Samstag, 14. Februar 2015

Das Lied der Lieder






Poesie.

Ein Liebeslied? 
Ein erotisches Dialog-Gedicht.
Die Geschichte einer Vergewaltigung?
Ein Loblied auf die katholische Kirche??? 


Gemäß der allegorischen Auslegungsmethode wurde in Antike und Mittelalter 
von Juden und Christen die erotische Annäherung, von der das Gedicht handelt, 
als Beschreibung der Liebe zwischen Gott und seinem auserwählten Volk (im Judentum) 
bzw. zwischen Christus und der Kirche als Braut Christi (im Christentum) interpretiert.

 Wiki

Das Hohelied Salomos.
Schir ha-Schirim
Das Lied der Lieder.
 
Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist lieblicher als Wein. 

Es riechen deine Salben köstlich; dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe, 
darum lieben dich die Jungfrauen. Zieh mich dir nach, so laufen wir. 
Der König führte mich in seine Kammern. Wir freuen uns und sind fröhlich über dir; 
wir gedenken an deine Liebe mehr denn an den Wein. Die Frommen lieben dich.

Ich bin schwarz, aber gar lieblich, ihr Töchter Jerusalems, wie die Hütten Kedars, 
wie die Teppiche Salomos. Seht mich nicht an, daß ich so schwarz bin; 
denn die Sonne hat mich so verbrannt. Meiner Mutter Kinder zürnen mit mir. 
Sie haben mich zur Hüterin der Weinberge gesetzt; aber meinen eigenen Weinberg 
habe ich nicht behütet. Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo du weidest, 
wo du ruhest im Mittage, daß ich nicht hin und her gehen müsse bei den Herden deiner Gesellen. 
Weiß du es nicht, du schönste unter den Weibern, so gehe hinaus auf die Fußtapfen der Schafe 
und weide deine Zicklein bei den Hirtenhäusern. 
Ich vergleiche dich, meine Freundin, meinem Gespann an den Wagen Pharaos. 
Deine Backen stehen lieblich in den Kettchen und dein Hals in den Schnüren. 
Wir wollen dir goldene Kettchen machen mit silbernen Pünktlein. 
Da der König sich herwandte, gab meine Narde ihren Geruch. 
Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten hanget. 
Mein Freund ist mir eine Traube von Zyperblumen in den Weinbergen zu Engedi. 
Siehe, meine Freundin, du bist schön; schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen.  
Siehe, mein Freund, du bist schön und lieblich. 
Unser Bett grünt, unserer Häuser Balken sind Zedern, unser Getäfel Zypressen. 

Sehnsucht der Freundin nach dem Freund


Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal. 
Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern. 
Wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen, so ist mein Freund unter den Söhnen. 
Ich sitze unter dem Schatten, des ich begehre, und seine Frucht ist meiner Kehle süß. 
Er führt mich in den Weinkeller, und die Liebe ist sein Panier über mir. 
Er erquickt mich mit Blumen und labt mich mit Äpfeln; denn ich bin krank vor Liebe. 
Seine Linke liegt unter meinem Haupte, und seine Rechte herzt mich. 
Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Rehen oder bei den Hinden Hirschkühen 
auf dem Felde, daß ihr meine Freundin nicht aufweckt noch regt, bis es ihr selbst gefällt. 
Da ist die Stimme meines Freundes! 
Siehe, er kommt und hüpft auf den Bergen und springt auf den Hügeln. 
Mein Freund ist gleich einem Reh oder jungen Hirsch. 
Siehe, er steht hinter unsrer Wand, sieht durchs Fenster und schaut durchs Gitter. 
Mein Freund antwortet und spricht zu mir: 
Stehe auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her. 
Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin; 
die Blumen sind hervorgekommen im Lande, 
der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube läßt sich hören in unserm Lande; 
der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, die Weinstöcke haben Blüten gewonnen 
und geben ihren Geruch. 
Stehe auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her! 
Meine Taube in den Felsklüften, in den Steinritzen, zeige mir deine Gestalt, 
laß mich hören deine Stimme; denn die Stimme ist süß, und deine Gestalt ist lieblich. 
Fanget uns die Füchse, die kleinen Füchse, 
die die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge haben Blüten gewonnen. 
Mein Freund ist mein, und ich bin sein, der unter Rosen weidet. 
Bis der Tag kühl wird und die Schatten weichen, 
kehre um; werde wie ein Reh, mein Freund, 
oder wie ein junger Hirsch auf den Scheidebergen.

Treue der Freundin


Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt. 
Ich suchte; aber ich fand ihn nicht. 
Ich will aufstehen und in der Stadt umgehen auf den Gassen und Straßen und suchen, 
den meine Seele liebt. Ich suchte; aber ich fand ihn nicht. 
Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umgehen: 
"Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?" 
Da ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich, den meine Seele liebt. 
Ich halte ihn und will ihn nicht lassen, bis ich ihn bringe in meiner Mutter Haus, 
in die Kammer der, die mich geboren hat. 
Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Rehen oder Hinden Hirschkühen 
auf dem Felde, daß ihr meine Freundin nicht aufweckt noch regt, bis es ihr selbst gefällt.

Herrlichkeit des Freundes


Wer ist die, die heraufgeht aus der Wüste wie ein gerader Rauch, wie ein Geräuch von Myrrhe, Weihrauch und allerlei Gewürzstaub des Krämers? 
Siehe, um das Bett Salomos her stehen sechzig Starke aus den Starken in Israel. 
Sie halten alle Schwerter und sind geschickt, zu streiten. 
Ein jeglicher hat sein Schwert an seiner Hüfte um des Schreckens willen in der Nacht. 
Der König Salomo ließ sich eine Sänfte machen von Holz aus Libanon. 
Ihre Säulen sind silbern, die Decke golden, der Sitz purpurn, und inwendig ist sie lieblich ausgeziert 
um der Töchter Jerusalems willen. 
Gehet heraus und schauet an, ihr Töchter Zions, 
den König Salomo in der Krone, damit ihn seine Mutter gekrönt hat am Tage seiner Hochzeit 
und am Tage der Freude seines Herzens.

Vorzüge der Freundin

Siehe, meine Freundin, du bist schön! siehe, schön bist du! 
Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen Zöpfen. 
Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead herab. 
Deine Zähne sind wie eine Herde Schafe mit bechnittener Wolle, die aus der Schwemme kommen, 
die allzumal Zwillinge haben, und es fehlt keiner unter ihnen. 
Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur und deine Rede lieblich. 
Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen. 
Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, daran tausend Schilde hangen 
und allerlei Waffen der Starken. 
Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden. 
Bis der Tag kühl wird und die Schatten weichen, will ich zum Myrrhenberge gehen 
und zum Weihrauchhügel. 
Du bist allerdinge schön, meine Freundin, und ist kein Flecken an dir. 
Komm mit mir, meine Braut, vom Libanon, komm mit mir vom Libanon, 
tritt her von der Höhe Amana, von der Höhe Senir und Hermon, 
von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Leoparden! 
Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, 
mit deiner Augen einem und mit deiner Halsketten einer. 
Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester, liebe Braut! 
Deine Liebe ist lieblicher denn Wein, und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Würze. 
Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim; Honig und Milch ist unter deiner Zunge, 
und deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch des Libanon. 
Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, 
eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born. 
Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, 
Zyperblumen mit Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, 
mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloe mit allen besten Würzen. 
Ein Gartenbrunnen bist du, ein Born lebendiger Wasser, die vom Libanon fließen. 
Stehe auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, 
daß seine Würzen triefen! 
Mein Freund komme in seinen Garten und esse von seinen edlen Früchten.
Ich bin gekommen, meine Schwester, liebe Braut, in meinen Garten. 

