Mittwoch, 1. Juni 2011

Dienstag, 31. Mai 2011

Theater hat auch Kinder

Theaterkind. 

"Warum hat der Mann grüne Farbe im Gesicht?" 
"Der ist geschminkt, der soll tot sein."
"Waaaaas?"

"Sei ruhig, Papa hat Vorstellung." 

"Nein, wir können im Winter nicht wegfahren, Theaterferien sind im Sommer." 

"Na klar, Papa rezitiert bei meiner Jugendweihe, man ist das peinlich!"

Vater übt: "Hammer oder Amboss sein!", Kind läuft vorbei: "Ich werde Krankenschwester!"

Immerhin haben meine Eltern mich nicht Porzia genannt oder Ophelia, da kann ich doch von Glück reden. Aber mit 12 musste ich "Den Handschuh"  im Deutschunterricht vortragen, und tat es genauso gräßlich wie fast alle Kinder. Tja, die Anderen haben nicht ihre gesamte Familienchronik vorgehalten bekommen und eine vier. Und ihnen wurde auch nicht vom HNO-Arzt die Spuckschüssel bei der Entfernung der Polypen, mit den Worten: "Nun zeig mal ein bisschen Courage! Hat doch Deine Oma immerhin gespielt!", überreicht. Man habe ich den vollgespuckt. Und wehe, jemand hat es gewagt mit mildem Lächeln über meine gewisse Zukunft auf den Brettern zu säuseln, das war, damals wirklich das Letzte, was ich wollte, und hätte ich es gewollt, hätte ich es trotzdem abgestritten.

Vorstellungen: Ein Kind allein zu Haus, mit einem Ohr an der Wohnungstür und einem Auge auf dem heimlich laufenden Fernseher, Donnerstag Abend nach 10 im 3. Programm (mehr gab es damals noch nicht) "Menschen, Monster, Mutationen!", Horrorfilme der alten Art, erwischt wurde ich immer, die Temperatur der Glühbirnen war der Test.
Oder X., die aus Sorge, vor den in der dunklen Wohnung marodierenden Räuberbanden, lieber hinterm Bett schlief oder hochdramatisch im dünnen Hemdchen, nach Anruf im Theater, auf dem verschneiten Balkon die Heimkehr der elterlichen Gaukler erwartete. 
Oder in der Garderoben abgestellt, von Maskenbildnern und Gardrobieren verwöhnt, immer müde.

Theater ist georaphisch verlegtes Wohnzimmer. Manche Texte kann man auswendig, auch wenn man sie nicht versteht. Und egal, ob man selber Insasse wird oder sich lebenslänglich vehement verweigert, es ist eine Infektion, die, latent oder manifest, unheilbar ist.

Ich war 8 oder 9 und kann heute noch die Geschichte erzählen, bis zur Hälfte, dann kamen meine Eltern nach Hause.

Maria mit einem Kind


Maria wird in der Bibel selten erwähnt. 
Sie hat eine Freundin Elisabeth, die Mutter des Johannes (alias der Täufer), dass ist die deren Kind im Leibe hüpft, als Maria zu Besuch kommt. 
Sie wird auf höchst merkwürdige Art geschwängert, muss zwecks Volkszählung hochschwanger eine längere Reise unternehmen, die Geburt findet öffentlich statt. Der Sohn ist gesund und bis auf die ungewöhnlichen Ereignisse bei seiner Geburt auch erst einmal "gewöhnlich". Aber dann...
In der Pubertät entwickelt er einen recht rüden Umgangston mit seinen Eltern und jüngeren Geschwistern, der sich im Lauf seines kurzen Lebens geradezu in hasserfüllte Ablehnung verwandelt.

Die Geschichte beginnt magisch:
Und im sechsten Monat ward der Engel Gabriel gesandt von Gott in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Manne mit Namen Joseph, vom Hause David: und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßet seist du, Holdselige! Der HERR ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern!  Da sie aber ihn sah, erschrak sie über seine Rede und gedachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen. Der wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der HERR wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben; und er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich, und seines Königreiches wird kein Ende sein.
   Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden Und siehe, Elisabeth, deine Gefreunde, ist auch schwanger mit einem Sohn in ihrem Alter und geht jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar sei.  Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe ich bin des HERRN Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.




Maria mit Kind Jean Fouquet um 1450

Jesus benimmt sich wie ein pubertärer Schlingel zu Mama:
Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Was ist's, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist! Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete.







