Montag, 19. März 2018

Der Nackte Wahnsinn

LLOYD: Hört mal, Leute, da wir sowieso unterbrochen haben. Schön, wir haben zwei Tage zum Aufbauen gebraucht, also ist keine Zeit für eine Generalprobe. Macht euch keine Sorgen. Betrachtet die Premiere als Generalprobe. Wir lassen es jetzt einmal durchlaufen und konzentrieren uns auf die Türen und die Sardinen. Auftritte, Abgänge. Sardinen rein, Sardinen raus. Das ist Farce. Das ist Theater. Das ist Leben. Und immer dranbleiben. Zack, zack, zack. Zack, du bist draußen. Zack, du bist fertig. Zack, du bist ab. Dann läuft alles wie von ... Wo ist Selsdon?


Sechs Wochen üben ohne Unterlass. Unterbrochen nur von Grippeattacken, Gastspielen, Wiederaufnahmen etc., eben dem Stadttheateralltag. 
Sechs Wochen Tür auf - Tür zu, Treppe hoch - Treppe runter, Sardinen rein, Sardinen raus, Anschlüsse, Anschlüsse und bloß an der richtigen Stelle atmen. Beim Üben gibt es wenig Freiheit, erst wenn alles bis zur Erschöpfung trainiert ist, wird der Freiflug möglich. Zu Beginn geht gar nichts, dann herrscht blanke Hektik und im Glücksfall wird in der letzten Probenwoche daraus fokussierte Schnelligkeit. Frayn hat das Ding mit seiner Stoppuhr im Anschlag geschrieben. Wir mußten uns seiner Strenge ergeben und konnten nur dadurch unsere Eigenheit einbringen. 
Der erste Akt braucht 56 Minuten, Akt 2 und 3 eine Stunde.
Alle bewegen sich panisch auf sehr dünnem Eis, selbst ich, die ich Tempo liebe, brauchte Atempausen. Slow-Motion, Zeit anhalten, Verlangsamung.
Das Ding probieren mit Beamtenspielern oder anderen mißgelaunten Leuten wäre der reinste Horror. Ich hatte Glück. Alle wollten und konnten.

Aus dem Programmheft:

TÜREN
Ein Requisit, aus dem sich unbegrenzt theatralisches Kapital schlagen lässt
Einer der zugleich alltäglichsten und merkwürdigsten Gegenstände, die es auf der Welt gibt, ist die Tür. Man weiß nicht sehr genau, was eine Tür ist. Ist sie sie selbst, wenn sie offen oder wenn sie geschlossen ist? Ist sie also eine Öffnung oder ist sie ein Verschluss? Eine Tür ist aber nicht nur offen oder geschlossen, sie verändert mit ihrem Zustand auch den angrenzenden Raum. In einem geschlossenen, privaten Raum können und werden ganz andere Dinge stattfinden als in einem offenen, öffentlichen Raum. Oft bedeutet im Märchen der Schritt durch eine Tür oder Pforte den Schritt in einen anderen Raum, eine andere Form des Daseins. Die Tür ist nicht nur ein Gegenstand der wirklichen Welt, sie ist ein Symbol, sie öffnet sich nicht nur in einen zweiten Raum hinein sondern eine andere Wirklichkeit.
Dass die Tür mit dieser Verwandlung eines Raumes etwas wirklich Neues in die Welt gebracht hat, dass sie ähnlich wie das Rad die Welt auf fundamentale Weise verändert hat, sieht man am besten im Theater. Türen sind im Theater Hort unendlicher Missverständnisse. Wenn einer hinausgeht, um einen anderen zu holen, den er zum Dritten führen will, verschwindet dieser Dritte durch eine andere Tür, und es beginnt eine Verwirrung, die sich immer weiter verfeinern und nutzen lässt. Die französische Salonkomödie ist dafür das beste Beispiel. Man kann durch das Lauschen aus dem Unterschied zwischen abgeschlossenem und offenem Raum scheinbar unbegrenzt theatralisches Kapital schlagen und immer weiter variieren.
Peter Michalzik




Alle Photgraphien © Steffen Rasche

Freitag, 16. März 2018

Einfach Theater

Da das hiesige Theater es für klug hält, dass zwischen Generalprobe und Premiere ein Tag liegt, an dem die Spieler ganz andere Stücke spielen, 
war ich heute arbeits- und ruhelos und da bin ich halt Theater gucken gegangen.