Ich habe meine Myrrhe samt meinen Würzen abgebrochen; 
ich habe meinen Seim samt meinem Honig gegessen; 
ich habe meinen Wein samt meiner Milch getrunken. 
Eßt, meine Lieben, und trinkt, 
meine Freunde, und werdet trunken!

Die Sehnsucht der Freundin 


Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Da ist die Stimme meines Freundes, der anklopft: 
Tue mir auf, liebe Freundin, meine Schwester, meine Taube, meine Fromme! 
denn mein Haupt ist voll Tau und meine Locken voll Nachttropfen. 
Ich habe meinen Rock ausgezogen, wie soll ich ihn wieder anziehen? 
Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder besudeln? 
Aber mein Freund steckte seine Hand durchs Riegelloch, und mein Innerstes erzitterte davor. 
Da stand ich auf, daß ich meinem Freund auftäte; meine Hände troffen von Myrrhe 
und meine Finger von fließender Myrrhe an dem Riegel am Schloß. 
Und da ich meinem Freund aufgetan hatte, war er weg und hingegangen. 
Meine Seele war außer sich, als er redete. 
Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief, aber er antwortete mir nicht. 
Es fanden mich die Hüter, die in der Stadt umgehen; 
die schlugen mich wund; 
die Hüter auf der Mauer nahmen mir meinen Schleier. 
Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, 
findet ihr meinen Freund, so sagt ihm, 
daß ich vor Liebe krank liege. 
Was ist dein Freund vor andern Freunden, o du schönste unter den Weibern? 
Was ist dein Freund vor andern Freunden, daß du uns so beschworen hast? 
Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter vielen Tausenden. 
Sein Haupt ist das feinste Gold. 
Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe. 
Seine Augen sind wie Augen der Tauben an den Wasserbächen, mit Milch gewaschen 
und stehen in Fülle. Seine Backen sind wie Würzgärtlein, 
da Balsamkräuter wachsen. 
Seine Lippen sind wie Rosen, die von fließender Myrrhe triefen. 
Seine Hände sind wie goldene Ringe, voll Türkise. 
Sein Leib ist wie reines Elfenbein, 
mit Saphiren geschmückt. Seine Beine sind wie Marmelsäulen, 
gegründet auf goldenen Füßen. 
Seine Gestalt ist wie Libanon, auserwählt wie Zedern. 
Seine Kehle ist süß, und er ist ganz lieblich. 
Ein solcher ist mein Freund; mein Freund ist ein solcher, ihr Töchter Jerusalems!

Wo ist denn dein Freund hin gegangen, o du schönste unter den Weibern? 

Wo hat sich dein Freund hin gewandt? So wollen wir mit dir ihn suchen. 
Mein Freund ist hinabgegangen in seinen Garten, zu den Würzgärtlein, 
daß er weide in den Gärten und Rosen breche. 
Mein Freund ist mein, und ich bin sein, der unter den Rosen weidet.
 
Die Freude der Wiedervereinigung 


Du bist schön, meine Freundin, wie Thirza, lieblich wie Jerusalem, schrecklich wie Heerscharen.
Wende deine Augen von mir; denn sie verwirren mich. 
Deine Haare sind wie eine Herde Ziegen, die am Berge Gilead herab gelagert sind. 
Deine Zähne sind wie eine Herde Schafe, die aus der Schwemme kommen, 
die allzumal Zwillinge haben, und es fehlt keiner unter ihnen. 
Deine Wangen sind wie ein Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen. 
Sechzig sind der Königinnen und achtzig der Kebsweiber, und der Jungfrauen ist keine Zahl. 
Aber eine ist meine Taube, meine Fromme, eine ist ihrer Mutter die Liebste 
und die Auserwählte ihrer Mutter. Da sie die Töchter sahen, priesen sie dieselbe selig; 
die Königinnen und Kebsweiber lobten sie. 
Wer ist, die hervorbricht wie die Morgenröte, 
schön wie der Mond, auserwählt wie die Sonne, schrecklich wie Heerscharen? 
Ich bin hinab in den Nußgarten gegangen, zu schauen die Sträuchlein am Bach, 
zu schauen, ob die Granatbäume blühten. 
Ich wußte nicht, daß meine Seele mich gesetzt hatte zu den Wagen Ammi-Nadibs.

Zwiegespräch des Freundes und der Freundin 


Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith! kehre wieder, kehre wieder, daß wir dich schauen! 
Was sehet ihr an Sulamith? Den Reigen zu Mahanaim. 
Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! 
Deine Lenden stehen gleich aneinander wie zwei Spangen, 
die des Meisters Hand gemacht hat. 
Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. 
Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen. 
Deine zwei Brüste sind wie zwei Rehzwillinge. 
Dein Hals ist wie ein elfenbeinerner Turm. 
Deine Augen sind wie die Teiche zu Hesbon am Tor Bathrabbims. 
Deine Nase ist wie der Turm auf dem Libanon, der gen Damaskus sieht. 
Dein Haupt steht auf dir wie der Karmel. 
Das Haar auf deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs, in Falten gebunden. 
Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! 
Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum und deine Brüste gleich den Weintrauben. 
Ich sprach: Ich muß auf dem Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. 
Laß deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und deiner Nase Duft wie Äpfel 
und deinen Gaumen wie guter Wein, 
der meinem Freunde glatt eingeht und der Schläfer Lippen reden macht. 
Mein Freund ist mein, und nach mir steht sein Verlangen. 
Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld hinausgehen und auf den Dörfern bleiben, 
daß wir früh aufstehen zu den Weinbergen, 
daß wir sehen, ob der Weinstock sprosse und seine Blüten aufgehen, 
ob die Granatbäume blühen; da will ich dir meine Liebe geben. 
Die Lilien geben den Geruch, und über unsrer Tür sind allerlei edle Früchte. 
Mein Freund, ich habe dir beide, heurige und vorjährige, behalten.

Die Treue der für immer Vereinten 


O, daß du mir gleich einem Bruder wärest, der meiner Mutter Brüste gesogen! 
Fände ich dich draußen, so wollte ich dich küssen, und niemand dürfte mich höhnen!  
Ich wollte dich führen und in meiner Mutter Haus bringen, da du mich lehren solltest; 
da wollte ich dich tränken mit gewürztem Wein und mit dem Most meiner Granatäpfel. 
Seine Linke liegt unter meinem Haupt, und seine Rechte herzt mich. 
Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, daß ihr meine Liebe nicht aufweckt 
noch regt, bis es ihr selbst gefällt. 
Wer ist die, die heraufsteigt von der Wüste und lehnt sich auf ihren Freund? 
Unter dem Apfelbaum weckte ich dich; da ist dein genesen deine Mutter, 
da ist dein genesen, die dich geboren hat. 
Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm. 
Denn Liebe ist stark wie der Tod, und ihr Eifer ist fest wie die Hölle. 
Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des HERRN, 
daß auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen noch die Ströme sie ertränken. 
Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gölte es alles nichts. 
Unsere Schwester ist klein und hat keine Brüste. 
Was sollen wir unsrer Schwester tun, wenn man nun um sie werben wird? 
Ist sie eine Mauer, so wollen wir ein silbernes Bollwerk darauf bauen. 
Ist sie eine Tür, so wollen wir sie festigen mit Zedernbohlen. 
Ich bin eine Mauer und meine Brüste sind wie Türme. 
Da bin ich geworden vor seinen Augen, als die Frieden findet. 
Salomo hat einen Weinberg zu Baal-Hamon. 
Er gab den Weinberg den Hütern, daß ein jeglicher für seine Früchte brächte tausend Silberlinge. 
Mein eigener Weinberg ist vor mir. 
Dir, Salomo, gebühren tausend, 
aber zweihundert den Hütern seiner Früchte. 
Die du wohnst in den Gärten, laß mich deine Stimme hören; die Genossen merken darauf. 
Flieh, mein Freund, und sei gleich einem Reh oder jungen Hirsch auf den Würzbergen!

