Aber, in einem literarischen Werk oder einem Theaterstück muß, wenn es notwendig ist, der Gebrauch jeden Wortes erlaubt sein.
Aber, rückwirkend Texte, die den Begriff literarisch verdienen, umzuschreiben oder zu zensieren, ist ahistorisch, d.h. die historischen Umstände und Entwicklungen mißachtend.
Koltès "Der Kampf des Negers und der Hunde" wird auf Nachtkritik als "Kampf des N****s und der Hunde" betitelt. Was machen wir dann mit Langston Hughes wunderbarem Gedicht "Negro"?
I am a Negro:
Black as the night is black,
Black like the depths of my Africa.
Was mit Beyonces Liedtexten?
My daddy Alabama, momma Louisiana
You mix that negro with that Creole, make a Texas bama
Oder dürfen nur Weiße auf der Bühne oder in einem Buch das Wort nicht benutzen, auch wenn es etwas Wichtiges erzählen würde? Wie wollen wir schreckliche Dinge künstlerisch verhandeln, Vergewaltigung, Mord, Inzest, Rassismus, Krieg, Hass, Verachtung, Vorurteile, Mißbrauch, Erniedrigung, wie wollen wir diese Gräßlichkeiten darstellen, verdichten ohne die Sprache der Täter einzubeziehen? Und in älteren Werken erfahren wir doch auch durch die vielleicht befremdende Sprache, wie sehr sich die Welt seitdem verändert hat, oder eben auch nicht.
http://www.deutschlandfunkkultur.de/kunstfreiheit-oder-rassismus-das-n-wort-polarisiert-das.2159.de.html?dram:article_id=387809
In Claudia Bauers Inszenierung "89/90" verwendete ein Figur, die ein Rassist und Neonazi ist, das Wort "Neger". Es war Figurentext, nicht eine private Äußerung und illustrierte den latenten Rassismus in der untergehenden DDR. Für die zweite Aufführung im Rahmen des Theatertreffens verlangte der Intendant den Ersatz durch, ich kann es kaum glauben, "Beep".
"Beep"? Im amerikanischen Fernsehen wurden sogenannte Schmuddelwörter durch "Beep" übertönt, was ihre Wirkung nur verstärkte. "Beep"? What the beep!
An der Tür eines Museums in Bremen 2017:
HINWEIS
MEHRERE WERKE IN DER
AUSSTELLUNG PROOF OF LIFE
KÖNNTEN IHR RELIGIÖSES
UND MORALISCHES EMPFIN-
DEN VERLETZEN.
Als Triggerwarnung bezeichnet man in Internetforen, die in der Selbsthilfe zum Beispiel bei posttraumatischen Belastungsstörungen dienen, einen Warnhinweis auf mögliche Auslösereize. (Wiki)
Stalin und die liquidierten Parteigänger, 1936/40
Ein Vergleichsbeispiel aus alter Zeit, kein Vergleich mit heutigen Umständen.
Zunächst wurde Stalins Parteigänger liquidiert, und dann nach und nach aus dem Bild entfernt. Schließlich steht Stalin allein am Tisch - in Farbe ausgemalt. (FAZ 2.2.2005)Übrigens. Ich habe "Mein Kampf" gelesen, ein Buch, dass einst jeder deutsche Haushalt besaß, weil ich wissen wollte, wie solche Dreckspropaganda formuliert wurde und was dran war, wenn so viele behaupteten, sie hätten ja nix gewußt. Mir war beim Lesen kotzübel, aber es war wichtig für mich, es zu lesen. Und ja, Faschismus ist für mich ein Trigger, aber ich will, muß mich damit auseinandersetzen.
Ich will Dinge benennen können. Ohne sie zu verurteilen, ohne sie zu entschuldigen.
AntwortenLöschenUnd erst recht will ich das auf der Bühne tun. Sie zeigen - und dem Publikum überlassen sie zu werten. Gleich wäre Autorin, Regisseurin oder eben als Schauspielerin.
Wenn ich Rassismus zeigen will, dann werde ich nicht politisch korrekt sein können... denn das ist Rassismus nicht. Wenn ich ihn aufzeigen will, dann muss ich seine Sprache verwenden, sein Gedankengut, seine Weltsicht. Ich tue dies nicht um ihn zu legitimieren... sondern um ihn, im bühnengeschaffenen Gefüge, zu zeigen und zu enttarnen.
Wenn ich auf all das verzichte, weil ich pc sein will, dann korrigiere die Widerlichkeit dessen, was ich aufzeigen will.
Realität muss Abbildung finden dürfen auf einer Bühne. Wenn wir sie dort zensieren, obwohl sie wahr ist, dann verliert das Theater eine seiner Daseinsberechtigungen... gesellschaftliche Auseinandersetzung und Enttarnung.
