Dienstag, 16. September 2014
Theater - Drei Listen
11 Inszenierungen, die mein Denken über das Theater geprägt haben:
Der Drache - Jewgeni Schwarz - Benno Besson/Horst Sagert - Deutsches Theater
Circa 1970. Der Gang die lange Treppe herunter von Rolf Ludwig als Drache. Eberhard Esche als Lanzelot mit schwerem Schwert, als müder Held. Die phantastische Bühne und die wie traumgeschaffenen Kostüme von Horst Sagert. Ich habe, als Zwölfjährige, ohne es wirklich zu begreifen, viel über Terror, Angst und Verrat erfahren und über Widerstand.
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui - Brecht - Wekwerth/Palitzsch - Berliner Ensemble
Um 1968. Die Artistik, und dass Geschichte ganz nah und ganz fremd erzählt werden kann, das immense Tempo, die Reibung zwischen der hohen gereimten Verssprache und dem harsche Ton, der ernüchternde Ausstieg am Ende, die Entzauberung. Die Musik. Mein Vater.
Ihr aber lernet wie man sieht statt stiert,
Und handelt statt zu reden noch und noch.
Sowas hätt' einmal fast die Welt regiert,
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
Die Insel - Athol Fugard - Lang/Grashoff - Deutsches Theater
1980. Zwei Schauspieler, eine fast leere Bühne. Intimität und Intensität. Die Musik. Die Ungeheuerlichkeit des Verhandelten. Danach konnte ich stundenlang nicht reden.
Der Bau - Heiner Müller - Fritz Marquardt - Volksbühne
In den 70ern. Das menschenförmige Loch in der Mauer, wenn der eine Arbeiter abhaut. Unerhört! Dieter Montag als Barka, wenn er seine, nicht von ihm schwangere, Liebste im Schnee zärtlich zur Rampe trägt. Müllers Sprache. Müllers Denken. Dialektik in Poesie.
1980 - Pina Bausch & Company
1987 beim Gastspiel in Ost-Berlin. "Ist die Wiese schön grün!" Mechthild Großmanns Stimme und wenn alle Spieler ihre Narben zeigen. Dass Tanz so ganz anders sein kann, so wahr und witzig und schön und erzählerisch. Dass Tänzer Menschen mit Gedanken und Meinungen sind. Getanzter Schmerz.
Peer Gynt - Ibsen - Peter Stein - Schaubühne (TV Übertragung)
70er Jahre. Als Kind aufbleiben dürfen, um Theater im Fernsehen zu gucken. Bruno Ganz, Bruno Ganz. So viel Geschichten, soviel Imagination. Eine Zwiebel-Inszenierung.
Othello - Shakespeare - Frank Castorf - Anklam
Neu. Anders. Klarer. Das blöde Stück macht Sinn. Endlich. Ich werde Fan. Kurt Naumann, schweigend im schwarzen Ledermantel, draußen, Katalysator für jedermanns Frust. Zum ersten Mal: Kühlschrank und Bier und superhohe Hackenschuhe und viel Wasser und Freiheit, außerhalb des Textes zu improvisieren.
Minna von Barnhelm - Lessing - Armin Petras - Leipzig
Alles falsch und alles richtig. Tellheims und Minnas Liebesgeschichte interessiert den Regisseur nicht und ist entsprechend öde. Aber die drei Tellheims, drei Generationen entlassener, arbeitsloser NVA-Offiziere, die manisch Geld drucken und elend scheitern, sind so sehr wahr. Die DDR, nach ihrem Vegehen, zum ersten Mal auf der Bühne.
Bernards Albas Haus - Lorca - Konstanze Lauterbach - Leipzig
Frauen, Kraft, Lust, Druck, Wut, Sinnlichkeit. Annette Straube klettert den roten Samtvorhang hoch. Die Musik.
Splendids - Jean Genet - Michael Grüber
Ich weiß es nicht einmal warum, aber es war groß. Ganz ruhig, wie ein zärtlicher, unerbittlicher Kopf-Auge-Ohrwurm, der dich verführt und einvernehmlich überwältigt. Dass man so langsam eine Zigarette rauchen kann.
(Nur Ben Becker hat gestört, er nervte, wie immer.)
The Mahabarata - Peter Brook
Acht Stunden in Französisch, einer Sprache, die ich nicht verstehe, und ich hätte noch acht weitere Stunden sehen wollen.
11 Inszenierungen, die mich mit leichtem Schritt und wachem Hirn das Theater verlassen liessen:
Die Perser - Aischylos - Dimiter Gotscheff
Einstein on the beach - Glass/Wilson (Rekonstruktion)
Emilia Galotti - Lessing - Michael Thalheimer - Deutsches Theater
Murks den Europäer! Murks ihn! Murks ihn! Murks ihn! Murks ihn ab! - Christoph Marthaler - Volksbühne
Die Räuber - Schiller - Antu Romero Nunes - Gorki Theater Berlin
Ödipus Stadt - Aischylos/John von Düffel - Stephan Kimmig - Deutsches Theater
Das trunkene Schiff - Paul Zech - Frank Castorf Volksbühne
Die spanische Fliege - Arnold und Bach - Herbert Fritsch - Volksbühne
Der Reigen - Schnitzler - Claudia Bauer - Magdeburg
Der blaue Drache - Robert Lepage - Montreal
Wicked - Stephen Schwartz - New York
8 Inszenierungen, an denen ich mitgearbeitet habe, die meine Sicht auf das Theater verändert haben:
Dantons Tod - Büchner - Alexander Lang - Deutsches Theater
Der Lohndrücker - Heiner Müller - Deutsches Theater
Die Kahle Sängerin - Ionesco - Katja Paryla - Deutsches Theater
Paris, Paris - Bulgakow - Frank Castorf - Deutsches Theater
Der Meister und Margaritta - Bulgakow - ich - Ingolstadt
Der Goldene Drache - Schimmelpfennig - ich - Heilbronn
Der Menschenfeind - Moliere - ich - Karlsruhe
Sugar Dollies - Claus Chatten - ich - Deutsches Theater
Alice im Wunderland - Lewis Caroll - ich - Rostock
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Auf meiner Liste (ich bin ja älter) stünden als Präge-Erlebnisse im Theater auch noch das Gastspiel von Strehlers Inszenierung "Krach in Chioggia" und Bessons Inszenierung "Der Frieden". Da war ich wie elektrisiert und ganz hippelig vor Freude und Staunen.
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