Wieder ein Widerhaken.
Der dänische Prinz Hamlet erfährt von einem Geist, einer "Gestalt", einem "Ding" seinem toten Vater ähnelnd, dass sein Onkel, nun sein Stiefvater, seinen Vater getötet haben soll.
Was tut er daraufhin?
Er gibt vor verrückt zu sein, ironisiert sich bösartig durch einige Dialoge mit Polonius und dem verdächtigten König-Onkel, gibt altklug vorlauten Laien-Schauspielunterricht, aber neidet den nur ihre Arbeit tuenden Schauspielern, die Glaubhaftigkeit ihrer gespielten Emotionen und beklagt den eigenen Mangel an tiefen, echten Gefühlen, für die er doch eigentlich Anlass genug hätte.
HAMLET.
Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr,
Dass er so weint um sie? Was würd' er tun,
Hätt' er den Grund und Ruf zur Leidenschaft
Wie ich?
Dass er so weint um sie? Was würd' er tun,
Hätt' er den Grund und Ruf zur Leidenschaft
Wie ich?
Er macht Ophelia, seine Ferien-in-Helsingör-Liebe, fertig, weil sie nicht ehrlich genug ist, und verlangt von ihr lebenslange Abstinenz, dasselbe verlangt er später von seiner Mutter, nunmehr Ehefrau des Vaterbruders.
Er schreibt ein Theaterstück und nutzt die Reaktionen der Zuschauer als Beweise ihrer Missetaten. Kurze Zeit später ersticht er den Lauscher Polonius, der nichts mit dem vermuteten Mord an seinem Vater zu tun hat, und kann auf die Frage "Was hast du getan?" nur mit "Ich weiß es nicht!" antworten.
Zwischenspiel: Abfahrt nach England, Rosenkranz & Güldenstern, die ihn umbringen sollen, werden von ihm in den Tod geschickt, es folgt die Rückkehr nach Dänemark.
Und------und------und------Ophelia, seine kleine Liebe und Tochter des abgestochenen Polonius, hat sich umgebracht, ertränkt.
Ihr Bruder, nunmehr Waise und schwesternlos trauert an ihrem Grab. Und hier kommt es zu einer der merkwürdigsten Szenen, des an Irritationen reichen Stückes:
HAMLET ins
Grab springend.
Wer ist
der, dessen Schmerz
So hohen Tons erklingt? – Dies bin ich,
Hamlet der Däne.
So hohen Tons erklingt? – Dies bin ich,
Hamlet der Däne.
LAERTES.
Hol'
der Teufel dich!
HAMLET.
Ich bitte, lass die Hand von meiner Kehle!
Denn wenn ich auch nicht jäh und heftig bin,
Hab' ich doch was Gefährliches in mir.
Denn wenn ich auch nicht jäh und heftig bin,
Hab' ich doch was Gefährliches in mir.
KÖNIG.
Werft Euch dazwischen!
KÖNIGIN.
Hamlet!
Hamlet!
HAMLET.
Ich liebte
Ophelia; vierzigtausend Brüder hätten
Mit ihrer ganzen Liebe doch die Summe
Der meinen nicht erreicht. Was willst du tun
Mit ihrer ganzen Liebe doch die Summe
Der meinen nicht erreicht. Was willst du tun
Für sie?
KÖNIG.
O, er
ist toll, Laertes.
KÖNIGIN.
Um
Gottes willen, schont ihn!
HAMLET.
Zum Henker, zeig' mir, was du für sie tun willst:
Willst weinen? Fechten? Fasten? Dich zerreißen?
Willst Wolfsmilch trinken? Krokodile essen?
Ich tu es. – Kommst du um zu winseln her?
Durch eine Sprung ins Grab mich zu verblüffen?
Lass dich mit ihr begraben, ich tu's auch.
Ich prahl' so gut wie du.
Willst weinen? Fechten? Fasten? Dich zerreißen?
Willst Wolfsmilch trinken? Krokodile essen?
Ich tu es. – Kommst du um zu winseln her?
Durch eine Sprung ins Grab mich zu verblüffen?
Lass dich mit ihr begraben, ich tu's auch.
Ich prahl' so gut wie du.
Er wirft dem trauernden Bruder die Tiefe seiner Verzweiflung vor, spricht ihm das Recht daran ab, nimmt es für sich in Anspruch. Aber er klingt unwahr. "Ich prahl' so gut wie du."
Der Kerl macht mich irre, kirre. Er ist nicht zu fassen, auch weil er selbst nicht weiß, was er fühlt, fühlen soll.
Ich lese über politische Ungeheuerlichkeiten in Zeitungen, im Internet, ich höre unfaßbare Nachrichten im Fernsehen und im Radio und suche in mir nach der entsprechenden Reaktion. Fünfzehn Spendenaufrufe liegen im Email-Ordner, zehn Bettler auf hundert Meter Fußweg bitten um Hilfe, die Obdachlosenzeitung der jeweiligen Stadt wird mir angeboten und ich suche in mir nach dem notwendigen, anständigen Mitgefühl, bemerke, dass ich Ausreden finde, mich distanziere.
Ich will kein Arschloch sein, aber die Gefährdung ist da, jeden Tag.
Godot schreibt,
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