Sonntag, 3. Juni 2018

Ich wollte nicht ich wär ein Huhn

Ich wollt ich wär ein Huhn
oder wie es irgendein anderer Mann möglicherweise in Bezug auf das Dritten Reich formulierte: "Warum können wir nicht alle blond, blauäugig und blöd sein?"

Ich wollt, ich wär' ein Huhn
Ich hätt' nicht viel zu tun
Ich legte vormittags ein Ei
Und abends wär' ich frei

Mich lockte auf der Welt
Kein Ruhm mehr und kein Geld
Und fände ich das große Los
Dann fräße ich es bloß
Ich brauchte nie mehr ins Büro
Ich wäre dämlich, aber froh

Ich wollt, ich wär' ein Huhn
Ich hätt' nicht viel zu tun
Ich legte täglich nur ein Ei
Und sonntags auch mal zwei

Der Mann hats auf der Welt nicht leicht
Das Kämpfen ist sein Zweck
Und hat er endlich was erreicht
Nimmt's eine Frau ihm weg
Er lebt, wenn's hoch kommt, hundert Jahr
Und bringt's bei gutem Start
Und nur, wenn er sehr fleißig war
Zu einem Rauschebart
Musik: Peter Kreuder 
Text: Hans Fritz Beckmann

Ein schrecklicher Text zu einer ebenso schrecklichen Melodie. Der innige Wunsch nach Aufgabe jeder Verantwortung in harmloser Liedform.  
Dämlich aber froh.  
Ich kenne solche Leute, sie tun mir leid oder sie machen mir Angst, je nach Situation. Aber schlimmer sind die dämlichen, aber schlechtgelaunten, die die Ursache ihrer miesen unbedachten, unüberprüften Laune vor jedwede Türschwelle legen. Die Schuld an der eigenen Unzufriedenheit wird aggressiv weggestossen, blond, blauäugig und dumm schieben sie die Schuld an ihrem Unglück auf jeden, der nicht ihresgleichen ist.
"Da sehen sie es", sagt Heinrich bitter zu Riesenfeld. "Dadurch haben wir den Krieg verloren: Durch die Schlamperei der Intellektuellen und durch die Juden." "Und die Radfahrer." ergänzt Riesenfeld. "Wieso die Radfahrer?" fragt Heinrich erstaunt. "Wieso die Juden?" fragt Riesenfeld zurück.
Das Zitat ist übrigens nicht von Tucholsky, sondern aus Erich Maria Remarques Roman "Der Schwarze Obelisk".
Lied aus dem Film "Glückskinder" von 1936 gesungen von Willy Fritsch mit Lilian Harvey, Paul Kemp und Oskar Sima. Später haben die Comedian Harmonists es berühmt macht.

Freitag, 1. Juni 2018

Anti-Raucher-Bilder

Rauchen ist schlecht für die Gesundheit. Fakt. Das weiß ich und weiß jeder Raucher. 
Und wir rauchen trotzdem. Wir steigen auf "gesunde" Zigaretten um, ganz ohne Zusatzstoffe, mit einem gesunden Indianer auf der Schachtel, wir nippeln an Elektro-Ersatz-Stängeln rum, die aussehen wie schicke Asthmainhalatoren, wir kauen Nikotingummis und kleben ebensolche Pflaster, manche hören auf, gewinnen den Kampf und sehnen sich nur gelegentlich nach den alten, verrauchten verruchten Zeiten zurück.