Morgens um 10 spielte ein wunderbarer junger Clown, momentan eigentlich mein Clown, vor 90 Schülern die Geschichte des Odysseus. Er spielte. Mit einer Leiter, die ein Drache wurde, ein Pflug, der Olymp und ein Schiff. Einem Tuch, das sich in ein Baby verwandelte, in die in die langen Haare einer koketten Frau und dann zu einem Vogel wurde, der von einem Pfeil getroffen, zu Boden schwebte. Das Stück läuft hier seit 25 Jahren, er ist der vierte Darsteller. Ich hätte es nicht gemerkt. Ich war bezaubert.

Odysseus und die Leiter 
Darsteller Nummer 4

Nachmittags zu Kaffee und Kuchen und Gespräch bei zwei liebenswürdigen Theaterdinosauriern. Sie spielen immer noch, sind viel umher gewandert, mit Kindern und Sack und Pack, haben hart gearbeitet in Rostock, Halle, Rudolstadt, Senftenberg. Er war der erste Odysseus. Und die ausnahmsweise probenfreie Dame des Hauses, hat aus Solidarität, in der, in Folge von Sparmaßnahmen, geschlossenen Theaterkantine, unsere Endproben in Kostüm und Maske mit geschmierten Brötchen und Würstchen unterstützt.

Odysseus und die Leiter 
Darsteller Nummer 1

Abends dann zu Lola Blau für 50 Leuten mittleren Alters. Eine andere meiner Clowns singt wie eine Lerche, ein Mann, der eigentlich Inspizient ist, begleitet sie auf den verschiedensten Saiteninstrumenten. Dieser Mann spielt bei mir auch mit und das mit bewunderungswürdiger Hingabe.

Und zwei meiner Spieler sind noch auf einem Gastspiel in Brandenburg. 
2 Stunden Busfahrt hin und zurück.

Ein gewöhnlicher Tag an einem gewöhnlichen deutschen Stadttheater.

Kommt mir bloß nicht mit diesem Gequatsche vom posthumanen Theater.

Freitag, 9. März 2018

Bad Banks - Schlechte Banken

BAD BANKS

"Bad Bank" ist ein Begriff aus der Wirtschaftsprache und bedeutet, dass in Zeiten der finanziellen Krise böse Banken gegründet werden, um den "guten" Banken bei ausstehenden Krediten zu helfen, damit diese überleben.
https://www.schnittberichte.com/review.php?ID=10745 

