe (Irrsinn!) und dieses mattsilberne Ding ermöglicht mir den Kontakt zur Welt außerhalb der bayrischen Provinz.
ABER, wenn er launisch ist, ärgerlich, eingeschnappt, was weiß ich, dann ist die Welt und die Hälfte meines Hirns, das auf meiner Festplatte lagert, einfach WEG! Lobotomie durch Entdigitalisierung. Es folgt Panik, vorsichtiges Herumexperimentieren mit Tasten und mehr Tasten, einmal musste ich 5 Tasten gleichzeitig drücken, und mein heftiges Verkrampfen ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass ich nie hätte Pianist werden können, und dann will das Ding doch nicht, oder wenn es will, begreife ich nicht, warum diesesmal und vorher nicht. Das Ganze funktioniert also genau wie mein biologisches Gehirn, sprunghaft, überraschend, gelegentlich beängstigend und nur scheinbar unter meiner Kontrolle. Jede Dummheit, die ich begehe, jeder Schwachsinn, den ich von mir gebe (und ich bin wirklich froh, dass Proben nicht mitgeschnitten werden, was rede ich nicht manchmal, um eine wirre Idee irgendwie nachvollziehbar zu machen!), aber auch die raren Geistesblitze, Querverbindungen kommt aus dem gleichen Gehirn mit der gleichen Zahl Neuronen, aber wo es da klickt, blitzt, Stromverbindungen koppeln oder reissen? Schon allein, was ich erinnere und was nicht, entzieht sich meiner Kontrolle. Dieser Blog ist sprechender Beweis. Was schießt mir wann durch den Kopf, warum lagern in den sogenannten Windungen unzählige Gedichte, irrelevante Details über entscheidende historische Ereignisse, deren Hauptzusammenhänge ich nur mit Mühe oder gar nicht rekonstruieren kann (oder mit Google) und bitte fragt niemals nach Jahreszahlen? Warum weiss ich was ein Haiku ist, kann mir aber ums Verrecken nicht merken, wann Shakespeare geboren wurde. Und sagt nicht, das liegt an der linken, rechten oder sonst einer Gehirnhälfte, denn auch in den diesen zugeordneten Aufgaben, kann ich bei meinen Denk-und Erinnerungvorgängen nur wenig Ordnung, Regel oder Zuverlässigkeit finden.
Allerdings ist man an das eigene verwirrte Denken gewohnt und solange nicht (Gott oder wer immer schütze uns!) Kalk, Schlaganfall oder andere Katastrophen die Festplatte löschen, lebt man meist ganz gut mit dem eigenen Chaos im Kopf. Nur anzunehmen, dass jemand anderes wirklich nachvollziehen kann, wie und warum ich zu bestimmten Entscheidungen und Einfällen gekommen bin, das fällt mir schwer. Und so leben wir in unseren individuellen Universen inclusive Schwarzer Löcher, Zeitkrümmung und Evolution und behaupten die Möglichkeit der Kommunikation.



Raoul Schrott / Arthur Jacobs: Gehirn und Gedicht - Wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren Hanser 2011

Warum können wir uns beim Lesen so in ein Buch vertiefen, dass wir die Welt um uns vergessen? Warum gehen uns Reime ein Leben lang durch den Kopf, und warum schlagen Metaphern manchmal ein wie der Blitz? Raoul Schrott hat auf der Suche nach dem Geheimnis des Gedichts die neuesten Spuren der Biologie und Wissenschaft aufgenommen. Zusammen mit Arthur Jacobs zeigt er, wie sich in elementaren literarischen Stilmitteln neuronale Prozesse erkennen lassen. Anhand vieler Beispiele aus unterschiedlichsten Epochen führt er uns vor, wie wir denken, warum wir es so tun, wie wir es tun, und wie daraus Dichtung entsteht.