Hohelied Salomo, Holzskulptur von Walter Green

http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.dhushara.com%2Fbook%2Fsong%2Fsongf%2Fsm6.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.dhushara.com%2Fbook%2Fsong%2Fsongf%2Fmeincrag.htm&h=421&w=324&tbnid=jJL3pc1Wr-cYhM%3A&zoom=1&docid=HjZxVoFK4o0NpM&hl=de&ei=hBzfVJ-xK8aAU7qagLgE&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=3100&page=9&start=145&ndsp=17&ved=0CJABEK0DMC44ZA

Liste von Vertonungen
http://www.grabinski-online.de/div/hoheslied.html


Donnerstag, 12. Februar 2015

Wir spielen nicht, wir sind - Authentizität ist der Tod des Theaters


"Eine ernst gemeinte philosophische Frage: Wieso gilt es eigentlich neuerdings als rassistisch und anstößig, wenn im Theater Weiße mit geschminkten Gesichtern Schwarze spielen – aber wenn ein normal gewachsener Schauspieler mit aufgeschnalltem Buckel und groteskem Pappklumpfuß einen Behinderten imitiert, finden das alle okay? Wie dem auch sei:..."
Matthias Heine

Als kleines Kind, dessen Eltern Abends auf Theater-Arbeit waren, hatte ich, zur Überbrückung der Einsamkeit, einen imaginierten Zwillingsbruder mit dem ich mir die magiegefüllte Herrschaft über ein ebenfalls vorgestelltes Königreich teilte. Der ärmliche Berliner Fasching sah mich als pubertären Neanderthaler, als Fliegenpilz und als Prinzessin. Wenn ich mich in früher Jugend überfordert fühlte, verschwand ich in Ersatzfiguren, die der coolen Alleswisserin oder in die der jungen Frau, die nichts erschrecken konnte - auf Grund meiner familiären Einbindung dauerte es sehr lang, bis ich mir eingestand, dass dieses "als ob" Getue, diese Sehnsucht nach dem anders sein, als ich war, auch mein Beruf werden könnte. Meine Freiheit. 
Ich, Johanna, mochte nicht vor anderen weinen, aber Johanna, die Spielerin schluchzte bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sehr zur Irritation mancher Regisseure.
Ich durfte böse sein, blöd, dem Tod geweiht, verrückt, entrückt, verzückt. Freiheit.

Aber jetzt wird ein soziales, ökonomisches und gesellschaftliches Problem, nämlich dass Mitmenschen anderer Hautfarbe, sexueller Orientierung, genetischer Bevozugtheit auf dem Arbeitsmarkt nicht fair behandelt werden, dass heißt, sie werden nicht ihrer Begabung entsprechend engagiert und eingesetzt, zu einem ästhetischen Dogma umgeformt: Sei wer du bist, nicht wer du sein könntest. 
Sei authentisch. Das harsche Todesurteil für Spiel und Clownerie und das Ausprobieren von Kleidern, die Dir nicht passen. 

Fremdheit macht scharfsichtig. 

Der gefürchtete V-Effekt, Verfremdung genannt: ich bin, was ich nicht sein kann, ich sehe was ich ich kenne, aber anders, als ich es gewohnt bin, uraltes Mittel des Theaters wird tagespolitisch fragwürdig, oder sogar anrüchig. 

Wer ist Hamlet? Ein Däne mit freudscher Vaterproblematik? Wer Cleopatra? Eine junge Ägypterin? Wer ist Richard der Dritte oder Othello? Wer ist schwarz, behindert oder sonstwie anders? Ich bin es. Ich darf all dies sein, weil ich spiele. Und vergesse doch nicht, die Ungerechigkeit, die Intoleranz die unsere Gesellschaft prägt.

Nicht wer ich bin ist entscheidend, sondern wer man mir erlaubt zu sein.


Mittwoch, 11. Februar 2015

Thomas Brasch - Halts Maul, Kassandra




Nur 13 Jahre trennen uns. 1945 & 1958. Der große verfluchte Krieg endete und er wurde geboren. Er starb schon 2001, wie unfaßbar schade.

Ich, Mitglied einer sogenannten "Familie", bin in DDR-Zusammenhängen mit den Mitgliedern anderer "Familien" zusammengetroffen, den Goldsteins und den Braschs, hauptsächlich mit den Söhnen. 
Ihre Väter - der eine Emigrant und der andere Ausschwitz & Buchenwald-Überlebender, wurden in Folge rechtens Vertreter der DDR-Macht. Und die Söhne wuchsen auf unter der harten Knute der immer stärker verunstalteten Utopie ihrer Väter. 
Der eine Vater erzählte, wie er, aus Buchenwald befreit, auf dem von der Bürgern der Stadt Weimar gesäumten Strasse in die Freiheit, den Satz "Die wollten mich alle töten" nicht aus dem Hirn bekam. Der andere bestrafte, so scheint es, seine Söhne, für die eigene unverschuldete Nichtteilnahme am Widerstandskampf.
Schreckliche Endrechnung: Vor den Vätern starben die Söhne. 
Klaus, Peter, Kurt, Thomas, die ich kannte und auf unterschiedlichste Weise liebte, starben früh. Früher als nötig.
Klaus, der Clown und Zartbeseelte, Peter, der Dichter ohne Schutz, Kurt der wunderbare Liebhaber und Thomas der Zornige. 

http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Goldstein_%28Journalist%29

http://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Brasch

WIE VIELE SIND WIR EIGENTLICH NOCH.
Der dort an der Kreuzung stand,
war das nicht von uns einer.
Jetzt trägt er eine Brille ohne Rand.
Wir hätten ihn fast nicht erkannt.
Wie viele sind wir eigentlich noch.
War das nicht der mit der Jimi-Hendrix-Platte.
Jetzt soll er Ingenieur sein.
Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte.
Wir sind die Aufgeregten. Er ist der Satte.
Wer sind wir eigentlich noch.
Wollen wir gehen. Was wollen wir finden.
Welchen Namen hat dieses Loch,
In dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.


