Samstag, 6. November 2010

Jakob Michael Reinhold Lenz



Wo bist du itzt, mein unvergeßlich Mädchen,
Wo singst du itzt?
Wo lacht die Flur, wo triumfirt das Städtchen,
Das dich besitzt?

Seit du entfernt, will keine Sonne scheinen,
Und es vereint
Der Himmel sich, dir zärtlich nachzuweinen,
Mit deinem Freund.

All unsre Lust ist fort mit dir gezogen,
Still überall
Ist Wald und Feld. Dir nach ist sie geflogen
Die Nachtigall.

O komm zurück! Schon rufen Hirt und Heerden
Dich bang herbei.
Komm bald zurück! Sonst wird es Winter werden
Im Monat Mai.

Der Hase im Rausch


DER HASE IM RAUSCH

Der Igel hatte einst zu seinem Wiegenfeste
Den Hasen auch im Kreise seiner Gäste,
Und er bewirtete sie alle auf das Beste.
Vielleicht ist auch sein Namenstag gewesen,
denn die Bewirtung was besonders auserlesen.
Und gradezu in Strömen floß der Wein,
Die Nachbarn gossen ihn sich gegenseitig ein.
So kam es denn, daß Meister Lampe
Bald zu schielen anfing – er verlor den Halt.
Er konnte nur mit Mühe sich erheben
Und sprach die Absicht aus,
Sich heimwärts zu begeben.
Der Igel war ein sehr besorgter Wirt
und fürchtete, daß sich sein Gast verirrt.
“Wo willst du hin mit einem solchen Affen?
Du wirst den Weg nach Hause
nicht mehr schaffen.
Und ganz allein im Wald
dem Tod entgegen gehen.
Denn einen Löwen, wild,
hat jüngst man dort gesehen.”
Dem Hasen schwoll der Kamm,
Er brüllt in seinem Tran:
“Was kann der Löwe mir?
Bin ich sein Untertan?
Es könnte schließlich sein, dass ich ihn selbst verschlinge.
Den Löwen her, ich ford’re ihn vor die Klinge!
Ihr werdet sehn wie ich den Schelm vertreibe,
Die sieben Häute, Stück für Stück,
zieh ich ihm ab von seinem Leibe
Und schicke ihn dann nackt
Nach Afrika zurück!”
Und so verließ der Hase also bald
Das fröhlich laute Fest,
Und er begann im Wald
Von einem Stamm zum anderen zu schwanken
Und brüllt dabei die kühnlichsten Gedanken
Laut in die dunkle Nacht hinaus:
“Den Löwen werde ich zerzausen,
Wir sahn in dem Wald
schon ganz andre Tiere hausen
Und machten ihnen doch
Den blutigen Garaus!”
Infolge des geräuschvollen Gezeters
Und des Gebrülls des trunk’nen Schwerenöters,
Der sich mit Mühe durch das Dickicht schlug,
Fuhr unser Löwe auf mit einem derben Fluch
Und packt den Hasen grob am Kragen:
“Du Strohkopf, willst es also wagen,
Mich zu belästigen mit dem Gebrüll? -
Doch warte mal, halt still!
Du scheinst mir ja nach Alkohol zu stinken!
Mit welchem Zeug gelang es dir,
Dich derart sinnlos zu betrinken?”
Sofort verflog der Rausch dem kleinen Tier,
Es suchte rasch, sich irgendwie zu retten:
“Sie, wir, nein ich…
Oh, wenn Sie Einsicht hätten -
Ich war auf einem Fest
Und trank viel Alkohol…
Doch immer nur auf Euer Gnaden Wohl!
Und Eurer guten Frau und Eurer lieben Kleinen!
Das wäre doch, so wollte es mir scheinen,
Ein trift’ger Grund, sich maßlos zu besaufen!”
Der Löwe ging ins Garn
Und ließ den Hasen laufen.
Der Löwe war dem Schnaps abhold
Und haßte jeden Trunkenbold.
Jedoch betörte ihn,
Wie dem auch sei,
Des Hasen Speichelleckerei.

Warum Spielen

Thomas Brasch


WARUM SPIELEN

Um diese Frage überflüssig zu machen/um eine Gegenwelt herzustellen/um die Träume von Angst und Hoffnung vorzuführen einer Gesellschaft, die traumlos an ihrem Untergang arbeitet/ um die Toten nicht in Ruhe zu lassen/ um die lebendigen nicht in Ruhe zu lassen/ um Wurzeln zu schlagen/um Wurzeln auszureißen/um Geld zu verdienen/um ein Lebenszeichen zu geben/um einen Tod anzuzeigen/um eine Erfindung zu machen/um nicht arbeiten gehen zu müssen/um Arbeit zu haben/um den tiefen Schlaf einer erschöpften Gesellschaft mit Fratzen zu erschrecken/um nicht einzuschlafen/um nicht aufzuwachen/um das Vergessene zu töten/um nicht allein zu sein/um eine Zeremonie aufzuführen in einer Zeit ohne Zeremonien/um keine Verantwortung zu haben/um auszulöschen, was ICH genannt wird/um zusehen zu können/um den Pathos solcher Antworten zu entgehen/um die Rollen zu wechseln/um Lügen zu verbreiten/um vom Blick einer erfüllten Liebe gestreift zu werden und vom Blick der Wut/um den Kapitän wieder einmal endgültig am den Mast zu nageln/um einer Frau unter einem Vorwand und ohne Folgen an die Wäsche greifen zu können/um herauszufinden, wer das Kind erschossen hat, das schrie: Der Kaiser ist nackt/um zu schreien: der Kaiser ist ja nackt/um nicht reden zu müssen/um nicht schweigen zu dürfen/um die Regeln der Schwerkraft außer Kraft zu setzen/um aus der Welt ein Theater zu machen aus Stein, Holz, und Gittern/um drinnen und draußen zu sein zu gleicher Zeit/um einen Umweg zu finden/um Täter und Opfer zu sein zu gleicher Zeit/um Mann und Frau zu sein zu gleicher Zeit/um in diesem endlosen Vorkrieg nicht zu ersticken/um über einen Sterbenden lachen zu können/um die Geister zu bannen, vor den Türen und unter dem Tisch: Hilfe, ich lebe/um diese krachende Stille nicht aushalten zu müssen/um herauszufinden, wie lange einer ausgehalten wird von Leuten, die sich genauso wenig für ihn interessieren wie für sich selbst/um nicht angestellt zu sein/um vergessen zu werden/um die Frage überflüssig zu machen: Warum spielen/um zu spielen/

