Montag, 28. Dezember 2015

Wohnungfinden in Berlin - 2

Beim Eingeben des Wortes "Wohnungfinden" hat die automatische Textkorrektur mehrmals versucht auf "Wohnungsfinanzierung" zu ändern. Hihihi!
Nur kurz: eine neue Wohnung im 20. Jahrhundert in Berlin heißt immer noch, dass die Telekom erst drei Wochen später kommt. Deutschland ist da etwas zurückgeblieben, scheint mir. Deshalb keine Posts bis (hoffentlich) zum 9. Januar. Das erste Mal in drei Jahren, dass ich so lang nicht schreibe - komisch, ungewohnt, irritierend.
Also einen guten Rutsch in dieses neue unbekannte Jahr!


Sonntag, 13. Dezember 2015

Wohnungfinden in Berlin - 1



Ich habe meine Wohnung gefunden!

Glückskind ich. Und ich weiß, dass ich zu den Glücklichen gehöre, die nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch noch wohlgestaltete Wände um sich herum haben.

Wohnungsbesichtigung, viele junge Menschen und ich - die Räume sind vollgestellt mit Möbeln, die fremd und falsch und albern sind. Aber ich stimme der Abstandssumme für doofe Zeugs zu, dass ich sicher nicht behalten werde. Denn die Maße, die Symmetrie, der Geruch stimmen. Am nächsten Morgen wird per Mail weiter gepokert, immer unter dem deckenden Mäntelchen von unverbindlichen Anfragen. Hin. Her. Ich benenne das, was gewollt wird beim Namen. Die Antwortpost ist klar und direkt. 
Bewerben. Warten. Warten. Warten. Den Zuschlag bekommen!
Dann sitzt man das erstemal in leeren weißen Räumen, leer bis auf das häßliche übernommene Mobiliar, das schnellstens entsorgt werden wird. Kleine Schönheitsfehler werden sichtbar, sie sind klein. 
Jungfräuliche Räume. Weiß, hoch, leer.
Am Montag kommen meine Sachen aus Rostock, wo ich sie vor 8 Jahren eingelagert hatte. Etwas wie ein gigantisches Weihnachtsfest des schlechten Gedächtnisses wird stattfinden. 

Der Hackesche Markt - meine neue Heimat. Er ist wahrhaft nach einem Herrn Hacke benannt, wie schön. Einen an der Hacke haben, ist dasselbe wie meschugge sein, blöde, bescheuert, eine Macke haben. 
Wiki sagt:
Das Gelände, auf dem sich der Platz heute befindet, war ursprünglich Sumpfland. Erst mit dem Abriss des Festungsgrabens ließ der Berliner Stadtkommandant Graf Hans Christoph Friedrich von Hacke um 1750 den Platz im Auftrag von Friedrich II. anlegen. Er wurde schnell als der Hackesche Markt bekannt, dennoch erfolgte erst am 23. Juli 1840 die offizielle Umbenennung.

Für den Ausbau Berlins ließ Friedrich II. 1750 die Festungsanlagen und das Spandauer Tor abreißen. Auf dem davorliegenden Sumpfgebiet wurden unter Leitung Hackes neue Häuser und Straßen gebaut, nebenbei entstand ein geräumiger Marktplatz. Zum Zeichen seiner absoluten Zufriedenheit und als Anerkennung von Hackes Diensten befahl der König, diesen Platz fortan Hackescher Markt zu nennen. Als Schmonzette wird die Errichtung dieses Platzes vor den Toren Berlins auch wie folgt erzählt: Graf Hacke war ein begeisterter Jäger, und in dieser Eigenschaft machte er die Bekanntschaft mit einem verletzten Keiler. Weil dem Jagdversessenen die Klinge seines Fangmessers abgebrochen war, konnte er das Wildschwein nicht erlegen. Als dieses auf ihn zuraste, setzte sich Hacke rücklings auf dessen Rücken und klammerte sich am Fell und am Schwanz fest. Keiler samt Reiter rasten nun durch das Unterholz und erst in der Gegend des Sumpfgebietes vor dem Spandauer Tor konnte Hacke sich von dem Tier lösen. Ohne Blessuren war er davongekommen, aber der König lachte ob dieses Jagdabenteuers Tränen. Er befahl seinem treuen Stadtkommandanten, den Platz seines Abwurfs zu entwässern und Häuser darauf bauen zu lassen. So soll der Hackesche Markt zu seinem bekannten Namen gekommen sein. Hacke wurde in der Gruft der Berliner Garnisonkirche, in unmittelbarer Nähe zum Hackeschen Markt, beigesetzt.