https://de.wikipedia.org/wiki/Bad_Bank 

Eine in Deutschland produzierte Serie, mit deutschen Schauspielern und Schauspielerinnen, und einigen von woanders her, eine Staffel, sechs Teile, Regie Christian Schwochow. 
Nein, es ist sicher nicht die beste Serie aller Serien aller Zeiten, aber sie ist gut.
Keine Neuerfindung des Genres, wie es "Sherlock" oder "Breaking Bad" waren, aber ein nicht langweilender Versuch, die schlechten Angewohnheiten des von Redakteuren beherrschten deutschen Fernsehens zu vermeiden, siehe auch "Club der roten Bänder". 
Keine Schnitte, drei Sekunden nach dem es sowieso zu spät ist, der pädagogische Erklärbär hält sich meist höflich zurück und ein und derselbe Charakter ist mal sympathisch und mal ein Arschloch. Und das Hauptthema ist heutig. Wonach sind wir so gierig? 
Die Kostüme sind toll, nicht wie bei "Toni Erdmann", wo ich sofort wußte, dass die sonst oft tolle Sandra Hüller niemals der CO eine global agierenden Firma sein konnte - mit ihren schlechtsitzenden Kostümen und ohne Make-up. Jeder, der mal mit den Montagmorgen und Freitagnachmittag die Inlandsflieger füllenden Dienstreisenden ein Flugzeug geteilt hat, weiß, wie die gekleidet sind. In feinst individualisierte Uniformen.
Der Schnitt ist großartig, immer auf den Punkt, aber warum kann ich den Namen der Schnittmeisterin, des Schnittmeisters nirgends finden? 
Ich darf mich selbst entscheiden, wen ich wann mag.
Die Perücke von Frau Nosbusch läßt zu wünschen übrig, aber sie ignoriert das einfach. Paula Beer hat zu oft feuchte Augen, aber auch Momente kalter Klarheit. Barry Atsma ist sexy und großartig. Albrecht Schuch, so blond, so geplagt und verständlich.
Ich habs gemocht.
Zu finden in der arte-Mediathek.



Dienstag, 6. März 2018

Nieder mit der Aufklärung - Das Jenseitige

"... jenseits des Verstandes, 
des Hörbaren, 
des Sehbaren"

http://www.deutschlandfunk.de/kritik-an-der-volksbuehne-berlin-theater-ist-kein.691.de.html?dram%3Aarticle_id=412332

Warum, um alles in der Welt, heißt die Frau auch noch Piekenbrock? 
* (Siehe unten "Piepenbrink")
Auch ich habe im Theater schon Abende erlebt, in denen ich Erlebnisse "jenseits meines Verstandes" hatte. Solche der schlimmen Art, an denen ich glaubte blöde zu werden und an meinem Verstand zweifelte. Und, einige wenige, an denen mein Körper reagierte, mein Zentrum, mein Innerstes. Wo ich nachher mehr wußte, als ich vorher je gewußt hatte.
Aber in jedem Fall wurde meine Reaktion durch das ausgelöst, was ich gesehen und gehört hatte. 
Also was soll der kokette Quatsch mit dem "Jenseitigen"? Welcher meiner Sinne soll hier zum Einsatz kommen? Bin ich für die Laboratorien des posthumanen Theaters zu sehr nur menschlich? Zu unsensibel? Zu wenig dies, zu wenig das? 
Ich glaube nicht an ein Jenseits, das Diesseits finde ich schon kompliziert und aufregend genug. Grob gesagt, klingen ihre (Frau Piekenbrocks) Worte wie ausweichender, elitärer Schmampf.

"Für sie (Frau Piekenbrock) ist Theater kein Kriegsschauplatz, in dem Regisseure vor einer Premiere entmündigt werden..." Edel. Aber das Faktum einer erfolglosen Premiere, oder, wenn die Kritiken recht haben, eines Theaterdesaster der übelsten Art, wird dadurch nicht weniger traurig. 

 
Es gibt einen ziemlich alten Witz: Stalin, Chruschtschow und Breschnjew fahren gemeinsam in einem Tatra. Plötzlich hat das Auto eine Panne. Stalin sagt: "Ich kläre das", steigt aus und erschießt den Chauffeur, Chruschtschow schreit auf, steigt ebenfalls auf und haut heftig mit seinem Schuh auf die Motorhaube. ** 
Breschnjew bleibt sitzen, bittet die beiden anderen wieder einzusteigen, zieht die Vorhänge an den Fenstern zu und sagt: "Wir fahren".


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* Piepenbrink. Ich heiße Piepenbrink.

Aus Gustav Freytag "Die Journalisten"  13. Kapitel

Piepenbrink (feierlich). Mein Herr Oberst! – Eine Anzahl Wahlmänner hat uns als eine Deputation zu Ihnen gesandt, um Ihnen gerade heut zu sagen, daß die ganze Stadt Sie für einen höchst respectabeln und braven Mann hält.