Banksy 2

Banksy 1

Puntila


Die zwei Seelen des Herrn auf Puntila oder Der Regen fällt immer nach unten

Ein Traum. In einer kleinen finnischen Landgemeinde leben alle Menschen glücklich miteinander. Herren und Knechte, Mägde und Damen. Sie leben schon lang so. Und es ist gut so wie es ist.
Die Natur ist immer um sie, aber auch in ihnen. Sie ist ein Teil von ihnen, wie ihre Arme, Beine und die Brüste der Mädchen. Es wird viel und genüßlich gevögelt. Im Wald, im Stall, in der Sauna und auf den Wiesen. Das kostet nix. Außer, wenn Kinder kommen, aber darüber denken sie später nach. Natürlich vögeln die feinen Damen nicht soviel, sie hätten ja was zu verlieren. Die Natur macht aber leider auch viel Arbeit. Manchen von ihnen mehr als anderen. Der Herr Puntila zum Beispiel hat neunzig Kühe. Das Kuhmädchen melkt zweimal täglich Kühe. Sie hat ein Fahrrad.
Sie erzählen alle gern Geschichten. Die, die arbeiten müssen, erzählen abends am Fluss und die anderen einfach den ganzen Tag lang. Sie erzählen besonders gern sehr lange Geschichten, mit Pointen, wie langsam brennende Lunten. Die zünden etwas später.
Sie sind, wie man so schön sagt ein kindliches Völkchen, treuherzig, arglos. Naiv. Wenn man ihnen böse wollte, könnte man sie auch einfältig nennen.
Der König dieser wundersamen Gegend ist der Herr auf Puntila, Johannes. Mit seinem Namenspatron, dem Täufer, teilt er die Vorliebe für Flüssigkeiten. Bei dem einen ist es das Wasser des Jordan, beim andern das Wasser des Lebens, aqua vitae, Aquavit. Er könnte ein wunderbarer harter, grausamer König sein. Aber seine Vorliebe ist auch seine Schwäche, betrunken wird er beinahe gut, fast ein Mensch. Ganz schlecht für einen König, der erfolgreich seien will. Übrigens, auch er liebt die Natur, besonders, wenn sie ihm gehört. Er selbst nennt seine Nüchternheit, seine Krankheit. Sie „überkommt“ ihn anfallsartig und muss mit Aquavit bekämpft werden. Erstaunlicherweise richtet der betrunkene, also gute Puntila weit mehr Unheil an, als der nüchterne, böse. Die, die er sonst, wie es sich in dieser Welt gehört, für seinen Gewinn ausbeutet, benutzt er betrunken für seine Sucht nach Vergnügen. Es bleibt die gleiche gute alte Ausbeutung. („Wenn er nüchtern ist prüft er die Arbeitskraft seiner Knechte, wenn besoffen, prüft er ihre Eignung sein Vergnügen zu teilen.“) Wenn auch gefährdet, verliert Puntila seinen Vorteil doch nie ganz aus den getrübten Augen. Gottseidank ist das so, sonst wäre er nämlich sehr schnell ein verarmter König. Aber manchmal - ist nicht nur betrunken, sondern trunken. Dann ist er zum Verlieben herrlich, und also besonders gefährlich.
Und der König hat auch eine Tochter, die trinkt auch ganz gern und hat auch eine Schwäche, sie langweilt sich schnell.
Alle Bewohner sind, mit dieser Welt wie sie ist, einverstanden. Selbst der rote Surkalla scheint nur ein kinderreicher, sozialdemokratischer lieber und gewohnter Störenfried zu sein.
Dann erscheint ein Mann.
Ein Mann der Technik, des Automobils, der Traktoren, der neuen Zeit. Er kommt viel herum. Immer wieder wird er verjagt, oder modern formuliert gekündigt. Er ist eigentlich ein Opportunist, er würde halt gern mal eine Stellung behalten. Aber wie der Herr von Puntila, ist auch er ein kranker Mann, auch er hat Anfälle. Anfalle von plötzlicher völliger Ehrlichkeit. Er kämpft dagegen an. Er spricht in Gleichnissen. Er versucht es mit Ironie, dass ist modern, aber hilft nicht immer. Die Wahrheitsliebe überwältigt ihn immer wieder. Ein Jesus wider willen.
Der König und der Mann treffen aufeinander, notwendigerweise. Es gäbe den Herren nicht ohne den Knecht und wohl auch umgekehrt.
Ein Zweikampf von homerischem Ausmaß entbrennt. Hier geht es ums Ganze. Der betrunkene Puntila eröffnet den Kampf mit Charme und Freundschaftsangeboten. Matti hält mit standhafter Ironie und vorsichtigem Ausweichen dagegen. Die Angriffe werden massiver, die Existenz anderer Menschen wird aufs Spiel gesetzt. Anfälle von Nüchternheit und Ehrlichkeit auf beiden Seiten der Front. Dazwischen immer wieder die vier Friedensengel mit Brust und Hintern. Liebesfähig, aber gar nicht niedlich, in Harmonie mit sich. Die Tochter wird als ultimate Vernichtungswaffe, als Sexbombe sozusagen ins Spiel gebracht und gerade noch entschärft oder besser sie zieht sich aus den Kampfhandlungen verwundet, aber überlebend zurück. Das ganze Land, die Natur selbst werden in den Endkampf geworfen. Matti muß sich schlußendlich geschlagen geben und in die Arbeitslosigkeit verschwinden.  Der König bleibt einsam und geht nach einem Autounfall, bei dem er in einen flachen See fährt, nur mit dem Kopf aus dem Wasser schauend einschläft und am nächsten Morgen vom ganzen Dorf mit Gelächter geweckt wird, zu den Anonymen Alkoholikern. Die Tochter heiratet den Attaché und gerät dann nach ihrer Mutter, die Schmuggleremma wird ebenfalls fett, das Apothekerfräulein verwechselt einmal mehr die Rezepte und wird wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Jahren Kerker verurteilt. Das Kuhmädchen hat einen schweren Fahrradunfall und die Telefonistin wird zur alten Jungfer und katholisch. Vom Delerium Tremens des Richters wollen wir gar nicht reden.
Aber - vielleicht wird der Regen, ja doch irgenwanneinmal von unten nach oben fallen. Ein Traum.

 


1940

 

Der Wolf ist zum Huhn gekommen

Hat gesagt: wir müssen uns kennenlernen
Kennenlernen, schätzen lernen.
Das Huhn hat´s gut aufgenommen
Das Huhn ist mit dem Wolf gekommen:
Das ist, weil das Federn im Feld sind.
Oh, oh.

Das Licht ist zum Öl gekommen
Hat gesagt wir müssen uns kennnlernen
Kennenlernen, schätzen lernen.
Das Öl hat´s gut aufgenommen
Das Licht ist mit dem Öl gekommen:
Das ist, weil der Himmel so rot ist.
Oh, oh.

Der Herr ist zur Magd gekommen
Hat gesagt: wir müssen uns kennenlernen
Kennenlernen, schätzen lernen.
Die Magd hat´s gut aufgenommen
Die Magd ist mit dem Herrn gekommen:
Das ist`s, weil das Mieder so eng ist.
Oh, oh.

1940



Hamlet


HAMLET: DAS STÜCK ist nicht DER MANN
 
Einer macht sich, um zu überleben zum Narren, trifft zwei andere Narren, die vielleicht der Tod sind und ihm zeigen: auch Narren sterben. Aber der Staub zu dem er wird, kann später als Lehm das Loch in der Wand verstopfen, durch das die Kälte hereinkommt. Das muß als Trost genügen. Der Tod, in der Personenliste nicht erscheinend, steht lockend, grinsend und oder furchterregend auf der Bühne herum, schon lange vor dem ersten Toten. „Was hast du getan? Ja, ich weiß nicht.“

Der Held ist schon zu Beginn unglücklich in der Welt, sein Freund ein Freund, weil er erleidet ohne zu leiden.
„Ich möchte meine Feinde solange lieben
bis sie unter meiner Liebe zusammenbrechen.
Ich möchte meiner Freundin solange verzeihn
bis sie an ihrer Schlechtigkeit verzweifelt.

