Sonntag, 15. Januar 2023

Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,

Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, so beginnt die Illias des Homer. Zorn kann vieles, Kreativität frei setzen, verkrampfen, eherne Mauern einstürzen lassen, Unschuldige töten.

Ich habe neulich einen Theaterabend gesehen, der durch Zorn zusammengehalten wurde, und was es vollends verrückt werden ließ, der Zorn richtete sich gegen die, die das Stück geschrieben und irgendwie auch inszeniert haben. 

Es war ein gewaltiger Zorn, der, freigelassen auf der Bühne, eine halbgare Sammlung von Traktaten (Wiki: Flug-, Streit-, Schmähschriften) , zu einem faszinierenden, aber mich auch bedrückenden theatralen Ereignis verschweißte. Der Abend hätte jede Minute in die Luft gehen können und nur diese Gefährdung machte ihn spannend.

Gute Schauspieler sind Wunderwesen, hochsensibel, liebessüchtig, und, wenn ihnen Raum gelassen wird, legen sie unbeirrbar den Finger auf die jeweilige schwärende Wunde. 

Es war ein seltenes und gänzlich neues Erlebniss, dass eine Inszenierung durch den zornigen Protest gegen sie, eigentlich erst entsteht. Ich verweigere mich, also spiele ich gegen diese Vereinnahmung bis zur völligen Erschöpfung. 

Der Hass-Clown, ein neues Fach, zeitgemäß und höchstdramatisch.

Das Ensemble-Netzwerk und die neue Kraft der Gewerkschaften verändert unser altes, feudales, deutsches Stadttheatersystem, die Verwerfungen werden gerade erst sichtbar, Schauspieler klagen erfolgreich, Intendanten kommen nicht ungeschoren durch, wenn sie Entscheidungen nicht glaubhaft begründen können. Gut so. Wenn es schief geht, explodiert das ganze System, aber wenn es klappt, welche Kräfte werden freigesetzt?

Freitag, 13. Januar 2023

Manu

Der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben worden ist. Heiner Müller

Ach.

Wir sind zusammen erwachsen geworden, haben schauspielen erlernt, gespielt, er am BE, ich am DT, haben angefangen Regie zu führen. Er war mir immer einen Schritt voraus. Als er Oberspielleiter am Schauspiel Chemnitz war, sein Intendant Rolf Stiska, habe ich dort inszeniert. Dann wurde er Intendant in Esslingen, ich arbeitete dort. Ich wurde Schauspieldirekorin in Rostock, er inszenierte bei uns Die Räuber. Dann ging er nach Senftenberg und wieder holte er mich zum arbeiten. 

Er hatte eine bunte, unübliche Kindheit, ich auch. Er hatte begabte, anstrengende, liebevolle Eltern, ich auch.

Ich denke, dass eine Jahr im Westen als Baby wird nur wenig Folgen gehabt haben. Dann, Berlin-Ost, Kindergarten, Schule, Oberschule. Nach dem Abitur mit Berusausbildung zum Zootechniker / Mechanisator überbrückt er als Bühnenarbeiter an der Volksbühne, dem Theatertempel meiner Jugend, ich gehe als pflegerische Hilfskraft ins Krankenhaus Friedrichshain, in dem ich auch geboren wurde.

Schauspielschule. Ernst Busch. Er als Student, ich als Elevin.

Er ging ans Berliner Ensemble, seine Mutter arbeitete an der Volksbühne, ich ans Deutsche Theater, meine Eltern arbeiteten am Berliner Ensemble. 

Die Eltern lieben und doch Abstand halten.

Er begann zu inszenieren. Die Perser waren, glaube ich, seine erste Arbeit.

Er liebte Heiner Müller, seine Frau, seine Kinder, seinen Stiefvater Wolf Biermann. Er liebte das Theater. 

Das klingt so bombastisch. vermutlich liebte er Proben, genau wie ich, die Zeit, in der alles und jedes möglich ist, Überraschungen an der Tagesordnung sind, nichts festgelegt ist, nichts ausgeschlossen. Da ist ein Konzept und es muss vergessen werden, damit es wieder verletzliche Offenheit geben kann.