Cosmè Tura Maria mit Kind um 1448






Äthiopische Madonna 14. Jahrhundert
 Jesus kanzelt Mama ab:
Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt und die Mutter Jesu war dabei.
Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen.
Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr.
Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.

Afrikanische Madonna Anonym
 Jesus ignoriert Mama:
Und es begab sich, da er solches redete, erhob ein Weib im Volk die Stimme und sprach zu ihm: Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast. Er aber sprach: Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.

"Dreihändige” Gottesmutter Tricheirousa, Kloster Hilandar, Athos
 Jesus entledigt sich seiner Mama:
Und es kam seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah rings um sich auf die Jünger, die im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. 

Maria mit Kind Marc Chagall
Jesus schenkt Mama einen Adoptivsohn:
Es stand aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, des Kleophas Weib, und Maria Magdalena. Da nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabeistehen, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, das ist dein Sohn! Darnach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Maria mit Kind Lukas Cranach der Ältere

Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Was ist's, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist! Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete.
Maria mit Kind Michael Sittow (Maitre Michiel)
Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.
 
Marienaltar Mittelbild Albrecht Dürer
 Es ging aber viel Volks mit ihm; und er wandte sich und sprach zu ihnen: So jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.

Sonntag, 29. Mai 2011

Velasquez - Die Infantin - Ein Kind - Las Meninas


Diego Rodríguez de Silva y Velázquez 1599-1660
Als Maler am Hof des spanischen Königs Phillip IV. porträtierte er viele Mitglieder der königlichen Familie und Angehörige des Hofes. Das wahrscheinlich bekannteste Bild von seiner Hand ist Las Meninas aus dem Jahre 1656.

Margarita Theresa de Austria 1651-1673

Die Idee der "Kindheit" als besondere Zeit des Behütetseins, der spielerischen Welteroberung und der Verantwortungslosigkeit ist eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Bis dahin waren Kinder kleinere Leute. Das heisst nicht, dass niemand lieb zu ihnen war, Phillip IV. nannte Margarita zum Beispiel "seine Freude", sie soll sein Lieblingskind gewesen sein, aber die Regeln für und Forderungen an ein Kind wurden nach den Maßen der Erwachsenen ausgerichtet und sicher sehr streng angelegt an eine Grossherzogin von Österreich, königliches Kind am formstrengsten Hof Europas.
Obwohl sie schon mit 22 Jahren gestorben ist, hatte sie zumindest vorher das Glück nicht so sehr, wie die meisten ihrer Geschwister, unter den Folgen der habsburgischen Inzucht zu leiden, die Lippe halt und ein Ärger mit der Schilddrüse. Ihr Ehemann, Leopold I. von Österreich, war ihr Cousin und ihr Onkel, sie gebar ihm 6 Kinder, zwei Fehlgeburten eingeschlossen, nur ein Kind erreichte das Erwachsenenalter, die anderen starben noch im Geburtsjahr.
Sie soll sehr fromm gewesen sein, und nach ihrer zweiten Fehlgeburt forderte sie die Vertreibung der Juden aus Wien, da diese sicher Schuld seien, der Forderung wurde stattgegeben.

(Alle Bilder von Velasquez, außer wenn anders notiert.)

Die Infantin mit drei 1663

Die Infantin mit sechs 1656
Las Meninas, die Infantin ist sechs 1656


Ausschnitt Las Meninas

Die Infantin mit acht oder neun 1659

Die Infantin mit zehn 1660

Die Infantin von Anonym, 1662/1664
Die Infantin in Trauer, 1665 Gerard du Chateau

Juan Bautista Martinez del Mazo, die Infantin mit 15, jetzt Frau von Leopold I. in Trauer um ihren Vater 1666
Kaiserin Margarita Teresa Tochter des Philipp IV. von Habsburg Spanien in einem Theaterkostüm 1667
Die Mutter, Maria Anna von Habsburg, Erzherzogin von Österreich
Der Vater, Philipp IV.

Kinderreime - für Kinder nicht geeignet?


Alle Kinder stehen vor dem brennenden Haus, außer Klaus, der schaut raus. 