Der Staat aber glaubt nicht an unsere Entscheidungsfähigkeit, er will uns mit "Clockwork Orange" ähnlichen Methoden das Rauchen verekeln. Noch kriegen wir keine Stäbchen in die Augen und es erklingt keine Beethoven Musik, noch gibt es nur Bilder und Sprüche auf den Zigarettenschachteln. Gräßliche Geschwüre, riesige Operationsnarben, schwarzverkümmerte Zähne. Iiiiiiiiiih. Im Bücherschrank des Vaters einer Kinderfreundin stand sein medizinisches Lexikon, und wir haben mit Vorliebe die Bilder von besonders abstoßenden Hautkrankheiten gesucht, angestarrt, um dann schreiend wegzurennen. Ich hab mir ein schönes blaues Zigarettenetui gekauft und fülle einfach um. 
Die kunstvoll in Positur gelegten Toten, Schlaganfallopfer und Trauernden finde ich eher niedlich. Wie die Babies deren Mutter sie zärtlich anqualmt.
Mein Liebling ist der in embryonaler Haltung zusammengekrümmte Mann, der dem begleitenden Spruch nach, so den Verlust seiner Potenz betrauert. Oder der Stehende, der verwundert bedrückt an sich herunterschaut. Ist gemein, aber als Frau kann ich wenigstens in diesem Punkt unbesorgt sein.
Nun gibt es ein neues Motiv, ein Unterkörper, der Form nach eher weiblich, mit einem riesigen Brandloch, da wo sich gemeinhin das Geschlechtsteil befindet. 
Was mag das Bild bedeuten? 
Rauchen läßt Vaginas explodieren? Das stimmt nicht, da bin ich sicher. Impotente rauchende Liebhaber hinterlassen Brandlöcher? Rauche nie im Bett, die Asche die herunterfällt, könnte Deine eigene sein? Oder ist es doch ein Abbild eines schlanken Mannes? Fühlt sich Impotenz an wie eine Leere. Das ist traurig



Siehst du die Gräber dort im Tal?
Das waren die Raucher von Reval.
Und siehst du die Gräber an anderen Orten?
Das waren die Raucher von anderen Sorten.
Und siehst du die Gräber dort in der Ferne?
Das waren welche, die rauchten so gerne.
Siehst du die Gräber hinterm Strauch? 
Das sind die Nichtraucher - Die sterben auch!

Donnerstag, 31. Mai 2018

Die Stadt & die Stadt von China Miéville

"We need fantasy to think the world, and to change it."
"Wir benötigen Phantasie, um die Welt zu denken, und zu ändern."
Marxism and Fantasy: An Introduction China Miéville

Ein Krimi? Ein phantastischer Roman? Eine Parabel? Der Autor hat mal gesagt, er will sich durch alle Genres schreiben.
Es gibt eine Tote, einen Kommissar, die Polizei, Verdächtige und Ermittlungen und Verfolgungsjagden, ganz wie es sich in einem Kriminalroman gehört. 
Irgendwo auf dem Balkan, zwei Städte, Besźel & Ul Qoma, oder eine geteilte Stadt? Sie existieren nebeneinander und ineinander. Die Kinder beider Seiten lernen früh, den anderen Teil und seine Bewohner nicht zu sehen. Im Englischen klingt das besser: to unsee, sie ungesehen machen. Sie laufen nebeneinander ohne sich wahrzunehmen. Sie blenden die Hälfte der Wirklichkeit aus.
Ein bisschen ist das wie ehemals in Ost-Berlin, der Westen war allüberall und doch nicht wirklich da. Als bei meiner Aufnahme in die FDJ an der Mauer plötzlich Flugblätter über dieselbe flogen, kamen sie wie aus dem Nichts. Unter meiner Kindheitsstrasse, der Friedrichstrasse, spürte man das Beben unsichtbarer, nicht bekannter U-Bahnen, der dortige S-Bahnhof hatte hinter einer undurchdringlichen Trennwand einen weiteren Bahnsteig. Straßen hörten urplötzlich auf. Und einmal hörte ich, wie eine West-Berliner Besucherin vor dem Tränenpalast ihrer Begleiterin zurief: " Bei uns hat nicht so geregnet." 
Ja, wir wurden kollektiv darauf gedrillt den westlichen Nachbarn unzusehen.