Es kam sein Krebs, ein Merkelzellkarzinom, sehr selten und deshalb nicht sehr gut erforscht. Behandlungen aller Art und "nebenbei" die Intendanz, eine wahrlich harte Zeit für alle Seiten. Und nachdem er von Senftenberg Abschied genommen und einen neuen Arbeitsort gefunden hatte, griff sich Covid seinen geschwächten Körper. Sinnsuche ist gefährlich. weil der Tod keine logischen, moralischen oder anderweitig einordbare Motive hat. Er tut. Man lebt, man stirbt. 

Er war schüchtern und erstaunlich offen und ganz verschlossen, wenn es schlimm wurde.

https://taz.de/Die-Toten-brauchen-keine-Jeans-keine-Kiwis-sagt-Heiner-Mueller/!809431/

Man muss sich um die antikapitalistischen Alternativen keine Sorgen machen, weil der Kapitalismus keine Alternativen mehr hat, keine Feinde außer sich selbst. Das verspricht eine interessante Entwicklung. Im Zusammenhang mit Armut und Elend in vielen Teilen der Welt, mit der Bevölkerungsexplosion, mit den ökologischen Katastrophen. Da braucht man sich um Utopien keine Sorgen zu machen, höchstens um Apokalypsen. Heiner Müller 1991

Sonntag, 8. Januar 2023

The Banshees of Inisherin

In meinen Höfen gibt es zwei großartige Programmkinos, das Central und das hackesche höfe kino, ich habe also die Möglichkeit, täglich zwischen vielen Filmen zu wählen und sie dann praktisch im Pyjama anzugucken. Heute abend war es The banshees of Inisherin.

Der Autor und Regisseur ist Martin McDonagh, Ire, aber in England aufgewachesen. Er hat mit dem Schreiben für das Theater begonnen und verfilmt jetzt seit einigen Jahren seine Drehbücher. Die Filme kenne ich alle nicht, nichtmal Three billboards outside Ebbing, aber 1996 habe ich The Beauty Queen of Leenane - Die Schönheitskönigin von Leenane im Royal Court Theater in London gesehen, einen sehr poetischen, melancholischen Abend mit Inseln greller Komik, von dem ich sicher war, dass er auf Deutsch nie wirklich funktionieren würde. 

Banshees sind übrigens weibliche Geister der irischen Mythologie, die Todesfälle durch ihr lautes Weinen vorankündigen; Inisherin ist eine fiktive Insel vor der Küste Irlands. 

Der Film spielt 1923 zu Zeiten des irischen Bürgerkrieges, der durch hör- und sichtbare Explosionen auf dem gegenüberliegenden Ufer immer mal in die Welt des Films hineinschwappt. Diese Welt ist irischer als irisch, sozusagen ein irisches Konzentrat. Auch wenn man kein Englisch spricht, sollte man hier die Originalversion mit Untertiteln wählen, weil Melodie, Klang und Rhythmik der gesprochenen Sprache sehr schön sind und auch wichtig als Kontrapunkt zur Wortkargheit der Figuren und der strengen Bildsprache. Der Mann, McDonagh, kann wahrhaftig Dialoge schreiben! Knapp, täuschend einfach, oft mit Wiederholungen arbeitend, mal sehr böse witzig, mal albern, mal fulminant. In einer Kritik habe ich gelesen, dass Brendan Gleeson und Colin Farrell, sich zu Stan und Laurel des 21. Jahrhunderts entwickeln. Da ist was dran.