Samstag, 26. Februar 2011

Hamletmaschine


Gestern abend "Hamletmaschine" im kleinen Theater in Ingolstadt. Drei Schauspieler, ein Rollstuhl und Text. Shakespeare, Müller und das Viele, was da hineingewachsen ist. Gut zuzuhören, wie sich drei Leute mit diesen Texten herumschlagen. Gar nicht so sehr Inszenierung, mehr eine Konfrontation mit der Last der Worte. Worte, die, wenn du sie zu sprechen versuchst, sich wie ein Alb auf deine Schultern hocken und dir die Knie einknicken lassen.
Vor vielen Jahren im Deutschen Theater Ulli Mühe ganz hinten, oben im Bühnenbild der Müller-Inszenierung von "Hamlet", eine lange Pause, er rennt, stürzt ganz nach vorn, schmeißt sich hin und stößt, so schnell er kann, die gefürchteten Zeilen: "Sein oder Nicht Sein..." hervor, dann ein Ausatmen, gut das ist weg, jetzt kann ich weiterspielen. Das war für mich ein so wahrer Moment, dass ich laut aufgelacht habe, leider allein. Als ich Jahre später, das Stück (Hamlet) selber versucht habe, habe ich den Monolog ganz an den Anfang gesetzt, als Versuch Hamlets Ophelia zu beeindrucken. Es kann herrlich sein von einem Mann ins Bett geredet zu werden, oder? Viel später wird das Mädchen die Worte wiederholen, mißbraucht von jedem einzelnen Mann, werden sie ihr aus dem Mund fallen. Sie kommen ganz leicht:

Sein oder nicht sein, das ist die Frage –
Ob es von edlerm Geist ist, auszuhalten
Geschoß und Schleuder des wütenden Geschicks
Oder, in Waffen gegen eine See
Von Plagen, enden im Aufstand. Sterben, schlafen
Nicht mehr, und sagen mit dem Schlaf: vorbei
Das Herzweh und die tausend Qualen, unser
Fleischliches Erbteil. Das ist ein Schluß
Aufs innigste zu wünschen. Sterben, schlafen.
Schlafen, träumen vielleicht. Da ist der Haken.
Denn was im Todesschlaf für Träume kommen
Wenn abgestreift ist dieses Erdenwirrwarr.
Das hält uns auf - das ist die Furcht
Die macht, daß Elend derart lange lebt:      

Und ihre Antwort ist der Fluss.

Gestern abend haben die drei Spieler es erlaubt, dass ich ihre Neugier und ihre Überforderung mit ihnen teile und das hat den Abend spannend und wach werden lassen. Ich konnte folgen oder auch manchmal voranlaufen, abbiegen, kreuzen. Schön. Nur ganz am Ende, beim Elektra-Text: "Wenn sie mit Fleischermessern durch euer Schlafzimmer gehen, werdet ihr die Wahrheit wissen (ungefähres Zitat)", da wurde es bedeutungsschwer und ließ mich allein. Sind denn Hass, Verachtung, Rebellion und Tod, wirklich alles, das bleibt? Und wenn, warum sind wir dann nicht alle im Fluss, mit oder ohne Blumen im Haar. Was hält uns auf? Nur die Furcht?



To die, to sleep--
To sleep--perchance to dream: ay, there's the rub,

For in that sleep of death what dreams may come
When we have shuffled off this mortal coil,
Must give us pause. There's the respect
That makes calamity of so long life.
 
rub = die Reibestelle, da wo Reibung entsteht.
 

Freitag, 25. Februar 2011

Das Volkstheater Rostock 2011 Vorschlag

Geschrieben circa 2003:

Aus Desinteresse und Ignoranz zum Tode verurteilt:
In Antwort auf einen Artikel von Professor Staszak

Ein recht bekannter und mit mir verwandter Dichter hat ein Lied geschrieben, für einen der gehängt werden soll:

„Jetzt kommt und seht, wie es ihm dreckig geht
Jetzt ist er wirklich, was man pleite nennt.
Die ihr als oberste Autorität
Nur eure schmierigen Gelder anerkennt
Seht, daß er euch nicht in die Grube fährt!“