Auf die Kirche und den dazugehörigen Friedhof kann ich aus meinen Fenstern schauen.
Und am Eingang der Höfe ein Erinnerungschild für Jacob Hoddis, einem Mitbegründer des "Neuen Clubs", eines expressionistischen Cabarets oder Neopathetischen Cabarets:

"ICH HABE AM WANNSEE ROSEN GEPFLÜCKT
UND WEISS NICHT, WEM ICH SIE SCHENKEN SOLL"
 
JAKOB VAN HODDIS
MITBEGRÜNDER DES EXPRESSIONISTISCHEN NEUEN CLUB
AM 8. 11. 1909 IN DEN HACKESCHEN HÖFEN
DEPORTIERT UND ERMORDET VON DEN NATIONALSOZIALISTEN /
IM APRIL 1942 

Preussische und jüdische Geschichte meiner Stadt auf innigste verbunden, hier passe ich hin.

Der Hackesche Markt 1996!
https://www.youtube.com/watch?v=Vg4CNhC681M 

Erinnerungen: zu Zeiten der DDr, der Hackesche Markt war eine Ansammlung von grauen, massigen, heruntergekommenen Gebäuden. An der Ecke zur Oranienburger ein Laden für gebrauchte Kleidung, heute heißt das Second Hand Shop. Im ersten Hof ein Quergebäude, jetzt wieder in leuchtendem Blau gekachelt, damals nur noch vage erinnernd an einstige Schönheit, ein Probenstudio des Fernsehfunks der Deutschen Demokratischen Republik, ein sogenannter "Loft", riesig, kalt, feucht, verfallen. Aber um die Ecke auf der Oranienburger, ich glaube, jetzt ist dort ein Pizza-Restaurant, ein kleiner chaotischer Buchladen. Bücher gestapelt auf jeder vorhandenen Fläche, in allen Regalen, auf dem Boden, in jeder Ecke. Ein evangelischer Buchladen, die Besitzerin, Verkäuferin, Buchliebhaberin eine Frau nicht feststellbaren Alters mit ungekämmtem Haar und unmodischer Bekleidung und leuchtenden blauen Augen. Sie liebte Literatur und Theater! Und deshalb bekam ich, junge aufstrebende Schauspielerin am Deutschen Theater "Bückware, Bücher, die nicht zu haben waren und nur an Auserwählte unter dem Ladentisch mittels Bücken hervorgeholt wurde. Und so wanderte ich am Gagentag mit meiner braunen Geldtüte zu diesem Laden und verließ ihn um 100 Mark der DDR leichter und 10 bis 15 Bücher schwerer. Und viele dieser Bücher werde ich am Montag wiedersehen, nach achtjähriger Trennung. Das Ende der Diaspora.

Montag, 7. Dezember 2015

Dylan Thomas - Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben - And death shall have no dominion



Wie geht’s bei euch oben? – Gibt’s noch Rum zu trinken und Tang zu essen? – Brüste und Rotkehlchen? – Ziehharmonikas? – Ebenezers Glocke? – 
 Keilereien und Zwiebeln? – Und Spatzen und Gänseblümchen? – 
Stichlinge im Einmachglas?

Dylan Thomas Unter dem Milchwald

Selbstporträt mit fiedelndem Tod
Arnold Böcklin 1872


Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben. 

Die nackten Toten die sollen eins 

Mit dem Mann im Wind und im Westmond sein; 

Blankbeinig und bar des blanken Gebeins 

Ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht. 

Wenn sie irr werden solln sie die Wahrheit sehn, 

Wenn sie sinken ins Meer solln sie auferstehn. 

Wenn die Liebenden fallen - die Liebe fällt nicht; 
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
 
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Die da liegen in Wassergewinden im Meer

Sollen nicht sterben windig und leer;

Nicht brechen die die ans Rad man flicht,

Die sich winden in Foltern, deren Sehnen man zerrt:

Ob der Glaube auch splittert in ihrer Hand

Und ob sie das Einhorn des Bösen durchrennt,

Aller Enden zerspellt, sie zerreißen nicht;

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
 
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben. 