Über dem Film schwebt eine gewisse Sentimntalität, die umso merkwürdiger wird, je brutaler sich die menschlichen Beziehungen zuspitzen. Wäsche weht, Volkslieder werden gegeigt und gesungen, Brahms erklingt, eine Frau trägt Rot, dann Gelb, (überhaupt sind die Kostüme wunderbar genau und eigenartig,) ein Miniatur-Esel tippelt herum, die Landschaft erstreckt sich rau und grau und grün. Und in dieser malerischen Umgebung wird ein Junge mißbraucht und verprügelt, eine Freundschaft wird aufgekündigt und dieser Bruch bricht das Herz eines guten Mannes und macht es hart und kalt und der andere, ein Geigenspieler schneidet sich alle Finger seiner linken Hand mit einer Schere ab und wird nie mehr fiedeln können. 

Die zwei Gegenspieler, der eine, jede Erklärung verweigernd, oder sie wortkarg gänzlich nur sich meinend, also egoistisch,  verknappend. Der andere immmer im Kampf mit der Sprache, die ihm gerade dann entgleitet, wenn er existentiell werden will, werden muß.

Colin Farrell ist ein Schauspielwunder. Manchesmal zuvor geradezu zu gutaussehend, um ernst genommen zu werden, ist er fähig, sogar seine Physiognomie zu verwandeln, sie der Lebenswirklichkeit der darzustellenden Person anzupassen. Es ist eine Lust ihm zuzusehen.Brendan Gleeson, der Weißclown, groß, schwer, brodelnd. 

Worum geht es? Ich rätsele. Um die Absolutheit der Liebe? Kann Mensch gut sein, wenn er keine Liebe mehr erfährt? Ist Kunst und die von ihr erhoffte Unsterblichkeit des Künstlers, kostbarer als "niceness", sprich Gutsein? Was bleibt? Ein Lied das überdauert? Die Erinnerung an Güte? 

 Bild: keystone

COLM: But will I tell ya something that does last.

 

PADRAIC: What? And don’t say somethin’ stupid like music.

 

COLM: Music lasts.

 

PADRAIC: Knew it!

 

COLM: And paintings last. And poetry lasts.

 

PADRAIC: So does niceness.

 

COLM: Do you know who we remember for how nice they was in the 17th century? Who? Absolutely no one. Yet we all remember the music of the time. Everyone, to a man, knows Mozart’s name.

 

PADRAIC: Well, I don’t, so there goes that theory. And anyway, we’re talkin’ about niceness. Not whatsisname. My mammy, she was nice. I remember her. And my daddy, he was nice. I remember him. And my sister, she’s nice. I’ll remember her. Forever I’ll remember her.

 

COLM: And who else will?

 

PADRAIC: “Who else will” what?

GREIFSWALD - HEXENJAGD - ENERGIEKOSTEN

Greifswald. Wenn wir die Studenten mitzählen, hat die Stadt circa 62 000 Einwohner. Eine alte Hansestadt mit nur drei lokalen Buslinien, die in mitunter recht großen Abständen fahren. Da ist noch einiger Spielraum für Verbesserung, wollen wir dem Klimawandel trotzen.

Die Stadt hat ein seit Juni geschlossenes Theater, das in den nächsten drei Jahren saniert werden wird, obwohl bis jetzt diesbezüglich noch nicht allzuviel passiert ist. Es könnten also auch vier Jahre werden. Den bereits zugesagten Ersatz-Spielort, ein Theaterzelt, wird es, in Folge von Coronanöten und ins geradezu Unermessliche steigenden Energiekosten, nicht geben. 

Eine mögliche, die einzig mögliche, Ausweichspielstätte benötigt, um regelmäßige Vorstellungen  zu erlauben, die für den laufenden Spielbetrieb nötige Infrastruktur, wie Garderoben und Aufenthaltsräume. Die soll nun das Theater finanzieren.

Das Theater, das Theater Vorpommern, ein Verbund der Städte Stralsund, Greifswald & Putbus, muss derzeit Vieles zusätzlich finanzieren, die endlich durchgesetzten Erhöhungen der Anfängergagen auf ein akzeptables Niveau und die erhöhten Kosten von Strom und Heizung, Theater kann nun einmal nicht im Dunklen stattfinden und das im Parkett mehr oder weniger still sitzende Publikum benötigt einen halbwegs warmen Raum.