Ein "Beep!" entschärft nicht die ekelhafte Realität... es stumpft nur die Mittel ab, diese Ekelhaftigkeit aufzuzeigen.
Theater kann so viel.
Es kann der schönste Fluchtweg heraus aus der Realität sein. Aber eben auch ihr unnachgiebigster unmittelbarster Betrachter und Spiegel.
Und wenn man alle Fähigkeiten nutzen will, die dem Theater eigen sind - dann braucht es Mut ...und kein "Beep".
Da mir heute deutlichst Machmißbrauch mit Hilfe meiner weißen Privilegien vorgehalten wurde: Ja, ich bin weiß, Frau und Jüdin. Und was ich über den Fall bei den Festspielen schreibe, würde ich auch schreiben, wenn innerhalb einer durchdachten Szene jemand den Begriff "dreckige Jüdin" verwenden würde. Wenn der Zweck ist, das Menschen etwas über Antisemitismus begreifen mögen.
AntwortenLöschenAngenommen ich würde eine Dokumentation filmen... über Rassismus in den heutigen USA. Ich reise in die Südstaaten und fahnde. Ich spreche mit den Menschen. Ich bilde sie ab. Die Menschen, die in Tweets Michelle Obama mit einem Gorilla vergleichen, die Lehrer, die die Klasse fragen wer Satan ist und die Kinder brüllen trainiert "Obama!", die Mütter, die ihre Kinder in die nächst größere Stadt zur Mall fahren lassen, nicht ohne die Warnung "Vorsicht, da gibt es Lesben!" und alle Niggerhasser, für die die Aufhebung der Rassentrennung Teufelswerk ist... oder das der Demokraten.
AntwortenLöschenIch filme sie alle, bilde ihr Portrait ab... was mache ich, wenn ich den Film schneide? Beep ich alles aus, was an Sprache verachtet? Beep ich jedes dreckige Schimpfwort aus? Jede Meinung, die einem den Magen umkrempeln könnte?
Wohl kaum... denn ich will all das einfangen, aufzeigen und zur Diskussion stellen... in die Köpfe der Zuschauer tragen.
Wo ist der Unterschied zur Bühne?
Wenn ich eine Figur kreiere, die genau das gleiche soll und tut? Warum darf Bühne weniger wenn sie das gleiche soll? Wenn sie das gleiche kann?
Neulich habe ich gelesen... "Gute Freunde sind wie Sterne - sie sind nie schwarz!". In diesem Satz ist kein einziges Schimpfwort untergebracht, muss ich da jetzt nichts drin beepen?
Dabei ist der ganze Satz ist ein einziges Schimpfwort. Ist er bühnentauglich, weil kein "Neger" drin vorkommt?
Nee, Leute... eine differenzierte Betrachtung ist notwendig.
Machtmissbrauch? Weiße Privilegien? Echt? Good Lord or anything else above...
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenÖtti schrieb: BE, Ende 80er Jahre. Fritz Marquardt probte Heiner Müllers Germania.
AntwortenLöschenIch, zuständig für Bewegung, sollte den Hitlergruß erarbeiten. Was? Muss
das sein? Und überhaupt, was gab's denn da zu finden? Kennt man doch aus
Filmen. Nein, Marquardt und Müller wollten weder eine zackige noch eine
weggenuschelte Bewegung. Sie sollte großartig sein, beseelt. Wie soll
denn sonst jemand kapieren, sagte Marquardt, was an Verführbarkeit
möglich ist. Die Konsequenzen erzählt das Stück.
Frank Günther "Der POC von Venedig" - sehr kluges Essay!
AntwortenLöschenhttps://books.google.de/books?id=vVLdAwAAQBAJ&pg=PT94&lpg=PT94&dq=g%C3%BCnther+poc+von+venedig&source=bl&ots=Q-ppqUjCka&sig=9vR6vdN7-UhymOe1fB_w52Aal10&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwii28rUi6rUAhUEtxQKHU3TDGgQ6AEIJzAA#v=onepage&q=g%C3%BCnther%20poc%20von%20venedig&f=false
Wenn wir so tun, als ob wir in einer Gesellschaft leben in der rassistische Schimpfbenennungen nicht mehr existieren, dann treten wir dem Rassismus nicht entgegen... wir übertünchen ihn wie französisches Parfüm anderweitige Gerüche am französischen Hofe. Wo wäre der Sinn?... die Sch.... ist ja trotzdem da.
AntwortenLöschenKein Beep, kein Übertünchen... die Sch... muss weg - und dazu muss man deutlich machen, dass sie da ist. Und sie zeigen... so wie sie ist.
Wenn eine politisch korrekte Kulturgesellschaft das nicht hinkriegt, dann verfehlt sie den Beitrag, den sie dazu leisten kann.