#actorslive
Ich möchte heute über meine Liebe zu meinem Beruf sprechen. Ich will das schon lange tun, aber er kommt dann immer irgendwie dazwischen. Der Beruf. Und dann lese ich wieder so einen Artikel auf facebook, über die prekären Arbeitsbedingungen beim Film, beim Theater sowieso, und leider stimmt das ja auch alles total, was da steht und dann denk ich wieder: Mensch, du wolltest doch mal über deine Liebe zu deinem Beruf schreiben. Warum du das überhaupt alles so machst. Wo doch der große Ruhm sich bis jetzt noch gar nicht eingestellt hat.Obwohl den immer alle unterstellen. Wenn man sagt: „Ich bin Schauspielerin“. Dann folgt sehr oft die Frage: „Oh, aber ich KENN sie doch gar nicht“. Ehrlich, mich haben das sogar schon junge, unerfahrene Regieabsolventen gefragt: „Du bist Schauspielerin? Und woher KENN ich dich“? Klar, ist ja ein öffentlich ausgeübter Beruf. Da muss man sich schon eine öffentlich geäußerte Meinung gefallen lassen, wenn man da so das Maul aufreisst, auf deutschen Bühnen und vor deutschen Kameras. Und natürlich auch international.
Gerade kam mein Versicherungsnachweis aus Österreich. Ich hab‘ inzwischen schon eine halbe DinA4 Seite mit unterschiedlichen Versicherungszeiten im Nachbarland aufzuweisen. Werde ich demnächst einfach dauerhaft bei mir tragen. Für den nächsten Zweifler. Dem halte ich das dann unter die Nase und sage: „Ja, international gebucht. Sehen Sie hier. Haha!“. „Und leben tu ich auch noch“.
Anerkennung muss man sich eben verdienen. Am besten mit Frechheit. Frechheit siegt. Wenn mir also demnächst wieder mal, zum Beispiel auf dem Spielplatz, zum Beispiel eine andere Mutter sagt: „Also so wie du, so könnte ICH ja NICHT leben“ (Kein Witz, das passiert REGELMÄßIG), dann traue ich mich (vielleicht) endlich zurück zu geben: „Ja, das verstehe ich. Das geht mir mit deinem Beruf GANZ GENAU SO. Egal, was für einen Beruf die dann hat.
Aber warum macht man das? Jetzt mal ehrlich? Knapp 20.000 ICE Meilen in drei Monaten abfahren? Für viel zu wenig Gage?
Weil es der Wahnsinn ist. Weil man dann nicht nur ein Leben lebt. Sondern viele. Weil man jedesmal in eine neue Welt abtaucht. Weil „spielen“ die komplexeste aller menschlichen Fähigkeiten ist. Wenn ich meinem kleinen Sohn dabei zuschaue, wie er spielend die Ereignisse seines Kinderalltags reflektiert um sie zu begreifen, um zu lernen, was es heißt ein Mensch zu sein, in seiner tiefsten Bedeutung, dann weiss ich, warum es Sinn macht, (inzwischen) mit der BahnCard100 bewaffnet, Deutschland unsicher zu machen.Weil wir, alle meine Kollegen und ich, ausloten was es heißt, als menschliche Spezies diesen Planeten zu bewohnen. Das klingt jetzt sehr pathetisch und ist auch ganz genau so gemeint. Pathos muss man schon aufbringen, wenn man das alles auf sich nimmt. Es erfordert einfach eine besondere emotionale Gestimmtheit, wenn man beruflich in der Lage sein muss, mit einem persönlich ganz und gar UN- dafür allerdings umso BE-kannteren Menschen ach, -was weiss denn ich- zu tun. Was halt im Drehbuch steht. Oder im Theaterstück. Küssen, schlagen, erschlagen, überzeugen, bedrohen, anlügen, anflirten, ihm einen Schlauch in die Nase schieben, um so zu tun, als ob man ihm den Magen auspumpt (obwohl: Das war ein Pferd, bei dem ich sowas tun mußte. Ein tierischer Kollege).