Eine befreundete Regisseurin vermutete schon vor Jahren, das die benötigten Kilowattstunden bald in den Regieverträgen vermerkt werden könnten.

Wir arbeiten jetzt an der HEXENJAGD von Arthur Miller, einem "well made play", einem "gut gebauten Stück. Ich habe das Glück mit einem erstklassigen Ensemble arbeiten zu können, fleissig, interessiert, witzig und aufmerksam füreinander. Sie hören sich zu, sie gehen offen in Wettbewerb miteinander, sie lassen nicht nach.

Zusatzinformation: im Monat Dezember, dem besten und härtesten Monat für Stadttheater, haben meine Spieler "nebenbei" viele, viele Vorstellungen des Weihnachtsmärchens gespielt, plus einer abgespeckten Weihnachtsaufführung für das momentan theaterlose Greifswald und die üblichen Vorstellungen sowieso. Ach, und sie hatten so oft Grippe und Covid, wie der Rest der Bevölkerung, vielleicht weniger, weil viele Schauspieler auch noch komatös zur Probe kriechen.

Heute war der erste Durchlauf auf der Bühne und mein schönstes Kompliment folgte, ich wurde als "fette Regisseurin" bezeichnet.


Ich tue, was ich liebe , darf tun, was ich liebe, und liebe, was ich tue.

Freitag, 30. Dezember 2022

2022

2022. 

Was für ein Jahr.

Covid und seine Folgen hat zwei meiner besseren Arbeiten verschlungen, nur wenige Vorstellungen und weg waren sie. Die ernsthafte Arbeit so vieler Menschen ist einfach verschwunden. Die Nachwelt flicht dem Mimen wahrhaftig keine Kränze. Dann habe den feindlichsten Mitarbeiter meines Lebens erlebt, das brauche ich gewiss nicht nochmal.

Aber. Aber, Proben liebe ich immer noch und ich habe wunderbare Mitstreiter kennengelernt und unter den, jetzt normalen, schwierigen Bedingungen, aufregende und produktive Stunden mit der Erforschung fremder Texte verbracht.
 
Ich habe viel gekocht und gut gegessen und meine Freunde damit gut versorgt.
 
Ein fast gleichaltriger Theaterliebender ist zu Weihnachten an den Folgen von Covid gestorben, ein anderer, etwas jünger, hat kurz zuvor sein Leben an eine Sucht verloren.
 
Meine einzige und auch Lieblingsnichte wird erstaunlich erwachsen. Was für eine Freude.
 
Meine Freundinnen sind die besten und retten regelmäßig mein Leben. Durch Zuspruch und ein Ohr, das genau zuhört. Sie sind für mich überlebensnotwendig!
 
Meine kaputte Hüfte ist ersetzt (Wunder der medizinischen Wissenschaft!) und benötigt nun sportliche Aktivität. Gottseidank kann ich im Wasser trainieren, wobei mir wieder eine Freundin hilft.
 
Und dann die Fakten unserer Welt: Die Klimakatastrophe schreitet, nein, rast voran. Russland zerbombt die Ukraine, die sich heftig wehrt und in den USA verwandelt sich die politische Bühne immer mehr in ein gräuliches, absurdes Theater des Grand Guignol. Der Rest der Welt ist auch in keinem guten Zustand.
 
2022. Was für ein Jahr.
 



 

Dienstag, 27. Dezember 2022

Die Stillen Trabanten - ein deutscher Film

Was ist das nur mit deutschen Filmen?

Clemens Meyer schreibt filigrane Geschichten über gewöhnliche Einsamkeiten und unerwartete Annäherungen. Mitgefühl wäre ein Wort, um das zu beschreiben, was ich beim Lesen seiner Texte empfinde. Mit jemandem gänzlich Fremden etwas zu empfinden, anstatt gedankenlos Mitleid auszuschütten, Mitleid ist ein hochmütiges Gefühl. Ach, der oder die arme Person, der geht es schlechter als mir. Aber Mitgefühl, verlangt Einfühlung, Verständnis, die Ebenbürtigkeit dessen, mit dem ich mitfühle.