Ich möchte meinen Freunden solange helfen

bis sie ihre Unfähigkeit einsehen.
Ich möchte mit allen Mitteln ein guter Mensch sein." Turini

Die anderen „Freunde“ vom Vater bespitzelt oder selbst Spitzel um der Karriere willen, sogar die kleine Liebesgeschichte zerstiebt schnell und garstig.

Des Meeres toller Ruf, ein Stöhnen, groß und bitter
Zerbrach dein Kinderherz, zu menschlich und zu weich;

Und eines Morgens im April, ein Ritter

Saß stumm an deinen Knien, so verstört und bleich.
Vom Himmel, Liebe, Freiheit hat dein Traum gesprochen,
Dran, Törin, du zergingst, wie Schnee, von Glut verzehrt.
Erstickt von tiefer Schau ist dir dein Wort zerbrochen.
Des Alls Entsetzen hat dein blaues Aug zerstört. Rimbaud

Keiner von ihnen tut so recht etwas. Studenten von was eigentlich? Keiner will in Helsingör sein. Aber alle sind sie da, unfreiwillig, oder kommen zurück, auch unfreiwillig. Es wird viel gereist, nur Ophelia darf natürlich nie irgendwo hin. Europa ist immer anwesend. Sie hängen in Helsingör rum. Und sie denken und reden. Eine Generation der Erben wartet aufs Sterben der zu Berbenden. Handeln tun die Alten, die die Fäden fest in den Händen halten, tot oder lebendig. Es ist, als wären diese Fäden um die Nacken der jungen Leute geschlungen, schnüren ihnen die Luft ab, zunehmend. Das Reden ist wie nach Atem schnappen, im Versuch das Ersticken herauszuzögern.
Ein tieftrauriges Stück. Mir ist noch nie ein Stück von so herzzerreißender Hoffnungslosigkeit begegnet. Sicher gibt es viele Dramen in denen gegen Ende alle sterben, aber irgendwo fand ich immer den Punkt, wo es anders hätte ausgehen können, wenn nur...  Nicht im „Hamlet“. Beim Lesen war ich manchmal erschöpft von der Intensität der Auswegslosigkeit. Keine Nebenpfade, keine Ablenkung, kein Innehalten. Die Maschine Hamlet  auf dem Weg in den Abgrund kennt keine Atempausen.

„In diesem Sinne hat der dionysische Mensch Ähnlichkeit mit Hamlet: beide haben einmal einen wahren Blick in das Wesen der Dinge getan, sie haben erkannt, und es ekelt sie zu handeln, denn ihre Handlung kann nichts am ewigen Wesen der Dinge ändern, sie empfinden es als lächerlich oder schmachvoll, daß ihnen zugemutet wird, die Welt, die aus den Fugen ist, wieder einzurichten. Die Erkenntnis tötet das Handeln, zum Handeln gehört das Umschleiertsein durch die Illusion – das ist die Hamletlehre...“ Nietzsche

Oder:
In diesem Korpus, träg und aufgeschwemmt
Sagt sich Vernunft als böse Krankheit an
Denn wehrlos unter stahlgeschientem Clan
Steht der tiefsinnige Parasit im Hemd. /
Bis sie ihn dann die Trommel hören lassen
Die Fortinbras den tausend Narren rührt
Die er zum Krieg um jenes Ländchen fühert
„Zu klein, um ihre Leichen ganz zu fassen“. /

Erst jetzt gelingt´s dem Dicken, rot zu sehn.
Es wird ihm klar, er hat genug geschwankt.
Nun heißt´s, zu (blutigen) Taten übergehn. /

So daß man finster nickt, wenn man erfährt
Er hätte sich, wär er hinaufgelangt
Unfehlbar noch höchst königlich bewährt. b. b.

Oder:

„Overthinkers and Underachievers.“


Was ist es? Was ist es, das mir das Atmen hastig und schwer zugleich macht, wenn ich versuche den Rhythmus des Stückes zu finden? Vielleicht ist es, diese Handlungsunfähigkeit aus zu viel Wissen und dann letztendlich der Rückfall in die Archaik des Schlachtens, oder sollte ich besser sagen, den aktuellen Trend zur Eleminierung von Unbeteiligten und Gegnern zur Abschreckung?
SOLL ICH
WEILS BRAUCH IST EIN STÜCK EISEN
STECKEN IN                                                
DAS NÄCHSTE FLEISCH ODER INS
ÜBERNÄCHSTE                                                
MICH DRAN ZU HALTEN WEIL DIE WELT
SICH DREHT
HERR BRICH MIR DAS GENICK IM STURZ VON
EINER                                  
BIERBANK                                                                                  

(Da das Schlußbild, Musik unverstanden im Kopf in einer Nacht vorm Computer mit zu lauter Musik und zu viel Rotwein: Bali, nach der Detonation einer sogenannten Al-Quaida Bombe, die Ruine einer Discotheque, Leichen, die silberne Kugel drehte sich noch. Jugendliche, blutend in Partykleidung starrten in Fernsehkameras, in ihren Augen der Beginn einer neuen Weltteilung.)

Vielleicht ist es auch die Empfindung, das hier jeder allein ist, ohne Hilfe. „Wenn zwei zusammen schlafen, wärmt einer den andern; einer allein – wie soll er warm werden?“
Vielleicht die kalte Schönheit der Gedanken und Worte, deren Hitparade eingebrannt ist in unser Gruppengedächtnis wie „es war einmal“ und „die Gedanken sind frei“.
„Was hast du getan? Ja, ich weiß nicht.“ Und „Was bleibt? Sehn was Reue kann. Was kann sie nicht? Jedoch was kann sie, wenn man nicht bereuen kann?“ Da ist der Haken, diese Szene, eigentlich zwei, ich hab sie zusammengeworfen, weil ich sehen wollte, was der Junge mit dem Bekenntnis anfängt. Jetzt hat er die Wahrheit und nun? Wie im Stück läßt er sich mit unklarem Auftrag nach England schicken und kehrt wieder, die Geschichte über den Auftragsmord an Rosencrantz und Güldenstern als Anekdote im Gepäck. Und stürzt sich auf den trauernden Laertes mit wilden Behauptungen von großer Liebe und dem größeren Recht auf Trauer und Zorn. Und dann stellt er die Frage, die der Haken in meinem Hirn ist: „Was willst du für sie tun?“ 
       


„Beim Kreuz, zeig mir, was du tun willst:
Willst du weinen? Kämpfen? Fasten? Zerreißen dich selbst?
Essig austrinken? Essen ein Krokodil?
Ich wills. Kommst du hierher zum Winseln?
Mich auszustechen mit dem Sprung in ihr Grab?
Begrab dich lebendig mit ihr. Ich wills auch tun.
Ich prahl so gut wie du.“