Keine Möwe mehr darf ins Ohr ihnen schrein 

Keine Woge laut an der Küste versprühn; 

Wo Blumen blühten darf sich keine mehr regen 

Und heben den Kopf zu des Regens Schlägen; 

Doch ob sie auch toll sind und tot wie Stein, 

Ihr Kopf wird der blühende Steinbrech sein, 

Der bricht auf in der Sonne bis die Sonne zerbricht, 

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
 
Übersetzt von Erich Fried


Dylan Thomas  
Waliser, Trinker, Poet, Liebender, Leidender, Mensch


And death shall have no dominion

And death shall have no dominion.
Dead man naked they shall be one
With the man in the wind and the west moon;
When their bones are picked clean and the clean bones gone,
They shall have stars at elbow and foot;
Though they go mad they shall be sane,
Though they sink through the sea they shall rise again;
Though lovers be lost love shall not;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
Under the windings of the sea
They lying long shall not die windily;
Twisting on racks when sinews give way,
Strapped to a wheel, yet they shall not break;
Faith in their hands shall snap in two,
And the unicorn evils run them through;
Split all ends up they shan't crack;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
No more may gulls cry at their ears
Or waves break loud on the seashores;
Where blew a flower may a flower no more
Lift its head to the blows of the rain;
Though they be mad and dead as nails,
Heads of the characters hammer through daisies;
Break in the sun till the sun breaks down,
And death shall have no dominion. 


Selbstseher - Tod und Mann II
Egon Schiele 1911

Sonntag, 6. Dezember 2015

Macbeth, der Film, ein Gefühlsporno.


Aus einem Töl­pel­mund, voll von Getön
Und Toben, und bedeu­tet nichts.


Justin Kurzel, ein Name, den ich mir merken muß, damit ich seine künftig Filme meiden kann.

Macbeth, Engländer nennen es abergläubisch nur das "Schottische Stück", verfilmt mit Michael Fassbender und Marion Cotillard in den Hauptrollen. Tolle Spieler, tolles Stück, grässlicher Film. 
Es wabert Nebel auf harschen Moorlandschaften über die kalte Winde wehen. Blasse Blautöne, harte Kontraste, Ausstattungsüberangebot, schwarzrotes Blut literweise. 
M. aka Fassbender mit Bart und ungekämmt und Lady M. bartlos und gut frisiert, beide in schwarzem Sackleinen, begraben ihr Kind. Sie blicken sich tief in die Augen, sie atmen schwer, sie sprechen nicht miteinander, sie raunen. Mit angehauchter Stimme läßt sich alles irgendwie bedeutend sagen. Sie behaupten tiefe Gefühle und unaussprechliche Gedanken. Ich bin nach dem dritten Kurzschlaf gegangen. 
Die vollständige Entpolitisierung eines Stückes über die Angst- und Lustgefühle, die die Möglichkeit von Macht erregt, reduziert die Darsteller auf Emotionsproduktionsmaschinen. Selbst wirklich guten Schauspielern bleibt nichts als zu pumpen. Und auch die siebzehnte Näher-als-Nahaufnahme kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier um nichts, als Gefühlspornographie handelt.

Bärtige Männer, die grimmig schauen, nennt es Die Zeit;
Justin Kurzels „Macbeth“-Verfilmung inszeniert Shakespeare light für Feinde des Theaters, sagt die FAZ.



Isuzu Yamada als Lady Macbeth

Noch heute, dreissig Jahre nachdem ich ihn im OTL, später Kino Camera, heute Teil der Tacheless-Ruine, gesehen habe, erinnere ich mich an Toshiro Mifune, ein Tier von einem Mann, der während seine trippelnde Geisha-Ehefrau ihn an- oder auskleidete und unablässig zart auf ihn einredete, zu einer großen Pfütze von Hingabe zerfloß. 

Warum dieses verunglückte Ding in Venedig preisgekrönt wurde, ist mir ein Rätsel.

MACBETH:
Und mor­gen und dann mor­gen und dann morgen,
So kriecht’s im Schlei­che­schritt von Tag zu Tag
Zur letz­ten Silbe hin im Lebensbuch;
Und alles Ges­tern hat nur Narrn geleuchtet
Beim Gang zu Dreck und Tod. Aus, aus klein Herzlein!
Lebens ist nur ein Wanderschattenschauspiel;
Ein armer Komö­di­ant, der seine Zeit
Abstolzt und abschnauft auf der Bühne und
Nie mehr gehört wird dann; ist eine Mär
Aus einem Töl­pel­mund, voll von Getön
Und Toben, und bedeu­tet nichts.

Über­set­zt Frank Günther

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Wirre Gedanken über Freiheit




Europa und Nordamerika, wir, haben Angst vor dem Terror fundamentalistischer Moslems. Mit Recht. Und aus dieser Angst heraus fällen wir
Entscheidungen, wobei "wir" eine sehr widersprüchliche Gruppe von Interessen und Absichten ist. Mein Gefühl und mein Kopf sagen mir, dass "wir" uns hier auf sehr dünnem Eis bewegen. 

