Freitag, 29. März 2024

Zone Of Interest - Was habe ich gesehen?

Seit Wochen drücke ich mich vor diesem Film und dann hat der Regisseur auch noch eine, um es vorsichtig zu formulieren, die grauenhafte Situation in Gaza betreffend, einseitige und vereinfachende Rede anlässlich seines Oscar-Gewinns gehalten.

„Zone of Interest“, ein Film des britischen Regisseurs Jonathan Glazer über das Leben des Kommandanten von Ausschwitz und seiner Familie um das Jahr 1944, besetzt mit deutschen Schauspielern.

Was habe ich gesehen? 

Einen äußerst gut gemachten Film mit exzellenten Schauspielern, großartig fotografiert und ausgestattet, mit einem geradezu genialen Soundtrack. Das Haus, der Garten, die Mauer zum KZ soll mit Efeu verschönt werden, der Umgang der Eheleute miteinander, mit den Kindern und mit dem kostengünstigen Personal aus dem Lager nebenan. Eine Idylle mit Kratzern und Rissen und dem ignorierten gestreiften Elefanten im Raum.

Doch dann beginnt unerwartet ein zweiter Film, Höss wird nach Oranienburg versetzt, die Familie will nicht mit und wir finden uns plötzlich in den Räumen der Macht wieder. Eine bedauerliche dramaturgische Entscheidung, als würde der Regisseur seiner starken, scheinbar privaten Erzählung nicht zutrauen, den Film bis zum Ende zu tragen, als bräuchte es noch das große Ganze. Schade.

Friedl und Hüller sind geradezu perfekt. Sie, ganz körperliche Unwucht, unstörbare Selbstzufriedenheit, die perfekte Inkarnation des Idealbildes deutscher, harter Mütterlichkeit, schon ihre komplizierte, bösartige Frisur ist ein Ereignis. Friedl, sein weicher Körper, die etwas zu hohe Stimme, der weibliche Mund und die traurigen Augen, sein Haarschnitt ein faschistoider Undercut in Perfektion. Die Maske verdient wahrlich einen Oscar.

Aber letztlich hinterlässt der Film mich irgendwie unbehaglich und kühl, trotz der packenden Abspannmusik. Warum nur?

Ist die eigentliche Geschichte dieses Film, dass Rudolf Höß ein weniger gewissenloser Mörder gewesen wäre, wenn seine Frau nicht ihr Haus, ihre Kinder, ihren Garten über alles andere gewertschätzt hätte? Mitgefühl mit dem Kerl und keines für seine Frau? Aber das ist nur ein irritierender Nebengedanke.

Die Negativbilder des Äpfel verteilendes Kindes mochte ich.

Anderes war wiederholend und überdeutlich. (Für den Fall, dass ich es sonst nicht verstehe?) Immer nochmal der schwarze Hund und KZ-Insassen in dienender Funktion, das hässliche Haus, die spießbürgerliche Einrichtung, der blühende Garten und die kilometerlange Mauer zum Lager nebenan.

Warum hat es mich gestört, dass der Film alles „richtig“ macht? Oder habe ich einfach schon zu viel über diese Zeit gelesen, zu viele Filme und Dokumentationen gesehen?

Es ist ein übles Dilemma: mir vorzustellen, dass ich KZ-Kommandant oder Aufseher seien könnte, funktioniert nicht. Aber andererseits weiß ich genug über meine eigenen dunklen Bereiche, dass ich ahne, nur glückliche Umstände haben mich bewahrt. Aber die partielle völlige Gewissenslosigkeit, wie sie hier Höss und Hedwig leben, ist nicht einfach nachzuvollziehen und so hatte ich dann irgendwann das Gefühl, exotischen Exemplaren der menschlichen Rasse zuzusehen.

Mein Vater, Jahrgang 1930, in Magdeburg aufgewachsen, hat mir erzählt, wie der kleine Cohen aus seiner Klasse eines Tages verschwand, das hat mich (und ihn) sehr lang beschäftigt. Ein Kind mit dem du jeden Tag in der Schule sitzt, ist da und dann plötzlich nicht mehr. Du weißt, unbewusst, dass da etwas Schlimmes geschehen ist, doch du ignorierst den Gedanken. Dieses kleine Detail hat mich mehr erschüttert, als dieser wirklich gute Film.

Der Holocaust, das Wort kommt aus dem Griechischen und heißt „Brandopfer“ oder „vollständig verbrannt“, die Shoa, der Untergang, die Katastrophe, Wolfgang Benz befasste sich in Dimension des Völkermords mit allen seit 1990 zugänglichen Quellen, Auswertungs- und Berechnungsmethoden der Opferzahlen. Burkhard Asmuss veröffentlichte 2002 eine Aufstellung mit teilweise gröberen Schätzungen. Insgesamt erhärtete sich dabei eine Gesamtopferzahl von mindestens 5,6 bis zu 6,3 Millionen ermordeten jüdischen Menschen. Dazu kommen Zahlen für Verletzte und Vertriebene. Im von ihm herausgegebenen Handbuch des Antisemitismus bezifferte Benz die Gesamtzahl der Holocaust-Opfer auf „mindestens sechs Millionen“.

Sechs Millionen Menschen, die als Juden identifiziert wurden. Tot. Ermordet. Weil sie Juden waren. Heute leben ungefähr 15 Millionen Juden auf der Welt, bei einer Weltbevölkerung von ungefähr 7,888 Milliarden, also 0,19 % dieser großen Menge von Menschen. Circa 10 Millionen davon sind Israelis. Und sie sind jetzt die ultimaten Bösen. Weiße Kolonialherren, obwohl sie aus dieser Gegend stammen und viele seit der Diaspora in, heute arabischen, Gebieten und Pakistan und Afghanistan lebten. Bis 2002 machten Juden aus arabischen Ländern und ihre Nachkommen immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung Israels aus. Nahezu niemand glaubt nunmehr an eine Zwei-Staaten-Lösung, also was wäre die Alternative? From The River To The Sea, heißt in reale Politik übersetzt : Israel wird ausgelöscht. Diaspora Point Two. Wo sollen sie hin? Niemand will sie. Oder aber Gaza wird ausgelöscht? Wo sollen die Palästinenser hin? Niemand will sie. Weder die Israelis haben eine Wahl, noch die Palästinenser.

 

In den jüdischen Familien Israels wird über Generationen der Schrecken des Holocaust vererbt, bei den Palästinensern, der Schock der Nakba.

Nakba =„Unglück“, „Katastrophe“. Mit diesem Begriff bezeichnet die arabische Welt die Vertreibung von hunderttausenden Palästinensern vor 75 Jahren.

Holocaust. Nakba. Unglück. 



Ein letzter Einwand. In Israel haben bis zum 7. Oktober, dem Tag des Massakers Hunderttausende gegen die Regierung Nethanjahus demonstriert. Ist jemand in Gaza gegen Hamas auf die Strasse gegangen? Und Queers for Palastine würden einen Besuch in Gaza vielleicht nicht überleben.

4 Kommentare:

  1. Dank für diese Beschreibung und auch für den letzten Einwand unter dem Foto.

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  2. Ich habe aus Versehen einen interessanten Kommentar gelöscht. das tut mir leid. und schreibt doch bitte eure Namen in die Kommentare.

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  3. Ich danke Dir für die großartige Rezension, die Beste, die ich bisher gelesen habe, und das waren etliche. Danke auch für Deine Nachbemerkung. Alles gute für Dich. Barbara aus der Volksbühne.

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