Der Film, den ich verlassen habe, bevor er zu Ende war, hatte Absichten, sehr offensichtliche und tat alles dafür, dass ich diese auch bemerke ud darum waren eine große Menge außergewöhnlich guter Schauspieler dazu gezwungen, nicht Menschen, sondern Ideen von Menschen zu spielen. Sie müssen länger als notwendig emoten, oder verdeutscht erhoffte Gefühle erzeugen. So lang, dass ich leider anfing meine Gefühle anderen Dingen zu zuwenden. Deshalb der verfrühte Abschied.

Ich denke mitlerweile, dass ein harter, strenger Schnitt, eine Dramaturgie, die sich nicht vor, sondern mit aller Macht hinter die Geschichte stellt, jedem Film gut täte.

Hier waren es, zu viele Geschichten mit zu wenig Zeit für Glaubwürdigkeit und zu viel Zeit für Bedeutsamkeit. Ein Wachmann und ein Mädchen, das dem Krieg in der Ukraine bei Verlust der Familie entkommen ist, eine konvertierte Muslimin und ein fast zu liebenswürdiger Fast-Food-Koch, eine Friseuse und eine Mitarbeiterin der Deutschen Bahn, ein totes Kind syrischer Flüchtlinge, zu viele erschütternde Schicksale auf zu engem Raum. Keines kann wirken, weil die anderen ihn in einen Wettbewerb zwingen.

Britische oder Skandinavische Filme über "soziale Probleme" nehmen ihre Geschichte ernst und überlassen der Botschaft dem Hirn der Zuschauer.

Charly Hübner, Peter Kurth, Albrecht Schuch (Ich verehre ihn.), Martina Gedeck, Nastassja Kinski, und und und. Schade.

Freitag, 23. Dezember 2022

Scones und der englische Fünf-Uhr-Tee - Cream Tea

Its habit of getting up late you’ll agree
 That it carries too far, when I say
That it frequently breakfasts at five-o’clock tea,
 And dines on the following day.

The hunting of the Snark von Lewis Caroll

Die britische Welt könnte nach Brexit und Corona vollends aus den Fugen geraten, wenn das heilige Ritual des Fünf-Uhr-Tees nicht eingehalten wird. Dabei gilt es, zwischen Cream Tea, Low Tea, Champagne Afternoon Tea und High Tea zu unterscheiden, wobei ich den Champagne Afternoon Tea für eine neumodische Abart, Unart halte.

Für den Cream Tea braucht man Scones, Tee, clotted cream und, wenn man pingelig ist, Erdbeermarmelade.

In Vorbereitung auf das Fest der schweren Speisen gab es deshalb heute einen Salat mit meinem Spezialdressing, frisches Gemüse mit Knoblauch-Quark-Jogurth-Dip und zum Abschluß, um die kommende Weihnacht zu ehren: Scones.

Ganz einfach und wirklich köstlich, gar nicht süß, außen knusprig, innen weich, vortrefflich begleitet von einem starken schwarzen Tee mit nur einem Hauch von Milch.

250 Gramm Weizenmehl und mit einem Eßlöffel Backpulver vermischen, 1 Eßlöffel Zucker und einen halben Teelöffel Salz, dazu geben und 60 Gramm kühle Butter reinbröseln und gut einarbeiten. 150 Milliliter Vollmilch dazu und alles auf einer bemehlten Fläche gut zusammenkneten; wenn es klebt, Mehl an die Hände. Eine Stunde in den Kühlschrankstellen, dann ausrollen auf etwa einen Zentimeter und mit einem Glas runde plätzchenartige Gebilde ausstechen. Die auf ein mit Backpapier bedecktes Backblech legen und mit verquirltem Ei bestreichen und bei 180 Grad circa 20 Minuten backen, bis sie goldbraun sind.