1793 begannen die Pariser folgende Worte auf ihre Hausfassaden zu schreiben: "Einheit, Unteilbarkeit der Republik; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder der Tod" - so lese ich es bei Wiki. Der Nachsatz über den Preis, den die Aufständischen für die ersehnten Ziele zu bezahlen bereit waren, fehlt meistens. Ist aber der Punkt an dem der Hund begraben wurde.

Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit, sagte Louis de Saint-Just vor dem Revolutionstribunal.

Und - Die Freiheit muss durch Gewalt begründet werden, und es ist jetzt der Augenblick gekommen, da man den vorübergehenden Despotismus der Freiheit einrichten muss, um den Despotismus der Könige zu vernichten.
verkündete Marat vor den Wohlfahrts­ausschuss am 6. April 1793


Ersetzen wir Könige mit Terroristen, klingt der Satz ganz heutig. Die USA hat seit 2001 den Patriot Act - USA PATRIOT Act steht als Apronym für Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act of 2001, deutsch etwa: „Gesetz zur Einigung und Stärkung Amerikas durch Bereitstellung geeigneter Instrumente, um Terrorismus aufzuhalten und zu blockieren".

Was werden wir haben? Welchen Preis werden wir bezahlen? Und wollen wir das, was wir dafür bekommen? Gibt es eine Alternative?

DIE FREIHEIT FÜHRT DAS VOLK 
Eugène Delacroix 1830

Die Freiheit führt das Volk - über Leichen. Wohin? Freiheit, dieses großartige, schwammige, auslegbare, ausbeutbare Wort, ist simpel definiert, die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können (Wiki). Aber wenn Zwang dazukommt? Wenn Angst eine Hauptrolle spielt? Wenn ökonomische Vorteile einbezogen werden? Wenn unsere Möglichkeit frei zu leben, auch bezahlt wurde von den Vorfahren dieser unserer heutigen Feinde? 

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Der Terror wird die Republik nicht besiegen. Die Republik wird den Terror besiegen. Frankreichs Präsident Hollande in Versailles im November 2015

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Übrigens Deutschlands Rüstungsindustrie verkauft auch jetzt noch mit staatlicher Genehmigung Waffen an Saudi Arabien.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article142972724/An-diese-Staaten-liefert-Deutschland-Kriegswaffen.html 

http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-07/islamischer-staat-gotteskrieger-finanzierung-syrien-irak 
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Wie sich die Bilder gleichen.
Kiew Maidan
Efrem Lukatsky / Associated Press
 
Nach der Anschlagsserie von Paris hat die französische Regierung den Ausnahmezustand verhängt – eine höchst seltene Maßnahme. Vorgesehen ist der Ausnahmezustand laut Gesetz entweder "für den Fall unmittelbarer Gefahr durch schwere Gefährdungen der öffentlichen Ordnung" oder "für den Fall von Ereignissen, die durch ihre Art und ihre Schwere den Charakter einer öffentlichen Katastrophe darstellen".

Der Staat kann Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und die Einrichtung spezieller Sicherheitszonen errichten; Staatspräsident François Hollande verhängte nach den Anschlägen die Schließung der Landesgrenzen.

Der Ausnahmezustand ermöglicht zudem Ausgangssperren, Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss und Hausarrest für Menschen, deren "Aktivität" als "gefährlich für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung" angesehen wird. Außerdem können die Behörden Versammlungsverbote verhängen und Konzertsäle sowie Kinos schließen lassen. Der Ausnahmezustand kann zunächst für höchstens zwölf Tage verhängt werden – eine Verlängerung darüber hinaus muss per Gesetz gebilligt werden.