Was kann man tun, was nutzt? Was? Utopie – Kein Ort nirgends.
Den Haag für Claudius, wegen eines Mordes? Immerhin versucht er doch durch Diplomatie den Krieg mit Fortinbras´ Sölnerheer zu verhindern. Der dann kommt – sieht und siegt ohne kämpfen zu müssen. „Wo ist das Schauspiel?“
Was für ein Auftritt!
„Die erste Gestalt der Hoffnung ist die Furcht, die erste Erscheinung des Neuen der Schrecken.Müller
Whatever happened to all the heroes? All the Shakespearoes?
They watched their Rome burn Whatever happened to the heroes?
Text Box: Now that we’re alone we can talk prince man to man
though you lie on the stairs and see no more than a dead ant
nothing but black sun with broken rays
I could never think of your hands without smiling
and now that they lie on the stone like fallen nests
they are as defenceless as before The end is exactly this
The hands lie apart The sword lies apart The head apart
and the knight’s feet in soft slippers

You will have a soldier’s funeral without having been a soldier
the only ritual I am acquainted with a little
there will be no candles no singing only cannon-fuses and bursts
crepe dragged on the pavement helmets boots artillery horses drums drums I know nothing exquisite those will be my manoeuvres before I start to rule
one has to take the city by the neck and shake it a bit

Anyhow you had to perish Hamlet you were not for life
you believed in crystal notions not in human clay
always twitching as if asleep you hunted chimeras
wolfishly you crunched the air only to vomit
you knew no human thing you did not know even how to breath
Jetzt wo wir allein sind prinz können wir von mann zu mann miteinander reden_Auch wenn du auf der treppe liegst und nicht mehr siehst als eine tote ameise_Nichts als schwarze sonne mit gebrochenen strahlen
Ich konnte nie an deine hände denken ohne zu lächeln_und jetzt da sie auf dem stein liegen wie gefallene nester_sind sie genauso schutzlos wie vorher_Genau so ist das Ende_Die hände liegen gesondert Die schwerter liegen gesondert Der kopf  gesondert_und die füße des ritters in hausschuhen

Du wirst ein soldatenbegräbnis haben ohne soldat gewesen zu sein_
das einzige ritual auf das ich mich ein wenig verstehe_es wird keine kerzen geben und keinen gesang sondern lunten und donner_trauertuch übers pflaster geschleift helme stiefel artilleriepferde trommeln trommeln ich weiß schön ist das nicht
das wird mein manöver sein vor der machtübernahme_man muß diese stadt an der gurgel fassen und etwas schütteln


So oder so du mußtest fallen Hamlet du taugtest nicht für das leben_
du glaubtest an kristallbegriffe und nicht an menschlichen lehm_du lebtest in ständigen krämpfen und jagtest träumend chimären
du schnapptest gierig nach luft nur um zu kotzen_nichts Menschliches gelang dir nicht einmal das atmen
Text Box: Now you have peace Hamlet you accomplished what you had to
and you have peace The rest is not silence but belongs to me
you chose the easier part an elegant thrust
but what is heroic death compared with eternal watching
with a cold apple in one’s hand on a narrow chair
with a view of the ant-hill and the clock’s dial Adieu prince I have tasks a sewer project
and a decree on prostitutes and beggars
I must also elaborate a better system of prisons
since as you justly said Denmark is a prison
I go to my affairs This night is born
a star named Hamlet We shall never meet
what I shall leave will not be worth a tragedy It is not for us to greet each other or bid farewell we live on archipelagos
and that water these words what can they do what can they do prince
(translated from the Polish by Czeslaw Milosz)Jetzt hast du frieden Hamlet du tatest was du tun mußtest_und jetzt hast du frieden Der rest ist nicht schweigen sondern meins_du wähltest den leichteren teil den effektvollen stich_ aber was ist der heldentod gegen das ewige wachen_mit kaltem apfel im griff auf erhöhtem stuhl_mit blick auf den ameisenhaufen und die zeiger der uhr Leb wohl prinz mich erwartet ein kanalisationsprojekt_und ein erlaß in sachen der huren und bettler_ich muß auch ein bessres gefängnissystem erfinden_denn wie du richtig bemerktest Dänemark ist ein gefängnis_Ich gehe zu meinen geschäften Heut nacht wird geboren_der stern namens Hamlet Wir werden uns niemals treffen_was von mir bleibt wird kein gegenstand einer tragödie Wir werden uns weder willkommen noch abschied sagen wir leben auf inseln_und das wasser diese worte was sollen was sollen sie prinz
aus dem Polnischen von Karl Dedecius




„Ich reiße die Türen auf, damit der Wind herein kann und der Schrei der Welt. Ich zerschlage das Fenster.“                             

Oder

What have you done today to make you feel proud?
You could be so many people
If you make that break for freedom
What have you done today to make you feel proud?
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"Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! WIR HABEN IHN GETÖDTET, - ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung? - auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, - wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!"

T.S. Elliot  J. Alfred Pufrocks Liebesgesang


... Nein! Ich bin kein Prinz Hamlet, nicht dazu bestimmt;
Spiel eine Nebencharge, treib die Handlung an,
Beginne ein, zwei Szenen, rate dann
Dem Prinzen; ein willfähriges Werkzeug, starr
Vor Ehrfurcht, hocherfreut, wenn oft benutzt,
Weltklug, vorsichtig und schächerlich;
Voll großer Worte, doch auch dumm- verdutzt;
Zuzeiten, in der Tat, fast lächerlich –
Zuzeiten fast der Narr....

Gottfried Benn 1886-1956 

Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig..
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!


Ophelia (1870) Rimbaud


I.
Auf stiller, dunkler Flut, im Widerschein der Sterne,
geschmiegt in ihre Schleier, schwimmt Ophelia bleich,
sehr langsam, einer grossen weissen Lilie gleich.
Jagdrufe hört man aus dem Wald verklingen ferne.

Schon mehr als tausend Jahre sind es,
dass sie, ein bleich Phantom, die schwarze Flut hinzieht,
und mehr als tausend Jahre flüstert schon sein Lied
ihr sanfter Wahnsinn in den Hauch des Abendwindes.

Die Lüfte küssen ihre Brüste sacht und bauschen
zu Blüten ihre Schleier, die das Wasser wiegt.
Es weint das Schilf, das sich auf ihre Schulter biegt.
Die Weiden über ihrer hohen Stirne rauschen.

Im Schlummer einer Erle weckt sie hin und wieder
ein Nest, aus dem ein kleines Flügelflattern schlägt.
Die Wasserrosen seufzen, wenn sie sie bewegt.
Ein Weiheklang fällt von den goldnen Sternen nieder.


II.
Ophelia, bleiche Jungfrau, wie der Schnee so schön,
die du, ein Kind noch, starbst in Wassers tiefem Grunde:
weil dir von rauher Freiheit ihre leise Kunde
die Stürme gaben, die von Norwegs Gletschern wehn.

Weil fremd ein Föhn, der dir die Haare peitschte, kam
und Wundermär in deinen Träumersinn getragen;
weil in dem Seufzerlaut der Bäume und im Klagen
der Nacht dein Herz die Stimme der Natur vernahm.