In den letzten Wochen mußte ich nahezu täglich die widersprüchlichsten Meldungen über den Ort an dem ich arbeite lesen. „ Besucherzahlen- und Einnahmesteigerungen“; „Theaterneubau“; „Theaterneubau, aber kein Theaterensemble“; „Theaterensemble schon, aber nur für musikalische Produktionen“; „Kein Ensemble, nur die Philharmonie“.
Da ich nun mal einer derjenigen bin, die da unentwegt und in beschwingtem Tone zum Tode verurteilt werden sollen, hier mein wütender Protest:
Im Juli habe ich mit vielleicht 2000 anderen eine wunderbare Sommernachtstraumaufführung  des Volkstheater - Schauspielensembles auf der Freilichtbühne der IGA gesehen. Ist es euch egal, wenn ihr Shakespeare künftig nur noch in Hollywoodfilmform oder als tourneekompatible Billigproduktion sehen werdet?
Im letzten Winter haben hunderte Kinder den „Gestiefelten Kater“ bejubelt. Ist es euch egal, wenn sie dann wieder doch nur Fernsehen gucken können?
Im „Raub der Sabinerinnen“ habe ich Besucher so lachen gesehen, daß ihnen die Tränen über das Gesicht liefen und sie hatten nach einem Abend, prallgefüllt mit Schauspiellust und Schauspielkunst beim Verlassen des Theaters, die beseelten und heiteren Gesichter von beglückten Menschen.  Ja, ja, ich weiß, daß ist nur Komödie, aber ist es euch egal, ob es diesen Ort gibt, an dem ihr gemeinsam mit anderen und nicht nur über andere lachen könnt?
200 sechzehnjährige Schüler im „Urfaust“: „ Man, das Ist aber eine blöde Sprache“, Gekicher, Geraune, Geflüster und dann: „Der Mephisto ist aber cool!“„ Das Unglück vom Gretchen über die verlorene Liebe und das tote Kind kann ich verstehen.“ Da sind sie ganz aufmerksam und begreifen ganz viel und gelegentlich fließt auch eine Träne. Ist es euch egal, ob eure Kinder schöne Sprache klug gesprochen nirgendwo mehr hören können?
Ihr alle habt euch als Kinder mühelos in Prinzessinnen, Piraten und Indianer verwandeln können. Später ist dafür keine Zeit und es kommt einem wie so manches andere Kostbare abhanden und leider werden oft auch die Träume vernünftiger und kleiner, „man muß ja realistisch bleiben“. Wir Spieler sind berufsmäßige Träumer und Albträumer, allerdings hart arbeitende und nicht gerade überbezahlt. Ich habe es satt, daß über uns gesprochen und geschrieben und leider auch entschieden wird von Leuten, die keinen Traum haben(, als den, kein Risiko einzugehen). Wir sind nötige und nützliche Mitglieder dieser Stadtgemeinschaft, darauf bestehe ich, was nicht heißt, daß wir nicht noch besser werden sollten und können. Und wer da aus Kurzsichtigkeit, oder Pragmatismus, oder blanker Dummheit über uns die Todesstrafe verhängt, der muß auch wissen, daß er etwas Wunderbares tötet. Ist es euch egal?
Man könnte auch hintenran ein weiteres Zitat des obengenannten Dichters setzten.
„Man schlage ihnen ihre Fressen
Mit schweren Eisenhämmern ein.
Im übrigen will ich vergessen
Und bitte sie mir zu verzeihn.“
Aber das ginge wohl zu weit. Mit Gruß von Johanna Schall (Schauspieldirektorin am Volkstheater Rostock) mit der Bitte um Meinungsäußerungen.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Das Volkstheater Rostock 2011

Geschrieben 2003 für das Volkstheater Rostock: 

Saulus wurde zum Paulus nachdem ihm Jesus in Damaskus erschienen war.
Und so muß auch ich heute meinen Namen ändern. Ihr könnt Egon zu mir sagen.
Denn, Ehre sei der Stadt Rostock, insbesondere ihrem Oberbürgermeister und den Vertretern der Bürgerschaft: Wir können heute unser neues Theater eröffnen. Seid ehrlich, ihr hättet es auch nicht mehr geglaubt!
Aber wahrlich, ich sage Euch, selig sind, die reinen Herzens sind und Wunder erwarten, denn sie werden geschehen. Hier ist der Beweis!
Also Schande über die Wankelmütigen im Glauben, die behauptet haben: das wird nie was, die Stadt will gar kein neues Theater, das sind nur leere Worte, unverschämte Lügen und Beschwichtigungen. Sie stehen jetzt beschämt vor der Herrlichkeit dieses Neubaus.
Die Versprechen sind erfüllet und das neue Theater ist da. Tut Buße und glaubt an die Worte eurer Volksvertreter!
Und so wollen wir uns und hier und heute bedanken! Danken, für das unerschütterliche Bemühen der Stadtverwaltung, die Hürden auf dem steinigen Weg zu diesem neuen Theater zu überwinden. Danken, für die standhafte Unterstützung der Politiker aller Parteien, ungeachtet ihrer Fraktionszugehörigkeit, bei dieser gewaltigen Bemühung und auch für ihr unbeirrbares Interesse an unserer Arbeit.. Wenn alle Bürger dieser Stadt so häufig ins Theater kämen, wie sie, wer bräuchte noch das Paradies!
Wir werden spielen, wie die Teufel. Wir werden euch mit unserer Arbeit die Hölle heiß machen. So daß ihr mit reinem Gewissen auf das sehen werdet, was ihr ermöglicht habt und sagen werdet: Es ist sehr gut. Und dann von euren Werken ausruhen könnt.
Danke!