 China Miéville © Katie Cook

Zurück zum Roman - Wer die unsichtbare Grenze "überschreitet", durch falsch gucken oder gar körperlichen Grenzübergang, wird von the Breach gepackt und verschwindet. The breach = der Bruch, die Einbruchstelle, die Verfehlung, die Rechtsverletzung.
Das Tolle ist, dass der Schreiber der beunruhigenden Metaebene nie erlaubt, aufdringlich zu werden. Diese kafkaeske Welt wird beschrieben als Alltag, unangezweifelt und gewohnt. Und wie es ein anderer Leser beschreibt: "Das Geheimnisvolle darf geheimnisvoll bleiben." Am Ende, wenn der ernsthafte "Held" gegen Ende eine Verfehlung begeht, erschrickt es ihn so sehr wie mich.
Das BBC hat den Roman gerade verfilmt. Will ich sehen.
 
http://buchwurm.org/mie9ville-china-die-stadt-die-stadt-18010/

Montag, 28. Mai 2018

Nellys warmer Kartoffel-Spargel-Salat

Ein warmer Sommersalat, dem meine Lieblingsnichte erfunden hat, und der überaus einfach zuzubereiten ist und noch überaußer lecker schmeckt. Nelly ist ein unangestrengter Koch, da bin ich noch lange nicht. Und sie experimentiert gern. Wenn wir auf dem Lande zusammen kochen, verschwindet sie gelegentlich im Garten und bringt Kräuter und Blumen zum Würzen mit. Und sie ist eine großzügige Lehrerin. Gut für mich.

DIE ZUTATEN
Kartoffeln
Grüner Spargel
Tomaten
Hühner- oder Gemüsebrühe nach Gusto
Sahne oder 'Creme Fine zum Kochen'
Zitrone
Knoblauch, Salz, Pfeffer, Zucker, Curry und andere Gewürze nach Belieben

Die Mengen der Gemüse sollten etwa gleichgroß sein.

DIE ZUBEREITUNG
dauert etwa 25 Minuten.
Kartoffeln in kleinere Würfel schneiden und kochen wie üblich. Wenn das Wasser sprudelt Brühe, Salz, Knoblauchsalz, Pfeffer und was immer ihr mögt dazu, auf mittlerer Hitze weiterkochen lassen, bis sie fertig, aber noch bißfest sind.
Grünen Spargel in 1 cm Stücke schneiden und in einer Pfanne mit wenig Fett anbraten, salzen und einen Löffel Zucker zum karamelisieren dazu. Die Spitzen erst etwas später dazugeben.
Die Tomaten würfeln, den gebratenen Spargel drüber und zwei kleine Kellen des Kartoffelwassers dazu. Das restliche Kartoffekochwasser abgießen und die Kartoffeln in die Schüssel mit den anderen Zutaten kippen.
Creme Fine und Zitronensaft in "kreisförmiger Bewegung" in die Schüssel, das ganze vermischen und sogleich, noch lauwarm essen. Einen Löffel für die Sauce nicht vergessen!

Sonntag, 27. Mai 2018

Eine Glänzende, Glitzernde Demonstration

Wegen euch Arschmaden habe ich keinen freien Sonntag

Lange nicht mehr auf einer Demo gewesen. Die heute war gut. Die Kundgebung hab ich mir gespart, aber drei Stunden durch Berlin zu laufen, um die Anwesenheit von Widerspruch deutlich zu machen, ist nützlich verbrachte Zeit.

Wenn die Zahlen, die die Polizei geschätzt hat, stimmen, waren 5000 (fünftausend) Mitglieder und Unterstützer der AfD gekommen, um ihre politische Haltung zu vertreten, und im Gegenzug liefen, latschten, tanzten 25 000 (fünfundzwanzigtausend) Leute verschiedenster Couleur und Color, um deutlich zu machen, dass sie gänzlich anderer Meinung sind.

Ich war in der Menschenmenge mit den güldenen Fahnen. Viele Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, zu wenige aus meiner Altersgruppe. Warum? Zu faul? Zu träge? Zu müde? Bei der anderen Gruppe?