Weil wie ein ungeheures Röcheln deinen Sinn,
den süssen Kindersinn, des Meeres Schrei gebrochen;
weil schön und bleich ein Prinz, der nicht ein Wort gesprochen,
im Mai, ein armer Narr, dir sass zu deinen Knien.

Von Liebe träumtest du, von Freiheit, Seligkeit;
du gingst in ihnen auf wie leichter Schnee im Feuer.
Dein Wort erwürgten deiner Träume Ungeheuer.
Dein blaues Auge löschte die Unendlichkeit.

III.
Nun sagt der Dichter, dass im Schoss der Nacht du bleich
die Blumen, die du pflücktest, suchst, in deine Schleier
gehüllt, dahinziehst auf dem dunklen, stillen Weiher,
im Schein der Sterne, einer grossen Lilie gleich.

Übersetzung: Karl Klammer (1907)


„Horatio. Bist du mein Freund, Horatio. Wenn du mich kennst, wie kannst du mein Freund sein. Ich wusste, dass du ein Schauspieler bist, ich bin es auch. Ich spiele Hamlet." H. Müller




Hamlet

(Aus "Ein Glaubensbekenntnis", 1844)
Deutschland ist Hamlet! Ernst und stumm
In seinen Toren jede Nacht
Geht die begrabne Freiheit um,
Und winkt den Männern auf der Wacht.
Da steht die Hohe, blank bewehrt,
Und sagt dem Zaudrer, der noch zweifelt:
»Sei mir ein Rächer, zieh dein Schwert!
Man hat mir Gift ins Ohr geträufelt!«
Er horcht mit zitterndem Gebein,
Bis ihm die Wahrheit schrecklich tagt;
Von Stund' an will er Rächer sein -
Ob er es wirklich endlich wagt?
Er sinnt und träumt und weiß nicht Rat;
Kein Mittel, das die Brust ihm stähle!
Zu einer frischen, mut'gen Tat
Fehlt ihm die frische, mut'ge Seele!
Das macht, er hat zuviel gehockt;
Er lag und las zuviel im Bett.
Er wurde, weil das Blut ihm stockt',
Zu kurz von Atem und zu fett.
Er spann zuviel gelehrten Werg,
Sein bestes Tun ist eben Denken;
Er stak zu lang in Wittenberg,
Im Hörsaal oder in den Schenken.
Drum fehlt ihm die Entschlossenheit;
Kommt Zeit, kommt Rat - er stellt sich toll,
Hält Monologe lang und breit,
Und bringt in Verse seinen Groll;
Stutzt ihn zur Pantomime zu,
Und fällt's ihm einmal ein, zu fechten:
So muß Polonius-Kotzebue
Den Stich empfangen - statt des Rechten.
So trägt er träumerisch sein Weh,
Verhöhnt sich selber insgeheim,
Läßt sich verschicken über See,
Und kehrt mit Stichelreden heim;
Verschießt ein Arsenal von Spott,
Spricht von geflickten Lumpenkön'gen -
Doch eine Tat? Behüte Gott!
Nie hatt' er eine zu beschönigen!
Bis endlich er die Klinge packt,
Ernst zu erfüllen seinen Schwur;
Doch ach - das ist im letzten Akt,
Und streckt ihn selbst zu Boden nur!
Bei den Erschlagnen, die sein Haß
Preisgab der Schmach und dem Verderben,
Liegt er entseelt, und Fortinbras
Rückt klirrend ein, das Reich zu erben. -
Gottlob! noch sind wir nicht soweit! -
Vier Akte sahn wir spielen erst!
Hab acht, Held, daß die Ähnlichkeit
Nicht auch im fünften du bewährst!
Wir hoffen früh, wir hoffen spät:
Oh, raff dich auf, und komm zu Streiche,
Und hilf entschlossen, weil es geht,
Zu ihrem Recht der flehnden Leiche!
Mach den Moment zunutze dir!
Noch ist es Zeit - drein mit dem Schwert,
Eh' mit französischem Rapier
Dich schnöd vergiftet ein Laert!
Eh' rasselnd naht ein nordisch Heer,
Daß es für sich die Erbschaft nehme!
Oh, sieh dich vor - ich zweifle sehr,
Ob diesmal es aus Norweg käme!
Nur ein Entschluß! Auf steht die Bahn -
Tritt in die Schranken kühn und dreist!
Denk an den Schwur, den du getan,
Und räche deines Vaters Geist!
Wozu dies Grübeln für und für?
Doch - darf ich schelten, alter Träumer?
Bin ich ja selbst ein Stück von dir,
Du ew'ger Zauderer und Säumer!
St. Goar, April 1844










Romeo und Julia


Romeo und Julia –  Ein Spiel in drei Morgendämmerungen - Thomas Brasch sei Dank



>> Zu kostbar schön, nein, keinem ein Gewinn. <<

Das Stück hat alle Zutaten eines monumentalen Mißerfolges. Es wird kein glückliches Ende geben, und das wird uns schon zu Beginn mitgeteilt. Die eigentliche Ursache des Familienkrieges wird nie, nicht einmal andeutungsweise erwähnt. Beginnend als großes Drama, endet es immer enger werdend als Kammerspiel. Unser Held klagt seitenlang über eine unglückliche Liebe, von der wir erst relativ spät und ganz nebenbei erfahren, dass es sich dabei gar nicht um die im Titel genannte Julia, sondern um irgendeine Rosalinde handelt. Die wiederum wird an diesem Abend niemals die Bühne betreten. Wir werden aber, nur wenig später, dazu aufgefordert zu glauben, dass eben jener Romeo nun ganz wahrhaftig in Julia verliebt ist. Einige Figuren werden groß eingeführt und plötzlich, noch mitten im Stück, abgemurkst und das unter Mitschuld des Haupthelden. Andere verschwinden kommentarlos, ohne Begründung gänzlich aus der Handlung. Dann, zumindest auf den ersten Blick völlig unmotiviert, mittendrin, ein mehrseitiger Monolog über eine Figur namens Mab, die im Stück nie persönlich auftaucht und auch nie wieder erwähnt wird. Die Figuren, die nach dem allgemeinen Sterben übrig bleiben, sind die bis dahin am wenigsten sympathischen und selbst die sind unglücklich und werden wohl auch nicht mehr glücklich werden. Was macht dann, dass ich mich hilflos entzückt in diesem Machwerk wiederfinde und selbst den verrückteste Eskapaden der Personen mit neiderfülltem Mitgefühl folge. Nichts stimmt und alles ist wahr.