Clotted cream kann man entweder im Internet kaufen oder, mit viel Zeitaufwand selbst herstellen, dafür Sahne im Wasserbad 10 Stunden bei 75 Grad in den Ofen stellen, abkühlen lassen und nun für 10 Stunden in den Kühlschrank, die obere Haut und die darunter befindliche dicke Masse verrühren. Was an dünner Sahne ganz unten übrig geblieben ist, falls nötig zum Verdünnen nutzen.)

Die Scones noch warm mit Salzbutter und einer guten Marmelade, oder eben mit clotted cream und Erdbeermarmelade essen. Ich mag Himbeer lieber.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Pinocchio nacherzählt von Guillermo del Toro

Pinocchio. 

10 oder 11 Verfilmungen gibt es. Niedliche Grillen, liebende, väterliche Gepettos, freche Pinocchios, mal animiert, mal mit menschlichen Darstellern. Immer fehlte mir etwas, zu süß. zu moralisierend und immer auf Kosten der anarchischen Lebenslust der kleinen hölzernen Kreatur. 

Wie im deutschen Struwelpeter wird in dieser italienischen Geschichte ein Kind zurecht gestutzt. Um ein "wirklicher" Junge zu werden, bezahlt Pinocchio am Ende einen hohen Preis, einschließlich  seiner Autonomie.

Das Verrückte ist, dass Collodi, Kind seiner Zeit, trotz seiner geradezu sich ins Auge und Herz bohrenden, pädagogischen Absichten, ein viel wilderer und darum wahrhaftiger Phantast war, als es seinen Absichten entsprochen und gedient hätte. 

Schlangen lachen sich tot, brutale Puppenspieler niesen aus Mitleid, der übelste Bösewicht ist so hoch wie breit und hat eine sanfte, weiche Stimme. 

Guillermo del Torro packt seiner Titelfigur ein schweres Gewicht auf die zarten Schultern. Mussolini, den italienischen Faschismus, Unsterblichkeit und einen leidgeprüften, wahrhaft guten Vater, der seinen Sohn verloren hat. Nicht das Kind ist der Held, sondern der Vater.

Ein Kind, wenn auch aus Holz, voll von Lebenslust und Neugier, erobert sich die Welt, mit den zu erwartenden katastrophalen Erlebnissen. Es will werden, wie die anderen Jungs, ein "richtiger, braver Junge. Angepasst. Selbstlos, ohne sein Selbst. 

 

Die blaue Fee, wird bei Del Torro zu einer eigenartigen Mixtur aus Sphinx und Alien, anstatt der ambivalenten Vorgabe von aus Leiden geborener, erpresserischer Maria und wütendem, totem Kind. Und sie hat mich heftig genervt. 

Das Pinocchio, eine Holzpuppe, nicht so einfach sterben kann, es sei denn, er verbrennt, ist eine herrliche Allegorie der Unsterblichkeitsgewissheit kleiner Kinder, aber hier wird daraus ein angestrengtes Szenario über die unausweichliche Bedeutungsschwere der menschlichen Sterblichkeit.

Kein Szenarium bisher hat, so scheint es mir, das Kind ernst genommen. Geworfen in die Welt, ihr ausgeliefert, kämpfend um seine Eigenartigkeit, seine Unschuld.

Samstag, 10. Dezember 2022

Was jetzt? in der Volksbühne - Pollesch

Mein Lieblingswort des Abends: NASSNESS. Ein Mann, es regnet, sein Mantel vom Flohmarkt und aus schwerem Stoff , saugt sich voll, er spürt NASSNESS.  Ja, ein Anglizismus, aber auch den erlebten Laut nachahmend und so sehr viel nachspürbarer als unsere übliche barsche Nässe. Ich bin nass, nässer, am nassesten, mein Körper fühlt nur noch Nassness.

Auf dem Heimweg überhörte ich einen jungen Mann, der Herrn Pollesch Altersweisheit bescheinigte. Ich will ihm die nicht absprechen, aber habe eher den Eindruck, dass er gerade dabei ist, seine sehr eigene Theater-Methode recht waghalsig explodieren zu lassen. Wäre Samuel Beckett nicht 1906 im hungergeschüttelten Irland, sondern in der 60ern in Westdeutschland geboren worden, hätte er vielleicht solche Stücke geschrieben.