Manche meiner Mitläufer (hihihi) kamen direkt vom Feiern, andere hatten sich großartigst verkleidet. Es gab dekorierte Kinderwagen die Menge, kleine Engel, Einhörner, goldene Turbane, Pailtetten, Strass und viele glitzernde Schutzdecken als Hut, Rock, Schleife, Sonnenschirm, Augenbinde und Büstenhalter. Es wurde wenig geschrien und viel in der Sonne gelacht. Klar waren auch einige Menschen auf der Suche nach Randale dabei, aber nicht wirklich viele.

Seitlich liefen die Sammler von Pfandflaschen, auch die zufällig an der Strecke liegenden Kioske und Eisdielen haben gut Geschäft gemacht.

WIR SIND VIELE - JEDE*R EINZELNE VON UNS

Laufen ist gesund, nette Gesellschaft hatte ich, die Sonne hat geschienen. Und zumindest heute waren wir, so verschieden wir über Vieles denken mögen, doch weit mehr, als die anderen mit ihren einfachen, bösen Lösungen.

P.S. Könnten wir aufhören "Nazis raus!" zu skandieren, bitte? Wo raus, wo rein? Quatsch, leere Hülse, Dummzeug. 

P.P.S. Ich werde gerade von Bekannten darauf hingewiesen, dass meine Freude fehl am Platz ist, da eine solche Demo nur von den wirklichen Problemen, die unser Land hat, ablenkt. Tja.


Nur von hinten wegen der neuen Datenschutzbestimmungen

Mittwoch, 23. Mai 2018

Luchino Visconti - Die Verdammten oder Die Götterdämmerung

https://www.tagesspiegel.de/kultur/retrospektive-der-grosse-melancholiker-luchino-visconti-in-einer-berliner-retrospektive-/8392106.html

Ich sehe grauenhaftes, morbides, dekadentes, doch erschütternd schönes Verlöschen, während unbemerkt, ohne eines Momentes des Interesses wert zu sein, Millionen Menschen unbetrauert verrecken.
Schauspieler in ihrer ersten atemraubenden Blüte. Buchholz, Griem, Berger.
Visconti, der Sohn einer adligen italienischen Familie mit hunderten Jahren von Reichtum, Macht und Geschichte auf dem Buckel, versuchte, den Untergang seiner Art zu verfilmen. Das schaut sich an wie ein tragisches biologisches Experiment. Entschlossen kalt und verzweifelt zugleich.
Alle Akteure sind dem Untergang verfallen und reißen dabei Völker mit in den Abgrund, und es spielt keine Rolle für sie.

 ©dpa
http://www.news.de/promis/855534670/helmut-berger-helmut-berger-der-skandal-schauspieler-feiert-seinen-70-geburtstag/1/ 

Nur Aschenbach/Griem, ein Mann ohne Bindungen, ist agil, lebendig, ohne Skrupel, lebensfähig.
"Auf die Knie!"
Edgar Allen Poes "Der Untergang des Hauses Usher" bietet sich an zur begleitenden 
Lektüre.

http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-untergang-des-hauses-usher-7205/2

Dienstag, 22. Mai 2018

Facebook ist ein eigen Ding

Facebook, bzw. mein persönliches Facebook. 
Ohne wirkliches Zutun meinerseits habe ich momentan 1600 Facebookfreunde. Die meisten kenne ich nicht im entferntesten persönlich. Ich poste meinen Blog, interessante Artikel, auch mal nur Quatsch, manchmal Fragen, sehr gelegentlich Meinungen, selten Provokationen.

Beginnen wir mit den guten Dingen: Ein Bekannter veröffentlicht interessante Bücher, Bilder, die ihn packen und Auszüge aus gutgeschriebenen SZ-Kritiken. Ein anderer wichtige aktuelle politische Artikel. Ich erfahre wo gerade interessante Inszenierungen laufen, Ausstellungen öffnen. Wenn ich verreise, wissen andere, wo es das beste Eis gibt, die schönste Kirche, das beste Hotel. Wenn ich neu auf ein Thema stoße, kann ich Anstöße bekommen, wo ich am besten beginne, mich zu informieren. bei 1600 Leuten ist fast jeder Beruf, jede Spezialisierung, jedes Hobby vertreten. Und sehr viele Menschen sind hilfsbereit und auskunftsfreudig.