Graham Greene
>> Wenn ich sie mir aus dem Sinn schlagen kann, werde ich mir dann irgendwo eine ruhige, gemütliche Frau zum Heiraten finden und eine Ehe schließen können, die friedlich verlaufen und Bestand haben wird? Wahrscheinlich werde ich dann auch nicht so eifersüchtig sein, weil ich sie nicht innig genug lieben werde. Aber sicher fühlen werde ich mich wenigstens, dachte ich zum Schluß. Und das Erbarmen mit mir selbst und der Hass kamen gleichsam über den in der Dämmerung versinkenden Wiesengrund Hand in Hand auf mich zu wie zwei Irrsinnige ohne Wärter. <<

Wann genau hören wir auf zu glauben, dass  wir wirklich und gänzlich glücklich seien können und dürfen? Wann werden wir vernünftig, resigniert und – oder bösartig? Wir lassen es zu, nicht mehr Alles zu wünschen, sondern nur noch ein bißchen Liebe, etwas Glück, die weniger schlimme Variante des Unglücklichseins, und was der Kompromisse mehr sind. Ist Genügsamkeit Feigheit oder notwendig zum Überleben? Je weniger wir erwarten, desto kleiner die ebenfalls erwartete Enttäuschung. Aus Angst vor dem großen Sturz stolpern wir lieber mit kleinen vorsichtigen Schritten durch die erkrampfte Sicherheit. Und dann lesen wir von zweien, die sich gänzlich ohne Sicherung in die Liebe fallen lassen, den Sturz wagen und noch ihr Fall in den angekündigten Tod ist herrlich anzusehen.

Northrop Frye:
 >> Romeo und Julia sind heilige Opfer und Opfergaben müssen seit jeher vollkommen und ohne Makel seien. Das hat einen durchaus realen Kern, nämlich das Gefühl, dass nichts Vollkommenes und ohne Makel in dieser Welt von Bestand seien kann und deshalb einer anderen Welt übergeben werden sollte, bevor es zerfällt. Dieses Prinzip ordnet sich einem noch größeren zu: nichts das die Grenzen der gewohnten Erfahrung durchbricht kann in der Welt der gewohnten Erfahrungen bestehen bleiben. Eines der ersten Äußerungen Romeos über Julia ist >> Zu kostbar schön, nein, keinem ein Gewinn...<< Aber es geht hier um mehr als Schönheit, diese Leidenschaft würde sehr bald die Welt der strengen Väter, gemeinen Tybalts und schnatternden Ammen in Flammen setzen, wenn sie in ihr verbliebe. Indem wir das verstehen, können wir das Stück als Ganzes verstehen, ohne  nur das Gefühl zu haben, dass nur eine Liebe schief gelaufen ist. Sie ist nicht schief gelaufen, sie ist nur dahin gelaufen wohin sie konnte, auf und davon. Sie war immer, wie wir sagen, nicht von dieser Welt. << (Sommernachtstraum, gleiche Fabel, Umkehrung in die Komödie, die spielt in der Nacht und endet mit der Dämmerung.)


>> Wenn du mich nicht ins Leben wieder liebst
         wärs besser, daß du mir das Sterben gibst. <<

Es ist ein tief bewegendes Drama, aber auch eines in ständiger Bewegung. Romeo läuft liebeskrank durch die Stadt, die Diener suchen Streit, Benvolia sucht Romeo, alle gehen zum Fest, Mercutio sucht Romeo, die Amme trägt Nachrichten aus, Paris will schnell heiraten, Lorenzo sucht Kräuter, Capulet schreit: „Tanzt, tanzt!“, es wird geklettert, getanzt, geflohen, gekämpft. Fast alle Figuren scheinen auf etwas zuzueilen. Geschäftsabschlüsse, Machtübernahme, Spaß, Liebe. Aber auch: Inmitten dieser unablässigen Bewegung, Julia, wie der kleine Esel in Goyas Bild „Der Riese“. In Ruhe, gewiß, bis auch sie in den Strudel gerät. Alle Gefühle, so verschieden sie gerichtet sind, ähneln sich in ihrer raschen fordernden Maßlosigkeit. Das Ziel zu dem die meisten gelangen, letztendlich alle, ist der Tod.

Martin Luther
>>Wir sind alle zum Tode gefordert, und es wird keiner für den andern sterben, sondern jeder muß in eigener Person geharnischt und gerüstet sein, mit dem Tod zu kämpfen. – Wir können wohl einer den anderen trösten und zu Geduld, Streit und Kampf ermahnen, aber kämpfen und streiten können wir nicht für ihn, sondern er muß selber auf seiner Schanze stehn und sich mit Feinden, dem Teufel und Tod messen, allein mit ihm im Kampf liegen. <<

Was für ein einsamer Gedanke, welch ein erschreckender Gedanke und er ist wahr, vollkommen und unbezweifelbar. Was auch immer wir nach dem Tod erwarten, dorthin gelangen müssen wir alle und allein und wir wissen nicht wann. Dies wissend, ist es möglich, dass sich auch die Eltern am Schluß zu tragischen Figuren wandeln. Sie sind alt und ihre Kinder sind vor ihnen gestorben, sie sind am trostlosesten Ende angelangt. Sie werden goldene Statuen bauen für die toten Kinder, nur um irgend etwas zu tun.

Georges Bataille
>>Die Erotik kann man bestimmen als das Ja - sagen zum Leben bis in den Tod. (...was die Erotik von der gewöhnlichen sexuellen Aktivität unterscheidet, ist ein vom natürlichen Zweck der Fortpflanzung unabhängiges psychisches Bestreben.) Wesen, die sich fortpflanzen, sind untereinander verschieden. Ein jedes Wesen ist von den anderen verschieden. Zwischen dem einen und dem anderen Wesen liegt ein Abgrund. (Wenn sie sterben, dann bin nicht ich es der stirbt.) Dieser Abgrund ist tief. Doch wir können gemeinsam das Schwindelerregende dieses Abgrundes empfinden. Er kann uns faszinieren. In einem gewissen Sinne ist dieser Abgrund der Tod. Wir sind Wesen, die getrennt voneinander in einem unbegreiflichen Abenteuer sterben, aber wir haben die Sehnsucht nach der verlorenen Kontinuität. Wir ertragen die Situation nur schwer, die uns an eine Zufalls – Individualität fesselt, an die vergängliche Individualität, die wir sind. In der gleichen Zeit, in der wir das verängstigte Verlangen nach der Dauer dieses Vergänglichen hegen, sind wir von der Vorstellung einer ursprünglichen Kontinuität besessen, die uns ganz allgemein mit dem Sein verbindet. Bei allen Menschen bestimmt diese Sehnsucht die Formen der Erotik. (körperliche, die des Herzens und die religiöse) Alles, was die Erotik ins Werk setzt, hat zum Ziel, das Wesen im Allerintimsten zu treffen, dort wo das Herz versagt. Die ganze erotische Veranstaltung ist auf eine Zerstörung der Struktur jenes abgeschlossenen Wesens ausgerichtet, das der Partner im Spiel im Normalzustand ist. Die entscheidende Handlung dabei ist die Entblößung. Erotik ist also Kommunikation. Die Poesie führt zu dem selben Punkt, zu dem die Erotik führt    zur Ununterscheidbarkeit, zur Verschmelzung der unterschiedlichsten Gegenstände. Sie führt uns zur Ewigkeit, sie führt uns zum Tod und durch den Tod zur Kontinuität. <<
(Julia ist im Stück vierzehn, das entspricht der Zeilenzahl des Sonetts)

>>Das Sexuelle wird zum Erotischen, wenn es der Schatten des Todes trifft. Das Sexuelle gehört in die Komödie, die Erotik zur Tragödie. << Harold Bloom
Nehmen wir an, dass all das Laufen, Rasen, Angreifen, Verhandeln und die hastigen Umarmungen nichts anderes sind als sehnsüchtiges Greifen nach Nähe. Flucht vor der letztendlichen unvermeidlichen Einsamkeit und vor der Gewißheit des Todes. Die Zeit muß gefüllt werden mit Aktivität, weil sie endlich ist. Wir müssen etwas erreichen, um zu bestätigen, dass wir noch am Leben sind. Und wenn wir sehr einsam sind, ist auch ein Schlag eine Berührung.