Die Welt vom 14.11.2015 


Heiner Müller ZEMENT

DASCHA 
Viel kann geschehn, Gleb, in drei Jahren
Viel ist geschehn. Kalt war der Weg durchs Feuer.
Kennst du mein Leben. Arbeit. Das Komitee
Ausschüsse. Wir organisieren die Frauen. Das Heim
Haben wir abgeschüttelt, unser Joch
Und Bräute wird es nicht mehr geben. Reiß
Die Wände auch ein, wenn du schon dabei bist
Ich wein den Trümmern keine Träne nach.
Mein Heim ist das Exekutivkomitee, meine Arbeit.
Mein Essen eß ich dort in der Kantine
Wasser und Rüben. Willst du mehr. Lern hungern.
Wer für die Revolution nicht hungern will
Soll auch nicht essen. Satt ist die Bourgeoisie.
Von unserm Hunger. Wann werden wir sie schröpfen.
Der Herd ist kalt, ja. Wir haben ei-
ne Holzkrise, Genosse Tschumalow.
Nimm das zur Kenntnis. Wenn du frierst, heiz dich
Mit Arbeit. Daran ist kein Mangel, Kampf auch
Banditen in den Bergen, Sabotage
In den Büros, ein Sumpf die Korruption.
Hast du noch Tränen, Krieger, für dein Heim.
Fremd bin ich dir. Kannst du die Zeit zurückdrehn
Kann ichs. Wenn ich es wollte. Und ich wills nicht.
Soll ich begraben im Familienbett
Ersticken unter dir auf einem Laken
Was mir so teuer ist, weil es so viel
Gekostet hat, Tränen Schweiß Blut: meine Freiheit.
Merk dir, Genosse, wenn einer hier mein
Besitzer ist, bin ich das.


Samstag, 28. November 2015

Wohnungssuche in Berlin - 2

Irrsinn. 

Die letzten Wochenenden bin ich im wilden Zickzack durch Berlin gerast und habe mir mögliche Wohnungen angesehen, während der Woche haben das gute, beste, großartige Freunde für mich getan. So lernt man seine Stadt nocheinmal ganz anders kennen und dabei waren es doch nur Domizile in fünf zentralen Stadtbezirken, in Mitte, Prenzlauer Berg, Wedding, Moabit, Charlottenburg.

Makler sind wie Fürsten. Ist eine Wohnung gut geschnitten, bezahlbar und befindet sich nicht in weit außerhalb gelegenen Stadtbezirken, die ihre Zugehörigkeit zu Berlin, für mich als Sprößling von Berlins Mitte, nur behaupten, nicht beweisen können, ist sie ihre Quadratmeterzahl in schwerem Gold wert. Noch vor zehn Jahren hätten solche "Nettokaltmieten" Lachkrämpfe ausgelöst, heute werden sie mit dankbarem Lächeln und Knicks entgegengenommen.


Sie benötigen Schufa-Auskunft, Mitschuldenfreiheitsbescheinigung, Bonitätsversicherung, Selbstauskunft, Ausweiskopie, Steuererklärungen. Haben sie Kredite, Ratenzahlungen, gegen sie laufende Verfahren? - mein finanzielles Leben in einhundert Schriftstücken. Kinderkrankheiten, Sexualpartner, Nasenlänge - nichts bleibt unbefragt. Ich wußte bis vor kurzem nicht einmal was Bonität ist! Bonität (von lateinisch bonitas, „Vortrefflichkeit“) oder Kreditwürdigkeit ist in der Finanzwirtschaft die Fähigkeit einer natürlichen Person oder von Unternehmen oder Staaten, die aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen (wirtschaftliche Rückzahlungsfähigkeit) und die Bereitschaft, diese zurückzuzahlen (Zahlungswilligkeit). So beschreibt es Wiki. 

Bon! Französisch für gut. Bon appetit! Bon voyage! Eine Gutsein-Bestätigung. Ich bin gut. Ich habe was was gut. Ich bin für etwas gut. Guthaben. Gutschein. Gut. Gut.

Irrsinn

Wir arbeiten, wir verdienen, mal gut, mal schlecht, mal nix. Wir sind nicht bonitätsfähig. Dass Freischaffende überhaupt wohnen, ist ein Wunder!


Sonntag, 22. November 2015

Bösewichte - Gott ist nicht glaubhaft

Dies sei vorrausgeschickt. Ich bin Atheist. Es hat mich viel Nachdenken gekostet, dies so klar und eindeutig sagen zu können, ohne bequemen Hintertüren, kein "falls doch", keine vorgeschobenen, absichernden Ausreden. Ich bin Atheist.

Ich bin auch friedliebend.

Kurz bevor mein Vater starb, sagte er: "Ich wäre jetzt fertig, kann ich aufhören?" 

Meine Entgöttlichung begann, als ich, sechzehnjährig, enttäuscht vom offensichtlich verkommenen sozialistischen Experiment, auf der Suche nach einer neuen, besseren spirituellen Heimat, den katholischen Pfarrer einer ostdeutschen Kleinstadt, über meine Optionen im Todesfall befragte und er mir vom Limbus erzählte.

Wiki definiert ihn so: Limbus (lat. für ‚Rand‘, ‚Saum‘, ‚Umgrenzung‘) bezeichnet in der katholischen Theologie zwei Orte am Rande der Hölle (auch als Vorhölle, Vorraum oder äußerster Kreis der Hölle bezeichnet), an dem sich Seelen aufhalten, die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossen sind.