Vorgestern hat man das Große Haus auf unbestimmte Zeit geschlossen, ohne Ausweichspielstätte, ganz "plötzlich"! Mein Zynismus von damals ist eine Harmlosigkeit geworden.

Ein Haus ist ein Haus ist ein ...

The Secret Lives of Buildings oder Eine kurze Geschichte des Abendlandes in 12 Bauwerken: Vom Parthenon bis zur Berliner Mauer  
von Edward Hollis

Edward Hollis schreibt Liebesgeschichten. Über Häuser. 
Er beginnt mit dem "Traum des Architekten", 1838 Thomas Cole, ein Mann aus Lancashire, der den größten Teil seines Lebens in Amerika im Hudson Valley verbrachte, malte die dortigen Landschaften und füllte sie mit den Erinnerungen und Träumen von Bauwerken. Corinthische Rotunde, Pyramide, Gotik und römischer Aquädukt auf griechischer Kollonade, nah beieinander, eine trügerische, zuckrige Vision von 3000 Jahren europäischer Architekturgeschichte in der Landschaft der Neuen Welt. der Architekt ruht auf einer monumentalen Säule und träumt. Wovon?



Hollis schreibt Lebensgeschichten. Von Häusern. 

Der Parthenon (Jungfrauengemach), Sinnbild antiker Perfektion, selbst einen älteren Athena-Tempel ersetzend, von Christen zur Marien-Kirche umfunktioniert, die Bildhauerarbeiten entfernt oder gesichtslos geschlagen, nur zwei Frauenköpfe auf den Friesen überlebten, weil sie (uminterpretiert) Maria und ihre Mutter Anna darstellen konnten, der Altarraum umgedreht und fertig ist die Kirche, dann wurde es eine Moschee mit dazugebautem Minarett und dann ein Waffenlager und da wurde es kurz mal zusammengeschossen, die Munition explodierte, PENG! Lord Elgin hat dann, was noch herumlag und auch einiges, dass noch befestigt war, nach London ins Britische Museum geschleppt, übrigens für viel weniger Geld als er erwartet hatte. Was wir also sehen ist Geschichte, Veränderung, Umstürze, Destruktion und Umbau, Gebrauch halt. Das grandiose Bild klassischer Antike, perfekte Symmetrie, weiss schimmernd im ewigen mediterranen Sonnenglanz mag dies alles überlagern, aber das wahre Leben findet einfach trotzdem statt und macht das Haus reicher, auch kaputter in diesem Fall, aber wie bei Menschen ist auch bei einem Gebäude die Biographie ein Teil der Schönheit.


Die Leidenschaftlichkeit mit der Hollis sich in die verschlungenen, teilweise absurden Lebensläufe seiner 12 ausgewählten Bauwerke eingräbt, wie er mit ihnen leidet oder jubiliert, ist mitreißend.
Das letzte Kapitel gehört dem Har Habayit = Tempelberg oder Haram e-Sharif = The Noble Sanctuary oder der Klagemauer oder Westmauer. Schon die heiligen Namen umfangen eine unglaubliche Menge von Erinnerungen und Hoffnungen, die in diese Ansammlung von Steinen investiert wurde und wird. Traumata, Besitzansprüche und Glaubensgewissheiten treffen aufeinander, verschwimmen und formieren sich in hasserfülltes Haben-Wollen.
Diese zwölf Essays oder Kurzromane meandern, gründlich recherchiert und manchmal geradezu poetisch durch unser gemeinsames architektonisches Unterbewusstsein. Und neben der Unzahl von Informationen und Anekdoten, die man serviert bekommt, ist es einfach ein Vergnügen, Hollis in seinen zwölf Verliebtheiten zu folgen. Jede Geliebte anders, und er liebt sie, alt und jung, verramscht und aufgehübscht, kaum noch zu erkennen oder schönheitschirurgisch wiederhergestellt. Mögen die menschlichen Benutzer sie noch so misshandeln, die Würde dieser "Alten" besteht im Überleben.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Sappho 4