Dafür muss man besondere Kanäle offen stehen haben. Um all das geschehen zu lassen. Es in dem Moment, in dem es stattfindet, als so real zu akzeptieren, wie es ist. Von wegen: „Die tun doch nur so“. Wenn zwei Schauspieler sich anschreien, weil sie, sagen wir mal, die Eskalation einer Ehekrise darstellen, dann ist das in dem Moment, in dem sie sich dieser Energie hingeben, nämlich real. (Es sei denn, es handelt sich um ein Format aus dem Reality TV. Aber das ist eine andere Geschichte. Die eher was über den Rezipienten erzählt, wie ich meine).
Es gibt ja diese komische Social Media Psychologin, oder Verhaltensforscherin, PSYCHONEUROLOGIN nennt sie sich selber: Vera Birkenbihl. Die mit der absurden Frisur. (Die hab ich HIER genauer beschrieben). In einem ihrer Youtube Tutorials (in DIESEM), warnt sie uns Schauspieler: „Sie machen sich krank“. Für das Gehirn macht es nämlich ihr zu Folge keinen Unterschied, ob heftige, sie bezieht sich vor allem auf NEGATIVE Emotionen, aus einer realen Situation aus dem persönlichen Umfeld, oder aus einer geschriebenen und demnach künstlich hergestellten Krise entstehen: „Es werden dieselben Stoffe ausgeschüttet, dieselben biochemischen Abläufe aktiviert“. Soweit stimme ich ihr zu. Je besser es läuft, auf der Bühne (oder vor der Kamera), desto realer fühlt es sich an. Das kann sogar mal ein bisschen weh tun.
Und trotzdem ist es am Ende ein völlig anderer Prozess. Ein Reinigender, finde ich. Ist natürlich jetzt wirklich keine bahnbrechenden Erkenntnis. Katharsis, das kennt man seit der sechsten, naja, spätestens, seit der achten Klasse Deutschunterricht. Ich glaube da aber dran. Viel mehr, als an vieles Andere.
Das Irre an der Sache ist nämlich, dass man es ja nicht, wie das kleine Kind in seiner Puppenküche, zu persönlichen Forschungs- und Entwicklungszwecken betreibt. Das eigentlich irre an der Sache ist, das man es STELLVERTRETEND tut. Für Alle und besonders für die, die zuschauen. Für die Zuschauer.
Ich finde das, vor allem im Theater, wo man es so unmittelbar erlebt, immer wieder einfach unglaublich. Wenn sich das Parkett, und hoffentlich auch die Ränge füllen, wenn silbergelockte Omis sich mit ihren steif gewordenen Knien mühsam den Weg auf ihre Aboplätze in der Mittelreihe frei bitten: „Oh, danke, Entschuldigung, würde Sie bitte, ja?, vielen Dank, sehr höflich“ und so. Oder die ganz Jungen. Manche sind zum ersten Mal dabei. Die fühlen sich vermutlich wie ich in der Kirche: Linkisch, ungetauft und ohne spezifische religiöse Erziehung, immer irgendeine geheimnisvolle Etikette vermutend, sitzen sie da und haben sich einen Abend frei genommen, haben eine Karte gekauft oder geschenkt bekommen und liefern sich dem aus, was die andere Seite einstudiert hat.
Das ist doch fast ein kleines Wunder, das Menschen denen ein digitales Universum zur Verfügung steht, mit jeder Art von Unterhaltungsangebot, mehr, als man sich jeh erträumen könnte, da zusammen kommen, in den Theatern des Landes. Um sich mit den Gedanken eines Autors ‚rum zu schlagen, der seit vielen hundert Jahren Tod und begraben ist. Um sich gemeinsam damit auseinander zu setzten, worum es am Ende geht: Um uns Menschen. Um unsere Ameisensorgen, unsere Bienenprojekte, um unseren Himmel, unsere Hölle. (Sag ich jetzt mal so. Frei nach Friedrich Schiller).
Darstellendes Spiel, egal in welcher Form, live, auf der Bühne oder vor der Kamera, ist für mich die einzige Form von angewandter Spiritualität, deren Sinn sich mir erschließt: Komplex, ambivalent, emotional, intelligent, grenzauslotend, forschend, schöpferisch und feierlich. Oder peinlich und am Thema vorbei. Passiert den Besten. Und kann durchaus auch als sehr reinigend empfunden werden.
