Samstag, 20. September 2014

Ziviler Gehorsam


Ein guter Bekannter hat gerade seine Job verloren, nach 18 Jahren, und als ob das nicht schlimm genug wäre, hatte man ihn vorher, bei Nachfrage, noch über die nun ja stattfindende Kündigung belogen und ist erst in allerletzter Minute, und also viel zu spät, mit der Wahrheit rausgerückt, und dieser Vorgang wurde auch noch, obwohl er sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen, in herablassender Art und Weise ohne Respekt "abgewickelt". So weit, so schlimm.
Nun hat sich dieser Mann über die Umgangsformen bei seinem Arbeitsgeber beklagt, oder besser, sie öffentlich gemacht. Und wird dafür beschimpft - weil es ihm doch noch besser geht als anderen, weil sowas doch normal sei, weil er, wenn er widerspricht, gar nicht auf einen anderen Job hoffen könne, etc.
Warum das? Warum reagieren wir panisch, abwertend, beschwichtigend darauf, dass sich jemand wehrt, wie hilflos auch immer?
Vor hunderten Jahren in der Schule mußten wir eine außerordentlich schwere Klassenarbeit schreiben, alle linsten, kopierten, tuschelten, ein Mitschüler und ich wurden erwischt und sollten uns öffentlich entschuldigen. Wir weigerten uns beide und mußten gefühlte fünfzig Stunden nachsitzen. Später kamen fast alle anderen zu uns und versicherten uns mit gedämpfter Stimme ihrer Bewunderung.
Jahre später eine Produktion an den Kammerspielen, katastrophale Proben eines äußerst kompizierten Stückes, der Regisseur verschwand viertelstündlich auf dem Klo und kam zunehmend weicher, unschärfer und nuschelnder wieder - Was tun? - eine Delegation, bestehend aus einer Kollegin und mir, sprach, vom Ensemble beauftragt, beim Intendanten vor, der auch prompt auf der Probe erschien. Auf seine streng-väterliche Frage "Was denn hier los sei?" erhielt er von den uns ausgeschickt habenden Kollegen tapfere Blicke und die irritiert klingende Antwort: " Hier ist alles in Ordnung!" Er ging, erleichtert und mit vorwurfsvollem Blick auf die beiden Kassandren. Bei der Premiere haben wir gerade einen (EINEN) Applausvorhang geschafft, und einer meiner liebsten Kollegen saß im Saal mit klatschbereite erhobenen Händen, unfähig sie gegeneinander zu bewegen, so gräßlich war das, was er gerade gesehen hatte. 
Warum wehren wir uns nicht einmal dann, wenn wir nicht wirklich etwas riskieren? Vorauseilenden Gehorsam, Feigheit ohne guten Grund scheinen wir, so sehr verinnerlicht zu haben, dass wir, wenn ein anderer sich doch einmal wehrt, ihn dann für unsere eigene Unfähigkeit abstrafen. Liebgehabt werden um jeden Preis, nur nicht unangenehm auffallen, keinen Anstoß erregen, alle Türen offen halten - selbst dann, wenn wir nicht mehr riskieren, als den Unmut von Einigen, nicht das Leben, nicht die Existenz.
Dies sind "kleine" Beispiele, Harmlosigkeiten, aber wenn wir bei denen schon versagen, wie soll es dann in der wirklichen Not funktionieren?


Vergiß Dein Mittagsbrot nicht und mach schön Ärger
© Banksy (Der Schriftzug ist eventuell dazugefügt worden.)

Ziviler Ungehorsam ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist, dass Menschen auf der ganzen Welt dem Diktat ihrer Regierungen folgen und deshalb in Kriege ziehen, in denen Millionen genau wegen dieses zivilen Gehorsams getötet werden.
Unser Problem ist der zivile Gehorsam auf der ganzen Welt, angesichts der Armut, des Hungers, der Dummheit, der Kriege und aller Verbrechen. Unser Problem besteht darin, dass die Menschen gehorsam sind während die Gefängnisse sich mit Kleinkriminellen füllen und die großen Verbrecher die Staatgeschäfte führen. Das ist unser Problem.

----------- -------------- --------------
“Civil disobedience is not our problem. Our problem is civil obedience. Our problem is that people all over the world have obeyed the dictates of leaders…and millions have been killed because of this obedience…Our problem is that people are obedient allover the world in the face of poverty and starvation and stupidity, and war, and cruelty. Our problem is that people are obedient while the jails are full of petty thieves… (and) the grand thieves are running the country. That’s our problem.”

Howard Zinn
----------- -------------- --------------

Auch interessant:

ZIVILER UNGEHORSAM

Matt Damon liest den Text über zivilen Ungehorsam

Interessante Lektüre:

Eine Geschichte des amerikanischen Volkes von Howard Zinn !!!

http://www.amazon.de/Eine-Geschichte-amerikanischen-Volkes-Howard/dp/3868201920/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1411238109&sr=8-1&keywords=Eine+Geschichte+des+amerikanischen+Volkes

3 Kommentare:

  1. Wer es nicht kennen sollte: INDIGNEZ-VOUZ ! ( Stéphane Hessels Essay, Pamphlet, "Empört euch!", ein ganz schmales heftiges Büchlein, 3 oder 4 Euro.) Der kluge alte Kämpfer (über 90) beschreibt EMPÖRUNG als kostbare menschliche Eigenschaft, als emotionalen und rationalen Antrieb zum Engagement und zum Handeln, für sich und darüberhinaus zum politischen Altruismus, als Notwendigkeit und als Hoffnung.

    Und gestern in ZEIT-online Heinz Budes Analyse der NULL-FEHLER-GENERATION in Deutschland. Er nennt sie auch die Generation der Geschmeidigen, die jedes Risiko vermeiden.




    AntwortenLöschen
  2. Robert Hummel schrieb:
    Wir beschimpfen Menschen, die mutiger sind als wir selber, weil sie uns deutlich machen, dass wir zu feige sind, das zu tun, was sie tun.

    Anne Mechling-Stier:
    Der aufrechte Gang ist es. Nicht nur schwerer, dem Wind zu trotzen. Man fällt auf mit erhobenem Haupt. Eckt an. Und provoziert paradoxerweise das Gegenteil des Beabsichtigten. Froh bin ich nur, dass es immer wieder Menschen gibt, die diese unbequeme Fortbewegungsart bevorzugen. Besagter Kollege gehört mit seiner Aktion dazu! Chapeau!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Empörung und Mut können aber auch anstecken, sich vervielfachen, wenn das Motiv der Empörung stark genug ist.
      Aus den tapferen Aktionen Weniger erwuchsen die Montags- Demonstrationen.
      Junge Leute, die als Schüler noch gehorsam die erschossenen Flüchtlinge als Verräter bezeichneten, rannten im Sommer 89 in Scharen dem Staat davon.
      Und soll keiner sagen, das alles sei für den Einzelnen einfach oder gar ungefährlich gewesen.

      Löschen