Ein ernsthafter, freundlicher Herr mittleren Alters beschrieb, ernsthaft und ungerührt, dass ungetaufte Babies in eben diese Vorhölle kämen, da sie nicht das Sakrament der Taufe erhalten hätten. Babies? Die unschuldigsten möglichen menschlichen Wesen? Ich war empört. Erbsünde ist böser Quatsch und unverschämt. Wie kann ich schuldig sein, bevor ich denken kann? Wieso bin ich verurteilt, weil irgendeine längst verstorbene Eva einen Apfel oder sonst irgendeine Fucht gegessen hat, die ich, als Baby ohne Zähne, angewiesen auf Muttermilch, noch nicht einmal kauen könnte?

Ein Gedankenexperiment. Du bist der Vater/die Mutter und stellst dein Kind vor folgendes unlösbares Paradox: Du darfst alles tun, was du magst, nur nicht die Früchte dieses einen Baumes essen. Jeder billige dämliche Erziehungsratgeber könnte dir erklären, dass Du das Kind damit zum Apfelessen geradezu verpflichtest. Die Strafe ist das Ziel?

Noch ein Gedankenspiel: Gott erschafft das Universum, Galaxien, Milchstraßen, Sonnensysteme, Wasser, Luft, Erde, Pflanzen und alle Lebewesen - eine unvorstellbare grandiose Arbeit - er ist fähig eine so ungeheure Realität zu erschaffen - und was tut er dann? Er verlangt Dankbarkeit. Am Freitag sollst du Fisch essen. Du sollst dreimal am Tag gen Mekka beten. Du sollst Milchiges nicht mit Fleischigem mischen. Und wenn du meinen Wünschen nicht folgst, mich also nicht liebst, dann strafe ich dich. ER ist in der Lage das Universum zu erschaffen und benötigt unsere Unterwerfung?

Wieder Wiki: Das Wort Glaube (auch Glauben; indogermanisch leubh ‚begehren‘, ‚lieb haben‘, ‚für lieb erklären‘, ‚gutheißen‘, ‚loben‘) bezeichnet hier eine Grundhaltung des Vertrauens, v. a. im Kontext religiöser Überzeugungen.


Zeigt mir einen Gott, der das Leben bejaht, der uns das Begehren geschenkt hat, auf das wir es erfüllen, der besser lieben kann, als wir es können, nämlich ohne Bedingungen und ich werde gläubig, begehrend, lieb habend sein. Aber bis dahin bestehe ich auf meine Einmaligkeit, meine Sterblichkeit, meine Ungläubigkeit.

Sonntag, 15. November 2015

Bösewichte - Ratlosigkeit

Als sie ins Tal der Ameisen kamen, sagte eine Ameise: "O ihr Ameisen! Geht in eure Wohnungen, sonst zertreten euch Salomo und seine Streiter, ohne es zu merken.
Koran Sure 27/18 

128 Menschen sind bei den Anschlägen in Paris getötet worden. 
Viele Schwerverletzte befinden sich noch in Lebensgefahr.

Andere Anschläge, in Ländern, die weiter entfernt von uns liegen, werden weit weniger bestürzt aufgenommen, oder?

Unvollständige Liste von Terroranschlägen - 1925 bis Heute 

Heute von allen Tagen bin ich ins Kino gegangen und habe mir "Spectre", den neuen James Bond angesehen. Was für eine einfache Welt, der Bösewicht ist ein psychotischer Soziopath und hat ein Kindheitstrauma - voila, alles klar. Wilde Schießerei, Bösewicht besiegt, Problem gelöst.
  
Aber wie kann ich begreifen, dass Menschen in einen Musikclub, ein Fußballstadion, ein Restaurant gehen und dort andere Menschen, die sie nicht kennen, erschießen? 
Sie auslöschen. Sie ermorden. Sie niedermetzeln.

Immer wieder wird in den Augenzeugenberichten von der Ruhe der Angreifer gesprochen. 

Es ist mir wirklich zutiefst egal, was jemand glaubt, um mit der Welt klarzukommen. 

Aber wie kommt ein Mensch an einen Punkt, an dem er meint, dass das was er glaubt, so unbezweifelbar, so absolut sicher, unbestreitbar richtig und dadurch unvereinbar mit jeder anderen möglichen Vorstellung von Welt ist, dass er, um diesem seinem Glauben Herrschaft zu verschaffen, bereit ist zu töten und zu sterben? 