Meine "Blase", die kleine Facebook-Gemeinde, deren Postings ich regelmäßig verfolge, ist dabei keineswegs heterogen. Ich lese Vieles, was mich erstaunt, erschrickt, aufregt. Gut so. Nicht gemütlich werden mit den eigenen Meinungen, zu begreifen, dass Widerspruch, andere, konträre Gedanken und Sichten Berechtigung haben, ist gut für mich.


Andererseits: Unser Umgangston bei Uneinigkeit ist schnell rau, oft hitzig, rasch unverhältnismässig abfällig und manchesmal geradezu verächtlich. Die Fähigkeit zu streiten ohne den Streitgegner, den, der eine von der unseren abweichende Meinung hat, ernst zu nehmen, mit ihm kommunizieren zu wollen, scheint mir auf Erbsengröße verkümmert. Selbst Freunde, die ich in der realen Welt liebe, hacken auf Facebook ohne erkennbaren Eigenzweifel auf Andersmeinende ein, als gälte es, die Welt zu retten, indem man eine harmlose, unsichere Gegenäußerungen auf Facebook in den Boden stampft. Die Wortwahl wird maßlos, die Vergleiche hinken übelst und Unterstellung ist die beliebteste Angriffswaffe. Das Dritte Reich ist dabei ein williger Bereitsteller von Vergleichsbildern oder, dass der andere Ossi ist oder Wessi, oder blind & blöd.

Wer von uns weiß die letzte, unumstößliche Wahrheit über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern? Wer kennt alle Ambivalenzen der #metoo Debatte? Merkel wird zum ultimaten Monster, Palästinenser zu aggressiven Halbmenschen. Keiner. Aber dennoch wissen wir uns im Besitz der einzigen wahren unbestreitbaren Wahrheit. 

Ich habe sie nicht, leider. Diese Gewißheit. Je älter ich werde und je mehr ich erfahre, desto unsicherer werde ich. Die Weltpolitik droht, mich zu überwältigen. 

Ich weiß, Trump ist ein egomanisches Arschloch, aber mehr als Halb-Amerika wählt ihn? Merkel ist CDU und sitzt alles aus, aber wer sollte es anstatt ihrer sein? Die Hamas ist ein übler Haufen, aber ist Israel deshalb schuldfrei? 

Gib mir die Fähigkeit und die Geduld andere Meinungen auszuhalten und doch zu wissen, wann ich mich ausklinken muß, grob werden sollte oder die Sperrung der Facebook-Seite verlange.

Montag, 21. Mai 2018

Pfingsten - Shavuot

Pfingsten - Ausgießung des Heiligen Geistes: eine irgendwie ungenaue Angelegenheit, wer ist dieser "Heilige Geist" genau?  Im Namen Gottes und seines Sohnes und im Namen von eben diesem. Maria ist raus, der H. G. ist drin. Man nennt ihn die dritte Person der göttlichen Trinität. 
Geist steht auch für Haltung, Stimmung, Wind, Hauch, Atem. 
Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. (Kohelet oder Prediger)
H.G. war der Mittelsmann bei Mariä Empfängnis, im Lukasevangelium wird beschrieben, dass nach Jesu Abschied der Heilige Geist auf die Jünger herabkam und sie begannen, zu predigen, schwanger oder redselig.   
Ursprünglich hieß das Fest Shavuot - Gott übergab die Zehn Gebote zum zweiten Mal, beim ersten Mal hatte es Schwierigkeiten mit Goldenen Kälbern etc. gegeben, oder es hieß einfach Erntedankfest, weil jetzt im Nahen Osten der Weizen geerntet wurde und wird.
Mein Pfingsten: Familie, Freunde, Lieblingsnichte, herrliches Wetter, Spaziergänge, Schwimmen, ungewöhnlich viele Kinder, wo sind die alle im Winter, Krimi, Grillen. Perfektion.