Oberst (steif). Ich bin für die gute Meinung verbunden.

Piepenbrink. Da ist nichts Verbindliches bei. Es ist die Wahrheit. Sie sind ein Ehrenmann durch und durch, und es macht Freude, Ihnen das zu sagen; es kann Ihnen nicht unangenehm sein, dies von Ihren Mitbürgern zu hören.

Oberst. Ich habe mich selbst immer für einen Mann von Ehre gehalten, meine Herren.

Piepenbrink. Da haben Sie ganz Recht gehabt. Und Sie haben Ihre brave Gesinnung auch bewiesen. Bei jeder Gelegenheit. Bei Armuth, bei Theuerung, in Vormundschaften, auch bei unserm Schützenfest, überall, wo uns Bürgern ein wohlwollender und guter Mann Freude machte oder nützlich war, da sind Sie voran gewesen. Immer schlicht und treuherzig, ohne schnurrbärtiges Wesen und Hochmuth. Daher kommt es denn, daß wir Sie allgemein lieben und verehren.


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** Chruschtschow und sein Schuh:
http://www.zeit.de/2010/37/Chruschtschows-Schuh

Samstag, 24. Februar 2018

Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum

Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum

Im Bode-Museum

Die Ausstellung "Unvergleichlich" wird herausragende Kunstwerke Afrikas aus dem Ethnologischen Museum in der einzigartigen europäischen Skulpturensammlung im Bode-Museum zeigen. Durch die beiden Hauptetagen werden punktuell Plastiken beider Kontinente gegenübergestellt. Thematische Vertiefungen werden in einem Sonderausstellungsraum gezeigt.



Die europäische Moderne hat diese Werke offensichtlich aufgesaugt. Kubismus, Expressionismus, Abstraktes. Beschützende Kraftfiguren von wilden Tieren und Müttern aus Holz mt eisernen Nägeln bespickt und umwickelt mit Pflanzen in denen alles hängt, was der Wald hergibt. 
Altarskulpturen. Konzentration auf das Wesentliche, Brüste, Hände, Geschlecht, kräftige Beine, dicke Bäuche mit gigantischem Bauchnabel. Oft schräggestellte schmale Schlitzaugen, die merkwürdig asiatisch anmuten. Wundervolle hochangesetzte Hintern. Ganz und gar unterschiedliche Stile verschiedenster Künstler. 
 Wie sind diese Skulpturen in unseren Besitz gekommen? Was für Kulturen wurden dort zerstört? Gestohlen, geraubt, für Pfennige gekauft? Die Nachfahren der Kolonialherren, der Eroberer, Unterdrücker und Räuber zeigen ihr Diebesgut. Oder? 
Was bleibt? Dass wir nichts wissen über die Geschichte dieser Länder und der ganze Kontinent unter den Begriffen arm, zerrissen von Kriegen, verwüstet von Korruption, aber teilweise geeignet für Tourismus in unseren Hirnen abgespeichert ist.
Das Humboldt Forum hat da eine schwer zu tragende Verantwortung mit der Übernahme der Dahlemer Ethnologischen Sammlung übernommen.


 Ein König - stark, autoritär




Schön

Mama mit Kind

Ein afrikanischer Don Quichotte



 Herr Keuner

Eine Schutz - Kraftfigur für Zwillingsgeburten

 All that Jazz

 Eine Königin, ihre Zähne sind silbern.



Und weil sie so schön ist in ihrem orangen Kleid eine europäische Maria bei der Verkündigung. Ein christliches Top-Model.

 

Mittwoch, 21. Februar 2018

Hütchenspiel - Wie blöd kann man sein?

https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/der-huetchenspiel-pate-lacht-berlins-justiz-aus

Üblen Betrüger gelingt es, alte, einsame Menschen mit widerlichen Tricks um ihr weniges Geld zu betrügen. Verachtenswert. Drückerkolonnen schwatzen überforderten Mitbürgern idiotische Versicherungen, Abonnements, Kredite auf. Bedauernswert. Phishingemails, Fakenews, betrügerische Inkassobescheide, die tagtäglichen Möglichkeiten zum Betrogenen zu werden, sind vielfältig.

