Freitag, 6. Juli 2018

Das Letzte Mahl - Oy vey ist mir!

Im Rahmen des Jüdischen Filmfstivals habe ich heute in der Kulturbrauerei einen deutschen Film gesehen. Einen Film mit besten Absichten, mit großer Ernsthaftigkeit recherchiert, geschrieben und inszeniert.


Der Regisseur Florian Frerichs und der Historiker Stephan Warnatsch wollen, anhand eines Abendessens der letztmals vollständig versammelten Berliner Familie Glickstein am Abend des 30. Januar 1930, ausdrücklich Parallelen zur heutigen politischen Situation in Deutschland ziehen. Das haben sie selbst vor Beginn so formuliert. Herr Warmatsch erwähnte auch, wir würden anschließend im Q & A darüber reden. Jetzt wo ich durch Google weiß, dass er mal Geschichtslehrer war, weiß ich auch, warum ich das Gefühl hatte, mir würde eine Prüfung angedroht. 

Der 30. Januar 1933, Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler und die Familie Glickstein zelebriert ein Abendmahl, der Vater, ein Fabrikant in finanziellen Nöten, versucht die drohende Gefahr herunterzuspielen, der Sohn verehrt Hitler und dessen Ideen glühend, die Tochter will nach Palästina auswandern, die Nichte ist Kommunistin, der Onkel Rabbiner, die Großeltern weise und die Mutter in Sorge um alle, ein Querschnitt. Niemand hat mehr als ein Problem, mehr als eine Farbe, niemand ist sowohl als auch, ambivalent oder gar widersprüchlich.

Und mir bleibt keine Chance irgendetwas mißzuverstehen, weil alles, aber auch alles ausformuliert wird. Jeder sagt was er denkt und warum, und was es politisch und historisch bedeutet. Zwei Leute stehen vor der Haustür und rauchen, ein dritter tritt hinzu und sie erklären ihm, dass sie vor der Tür stehen, um zu rauchen. Mußten damals auch schon alle raus zum Rauchen? Bei jeder Erwähnung von Palästina, sagt einer "Eretz Israel!", ein anderer "Das Land unsrer Väter!". Man erzählt sich jüdische Witze, aber leider ohne Timing . Immer wieder ertönt Mischpoche wie ein Fremdwort im Dialog, bei uns hieß das Mischpoke. Die Machtverhältnisse zwischen Hindenburg, Papen, Schleicher und Hitler werden mehr als einmal genauestens erklärt, wohl damit ich in der Prüfung später alle Fragen richtig beantworten kann. Ein weiterer Knackpunkt, für mich, die ich mit jüdischer Mutter und Großmutter aufgewachsen bin, ist das Essen, Zentrum eines jeden Familientreffens, hier wird es lieblos und ungenau behandelt und nicht wirklich gegessen. Was soll denn das? 

Es wird so unendlich viel geredet in diesem Film, aber wenn unter den Worten, zwischen ihnen nichts zu Verbergendes liegt, kein Geheimnis, kein Abgrund, dann verwandeln sie sich in Stroh und Staub. Und wenn manche Spieler nicht über mehr als zwei Gesichtsausdrücke verfügen, ist das auch nicht hilfreich. 

Ich sehe vor meinem inneren deutsch-jüdischen Auge Preisverleihungen aus nicht guten Gründen und Schüler, die von Langeweile gepeinigt 120 Minuten von besten Absichten über sich ergehen lassen müssen. Oy vey ist mir!

Mein liebster & kürzester jüdischer Witz stammt immer noch von Woody Allen: "Immer wenn ich Wagner höre, habe ich das Gefühl, ich muß in Polen einmarschieren."

Ein paar Tipps für gute Filme über jüdische Themen: 
Der große Diktator 1940
Hester Street 1975
A Stranger Among Us 1995
The Believer 2001 (mit dem ganz jungen Ryan Gosling)
Waltz with Bashir 2008

Übrigens ist Claude Lanzmann der Sammler von unerzählbaren Geschichten, der Zuhörer, der Ordner, der Rufer in der Wüste, der Regisseur von "Shoa" gestern im gesegneten Alter von 92 gestorben. Möge er in Frieden ruhen.

1 Kommentar:

  1. Erst, wenn man einen schlechten Film sieht, bekommt man eine Idee davon, wie schwer es ist, einen guten zu machen. Eine gute Idee mit hoher gesellschaftlicher Akzeptanz allein ist erst die halbe Miete. Dabei hätte es richtig spannend werden können: Ein Abendessen der gesamten Familie kann auch in vermeintlich ruhigen Zeiten in einem Eklat enden, wie z.B. in „Das Fest“ gesehen. Eine jüdische Familie, die am Abend der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler zum gemeinsamen Mahl zusammenkommt, der Patriarch geplagt von existenziellen Finanznöten, der Sohn outet sich als bekennender Nazi, die Tochter ist im Begriff, sich nach Palästina abzusetzen, ein Rabbi (gespielt von Arzt Béla B.), der Judenwitze zum Besten gibt. Das hätte was werden können. Hätte…
    Hat aber leider nicht geklappt. Die Protagonisten klischeehaft, eindimensional, jeder bekommt für seinen Satz bei Tisch drei Extra Sekunden geschenkt. Vielleicht damit der geneigte Zuschauer bei Bedarf Zitate mitschreiben oder noch mal drüber nachdenken kann, z.B. fürs Oberstufen-Referat in Ethik? Die Kamera wechselt brav von Sprecher zu Sprecher. Ein hoch emotionales Thema, dennoch wird jeder Satz ordentlich hintereinander weg gesprochen. Der Text bemüht und allzu offensichtlich auf aktuelle Parallelen gebürstet. Hat was von der ersten Theaterprobe einer Oberstufen-Theater AG.
    Unterm Strich ein ehrenwertes Projekt, das weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Schade!

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