Polleschs Arbeiten mit Fabian Hinrichs, seine persönlichsten, finde ich, habe ich immer sehr gemocht, manche anderen haben mich gut unterhalten und doch konnte ich später nicht genau sagen, worum es eigentlich ging, aber heute Abend ...

Ein sechsstündiger Sommernachtstraum mit drei Pausen." - "Ich hätte gern ein Leben mit drei Pausen." - "Das geht nicht, in den Pausen, geht das Leben weiter. Das Leben erlaubt keine Pausen." - "Aber ich hätte gern ein Leben mit drei Pausen, wo ich rausgehe und vielleicht ein Glas Sekt trinke und dann weiterlebe." - " Das Leben erlaubt keine Pausen."

Die Zitate sind nicht wortgetreu.

Wuttke und Peschel, aka Estragon & Wladimir warten auf das wahre Theater. Sie sind keine  Schauspieler, sondern Arbeiter im PCK. Lutz ist Sachbearbeiter im PCK, oder Facharbeiter, aber Lutz ist auch Hans-Jürgen oder Heinz und der Mann im Kochkostüm ist der Nachtwächter. Und Chruschtschow hatte eine queere Agenda, die von Breschnjew abgewürgt wurde, genau so wie die großen Visionen der Kybernetik unter Ulbricht, Honeckers Machtübernahme nicht überlebten. Es gibt Slapstick oder die gerade-noch-so Verweigerung desselben, Wuttke ist auch Pollesch und Peschel ist meistens empört. Sie insistieren, sie ändern ihre Haltung, sie chargieren mit Brillanz. Der dritte im Bunde, Franz Beil, versucht sein Bestes, aber wer kann schon dagegen ankommen.

-------

Die PCK Raffinerie GmbH (ehemals VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt) ist ein Erdölverarbeitungswerk in Schwedt/Oder in der Uckermark (Brandenburg). Die PCK-Raffinerie in Schwedt versorgt zu 95 Prozent die Räume Berlin und Brandenburg mit Kraftstoffen, also Benzin, Diesel, Flugturbinenkraftstoff und Heizöl. Der Marktanteil an der gesamtdeutschen Kraftstoffproduktion beträgt etwa zehn Prozent. Die Abkürzung PCK stand bis 1991 für Petrolchemisches Kombinat, 1991 bis 1996 für Petrolchemie und Kraftstoffe. WIKI

------- 

Konkurrenzfähig ist auch das werkseigene Arbeitertheater. Mitte der 60er Jahre inszeniert Gerhard Winterlich mit den Schwedtern sein Stück "Horizonte" und gewinnt beim ökonomisch-kulturellen Leistungsvergleich in Karl-Marx-Stadt eine Goldmedaille. Heiner Müller übernimmt den Stoff und überschreibt und remixt ihn mit dem "Sommernachtstraum" für die Eröffnung der Intendanz von Benno Besson an der Berliner Volksbühne 1969. 

https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=18710:eternity-fuer-alle-neue-horizonte-hau-berlin&catid=38  

https://www.hellerau.org/de/neue-horizonte/

------- 

Anfang 2023 soll kein russisches Rohöl mehr in der PCK-Raffinerie zu Benzin, Diesel und Kerosin verarbeitet werden. Der Schwedter Standort soll umstrukturiert werden. Dazu tagte erstmals eine Taskforce des Landes Brandenburg in Potsdam. 09.11.2022
 