Aber wer ist heute noch so "AHNUNGSLOS", dass er glaubt bei einem Hütchenspiel gewinnen zu können? Jemand, der bis gestern in der Arktis, Antarktis ohne jeglichen Funkkontakt lebte? Jemand der an Chemtrails und Entführungen durch Außerirdische glaubt? Jemand, der Impfungen für schädlich und überflüssig hält? Jemand, der sich für schlauer als die anderen Schlauen hält? Jemand, der so dumm ist, dass er es verdient, ausgenommen zu werden?

https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%BCtchenspiel

Ich möchte gern mein Mitgefühl für andere Menschen aufsparen.

Dienstag, 20. Februar 2018

Ein kleines Schicksal

Meine Unterkunft in Senftenberg befindet sich in einer Villa auf dem Gelände des Theaters, sauber, großzügig, mit WLAN und der üblichen Dänischen Bettenlager-Ausstattung. Gegenüber ein typischer DDR-Plattenbau, vierstöckig, grau und gesichtslos. Im zweiten Stock des dritten Aufganges wohnt eine alte Dame, die gerne von Fenster zu Fenster über die Strasse ein kleines Gespräch führt. Als ich zum ersten Mal hier war, quatschten wir, etwas überlaut wegen der Entfernung, über dies und das, ihren Sohn, das Wetter, den Markttag, meine Arbeit. Als ich sie zur Premiere einlud, kriegte sie einen Schreck und erschien die letzten zwei Tage nicht mehr an ihrem Fenster.
Nun zwei Jahre später wartet sie hinter ihrer Gardine darauf, dass ich mein Fenster öffne, um zu rauchen, und wir schreien einander wieder zu. 
Aber die Stimmung hat sich verändert. "Alt werden, tut weh",  "Das Wetter ist aber kalt", "Mir ist oft so schwindelig", "Ich kriege keinen Schlaf" . 
"Was soll's!" ihr immer wiederkehrender Kurzsatz. "Was soll's!"
Sie ist achtzig. Die Tochter lebt irgendwo in Nordrhein-Westfalen und sie muß glauben, was die Enkel am Telefon erzählen, denn sie schafft die Reise nicht mehr und von dort kommt kein Besuch. Der Sohn hat ein Haus in Senftenberg, er bringt ihr einmal wöchentlich die Getränke. Gott sei Dank. 
Ihrer Gehhilfe traut sie nicht.
Gegenüber meiner Berliner Wohnung ist ein Seniorenheim, im Foyer sitzt jetzt oft ein ehemaliger Kollege, er sitzt und schaut. Es scheint, ohne Erwartung.
"Was soll's!"
Mir geht es gut. Noch? Mir geht es gut. 
Nach der Premiere hier werde ich Zeit haben, Dinge zu tun, die ich auch liebe. Faulsein, Freunde treffen, Kochen, Schreiben, Nachdenken, Theater gucken.
Mir geht es gut.

 Alte Frau in Havanna ©winni

Sonntag, 18. Februar 2018

DER SEIDENE FADEN - BDSM VOM FEINSTEN

Steven Shainberg hat den einzig mir bekannten Film gedreht, der explizit BDSM zum Thema hat. 'Secretary' ist der Titel des Originals, 'Secretary - Womit kann ich dienen?' die erklärende Anleitung für den hilfsbedürftigen deutschen Zuschauer. 
Ein ganz wunderbarer Film, ja, eine der heitersten und zärtlichesten Liebesgeschichten, die ich kenne. James Spader und Maggie Gyllenhaal spielen ihre Figuren hinreißend und schräg und tragikkomisch, was wohl die schwerste theatralische Form ist. Ich kichere und mein Herz ist voll. 
Eine Frau mit kraftvoller Sehnsucht nach Unterwerfung und emotional autistischer Mann treffen aufeinander, die Frau erkämpft sich ihre erwünschte Form der Beziehung gegen den panischen Widerstand des Mannes. 'Das Käthchen von Heilbronn' erzählt auch solch ein Muster. Unterwerfung aus Stärke verlangt vom erwählten Anderen den höchsten Einsatz, nämlich Sorgsamkeit, Nähe, Vertrauen und Verläßlichkeit. 'Mein hoher Herr!'