Gegenbeispiel: Szene in der S-Bahn. Sehr niedliches etwa vierjähriges Kind wirft absichtlich Dinge weg. 
"Mama!"
Mama streichelt Kind und sagt "Heb es auf."
So weit so gut.
Kind spielt, sehr dilettantisch, große Verzweiflung. 
Mama streichelt heftiger und sagt bittend, "Nein Du". 
"Nein Du."
"Nein Du."
"Nein Du."
"Nein Du."
"Nein Du."
Unterlegt mit heftigerem Streicheln seitend der Mutter und noch mieseren Laienschauspieldarbietungen des Kindes.
Mehr als eine eine halbe Stunde ging das so.
So werden künftige Soziopathen erschaffen.
Das Kind ein Manipulator, die Mama ein Lappen. Wo war da der Heilige Geist?
    

Samstag, 19. Mai 2018

Simon McBurney - The Encounter

The Encounter

von Complicité /Simon McBurney
nach dem Roman »Amazon Beaming« von Petru Popescu
Regie: Simon McBurney
Mit:
Simon McBurney

Simon McBurney ist nicht sehr groß, dafür ist es seine Nase, er ist 60, athletisch, beweglich, ein Körper-Clown mit schnellem, trockenem Wort-Humor. 

Ein Mann, ein binaurales Mikrophon (Kunstkopf), zwei andere Mikrophone, zwei Loop Maschinen, ein kleiner mobiler Lautsprecher, ein Handy, Tontechnik, Licht und wenig Video, sehr viele Wasserflaschen aus Plastik und Kopfhörer für jeden Zuschauer. Das binaurale Mikrophon sieht aus wie ein grauer Roboterkopf und nimmt den Raumton mit genauer Ortung der Richtung auf. Da spricht jemand plötzlich links hinter dir, nein, rechts, direkt in dein linkes Ohr und als McBurney dem Kunstkopf ins Ohr blies, habe ich es in meinem Ohr gefühlt. 
Wirkt zwar Vereinsamend im vollen Saal, aber auch ganz intim. Ganz anders, als wenn die Spieler in Kopfmikros sprechen, was mir sie eher entfernt.

Simon McBurney in "The Encounter" © Robbie Jack

Worum ging es? Darum, dass Zeit nicht linear verläuft, dass Realität und Fiktion schwer zu unterscheiden sind. Gutes Beispiel: Wir alle glauben heute ist Samstag, aber es gibt keinen Samstag, er ist nur eine Verabredung, die wir alle eingegangen sind.
Worum ging es? Um unsere ignorante Fremdheit gegenüber anderen Arten gesellschaftlichen Lebens, um unsere nachlässige Vergewaltigung der Natur, um ein Kind, dass nicht schlafen kann und unbedingt ein Geschichte braucht.

Zwei Stunden war der Spieler über meine Ohren in meinem Kopf und es war ein guter Besuch. Manchmal habe ich ihm zugeschaut, manchmal mit geschlossenen Augen nur gelauscht. 

Geschichten erzählen. Mein Lebensberuf.


Münchhausen:
Ich habe Geschichten erzählt. Geschichten, die die Welt am Leben erhalten. Ohne diese Geschichten gäbe es nichts, die Welt würde ohne sie, aufhören zu 


Cagliostro:
Und, wenn du schweigst? Ewige Stille? Weltuntergang? Apokalypse?
Münchhausen:
Wenn ich schweige, wird irgendwo ein anderer seine Geschichte erzählen, eine andere Geschichte! Ein Märchen, eine Romanze, eine Geschichte über einen plötzlichen Tod. Egal! Die Geschichten müssen erzählt werden. Nur deshalb gibt es uns noch!
Cagliostro:
Haben diese Geschichten ein Happy End?
Münchhausen:
Das weiß ich nicht. Ist auch egal, aber sie müssen erzählt werden.