Es gibt da ein sehr schönes Buch: Raoul Schrott Die Erfindung der Poesie. Gedichte aus den ersten viertausend Jahren.  Frankfurt am Main: Eichborn 1998. Schrott hat auf etwa 500 Seiten versucht eine Anthologie der Dichtung der Welt herzustellen, meist abseits der allbekannten Standardlyrikbeispiele.
Wenn er über Poesie theoretisiert, mag ich ihm manchmal nicht folgen, aber wenn er recht rau und direkt Dichter aus dem Sumer des 24. Jahrhundert v. Chr., aus Wales im 14. Jahrhundert, Arabien, Irland und eben auch Sappho überträgt,  dann klingt oft eine Saite der Poesie, die ich bei herkömmlichen "Übersetzungen" alter Texte, selten habe klingen hören.

Ehrlich • ich wollte ich wäre tot
sie hat geweint

als sie mich verließ und zu mir
sagte: wirklich ich wollte ich
wäre tot – wie ungern verlasse
ich dich Sappho!

Und ich sagte zu ihr: sei nicht
traurig du weißt ja wie sehr ich
wie sehr wir dich liebten • traurig
ist nur was man

vergißt und ich weiß ja daß du
alles vergißt was man dir sagt
drum laß dich daran erinnern
wie es war als du

hier bei uns warst: weißt du
noch die kränze aus veilchen rosen
und krokus und jene
aus anis und dill?

Wie wir uns girlanden aus ginster
und gras flochten und sie uns
um den hals legten und wie sie
dich stachen?

Wie viele salben hast du immer
gebraucht – brentho und basileion
für deine haut damit sie glatt würde
wie für einen könig!

Was warst du doch für ein kindskopf
schliefst lang in den tag hinein und
träumtest von wasweißichwas -
wußte ich wem?

Bei keinem einzigen tanz aber hast
du gefehlt keinem einzigen opfer
keinem einzigen trank und es gab
keinen hain

wo wir uns nicht den frühling holten
und ihn mit unseren liedern wieder
vertrieben – du hast ja auch damals 
meist falsch gesungen!

Wirklich ich wollte ich wäre tot ich
habe dich weinen gesehen als du fort
von uns gingst und ich nichts richtig
zu sagen vermochte

Übertragung: Raoul Schrott

Und Eros verdreht mir den kopf
wie der wind wenn er vom berg
herab in die eichen fällt 

Übertragung: Raoul Schrott

Und untergegangen ist der mond mit den pleiaden – versunken mitten im dunkeln – aus der schale der nacht rinnt die zeit und nur ich – ich schlafe allein 

Übertragung: Raoul Schrott 


 Sappho Portrait von einer griechischen Vase aus dem 5. Jahrhundert v.Chr.

Für die Englischsprecher unter euch: Anne Carson If not, Winter. Fragments of Sappho, besser geht es nicht!!!!!
Deathless Aphrodite of the spangled mind,
child of Zeus, who twists lures, I beg you
do not break with hard pains,
O lady, my heart
but come here if ever before
you caught my voice far off
and listening left your father’s
golden house and came,
yoking your car. And find birds brought you,
quick sparrows over the black earth
whipping their wings down the sky
through midair–
they arrived. But you, O blessed one,
smiled in your deathless face
and asked what (now again) I have suffered and why
(now again) I am calling out
and what I want to happen most of all
in my crazy heart. Whom should I persuade (now again)
to lead you back into her love? Who, O
Sappho, is wronging you?
For if she flees, soon she will pursue.
If she refuses gifts, rather will she give them.
If she does not love, soon she will love
even unwilling.
Come to me now: loose me from hard
care and all my heart longs
to accomplish, accomplish. You
be my ally.