UND DER SÄNGER DYLAN IN DER DEUTSCHLANDHALLE
Ausgepfiffen angeschrien mit Wasserbeuteln beworfen
von seinen Bewunderern, als er die Hymnen
ihrer Studentenzeit sang im Walzertakt und tanzen ließ
die schwarzen Puppen, sah staunend in die Gesichter
der Architekten mit Haarausfall und 5000 Mark im Monat,
die ihm jetzt zuschrien die Höhe der Gage und
sein ausbleibendes Engagement gegen das Elend der Welt. So sah
ich die brüllende Meute. Die Arme ausgestreckt im Dunkeln neben
ihren dürren Studentinnen mit dem Elend aller Trödelmärkte
der Welt in den Augen, betrogen um ihren Krieg,
zurückgestoßen in den Zuschauerraum
der Halle, die den Namen ihres Landes trägt, endlich
verwandt ihren blökenden Vätern, aber anders als die
betrogen um den, den sie brauchen: den führenden Hammel.
Die Wetter schlagen um:
sie werden kälter.
Wer vorgestern noch Aufstand rief,
ist heute zwei Tage älter.
 


FRIEDE DEN WÄCHTERN
An den Wänden die Drähte,
auf dem gebohnerten Fußboden Teppiche gegen
den harten Schritt der Stiefel
in deinem Rücken. Tür an Tür die Einzelzellen
der neuen Gesellschaft. Wessen Straße ist die Straße.

Die Stille ist die Schwester des Wahnsinns.
Zwischen Hocker und Tür fünf Schritte und
der Herzschlag zwischen den Schläfen.
Die Posen:
Widerstand/Härtetest/Selbstmitleid/Jammer/Gelächter
sind verbraucht: Leitartikel im eigenen Zentralorgan.

Schreie im Flur nach zehn Wochen oder zwölf: Ihr
Verbrecher. Das hastige Tappen der Füße über
den Teppich. Dein Ohr an der Tür.
No man is an island. Friede den Wächtern.
Der Schädel ist ein keimfreies Schlachthaus.

 
KRANICH
Du hast den Kranich gesehn
hoch oben
mit weiten Schwingen,
frei,
unendlich frei.
Doch tröste dich:
auch er muß sterben,
vielleicht bald.
 
Alle diese Gedichte sind von Thomas Brasch

Thomas Brasch nimmt einen Preis von Franz Josef Strauß entgegen.
https://www.youtube.com/watch?v=bYX-tY_pnu0 

 
Die Generation der heute Dreißigjährigen in der DDR hat den Sozialismus nicht als Hoffnung auf das Andere erfahren, sondern als deformierte Realität. Nicht das Drama des Zweiten Weltkriegs, sondern die Farce der Stellvertreterkriege (gegen Jazz und Lyrik, Haare und Bärte, Jeans und Beat, Ringelsocken und Guevara-Poster, Brecht und Dialektik). […] Ich entschuldige mich nicht dafür, daß ich den 32. Versuch von Thomas Brasch, Auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen, nicht einfach als Literatur lesen und rezensieren konnte. Er geht mich zu viel an, und ich hoffe, daß ihm auch der 33. Versuch mißlingt. Er ist immer noch in seiner Haut der Beste, und Schiffsuntergänge sind kein Alibi für Selbstmord. Gerade die Spuren und Narben seiner DDR-Biographie zeichnen seine Texte aus der Masse der westdeutschen Literaturproduktion, die mich im ganzen herzlich langweilt. Ich weiß nicht, was sie dort für Folgen haben werden, in der DDR wird nach dem Erscheinen seiner Bücher Vor den Vätern sterben die Söhne und Kargo niemand mehr so schreiben können, als ob er sie nicht geschrieben hätte. Wie es ist, bleibt es nicht. Heiner Müller in Der Spiegel, 12.9.1977

Kurt und Thomas wurden von ihren Vätern in diese Institution geschickt:
http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Kadettenanstalt_Naumburg 
 

Montag, 9. Februar 2015

Tracht & Eintracht & Zwietracht & Niedertracht & trachten




Wer Zwietracht sät, arbeitet für des Teufels Scheuer

Ich spreche und quatsche und rede so vor mich hin und höre auch vielen zu und manchmal begegne ich mittendrin einem Wort, nicht unbekannt, aber doch nie bedacht verwendet, und das Wort lungert dann so herum und will, dass ich es ausprobiere, in Sätze einbaue, genauer drüber nachdenke. So ein Stocker-Wort kann wie eine kleine Gräte im Hals stecken, ohrwurmartig Schleifen bilden oder nur kurz in der Sicht auftauchen und schnell wieder verblassen. Und manchmal bemerke ich so ein Wort in einem bestimmten Zusammenhang und dann scheint es in ganz anderen Konstellationen aus jeder zweiten Ecke zu schnipsen. Seltsam.

Meine Beschreibungen:
Eintracht - friedlich & harmonisch, mit der Gefahr öde und stagnierend zu werden, wenn sie um jeden Preis bewahrt werden soll.
Zwietracht - Unfrieden und Neid, nicht Uneinigsein, sondern gegeneinander, sich nicht mehr wahrnehmend, aber verurteilend.
Niedertracht - wenn man ihr begegnet, auch in sich selbst, reißt sie einem die Beine weg.
Tracht Prügel - dazu interessant zu lesen: http://www.welt.de/print/wams/kultur/article136989914/Es-muss-weh-tun.html

Aber dieses ganze Mahagonny
Ist nur, weil alles so schlecht ist
Weil keine Ruhe herrscht 
Und keine Eintracht
und weil es nichts gibt
Woran man sich halten kann
b.b. 

Tracht
eine Tracht Prügel - umgangssprachlich: Schläge: eine Tracht Prügel/(auch:) eine Tracht bekommen, kriegen; jemandem eine [gehörige] Tracht Prügel verpassen; zu »Tracht« in der älteren Bedeutung»aufgetragene Speise«; Prügel, die man jemandem verabreicht, wurden früher oft mit Gerichten, die man jemandem serviert, verglichen
Duden 
dazu Tracht - dracht: das, was getragen wird

Staatskunst ist die kluge Anwendung persönlicher Niedertracht für das Allgemeinwohl. 
Abraham Lincoln

Zwietracht
aus mittelhochdeutsch zwitraht, abgeleitet von enzwei tragen, „sich entzweien, uneinig sein
Wiktionary

Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.
Jesus in Lukas 12, Vers 51 bis 53

Eintracht
mittelhochdeutsch eintraht „Übereinkunft, Absprache, Vertrag“, abgeleitet von mittelhochdeutsch über ein tragen „übereinkommen, -stimmen, sich vertragen, beschließen, vereinbaren“; vergleiche frühneuhochdeutsch übereintragen. Das Wort ist seit dem 14. Jahrhundert belegt.
Wiktionary
Zustand der Einmütigkeit, der Harmonie mit anderen
Universal Lexikon

Wo Zwietracht, laß mich Eintracht bringen 
F. von Assisi

Niedertracht - bewusst gemeine, hinterhältige, boshafte Gesinnung
niederträchtig
Das Adjektiv gehört seit dem 15. Jahrhundert zum Standardwortschatz und leitet sich vom mittelhochdeutschen nidertrehtic, nidertrechtic herablassend, zu mittelhochdeutsch sich tragen, sich benehmen (also sich nach unten benehmend) ab. Im 16. Jahrhundert kommt auch hochträchtig im Sinne von hochfahrend dazu. Im 18. Jahrhundert verschlechtert sich die Bedeutung zu sittlich gemein und gering geschätzt, verächtlich. Hierzu entsteht dann die Rückbildung als Substantiv Niedertracht.
Wiktionary

Eintracht ernährt, Zwietracht verzehrt

traktieren mittelhochdeutsch trahten, althochdeutsch trahtōn < lateinisch tractare, traktieren - etwas Bestimmtes zu erreichen versuchen, 
Wiktionary
tractare - bearbeiten, berühren, schleppen, untersuchen, verhandeln, verwalten, behandeln, benehmen, besprechen, herumzerren
herumziehen, leiten, sich beschäftigen, verarbeiten, überdenken
Wörterbuch Deutsch-Latein


Psychomachia of Prudentius London
British Library MS Cotton Cleopatra C. VIII, Canterbury, Christ Church, 
Illuminierte Handschrift des 8. Jh.s n. Chr. 
Die Eintracht wird von der Zwietracht leicht verwundet.