Ist da solch große Angst vor der Welt, die wahrhaftig nicht leicht zu ertragen ist, dass eigenes Denken, Gewissen, Zweifel dankbar gegen ein schützendes Regelwerk von Richtig & Falsch eingetauscht werden?

Ist die Hoffnungslosigkeit so vollständig, dass nur der Glauben dieses schwarze Loch füllen kann?

Fühlt es sich so gut an, sich im Besitz der einzigen Wahrheit zu wissen?

(Historische, soziale, ökonomische Faktoren seien, nur hier und heute, einmal mitgedacht, aber nicht formuliert.)

Und wie werden wir uns verändern durch Angst?

Heute morgen in der S-Bahn erwischte ich mich dabei, wie ich einen jungen Mann, der so semitisch aussah, wie ich es auch täte, hätte sich nicht mein blauäugig-blonder Vater durchgesetzt, anstarrte. Er grinste in den Bildschirm seines iPhones und ich dachte: "Freut er sich über die Toten, über die Panik?" Was für ein Dreck. Paranoia pur. Wahrscheinlich hat er blöde Katzenvideos geguckt. 

Im Kino heute Abend - der Gedanke, auch hier könnten plötzlich Männer in Schwarz eindringen und ...

Als ich nach 9/11 das erste Mal wieder in die USA einreiste, hat mich der barsche Ton, das professionelle Mißtrauen, die latente Unterstellung von Verdacht erschrocken und abgestoßen. Wird das jetzt hier in Europa auch so?

Ich will das nicht.


Einschusslöcher im Cafe Carillon in Paris

 

Dienstag, 10. November 2015

Emily Dickinson - Glory - Ruhm


'Twas my one Glory -
Let it be
Remembered
I was owned of thee -

  
 
Es war mein einziger Ruhm -
Laß es
Erinnert sein
Daß ich war Dein -  

Wohnungssuche in Berlin - 1

Wohnungssuche in Berlin, und die damit verbundenen Wohnungsbesichtigungen, ist ein abenteuerliches und aufregendes Unterfangen. Immobilienscout24 und ich sind praktisch verlobt und eine reizende Maklerin kümmert sich auch. Keine leichte Aufgabe für sie, wenn der Suchende, sprich ich, nur ganz selten in der Stadt weilt. Berliner Wohnungen sind heiße Ware, heute im Angebot, morgen vergeben. 
Nummer eins war Mist, vier Etagen ohne Fahrstuhl für einen mittelalten Raucher, schmiedeeiserne Horror-Details und eine völlig verkorkste Raumstruktur. Nummer zwei war viel besser, mit dem schönsten vorstellbaren Bad, in dem auch der Stuhl für den Gesprächspartner Platz hätte, aber leider drei Räume gleicher Größe. Und ich will halt zwei Zimmer, ein großes und ein kleines. Nummer drei war öde, über Nummer vier will ich hier berichten.

Kaum 100 Meter Luftlinie von meinem jetzigen Wohnort entfernt, habe ich einer der vielen Berliner Parallelwelten kennengelernt.

In der Chausseestrasse - Eine ehemalige Fabrik, in der einst Aufzüge hergestellt wurden - Wiki schreibt:
Hinter den Neubauten der Chausseestraße 33, 34 und 35 (ursprüngliche Nummer 23) gegenüber der Habersaathstraße befinden sich die denkmalgeschützten Fabrikgebäude von Sigl und Flohr, die 2010 und 2011 zu Eigentumswohnungen umgebaut wurden. Die 1844 errichteten Fabrikgebäude dienten G. Sigl zur Herstellung von Druckereimaschinen. 1887 kauften Theodor Lissmann und Carl Flohr die Fabrikgebäude von Sigls Erben und zogen im April 1888 mit ihrer Maschinenfabrik von der Großen Frankfurter Straße in die Chausseestraße 28b (später Nummer 35). Um 1890 übernahm Carl Flohr den Betrieb als alleiniger Inhaber, ließ ihn zwischen 1900 und 1908 baulich erweitern und in der Fabrik Fahrstühle und Paternosteraufzüge herstellen. Im Jahr 1951 fusionierte die Firma Carl Flohr mit der New Yorker Fahrstuhlfirma Otis zur deutschen Flohr-Otis GmbH und nahm ihren Sitz in Reinickendorf. Das Werk an der Chausseestraße wurde dagegen als VEB Aufzug- und Fahrtreppenbau weiterbetrieben, bis es 20 Jahre nach der Wende im Jahr 2009 vom Eigentümer Otis verkauft wurde. Wie andere Grundstücksnummern in der Straße wurde auch die oben erwähnte Nummer 23 aus dem Jahr 1850 bis 1907 mehrere Male verändert, und trägt seither die Nummer 35. Vor der Nummer 33 steht eine denkmalgeschützte Wasserpumpe. Sie wurde um 1895 aufgestellt, hauptsächlich um die vielen Pferde der damaligen Zeit zu tränken. Als Berlin in Trümmern lag, standen an dieser und allen anderen handpumpen 1945–1948 Menschen nach sauberem Trinkwasser mit Eimern Schlage. Während des Gebäudeneubaus Chausseestraße 33–35 wurde sie eingelagert. Nach der Wiederaufstellung hatte sie ihren Pumpenarm auf der anderen Seite.