Heute abend 'Der Seidene Faden', eine ähnliche Geschichte, aber vorsichtiger und stilisierter. Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps in einem Film von Paul Thomas Anderson, über einen manischen, egozentrischen Couturier in den Fünfziger Jahren des britischen Empires.

Der bekannte Schneider Reynolds Woodcock und seine Schwester Cyril betreiben gemeinsam The House of Woodcock und entwerfen Mode für die Mitglieder der High Society und der königlichen Familie. Zu ihren Kunden gehören Erben, Filmstars und andere Prominente. Die Frauen kommen und gehen durch das Leben von Reynolds, doch sie inspirieren den eingefleischten Junggesellen auch und halten seine Kreativität aufrecht. Eines Tages macht er die Bekanntschaft der jungen Alma, die bald zu seiner Muse und Geliebten wird. Sein sonst so kontrolliertes und durchgeplantes Leben gerät aus den Fugen. So beschreibt es Wiki.

Warum sich Herr Day-Lewis gerade diesen Film als seinen letzten erwählt hat, weiß ich nicht. Der Film ist ok, gelegentlich langatmig, manchmal etwas zu selbstgewiß, aber keineswegs öde. Eine Erleuchtung ist er nicht.
'My Left Foot', 'Mein Wundervoller Waschsalon', 'Gangs Of New York' - die Latte liegt hoch. Irgendwie bleibt der Eindruck, dass sensationell gute Schauspieler, an einem gefährlichen Punkt ihrer Karriere beginnen an das eigene Genie zu glauben, Ryan Gosling ist auch solch ein Fall, und dann spielen sie nicht mehr, das was ihr Bauch verlangt, sondern, dass was sie glauben, spielen zu müssen. Sie nehmen sich selbst zu ernst, verlieren ihre kindliche Spielfreude und gestalten, was das Zeug hält. Schade.



Kaimin - die Vagina Perücke - Photo: Albert Urso/Getty

Donnerstag, 15. Februar 2018

Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich.

Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich.

Matthäus 12,30

ODER

Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.

Markus 9,40

Mit 14 war ich eine dumme Stalinistin, geschützt, verwöhnt, ahnungslos. Gute, wirklich gute Freunde haben mir geholfen, während ich lamentierte und diskutierte, klüger zu werden. Heute würde das wohl heißen, sie haben mir klargemacht, dass ich weiß, heterosexuell und privilegiert war. Eine harte Zeit, aber sie haben sich gut um mich gekümmert. Danke.

Der letzte Satz der Beurteilung auf meinem Abiturzeugnis lautete dann so ähnlich wie: "Ihr Klassenstandpunkt läßt zu wünschen übrig." Vor diesem Satz lagen unzählige Entweder/Oder Gespräche zwischen mir und verschiedenen Lehrern, FDJ-Vertretern und der Schul-Parteisekretärin mit dem Grundtenor von: Bist Du nun für den Sozialismus oder nicht?

Eine prägende Erfahrung. Seitdem suche ich bewußt das Aber, das Weder/Noch, das Vielleicht, das Manchmal, das Auch, die Grauzonen.

Und jetzt habe ich den Eindruck, dass ich in Gesprächen, auf Facebook und hier auf dem Blog wieder in Diskussionen gerate, in denen ich auf eine ominöse Parteilinie gebracht werden soll. Wobei Partei, hier für einen Hashtag steht. Es reicht nicht, dass ich grundsätzlich der gleichen Meinung bin, nein, ich soll ohne Widerspruch, jeden Teil der spezifischen Sicht auf die Welt akzeptieren.