 
Die Zwietracht schlingt mit Schlangenarmen
Die Todesfackel ohn' Erbarmen
Und würgt mit Wut in einem Augenblick,
Der göttlichen Vernunft zur Schande,
Die ganze Hoffnung ganzer Lande
Und mancher Jahre schönes Glück.
J.G. Seume


Die Masken der Niedertracht 

Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann
Marie-France Hirigoyen
Taschenbuch
http://www.amazon.de/Die-Masken-Niedertracht-Seelische-dagegen/dp/342336288X/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1423514852&sr=8-1&keywords=die+masken+der+niedertracht

Samstag, 7. Februar 2015

Spielen! Spielen! - Der Glücksgott


Heute habe ich nach acht Jahren mal wieder auf einer Bühne gestanden und selbst gespielt.
Das war schön. Adrenalin und Klarheit und Konzentration und Spaß.

"Die Reisen des Glücksgotts", ein Fragment zu einer Oper von Bertolt Brecht.

Ich bin der Glücksgott, sammelnd um mich Ketzer
auf Glück bedacht in diesem Jammertal!
bin Agitator, Schmutzaufwirbler, Hetzer
und hiemit - macht die Tür zu - illegal.

b.b. für Fritz Lang 1941
 
Der japanische Glücksgott Hotei (Netsuke)

„In Chinatown einen kleinen chinesischen Glücksgott gekauft. Überlegte ein Stück Die Reisen des Glücksgotts. Der Gott derer, die glücklich zu sein wünschen, bereist den Kontinent. Hinter ihm her eine Furche von Exzessen und Totschlag. Bald werden die Behörden aufmerksam auf ihn, den Anstifter und Mitwisser mancher Verbrechen. Er muß sich verborgen halten, wird illegal. Schließlich denunziert, verhaftet, im Prozeß überführt, soll er getötet werden. Er erweist sich als unsterblich. Lachend sitzt er gemütlich zurückgelehnt im elektrischen Stuhl, schmatzt, wenn er Gift trinkt usw. Völlig erschöpft ziehen die verstörten Henker, Richter, Pfaffen usw. ab, während die Menge vor dem Totenhaus, die von Furcht erfüllt zur Exekution gekommen war, von neuer Hoffnung erfüllt, weggeht …" b.b.

Donnerstag, 5. Februar 2015

Ich arbeite zu viel.


Das ist neu für mich. 
Ich arbeite gern. Sehr gern. Arbeite gern viel, sehr viel und werde schnell unruhig, wenn ich einige Zeit nicht arbeite. 
Aber gerade jetzt arbeite ich zu viel. Eindeutig zu viel. 
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Dies geschieht durchaus freiwillig, ist Ergebnis eigener Entscheidungen. Ich muß es eingestehen, die "Schuld" liegt bei mir. (Obwohl Ereignisse außerhalb meines Einflußbereiches auch ein paar gewichtige Beiträge leisten.)

Freischaffende haben ein eigenartiges Verhältnis zur Arbeit.
Sie sind genauso so faul wie die meisten Menschen.
Aber Angebote abzulehnen scheint immer riskant. 
Sind es zu viele? Wie wähle ich die richtigen aus? Wird vielleicht nie wieder eins kommen? 
Unsere zarte Selbstgewissheit schwingt zwischen diesen extremen Polen. Und selbst durch jahrelange Erfahrung bestätigte Gewißheit des Gewolltseins hilft nur zeitweise über völlig irrationale Panikattacken hinweg.
Und so geht ein "Nein" uns nur mühselig über die Lippen. Auch wenn es vernünftig wäre,
Ach ja, und Spaß macht es auch meist, selbst im Halbschlaf.

© Pete W.

Morgen eine kleine Premiere, am Samstag beginnt eine Woche ohne Proben.
"Schlafen, schlafen, vielleicht träumen...."
Und dann zwei Wochen Endproben für die "Mahagonny" in Rostock.
Schlaf wird überbewertet. 

Müde bin ich

Müde bin ich, geh' zur Ruh',
Schließe beide Äuglein zu;
Vater, laß die Augen dein
Über meinem Bette sein!

Hab' ich Unrecht heut' gethan,
Sieh' es, lieber Gott, nicht an!
Deine Gnad' und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut.


Alle, die mir sind verwandt,
Gott, laß ruhn in deiner Hand!
Alle Menschen, groß und klein,
Sollen dir befohlen sein.

Kranken Herzen sende Ruh',
Nasse Augen schließe zu;
Laß den Mond am Himmel stehn
Und die stille Welt besehn!

Luise Hensel 
1798 - 1876
 

Samstag, 24. Januar 2015

Margit Bendokat - Ein Ereignis

MARJITT


Bei einer meiner ersten Arbeiten am Deutschen Theater, es war "Der Sommernachtstraum" in der Inszenierung von Alex Lang, traf ich auf Margit, die schöne Frau mit dem fast noch schöneren Berliner Dialekt. Ich war blutige Anfängerin, sie wahrlich nicht. Sie stammt, glaube ich aus Bohnsdorf, ich aus Mitte. (Echtes Berlinern macht mir, besonders wenn ich lange weg war, schwache Knie.) 

Sie spielte damals die Helena und ich vereinfache nur wenig, wenn ich ihren Untertext für die gesamte Rolle in einem Wort zusammenfasse: "Scheiße!". Scheiße, was die Liebe mit ihr anstellt, Scheiße, wie sehr sie schmerzt, Scheiße, zu was sie sie hinreißt, treibt, zwingt. So eine zornige und über den eigenen Zorn verzweifelnde Verliebte hatte ich noch nie gesehen. 
Wir teilten eine Garderobe und (wer einmal unsicherer Anfänger an einem großen Theater war, wird verstehen, was ich meine) sie war ein Geschenk. Uneitel, sachlich, konzentriert, trocken auf den Punkt und trotzder regelmäßigen Anwesenheit von Macholdt's Inhalator - einem Helfer der Menschheit - ganz und gar geerdet, es gab ein Leben außerhalb des Theaters! Gut, als ehrgeiziger Neuling daran erinnert zu werden.



Dann kam "Stella" - "Er ist wieder da!", ganz hochdeutsch natürlich, ihr fassungsloser Jubel riß die Zuschauer in hysterisch verschämtes Gelächter, war doch das Gefühl so tief, dass sie eigentlich nicht hätte lachen sollen und kamen doch nicht dagegen an. Die Marion im "Danton", die strenge Konsumverkäuferin im "Lohndrücker" und Frau Peachum und andere, und viele andere Rollen. 

Ihre fabelhafte Fähigkeit ganz sauber einen halben Ton daneben zu singen, die immense Konzentration bevor sie punktgenau zu früh ein Triangel anschlägt - hinreißend. Wenn Margit versucht, einen Witz zu erzählen, ist das ein Vorgang von epischer Dimension. Komisch, da sie gar nicht versucht, komisch zu sein.