Das Gelände hat ein elektronisches Eingangstor und mehrere große Hinterhöfe eingerahmt von schöner klarer Industriearchitektur. Auf dem dritten Hinterhof, ein Eingang, ein Aufzug, ein 150 Meter langer Gang mit rotem Mittelteppich. Ich fühle mich wie in einem Bürogebäude, einer riesigen Arztpraxis, einem gesichtslosen Hotel. Gerade, rechts abbiegen, dann links, dann wieder geradeaus. Tür folgt auf Tür auf Tür. Wo versteckt sich Franz Kafka? 
Unser Gastgeber, der der die Wohnung jetzt bewohnt, sagt, dass die Bewohnerfluktuation stark sei. Wie im Hotel halt? Die Wohnung selbst ist von vollkommener Eigenschaftslosigkeit. Alles ist schick, alles fein, nichts persönlich, nichts eigenartig.
Die Einrichtung passt perfekt - gehobenes IKEA in ungebrochener Herrschaft, kein Buch weit und breit, aber hier ein Wasserfleck und dort ein Riß in der Wand. Ich habe Atembeschwerden bekommen und bin höflichst lächelnd geflohen. 
Und nun stelle ich mir die grob umrissene Biographie der Bewohner dieses Wohnsilos vor: Herr oder Frau x kommt aus der deutschen Provinz nach Berlin für einen guten Job, die Höhe der Miete verlangt ein mittelgutes Einkommen, Herr oder Frau x ist jung, so zwischen fünfundzwanzig und dreissig, ungebunden, single. Herr oder Frau x wird hart arbeiten und ebenso hart feiern, die Wohnung ist Schlafort, Ablage für Kleidung und Dinge, Ein Zwischenstopp. Eine Bushaltestelle. Der junge Mann, der jetzt dort haust, zieht zu seiner Freundin. Er wird zu einer Hälfte eines Paares. Zwei Photos waren alles, was ich als seine persönlichen Dinge erkennen konnte. Was nicht heißt, dass nicht ein weites, überraschendes Leben in den häßlichen weißen Anbauschränken versteckt war. 

Arbeiterschließfächer oder gröber Fickzellen wurden Neubauwohnungen in der DDR genannt. Berliner Juppies (yuppie =young urban professional) bewohnen, in höchster Individualität, ebensolche.

Ein Kapsel-Hotel (capsule hotel) in Osake, Japan.

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http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09011296

An der Chausseestraße 35 gehören die Fabrikgebäude der Maschinenfabrik Carl Flohr zu den letzten Zeugnissen des Maschinenbauviertels nördlich der Invalidenstraße. Die 1844 von Georg Sigl gegründete Maschinenbauanstalt, in der 1851 die erste Steindruckschnellpresse hergestellt worden war, wurde 1887 vom Maschinenbaufabrikanten und Ingenieur Carl Flohr übernommen. Die Um- und Erweiterungsbauten der Fabrik in der Zeit zwischen 1844 und 1908 veranschaulichen der wirtschaftlichen Entwicklung der Firmen Sigl und Flohr, die ihre Produktionsstätten beständig vergrößerten. 1857 ließ sich Sigl ein zweigeschossiges Wohnhaus an der Chausseestraße errichten, von denen nur noch Keller- und Erdgeschoss erhalten sind. Die Fabrikanlage auf dem hinteren Teil des Grundstückes gruppiert sich um zwei Höfe. Während die ursprünglich ein- bis zweigeschossigen Gebäude von 1844, die später aufgestockt wurden, eine sparsame schmucklose Ziegelarchitektur aufweisen, sind die weitgehend in Pfeiler und große Fensterflächen aufgelösten Fassaden der Erweiterungsbauten um 1900 von der zeitgenössischen modernen Industriearchitektur geprägt.