Aber das kann ich nicht. Das will ich nicht.

Es wiederholen sich "realsozialistische" Argumentationsmuster, Zitate werden gebraucht, nur sind sie leicht verändert, zwischen eins und zwei gibt es kein eineinhalb, Antworten auf unbeantwortbare Fragen werden zu Gewissensentscheidungen deklariert. Mein Bestreben absolute Wahrheiten in Frage zu stellen, wird zur dem "Feind" dienenden und darum gefährlichen Unentschiedenheit umgedeutet. Schuldgefühle werden auf übelste Weise erpresserisch provoziert und mir dann liebevoll unterstellt, dass meine vorgebrachten Argumente meiner sonst durchaus vorhandenen Intelligenz unwürdig seien.

Warum ist es so schwer zu akzeptieren, dass jede Gewißheit den Zweifel benötigt, um sie lebbar zu machen, und sie vor der Versteinerung in Ideologie zu bewahren?

Der Kampf gegen Machtmißbrauch ist ein großer, wichtiger, gesamtgesellschaftlicher Kampf, er bedarf dringend des Infragestellens, der ganzen Härte jeden Zweifels, nur dann kann er erfolgreich sein.


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Ein ganz wunderbares Interview mit der Romanistin Barbara Vinken, die viel besser als ich, den konfliktgeladene Bereich zwischen Machtmißbrauch und Eros beschreiben kann:

Für den Kampf gegen Machtmissbrauch und Demütigung ist "Me Too" wichtig. Aber wir müssen auch für eine Kultur der Verführung, für die Kunst der Libertinage, für die Freiheit der Liebe kämpfen.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/barbara-vinken-ueber-metoo-fuer-die-freiheit-der-liebe-kaempfen-1.3845203

LOB DES ZWEIFELS

Gelobt sei der Zweifel! Ich rate euch, begrüßt mir
Heiter und mit Achtung den
Der euer Wort wie einen schlechten Pfennig prüft!
Ich wollte, ihr wäret weise und gäbt
Euer Wort nicht allzu zuversichtlich.
Lest die Geschichte und seht
In wilder Flucht die unbesieglichen Heere.
Allenthalben
Stürzen unzerstörbare Festungen ein und
Wenn die auslaufende Armada unzählbar war
Die zurückkehrenden Schiffe
Waren zählbar.

Schönster aller Zweifel aber
Wenn die verzagten Geschwächten den Kopf heben und
An die Stärke ihrer Unterdrücker
Nicht mehr glauben!
Oh, wie war doch der Lehrsatz mühsam erkämpft!
Was hat er an Opfern gekostet!
Daß dies so ist und nicht etwa so
Wie schwer war’s zu sehen doch!

Und dann mag es geschehn, dass ein Argwohn entsteht.
Denn neue Erfahrung
Bringt den Satz in Verdacht. Der Zweifel erhebt sich.
Und eines Tages streicht ein Mensch
Im Merkbuch des Wissens
Bedächtig den Satz durch.

Freilich, wenn ihr den Zweifel lobt
So lobt nicht
Das Zweifeln, das ein Verzweifeln ist!
Was hilft zweifeln können dem
Der nicht sich entschließen kann!
Falsch mag handeln
Der sich mit zu wenigen Gründen begnügt
Aber untätig bleibt in der Gefahr
Der zu viele braucht.

Du, der du ein Führer bist, vergiß nicht
Daß du es bist, weil du an Führern gezweifelt hast!
So gestatte den Geführten
Zu zweifeln!

Bertolt Brecht

Die Reid-Methode ist eine Vernehmungsmethode zur Befragung von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Reid-Methode

Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!
Und, Genossen, es bleibe dabei;
Denn wer kämpft für das Recht,
Der hat immer recht.
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht.
Wer die Menschheit verteidigt,
Hat immer recht.
So, aus Leninschem Geist,
Wächst, von Stalin geschweißt,
Die Partei - die Partei - die Partei.