So. Das wollte ich jetzt mal sagen. Es den aktuellen Debatten über Formalismus und Postdramatik (z.B. DIESER hier) und all den absolut nötigen Artikeln über die Arbeitsbedingungen der Branche hinzufügen. In der vagen Hoffnung, damit eine schlagende Antwort parat zu haben, wenn ich mal wieder in deiner anderen Welt gefragt werde: „Warum machst du das nur alles“?
Eigentlich könnte ich, jetzt wo ich angefangen habe, erst so richtig los legen! Was z. B. ist mit einer Gesellschaft los, die diejenigen, die sich an ihrer Stelle in unser aller Kind hineinversetzen, um zu erforschen, wie es mit uns allen, der Gesellschaft und dem Einzelnen in ihr, weitergehen könnte, so wenig Respekt entgegen bringt? Und vor allem daran interessiert ist, wieviel Geld und welche Quote irgendwo raus zu pressen sein könnte? Und warum ist diese Quote so eine verdammt geschmacklose Zuschauerin, die offensichtlich am liebsten den ganzen Nachmittag auf dem Sofa abhängt um sich irgendwas Andrea Berg-mäßiges reinzupfeifen? Kann mir das mal jemand sagen? Hm?! Ach, ich schreib hier einfach demnächst weiter. Tut gut. XX Mary Reili
Hier noch die Verlinkung zum Blog:
http://www.maryreiliblog.com/actorslife/
Ich bin Schauspieler geworden, weil mich Menschen beschäftigen. Ich verstehe sie nicht sehr gut, aber sie haben mich immer interessiert. Ich schaue ohnehin auf die meisten Menschen, als ob sie Figuren in einem Spiel wären, das es zu durchschauen gilt. Das war schon vor der Schauspielschule so. Ihre Gefühlswelten, ihre Psychologien und Psychounlogiken, ihre Körpersprache. Menschen sind für mich Forschungsobjekte, Erforschungsobjekte, meine Berufswahl war sehr logisch. Und ich verstehe sie sehr handwerklich. Die Bühne ist ein Probenraum. Das Leben ist das nicht. Das Leben ist Improvisation, schnelle, spontane.
AntwortenLöschenFür die Bühne darf ich Abläufe auseinandernehmen, analysieren und deuten. Ich darf sie proben bis sie fließen, ich darf sie lenken und mit ihnen jonglieren. Das Leben erlaubt das nicht, diese Verdichtung durch Wiederholung. Das Verstehen durch Erprobung. Bühne ist für mich ein Ort des intensiveren Erlebens, bewusst, geführt, mit genug Kontrolle um unkontrolliert sein zu dürfen.
Menschen mit anderen Berufen erleben diese Verdichtung nicht. Sie wiederholen nichts, erproben nichts um ihm seine Tiefe zu geben, erbauen keine Gerüste aus Handlung in denen sich Gefühle wie Kletteraffen von Punkt zu Punkt katapultieren und schwingen. Sie erleben alles einmal und hinterfragen das wenigste davon. Ich aber darf in Geschichten eintauchen, mit jeder Probe tiefer, ich darf mich in ihnen eingraben und von ihnen bedecken lassen um sie zu entdecken.
Für mich war das immer der Grund die Bühne zu lieben.
Was das Unverständnis und diese Seltsamkeit von Ruhm angeht... ich bin Schauspieler. Die Bühne ist mein Zuhause. Dieses Zuhause funktioniert in Teilen öffentlich. Ich mag die Zuschauer, ich bin Gastgeber von Geschichten. So verstehe ich das und ich bin ein höflicher und ansteckender Gastegeber, auch neben der Bühne. Aber wiedererkennen müssen mich Menschen nicht. Ihre Anerkennung ist nicht so wichtig wie mein Zuhause, von dessen Prinzip sie ein natürlicher Teil sind.
Mich muss man nicht kennen. Ich würde wahnsinnig, wenn jeder mich kennt - oder meint zu kennen. Denn so sehr interessieren mich Menschen auch wieder nicht, dass sie sich alle für mich interessieren sollen.
Ich erzähle ihnen Geschichten. Und weil sie sie mit mir erleben wollen gibt es meinen Beruf. Das reicht mir. Denn, wenn es meinen Beruf gibt, gibt es mein Zuhause.