In Gotscheffs "Die Perser" - Margit, allein, ganz hinten, gegen die Hinterbühnenwand als Chor der Alten und Weisen. So als würde sie mir die Worte einzeln hart ins Ohr ätzen - wir, ich im Publikum und sie einsam oben, müssen eine gewaltige Anstrengung aufbringen, um diesen Text zu begreifen, aber "wir" bringen sie gemeinsam auf und es gelingt.
(Wir dürfen auch ihre Stimme als Yvonne in "Der Olsenbande" nicht vergessen!)
 

Sie ist weise in bescheidenster Art.

Demnächst wird sie in endlich wieder in einem Film mitspielen, aber nur, wenn die Truppe das Geld dafür zusammenbekommt -
www.startnext.com/weiber-der-film - wer mag, sollte sich die Seite mal anschauen und, wenn sie gefällt, auch etwas Geld locker machen?
Der Regisseur Pierre Sanoussi-Bliss hat vor einiger Zeit "Zurück auf los!" gedreht, geschrieben, inszeniert & mitgespielt, ich hab den Film sehr gemocht, und das obwohl mein Verhältnis zu deutschen Filmkomödien ein äußerst schwieriges ist.


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2010

Margit im Original-Text. großartig!

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4344&catid=441&Itemid=1

Der untenstehende Text ist von www.nachtkritik:

Margit Bendokat bekommt den Berliner Theaterpreis


Mädchen aus Ostberlin

Esther Slevogt
Berlin, 9. Mai 2010. 

Dimiter Gotscheff sagt es mit Jimmy Hendrix: "Der Ton muss im Raum hängen bleiben." Und das tut er definitiv, wenn diese Schauspielerin spricht, die heute im Deutschen Theater in Berlin mit dem Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung ausgezeichnet wurde: Margit Bendokat, eine der markantesten Schauspielerinnen des deutschsprachigen Theaters, lange verkannt, manchmal fast schon vergessen. Und bei jedem Comeback, wie man so was heutzutage nennt, auf absoluter Augenhöhe mit der Gegenwart.

bendokat
Probenfoto "Die heilige Johanna der Schlachthöfe"
©Arno Declair
Heiner Müller hätte sich seine Texte gern von Margit Bendokat vorlesen lassen, weil er sie so selbst erst verstanden hatte, kolportiert Nicolas Stemann als Laudator, um dann noch einmal die Besonderheiten dieser Schauspielerin hervorzuheben, die Energiezentren von Texten aufzuspüren, Welten zu öffnen und darzustellen verstehe mit einer ganz eigenen Lakonie.
Heutzutage, sagte Stemann, gebe es einen Hunger nach Authentizität auf der Bühne, weshalb manche nun echte Hartz-IV-Empfänger oder irgendwelche Spezialisten auf die Bühne holten. Natürlich verlören die dort sofort jegliche Authentizität, schließlich sei das Theater ein eigener Raum. Wer aber Margit Bendokat habe, dem könne das niemals passieren. Denn ihre Authentizität komme aus der Tiefe, sozusagen dem Innern des Theaters selbst, in das sie dann die Welt von außerhalb zu holen verstehe und umgekehrt.
Am Ende setzte sich der 1968 in Hamburg geborene Regisseur ans Klavier, um Margit Bendokat mit zartem Schmelz Udo Lindenbergs Vor-Wende-Ballade "Mädchen aus Ostberlin" zu Füßen zu legen, was manch politisch Korrektem im Saal kurz den Schweiß auf die Stirne trieb, es aber so direkt gefühlt und liebenswürdig in die Veranstaltung sich fügte, das bald doch allgemeine Rührung überwog.
  (Nicolas Stemann singt und spielt Udo Lindenberg)

Deutsche Negerin mit asiatischem Grinsen
Dimiter Gotscheffs Ausführungen, der Margit Bendokat als deutsche Negerin mit asiatischem Grinsen feierte (ein etwas unglücklich müllerndes Kompliment), fielen gewiss auch nicht ins allgemein verständliche Repertoire üblicher Lobesfloskeln. Gotscheff brachte aber dieser Schauspielerin (und unsereins im Publikum) gleich zwei wunderbare Geschenke mit: einmal eine Beschreibung einer Szene aus einer berühmten Tartuffe-Inszenierung von Benno Besson aus dem Jahr 1963, wo Margit Bendokat als Dienstmädchen nicht nur einen einzigen Satz zu sagen, sondern auch Kirschen zu essen hatte, und dies in geradezu naturereignishafter Form getan haben muss, wenn man Gotscheffs Schilderungen glaubt, der dies als Hospitant erlebte. Und was sie (und überhaupt das Erzählen mit dem Körper) von Bessons damaliger Assistentin, der Pantomimin (und späteren Regisseurin) Brigitte Soubeyran gelernt hat, wie die Bendokat dann später erzählt - Soubeyran, die (inzwischen fast achtzigjährig) ebenfalls unter den Gästen im Deutschen Theater war.
Das zweite Geschenk war eine Variation des berühmten Drehbühnenwandkampfs zwischen Samuel Finzi und Wolfram Koch aus Gotscheffs Perser-Inszenierung 2006 am Deutschen Theater, der nun dahingehend abgewandelt wurde, dass die ganze Schlacht, die Aischylos' Drama verhandelt, nur darum geht, welche Partei nun zuerst Margit Bendokat ihre Huldigung darbringen darf ... Finzi oder Koch, die heftig in einem aberwitzigen Slapstick miteinander (und Mark Lammerts Bühnenbild-Wand) darum ringen.
Auch viel Theatergeschichte wehte durch die Veranstaltung. Namen wie der des legendären DT-Nachkriegsintendanten Wolfgang Langhoff, mit dem Margit Bendokat 1964 in Carl Sternheims "1913" auf der Bühne stand - ihre erste "richtige" Rolle am Deutschen Theater und Langhoffs letzte. Namen von Regisseuren wie Adolf Dresen, Alexander Lang, Frank Castorf, Einar Schleef, Heiner Müller, Konstanze Lauterbach oder eben nun Dimiter Gotscheff und Nicolas Stemann pflastern ihren Weg. Die große Käthe Reichel war ihre Lehrerin. Fast ein halbes Jahrhundert Theatergeschichte ist in diesem Körper aufgehoben, den Dimiter Gotscheff mit einer archaischen Landschaft verglich. Der aber dabei höchst gegenwärtig bleibt, möchte man leise hinzufügen, immer greifbar auch in der unsentimentalen Lakonie dieser Schauspielerin, die seit über fünfundvierzig Jahren auf der Bühne des Deutschen Theaters steht, dieses Theater und seine Geschichte verkörpert wie keine andere Schauspielerin des Ensembles. Und die erst jetzt überhaupt zum ersten Mal einen Preis bekam. Am Ende viele gerührte Gesichter und Standing Ovations.