-------

Der Deutsche Bundestag berät am Donnerstag, 15. Dezember 2022, über die Situation der PCK-Raffinerie in Schwedt vor dem Hintergrund des Embargos gegen russisches Öl als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die Abgeordneten werden den Antrag der Linksfraktion mit dem Titel „PCK Schwedt retten und transformieren – Deindustrialisierung Ostdeutschlands verhindern“ (20/4762) ebenso erstmals beraten wie den von der AfD-Fraktion avisierten Antrag „Mitteldeutsche Ölversorgung gewährleisten – Für die Raffinerie PCK Schwedt Vollauslastung ermöglichen und deren Versorgung sicherstellen“. Beide Anträge sollen im Anschluss an die knapp 70-minütige Debatte an die Ausschüsse überwiesen werden. Bei den Beratungen soll der Ausschuss für Klimaschutz und Energie die Federführung übernehmen. Über zwei weitere Anträge der AfD-Fraktion wird das Parlament abstimmen. Zum Antrag mit dem Titel „Deutsche Arbeitnehmerinteressen bei Energieembargo berücksichtigen – Massenentlassungen in Schwedt verhindern“ (20/1863) wird der Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Beschlussempfehlung abgeben. Zu dem Antrag „Öl- und Gasembargo verhindern – Bürger und Unternehmen schützen“ (20/1862) gibt es schon eine Beschlussvorlage des Ausschusses für Klimaschutz und Energie (20/2481), in der die Ablehnung empfohlen wird. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw50-de-pck-raffinerie-924560

-------

https://de.wikipedia.org/wiki/Kybernetik 

Sonntag, 13. November 2022

DONATELLO

Donatello, Donato di Niccolò di Betto Bardi ca. 1386–1466, einer der wagemutigsten Avantgardisten der Renaissance hat eine Ausstellung in der Gemäldegalerie am Matthäikirchplatz. Ein Gebäude, das innen sehr praktikabel für seinen Zweck ist, aber von außen, mit dem riesigen leeren, steinbelegten Vorplatz und den abrupt positionierten Treppen, richtig mächtig häßlich aussieht und für Menschen mit Gehschwierigkeiten auch schwer zu erreichen ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Marienbildnis

Aber drinnen. 

Donatello. Endlich einmal sieht das Jesukindlein aus wie ein Baby und nicht wie ein verkümmerter Erwachsener. ( Es ist wirklich erstaunlich auf wie vielen Marienbildnissen, das geliebte Wunderkind nahezu abstoßend aussieht.) Aber bei Donatello hat das Kleine die herrlichen Fettfalten kleiner Babies, in die ich immer am liebsten reinbeißen möchte, die Finger und Zehen sind wunderbar knubbelig und die rundlichen Gesichter drücken nur das aus, was Baby-Gesichter halt zeigen. Und ich sehe realistische Interaktionen zwischen Mutter und Kind, mal schmiegt sich das Kind an, mal will es offensichtlich etwas, was die Mama nicht will, mal nuckelt es am Daumen. Und sie reagiert in glaubhafter Art. Wer war wohl die Frau mit der herrlich geraden Nase, offensichtlich Donatellos Lieblingsmodell?


Zwei Figuren, Johannes, der Täufer als junger Mann und die zweite, der gleiche Mann, verhärmt und erschöpft nach seinem anstrengenden Arbeitsaufenthalt in der Wüste. 

Lukas 3.1: Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen. Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun? Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold.

Ein radikaler Gerechter im Fellgewand mit absoluter Gewissheit des rechten Weges, Verkünder des Kommenden und Verurteiler des Gegenwärtigen, Schrecken und Hoffnung. Greta oder Trump? Gut, Trump würde nie zugeben, dass ein anderer, grösserer ihm folgen wird. Mannoman, Trump löst bei mir wirklich üble Gewaltphantasien aus. Was ich nicht mag, aber auch nicht verhindern kann. 

Warum habe ich das Gefühl, das die aktuelle Politik, sich immer öfter auf Muster der Zeit vor der Aufklärung beruft? 

Und Donatellos Reliefs mit ihrer geringen Tiefe, aber dem überwältigenden Eindruck von 3D, auf dem höchst individuell unterscheidbare Menschen, sich drängeln, lugen, sich prügeln, sich verdrücken, von einander Abstand halten, in schon irgendwie religiöse basierten Szenen, die aber auch Reliefdarstellungen heutiger, moderner Strassenphotographie sein könnten.

Und die Büsten von Honoratioren mit Falten und Tränensäcken.