Wiki schreibt:

Text und Musik wurden 1949 von dem Deutschböhmen Louis Fürnberg (1909–1957) verfasst, welcher als überzeugter Kommunist 1928 in die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei eingetreten war. Auch wenn das Lied als Lobeshymne Verbreitung fand, besonders in der DDR, so war der konkrete Anlass für das Lied gegenteiliger Natur. Fürnberg, der sich zu jener Zeit in Prag aufhielt, wurde 1949 erstmals nicht zum Parteitag der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei eingeladen, was ihn tief kränkte. Wie seine Witwe Lotte Fürnberg 2001 ausführte, schrieb er das Lied, um sich selbst wieder zur Ordnung zu rufen. "Er schrieb es, um die Kränkung vor sich selbst zu rechtfertigen."

Montag, 12. Februar 2018

VOGELFALLE - Ein schlimmes gutes Buch

Ja, die Autorin ist eine Freundin, aber das Buch ist zu gut und zu wichtig, als dass dies mich daran hindern sollte, es hier vorzustellen.
Mißbrauch einer Patientin durch ihren Arzt. Unfassbar. Wieder eines von vielen Dingen mit denen ich mich nicht beschäftigt hatte. Ich bin doch in vielerlei Hinsicht glücklich durchs Leben geschlittert. 

Sie ist durch einen kleinen Zeitungsartikel auf das Thema gestoßen. Und dann hat sie eine Geschichte darüber geschrieben und sie auf ihr absolutes Minimum zusammengefroren. Kein Wort zu viel. Jedes so, wie es sein sollte. Keine hilfreiche Sentimentalität, der Schrecken liegt im Bemühen um Würde, wenn diese von roher, kalkulierender Gewalt nahezu zerstört wurde. Beim Lesen entsteht ein Sog, dem ich mich immer wieder durch belanglose Ausweichtätigkeiten entziehen wollte. Man will nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Man muß es, weil es wahr ist. Wer stellt sich gern das Unvorstellbare vor?


Vogelfalle
Roman
Eva-Maria Otte 
mitteldeutscher Verlag 

ISBN 978-3-95462-926-8

Von Macht und Ohnmacht
Wie kommt es, dass Hanna derart aus der Bahn geworfen wird? Die Schauspielerin kann nicht mehr spielen. Ihre Liebe droht zu zerbrechen. Nichts stimmt mehr in ihrem Leben. Es beginnt, als sie nach dem tödlichen Unfall ihrer Freundin Nina wegen Rückenproblemen deren Arzt aufsucht. Zunächst ist sie beeindruckt, dann verstört. Missversteht sie ihn? Was geschieht in seinem Behandlungszimmer mit ihr? Wieso nur ist sie so wehrlos? Warum schweigt sie? Und war Ninas Tod womöglich gar kein Unfall?
Immer mehr verheddert sich Hanna in der Perfidie dieses Arztes, der sie für seine Obsessionen missbraucht. Schließlich steckt sie in der Falle fest.

Rückseitentext u. Verlagsankündigung

Das hat eine Bekannte nach der Lektüre geschrieben:

Liebe Ötti, so hart die Geschichte auch ist,
die sich da aus Dir geschält hat
und nun bedrängend in der Welt ist, sie liest sich phantastisch gut!
Großes Kompliment für Dein Sprachgefühl!!!!
Wahrscheinlich ist das auch ein Geschenk,
dass Dir aus Deinem besonderen Wissen um den Körper
und seine Seele gegeben ist und nun Deine Leser berührt. Enorm!!!
Ich schwärme schon, mache Werbung
Ich umarme Dich sehr innig!!! Deine Nele

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 174c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses


(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt.
(3) Der Versuch ist strafbar.