Rollenfach: Welt


Nicolas Stemann
Berlin, 9. Mai 2010

Liebe Margit, verehrte Damen und Herren,
die Jury hat mit der Entscheidung, den diesjährigen Berliner Theaterpreis an Margit Bendokat zu verleihen, eine großartige Wahl getroffen.
Wer sonst sollte diesen Preis bekommen?
Wer, wenn nicht eine so tolle Schauspielerin wie Margit Bendokat, die das Theater der letzten Jahre und Jahrzehnte auf so zentrale Art mitgestaltet hat? Und wenn man sich ihre Vita anguckt, all die wichtigen Rollen, Inszenierungen und die schier endlose Liste von Namen legendärer Theaterkünstler, mit denen sie beruflich und zum Teil auch privat verbunden war, dann gewinnt man den Eindruck, sie habe als Schauspielerin die Umsetzung der wichtigsten Theatervisionen der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht nur geprägt, sondern geradezu ermöglicht.
Dafür kann man durchaus schon mal einen Preis springen lassen.
Es scheint nicht sehr schwer zu sein, Margit ein Loblied zu singen. Über sie zu sprechen und von ihr zu schwärmen ist eins. Nun ist Margit aber auf eine so entwaffnende Art bescheiden und berlinerisch unsentimental, dass ich davor zurückschrecke, allzu sehr ins Schwärmen zu geraten auch wenn sich Anlass hierfür genug findet.
Aber wird man ihr und dem, was sie als Schauspielerin ausmacht, damit wirklich
gerecht?

Ich habe keine wirkliche Ahnung, wie sie das macht und muss es auch nicht wirklich wissen. Das, was die Größe und Einzigartigkeit eines Schauspielers ausmacht, ist ein Geheimnis, oft sogar für den Schauspieler selbst.

Eine Welt erschaffen
Ich weiß nur so viel: Scheinbar ohne Aufwand, scheinbar mit ihrer bloßen Anwesenheit auf einer Bühne, erschafft Margit Bendokat eine Welt. Man hat dabei den Eindruck, als würde sie gar nicht viel tun, als würde sie bloß Texte aufsagen, oder sie rufen, als würde sie einfach nur stehen, wenn sie steht, gucken, wenn sie guckt. Und dennoch ist sie eine Welt.
Dabei ist nicht unbedingt dezent. Ihr Spiel ist ja alles andere als naturalistisch (obwohl sie das sicher auch kann). In großer Form wird Text Richtung Publikum deklamiert, alles ist ohne Scham übertrieben, jede Bewertung, jeder Schritt scheinen überartikuliert, dabei aber nie hohl oder manieriert.
Auf Proben wird einem schon mal der Kopf weggeblasen, wenn Margit sich einfach so in irgendein Geschehen hineinwirft und loslegt - auch ganz ohne die Absicherung durch irgendeine Figur oder eine definierte Situation. Nicht viele Schauspieler können das mit einem solchen Mut, einer solchen Lust am Risiko: Etwas spielen, ohne vorher zu wissen, wo es herkommt oder worauf es hinausläuft - und dabei dennoch klar zu bleiben. Und immer mit dem Herzen dabei. Genau - ohne dogmatisch zu sein. Menschlich ohne zu menscheln. Gefühlvoll ohne in Sentimentalität zu ertrinken. Und das Ganze auch gerne laut. Man soll sich von Margits zarter Erscheinung, ihrem Ausdruck zwischen mädchenhafter Schüchternheit und mütterlicher Güte nicht täuschen lassen. Wenn man sie so anschaut kann man sich kaum vorstellen, mit welcher Unverwüstlichkeit und welcher Ausdauer sie Text brüllen kann.
Wie auch immer sie das tut, was sie da tut: Es entsteht eine Welt. Das, was schnell wie ein abgegriffenes Klischee klingen mag – "wenn sie spielt entsteht eine Welt", entspricht in Margits Fall einfach der Wahrheit und ist ganz konkret wahrnehmbar:
Wenn sie in einer Inszenierung, in einem Bühnenbild, in einem Stück, auf einer Bühne steht - dann steht da nicht einfach eine Schauspielerin, die sich als weitere Figur in diese ganzen Elemente einfügt, nein, dann steht da eine Wirklichkeit, etwas, das von jenseits des Theaters
zu kommen scheint, von jenseits des Stückes, von jenseits der Inszenierung. Etwas, das es aus irgendeinem Grund geschafft hat, diese hermetischen Kunst- und Theatermauern zu durchbrechen, und das durch sein bloßes Auftreten alles in Frage stellt, was bisher dort stattgefunden hat.

Und so habe ich Margit bisher denn auch immer besetzt: nicht als eine Figur, nicht als die Darstellerin eines Menschen, sondern als die Darstellerin einer Welt, eines ganzen Kosmos.
Seit einiger Zeit ist es Mode im Theater, Dinge, Menschen auf Bühnen zu stellen, die nicht aus dem Theaterkontext stammen: Tiere oder Eisenbahnschaffner oder echte Hartz-IV-Empfänger, die man dann als das Authentische bestaunt und dabei oft die eigentliche Pointe gar nicht mitkriegt, dass nämlich die Theatralisierung des Theaterfernen diesem die angestrebte Authentizität geradezu austreibt, und sich diese Abkürzung in die Wirklichkeit im Theater schnell als große Lüge entlarvt. So nachvollziehbar die Sehnsucht nach Schaffnern, Kinder, Haftentlassenen im Theater auch ist - all das ist gar nicht nötig, wenn man Margit hat!
Dabei kommt sie nicht von außen, sie entstammt ja als Schauspielerin dem Zentrum des Theaters. Und sprengt dennoch Raum und Rahmen.

Die Welten, die Margit bislang in meinen Inszenierungen spielte, waren immer jeweils denen entgegengesetzt, die die Inszenierung bis dahin behauptet hatte. Das hatte den (beabsichtigten) Effekt, dass alles, was bisher hergestellt wurde: vom Text, von den anderen Spielern, von der Inszenierung, von mir selber - in ein völlig neues Licht geriet, relativiert oder in sein Gegenteil verkehrt wurde. Toll genug, dass so etwas im Theater möglich ist - kaum zu glauben, dass eine einzige Schauspielerin mit ihrem bloßen Auftritt dazu in der Lage ist. Margit kann das.
Meine Inszenierungen mit Margit lassen sich tatsächlich in zwei Teile einteilen: in den Teil vor ihrem Auftritt, und den danach.

Vor Margit und nach ihr
In der "Heiligen Johanna" etwa findet der erste Teil im Innern des Theaters statt, alles ist Kunst, Show, Unterhaltung, über das Außen wird zwar geredet, doch kommt es nur als Zitat vor, als Zeichen, als Abwesendes - wie ja oft im Theater. Im zweiten Teil wird all dies dann allein durch Margits Auftritt von einem gesellschaftlichen oder historischen Außen konterkariert. Da weht auf einmal etwas durch den Raum, das die verlogene Bequemlichkeit ganzer Theatergenerationen spürbar macht. Margit hat es hergestellt.
Bei "Über Tiere" ist es glaube ich genau andersrum: hier entfaltet sich zunächst ein (Geschlechter-)Diskurs, der dann durch Margits Darstellung einer alternden und sterbenden Frau so massiv mit Welt konfrontiert wird, dass alle einfachen Gewissheiten in einer Explosion weggefegt werden. Und am Ende bleibt nur der Wunsch nach Liebe und Erlösung, und das in einem Stück von Elfriede Jelinek. Auch das hat Margit geschafft.
Wer sich nicht einlassen kann auf eine solche dialektische Schwebung - sprich: wer nicht denken will - fliegt an diesen Stellen raus. So ging etwa ein Berliner Kritiker dem Kampf Margit versus Inszenierung so sehr auf den Leim, dass er schrieb, ich würde in der "Heiligen Johanna" tatsächlich Margit Bendokat ermorden wollen oder zumindest dazu aufrufen!
Natürlich habe ich nicht dazu aufrufen wollen, liebe Margit. (Das wollte ich hier nur noch mal richtig stellen).