3. >> Die Pest auf eure beiden Häuser. <<

Wenn wir in das Stück einsteigen, haben wir trotz der deutlichen Vorwarnung, das Gefühl in einer, wenn auch aggressiven, so doch verspielten Gegend zu sein. Die Händel sind rasch und witzig, das Liebesunglück pubertär und leicht lächerlich. Die Amme ist komisch. Der Vater will seine Tochter nur verheiraten, wenn sie es auch will. Ein Fest soll stattfinden. Hier und da ein fremder Ton. Das tote Kind der Amme. Tybalts Wutausbruch auf dem Fest. Mercutios Traum, der Romeos gleicht. Aber viel Witz, Poesie, Ironie. Es wird mit Gewalt getändelt und mit Liebe gespielt. Dann: Mercutios Mab - Erzählung, das erste und zweite Treffen der Liebenden, selbst die noch von zärtlicher Leichtigkeit und dann als direkte Folge des vorherigen und doch völlig überraschend: Mercutios Tod. Ein Riß tut sich auf, etwas Unerhörtes ist geschehen. Alles ist anders, selbst das, was vorher geschah verändert seine Farbe ins Dunkle.

Über Mercutio:
 >>Er war sehr klug und unterhaltsam und alles. Die Sache ist, es macht mich verrückt, wenn jemand getötet wird  – besonders jemand, der sehr klug und unterhaltsam und alles ist. –und es ist jemand anderes Schuld. << Holden Caulfield in J.D.Salingers >>Der Fänger im Roggen<<.

Er ist ein Märtyrer der Liebe, stirbt für und durch sie, ohne sie selbst erfahren zu haben, ja, obwohl er den Glauben an sie verweigert hat. Mercutio muß aber auch sterben, damit er nicht zum Zentrum des Stückes wird. Oder „er muß sterben, damit er nicht das Stück umbringt.“ (angebliche Äußerung Shakespeares) Er ist also auch ein Opfer der Gesetze der Dramaturgie.


4. >> Ein großes Durcheinander wars aus Haß.

         Vielleicht aus Liebe. Nein aus Liebeshaß. <<


Qeen Mab:
Merkwürdig, ein Schatten ist immer dunkel, je heller und strahlender das ist, was ihn wirft,  dessen Abbild er ist, desto schärfer und schwärzer ist er. Er kann verblassen, aber nur wenn auch das Licht abnimmt. Er ist immer ein verzerrtes Negativ. Nur einen kleinen Moment, wenn die Sonne im Zenith steht, gibt es ihn nicht. „Schalt die Sonne ab.“
Mab ist der Schatten, der Schatten des Lebendigen. Ist sie also der Tod? Oder der Zufall? Die dunkle Seite? Oder einfach die andere Seite, das Abbild, das Negativ.

Georges Bataille
Der Mensch gehört der Welt der Arbeit und der Vernunft an oder der anderen, der Welt der Natur und Gewaltsamkeit, zwischen diesen beiden Welten sein Leben, ob er will oder nicht, hin und her gerissen wird. Die Welt der Arbeit und der Vernunft ist die Grundlage unseres menschlichen Lebens. Die Natur selbst ist gewaltsam; und so vernünftig wir auch immer werden, immer kann uns eine Gewaltsamkeit beherrschen, nur daß diese jetzt keine bloß natürliche mehr ist, sondern die Gewaltsamkeit eines Vernunftwesens, das zu gehorchen versuchte, aber einer Regung unterliegt, die er nicht auf seine Vernunft zurückführen kann. Es gibt in der Natur und gibt auch im Menschen eine Bewegung die unablässig über die Grenzen hinausdrängt, und die immer nur teilweise eingedämmt werden kann. Die Arbeit erfordert ein Verhalten, in dem die errechnete Mühe, die auf die produktive Leistung verwandt wird, konstant bleibt. Sie erfordert ein vernünftiges Verhalten... Daher definiert sich die menschliche Gemeinschaft, die einen Teil ihrer Zeit der Arbeit widmet, durch die Verbote, ohne die sie nicht zu jener Welt der Arbeit geworden wäre, die sie wesentlich ist.
Wenn wir in den Verboten die Verweigerung erblicken, die das Menschenwesen der Natur als einer Ausschweifung lebender Energie und einer Vernichtungsorgie entgegensetzt, können wir keinen Unterschied mehr machen zwischen Tod und Sexualität. Tod und Sexualität sind nur die Höhepunkte eines Festes, das die Natur mit der unerschöpflichen Vielzahl der Wesen feiert: beide bedeuten eine grenzenlose Vergeudung, die sich die Natur im Widerspruch zu dem tiefen Wunsch jedes Wesens nach eigener Fortdauer leistet. <<

Über Bruder Laurence:
Wissenschaftler, Kenner der Pflanzen und ihrer Wirkung. Er hat für alles eine Lösung. Gerade er, als Vertreter, der institutionellen Religion, glaubt an rationale und rationelle Lösungen. Er ist der Vertreter der Aufklärung. Alles kann in den Griff bekommen werden, es gibt für jedes Problem das richtige Mittelchen. Aber der Schatten besiegt auch ihn. 
 
Über die Amme
In der Szene in der sie Julia zur Bigamie rät, verwandelt sie sich aus einer, wenn auch nervenden, so doch liebevollen Ersatzmutter in den teuflischen Versucher, der Erzfeind. Ist der Schatten auf sie gefallen? 

Über den Vater
Ein bißchen ordinär, geschäftstüchtig, nicht glücklich mit dem älter werden. Alles normal. Und dann, wenn Julia die Heirat mit Paris verweigert. Was ist das? Verbal ist das die brutalste Szene des Stücks. Ein Monstervater ohne jedes liebevolle Verständnis. Ein rücksichtsloser Geschäftemacher mit dem Unglück seiner Tochter.

Über Paris
Scheint ein wenig blaß. Will Julia heiraten, betreibt es wie einen guten Einkauf, hält alle Regeln ein. Hat nie eine Chance nachdem Romeo ins Spiel kommt. Und dann taucht er am Grab auf und leidet wie ein armes Schwein und wird fast uninteressiert von Romeo getötet. Er stirbt mit Julia auf den Lippen.

Über die Mutter
Sie sorgt sich um den Sohn, weiß nix über ihn und scheint für ihn von keinem großen Interesse zu sein. Er erwähnt sie nie. Doch am Schluß verfällt auch sie nach kurzem rachsüchtigem Schuldabweisungsversuch dem Unglück.