Freie Variation auf "Das Kabinett des Doktor Parnassus" von Terry Gilliam

Woyzeck von Ulrich Rasche beim Theatertreffen

Es is viel möglich. Der Mensch! Es is viel möglich. – Wir haben schön Wetter, hh. Sehn Sie, so ein schöner, fester, grauer Himmel; man könnte Lust bekommen, ein' Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankenstriches zwischen Ja und wieder Ja – und Nein. hh, Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld? Ich will darüber nachdenken.

Ein toller Abend, den ich nach der Pause nicht mehr weitersehen wollte.
War es ein Oratorium? Eine Oper? Tanztheater? Post-Futuristisches Maschinentheater? Eine poetische Reanimation von "Stomp"? Ein bisschen von alledem.
Irrwitziger Widerspruch: Im Programmheft beschreibt Rasche die Ausgangsposition Woyzecks als hell, er sei zufrieden in seiner üblen Lebenssituation, bis ihm sein Ankerpunkt, seine Liebe und sein Kind genommen werden. Aber auf der Bühne sehe ich ab Minute eins eine panische Kreatur. 
Monika Roschers Musik ist durchkomponiert, rhytmisch und bestimmt letztendlich im Pas de deux mit der gewaltigen schrägen Drehbühne das Bühnengeschehen. Die Sprechweise ist für alle Spieler vorgegeben, sicher auch um neben/auf der Musik zu bestehen. Die Worte, Sätze werden gedehnt, synkopiert. Den Partner anzusehen, scheint verboten. Und, um die Position für eine Szene zu erreichen und zu halten und wieder zu verlassen, muß gelaufen werden, ohne Unterlaß. Manche nutzen das für eine spezifische Körperlichkeit ihrer Figur, manche kämpfen damit, den Takt zu halten.




Quelle: Sandra Then

Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.  

Die erste Stunde überwältigten die Bilder mich im besten Sinn, dann war mir das Prinzip klar und ich sehnte mich nach einer Minute ohne Musik oder ohne Drehung oder danach, dass mal jemand einfach nur einen Satz direkt zu jemand anderem sagt. Die Chöre sind beeindruckend. 
Es ist einfach von allem zu viel. Immer auf Wirkung gedacht, ohne Leerstelle, ohne Haspler, Zufälligkeit. Mit wahnsinniger Disziplin läuft der Abend wie eine Riesenuhr.

Schwierig. Solche Energie, aber auch Krampf, Dampf. Machogeprotze. Die Bühnenmaschinerie, das Stampfen, das ständige laute Rufen der Worte, die schwarzen martialischen Kostüme mit den sichtbaren Sicherheitsgurten, die Anspannung in den Körpern auf der Schräge ergibt eine irritierende Wirkung von Militanz, exerzierende Soldaten, in Reih und Glied. Masse. Schleef kommt mir in den Kopf, aber er hat seine Chöre mit Spielszenen abgewechselt. 

Ich bin ein Mann! – Ein Mann, sag' ich. Wer will was? Wer kein besoffner Herrgott ist, der laß sich von mir. Ich will ihn die Nas ins Arschloch prügeln! Du Kerl, sauf! Ich wollt' die Welt wär' Schnaps, Schnaps – der Mann muß saufen! – Kerl, soll ich dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwickeln? Soll ich dir noch so viel Atem lassen als 'en Altweiberfurz, soll ich? Der Kerl soll dunkelblau pfeifen.
Branndewein, das ist mein Leben;
Branndwein gibt Courage!

Die schönste Szene: Marie und der Tambourmajor, erotisch und verspielt. Die beiden haben es geschafft im Artifiziellen Figuren zu erschaffen mit eigener Beweglichkeit und Denkhaltung. Sehr schön.