(Margits Kommentar hierzu lautete übrigens: Ach weeste, ick les dat ja sowieso gar
nich erst).

Der Kritiker war wohl von Margits Auftritt so irritiert, dass ihm in panischer Suche nach Halt jenseits vom Selber-Denken-Müssen die ganze Dialektik ihres Auftritts entgangen war. Das Politische daran. An Margit lag das sicher nicht.

Der Mensch in Beziehung zur Realität
Soweit ich es überblicken kann, war Margits Haupt-Betätigungsfeld als Schauspielerin nie ein Theater, dem es wesentlich um die feine Auslotung sensibler bürgerlicher Seelenpein ging - sondern immer eines, das sich experimentell, existentiell und mutig in Gesellschaft, Politik und Geschichte geworfen hat.
Sich im Theater mit Politik und gesellschaftlichen Realitäten zu beschäftigen ist ja, wie wir wissen, nicht ganz einfach und bedeutet immer eine besondere Aufgabe für einen Schauspieler, der als Mensch auf der Bühne zunächst ja keine abstrakten Dinge sondern Menschen darstellt. Das bürgerliche psychologische Theater lässt den Menschen nach innen klappen und hermetisch einschnappen. In einem Theater, das sich politisch orientiert und positioniert, geht es, wenn wir es nicht mit bloßen Parolen zu tun haben wollen, natürlich auch um den Menschen, aber anders: es geht um den Menschen in Beziehung zur ihn umgebenden gesellschaftlichen Realität, das heißt, es geht darum, die Schnittstelle auszuloten zwischen diesem subjektiven Innen und einem gesellschaftlichen politischen Außen, die Spannungen zwischen diesen beiden Polen, die durch den einzelnen Menschen hindurchgehen, ihn belasten und zerreißen.
Diese Schnittstelle transportiert Margit auf eine ganz besondere Art, es ist, als dächte sie immer beides mit, Innen und Außen, als spielten ihr Körper, ihre Stimme nie nur eines der beiden.
Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass Margit dieser Preis gerade jetzt zuerkannt wird, zu einer Zeit, da die Theater aus einem langen Schlaf der Innenschau zu erwachen scheinen und sich wieder ein wenig offensiver - wenn vielleicht auch viel zu spät, zu leise oder zu hilflos - für gesellschaftliche Realitäten zu interessieren beginnen. Denn ein Theater, das sich für die sie umgebende Welt interessiert, braucht Schauspielerinnen wie Margit. Wenn sie auftritt, dann gibt es nicht einfach eine weitere Figur mit Seelenpein und sensiblen Gefühlen - dann ist das politisch!
Mag sein, dass das noch von ihrer Zusammenarbeit mit Heiner Müller komme.
Oder von Gosch.
Oder von - die Liste ist wie gesagt lang.

Denn in Margit begegnet uns erlebte Geschichte, und das heißt in ihrem Falle immer
auch: Theatergeschichte!


Diese ganze geballte Ladung Theatergeschichte
Und so ist sie neben all dem, von dem ich bislang gesprochen habe, auch noch ein
wertvoller Erinnerungsschatz für das heutige Theater. Ihr Spiel ist ein lebendes, lebendiges Gedächtnis der Theateravantgarden der letzten Jahrzehnte, ein vitaler Setzkasten historischer Theaterformen.

In dem wir natürlich Brecht finden, dem sie persönlich zwar gar nicht mehr begegnet ist, erstaunlicherweise auch nur wenige seiner Stücke gespielt hat, der sie aber doch sehr geprägt haben muss. Viele Brecht-Vertraute waren ihre Lehrer, Käthe Reichel zum Beispiel, sie bewegte sich von Anfang an in einer von Brecht geprägten Theaterlandschaft. Und das merkt man. Zum Glück.
Dann natürlich Heiner Müller - und hier weiß ich gar nicht, ebenso wie bei Einar Schleef, wer da eigentlich wen beeinflusst hat. Hat Margit wirklich bei Schleef das zärtlich-differenzierte Brüllen und Rufen gelernt? Oder ist das etwas, was aus Schleefs Form geworden ist dadurch, dass er mit Margit gearbeitet hat? Heiner Müller, so erzählt man, ließ sich seine Texte immer gerne von Margit vorlesen, weil er sie erst dann wirklich verstand. Das glaube ich sofort. Wenn sie Texte spricht oder brüllt oder deklamiert, dann versucht sie die Energiezentren dieser Texte auszuloten - da gibt es kein Irgendwie, da gibt es nur klare, vielleicht warme, aber brutale Eindeutigkeit.
Gerade Texten, deren Eindeutigkeit in ihrer Mehrdeutigkeit liegt, wie etwa die Texte Elfriede Jelineks, tut das unglaublich gut.
Die Liste der lebendigen Theatergeschichte, die Margit umweht, ist freilich noch um ein Vielfaches länger: B.K. Tragelehn, Benno Besson, Alexander Lang, Frank Castorf, Jürgen Gosch, (wir nähern uns allmählich der Gegenwart) Konstanze Lauterbach, Dimiter Gottscheff... kaum ein wirklich interessanter Theatermacher, der in ihrer Vita fehlt, und es sind die Experimentatoren, die Suchenden, die "Verrückten" wie Margit selber sagt, die diese Vita prägen. (Die Konventionshüter, die Bewahrer des Status quo, die Beschützer des Mittelmaßes und des Publikums-Konsens gehören auffälliger- und sympathischerweise nicht zu den prägenden Persönlichkeiten ihres Lebenslaufs.)
Wenn Margit heute in einer Inszenierungen also scheinbar "nur" rumsteht und es wieder einmal schafft, eine Welt zu sein, dann steht diese ganze geballte Ladung Theatergeschichte dort mit herum. Was kann es größeres für einen Regisseur geben! Und trotzdem steht sie auf ihren Füßen, und die sind auf der Erde, trotzdem ist sie unglaublich nett und so unkompliziert, dass es einem gar nichts nützen würde, in Ehrfurcht zu erstarren - im Gegenteil käme sicher sofort ein Spruch um die Ecke berlinert, der alles wieder erden und den Erstarrenden beschämen würde ob des lächerlichen Pathos seiner Ehrfurcht.
Wenn man sich all dies vor Augen führt, mutet es ausgesprochen absurd an, dass der heutige Theaterpreis tatsächlich die erste wichtige Auszeichnung ist, die Margit Bendokat als Schauspielerin in ihrem ganzen Leben verliehen wird. Das ist eigentlich ein Skandal und kaum zu glauben.
Um so mehr, liebe Margit, gratuliere ich Dir von ganzem Herzen zu Deinem ersten
Theaterpreis. Mögen noch viele folgen!

Vielen Dank.

Sonntag, 18. Januar 2015

Kurze Pause


Liebe Leser!

Ich stecke gerade in einer wunderbar aufregenden, aber auch anstrengenden Arbeit, deshalb macht dieser Blog eine kleine Pause, bis etwa Anfang Februar. Tut mir leid,
aber mein Gehirn ist auf beste Art überlastet.

Bis gleich! 
Johanna