Über Benvolio
Er scheint immer das Richtige zu sagen, das man nicht hören möchte. „ Kopf hoch!“ und dergleichen, nur viel schöner formuliert. Er ist friedfertig. Nach der großen Katastrophe bietet er keine Hilfe an, sagt aus und verschwindet aus der Geschichte. Danke Brasch für die Sterbeszene.

Solche Punkte sind für alle Figuren zu finden, hier ist niemand wie er scheint. Außer vielleicht die Diener, geheuerten Schlägern gleich, sind sie eigentlich für die geplante Komödie herbestellt und dann werden auch sie getötet, sozusagen nebenbei. Als Abfall fallen noch ein paar Leichen an, die Bühne ist voll davon. 

5. >> O Leid. Leidvoller Tag voll Leid und Leid. <<

Wir haben hier wohl Häuser
Von Lehm und Stein
Und müssen sie alle verlassen
Ganz allein.
In ein Haus auf lange
Lange ziehn wir ein,
Vom Kopf bis an die Zehen
Wird da Fäulnis sein,
Soll unser Fleisch vergehen
Bis auf das Gebein.

Hast du den Flur im Rücken,
Trägt deine Nase das Dach,
Allem Glück der Erde
Fragst du nichts mehr nach.  
(13. Jahrhundert)





Ich will mich zum Schreiben zwingen

Keine Ahnung, ob das je jemand außer mir lesen wird, aber vielleicht hilft es mir mich auszutricksen, und endlich regelmäßig zu schreiben. Ich liebe Wörter und Worte. Ich bin faul. Mal gucken, was aus der Mischung entsteht. Möglicherweise nix, oder der Knoten platzt. Erstmal poste ich älteres und altes Zeug. Natürlich über Theater und manchmal auch nicht. Und Gedichte!!!! Liest keiner mehr, Gedichte. Höchstens Liedtexte. Auch schön, aber wenn Wörter ohne Noten auch singen, oder tanzen - Himmel.


Selbst ohne Leser fühlt man sich irgendwie eingebildet, wenn man hier so faselt. Hm. Mal gucken.

Die Räuber


Der Bruch mit der Vaterwelt oder die Geschichte vom verlorenen Vater

»Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe
mehr und Blut und Tod soll mich
vegessen lehren, daß mir jemals etwas theuer war!« 
Karl Moor

»Die Natur gab mir nichts mit, wozu ich mich machen
will, das ist nun meine Sache.«
Franz Moor


Die Welt, wie sie sie kennen, ist nicht mehr. Die »natürliche« Ordnung ist zerbrochen. Herz und Verstand entzweit, der Zustand ist unerträglich. Beide Brüder sind unfähig das zu verdrängen, damit so irgendwie weiter zu leben. Ihre Qualität ist die Tiefe ihrer Empfindsamkeit für das Unrecht.
Zwei Versuche des Lebens außerhalb von und gegen diese Ordnung, Experimente mit der Freiheit
Der Vater, Hausvater, Landesvater, die patriarchalische Autorität, der Staat, auch Gott genannt ist ungerecht / behandelt ungleich und zwar in unserem Fall, das ist erstaunlicherweise der Hauptkritikpunkt am Vater, aus Schwäche.


Der eine Sohn fühlt, dass er nicht geliebt wird. Er muss also lieblos auf seine Umgebung zurückblicken. Er erkennt, dass das was hier als Moral gehandelt wird, nur die Verkleidung einer nackten Mechanik ist und beginnt sie zu entblößen Er will die Ordnung bezwingen und zwar mit ihren eigenen Mitteln, um sie ihrer Masken beraubt für sich selbst in Anspruch zu nehmen, sie zu beherrschen. Sein Emanzipationsbegehren geht soweit, dass er eher die Vernichtung in Kauf nimmt, als sich zu ergeben. Lieber Nichts sein, als sich unterordnen.


Der andere sehnt sich in existentieller Verletztheit in den Schoß der Ordnung zurück, das macht seinen verstörten Zorn umso größer; er will zerstören und versucht gleichzeitig in der Räubertruppe den ersehnten, ursprünglichen,«natürlichen« Ordnungs-Zustand wieder herzustellen, wird sozusagen der Vater der Bande. Er scheitert und ordnet sich letztendlich, unter Zurücklassung einiger Leichen, wieder ein, er ergibt sich. Stellt sich, also stellt sein Selbst zur Verfügung als Opfer durch das die verletzte Ordnung geheilt werden soll.


Die Größe des Vaters wäre die Herrschaft, die Größe der Söhne ist die Auflehnung. Franz tritt als aktiver Zerstörer der Ordnung auf; Karl ist lediglich ihr Opfer. Er bekämpft die Ordnung nicht, weil sie unmenschlich ist, sondern, weil sie nicht gut genug funktioniert. Sein Menschenhass, auch wenn er aus verletzter Menschlichkeit entsteht, ist keine revolutionäre Gesellschaftskritik. Er will durch gewalttätigen Protest die gestörte väterliche Ordnung wiederherstellen. (Michelsen)
Beide Experimente misslingen.


Irdische und überirdische Gerechtigkeit / Staat und Religion, oder nennen wir es für unsere Zwecke einfach gesellschaftliche Zwänge und menschliches Glück dieser unaushaltbare Widerspruch droht die Figuren zu überwältigen, sie suchen eine bewohnbare Insel für ihr teuer erkämpftes Selbst und werden ohne Land in Sicht ersaufen. Ihre ungeheuerliche Angestrengtheit erklärt sich aus der Größe und Gewalt des sie umgebenden Ozeans und der Kraft, die sie aufwenden müssen, sich über Wasser zu halten. Dem Ertrinken widerstehen zu müssen, auch seiner Lockung.


Der Tod, Todessehnsucht, Todesangst, Selbstmorde, Selbstmordversuche, Fluchtwünsche (Reaktion auf Angriff: Attacke oder Flucht Erich Fromm), kleine Fluchten, Nichterkennungen, Ohnmachten, Träume und so viele Leichen
»Du musst sterben.« Das Stück ist voll davon.


»Meinem Prinzipal dem Tod zugeschrieben« Zueignung über Schillers erster Gedicht-Anthologie;
Ernst Wendt »Die Räuber, ein Todestraum« Die Figuren sind in ein Totenhaus gesperrt, Gefängnis ihrer Obsessionen, Kerker ihres Haders mit Gott. Turm und Galgen - lebendig begraben sein und gerichtet werden, sind zentrale Motive des Dramas;
Selbstsuche, Seelensuche, man findet nichts und überträgt das eigene Seelenbild auf den andern, Hypnose, Verführungen. Es sind lauter Seelenkriege zwischen Menschen, die einander lieben könnten und dieser Sehnsucht nicht gewachsen sind, weil sie alle mit einer Ausschließlichkeit und Wollust auf sich selbst beharren, die es ihnen verbietet zu jenen Paaren sich zu ordnen, die zu sein sie träumen.(biblisch heißt wohl deshalb der Liebesakt »sich erkennen«)
Wie schwer es ist ein Ich zu sein, auf sich selbst vorzustoßen ohne die Hilfe einer höheren Autorität, eines Dogmas, immer bedroht durch den Zweifel an allem. Welche Anstrengung kostet es selbstverantwortlich zu denken.