Ist doch verblüffend, wie brutal und "herzlos" viele Kinderreime, -lieder sind. Und ich meine nicht die erzieherischen Gewaltphantasien à la "Struwelpeter", in denen Herr Doktor Hoffmann seinem Kinderhass freien Lauf  lässt, oder seine Kinderängste unreflektiert blühen und wuchern lässt, sondern sowas wie "Fuchs du hast die Gans gestohlen" oder "Ein Hund kam in die Küche". Kaputtmachen macht Spaß, tot sein kommt vor,  jemandem weh tun ist Alltag. Das folgende Lied hat mir meine Stieftochter mal als "Testlied" vorgesungen, als wir uns gerade kennenlernten. Ihre Mutter war, Gott sei Dank nicht tot, aber vom Vater geschieden. Das Kind, sieben, saß auf dem Rücksitz im Auto, ich fuhr und sie sang ganz leise unendlich viele Strophen scheinbar nur so vor sich hin. 

Ein Kind von viereinhalb Jahr,
Das auch schon ein Waisenkind war;
Ein Kind von viereinhalb Jahr, ja Jahr,
Das auch schon ein Waisenkind war

Ach liebster Vater mein,
Wo ist denn mein Mütterlein;
Ach liebster Vater mein, ja mein
Wo ist den mein Mütterlein

Dein Mütterlein ist tot,
Es liegt im Grabe und ruht;
Dein Mütterlein ist tot, ja tot
Es liegt im Grabe und ruht

Da lief das Kind geschwind
Zum Grabe der Mutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum Grabe der Mutter hin

Da grub es sich ein Loch,
Ach liebste Mutter so sprich doch;
Da grub es sich ein Loch, ja Loch
Ach liebste Mutter so sprich doch

Das Sprechen fällt mir schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr;
Das Sprechen fällt mir schwer, ja schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr

Lauf heim mein Kind, lauf heim,
Eine andere Mutter ist dein;
Lauf heim mein Kind lauf heim, ja heim,
Eine andere Mutter ist dein

Da lief das Kind geschwind
Zum hause der Stiefmutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum hause der Stiefmutter hin

Die kämmt mir nun das Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;
Die kämmt mir nun das Haar, ja Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Schleifen dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Schleifen dazu.

Und wäscht sie mir die Händ,
So rubbelt sie bis es brennt;
Und wäscht sie mir die Händ, ja Händ
So rubbelt sie bis es brennt;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Seife dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Seife dazu

Und schmiert sie mir das Brot,
So wünscht sie mir den Tod;
Und schmiert sie mir das Brot,
So wünscht sie mir den Tod;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Honig dazu.
Und bringt sie mich zur Ruh,
dann schlägt sie die Zimmertür zu;
Und bringt sie mich zur Ruh, ja Ruh
so schlägt sie die Zimmertür zu;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Küsse dazu.

Am nächsten Morgenrot
Da war das Kind auch schon tot;
Am nächsten Morgenrot, ja Rot
Da war das Kind auch schon tot;

Am Abend weht der Wind
Übers Grab von Mutter und Kind
Am Abend weht der Wind, ja Wind
Übers Grab von Mutter und Kind. 

Da verhalte Dich mal, als frisch gebackene Stiefmutter!

Piep piep piep,
wir haben uns alle lieb,
jeder esse was er kann,
nur nicht seinen Nebenman,
und wir nehmens ganz genau,
auch nicht seine Nebenfrau,
nix verkleckert, nix verschütt,
GUTEN APPETIT!

Der Bauer schickt' den Jockel aus

Der Bauer schickt' den Jockel aus,
Er sollt' den Hafer schneiden.
Der Jockel, der wollt' den Hafer nicht schneiden,
Wollt' lieber zu Hause bleiben. 

Der Bauer schickt' den Knecht hinaus,
Er sollt' den Jockel holen.
Der Knecht, der wollt' den Jockel nicht holen,
Der Jockel, der wollt' den Hafer nicht schneiden.

Der Bauer schickt' den Hund hinaus,
Er sollt' den Knechte beißen.
Der Hund, der wollt' den Knecht nicht beißen,
Der Knecht, der wollt' den Jockel nicht holen,
Der Jockel, der wollt' den Hafer nicht schneiden.

Der Bauer schickt' den Knippel 'naus,
Er sollte den Hund schlagen.
Der Knippel, der wollt' den Hund nicht schlagen,
Der Hund, der wollt' den Knecht nicht beißen …

Der Bauer schickt' das Feuer 'naus,
Es sollt' den Knippel brennen.
Das Feuer, das wollt' den Knippel nicht brennen,
Der Knippel, der wollt' den Hund nicht schlagen …

Der Bauer schickt' das Wasser 'naus,
Es sollt' das Feuer löschen.
Das Wasser, das wollt' das Feuer nicht löschen,
Das Feuer, das wollt' den Knippel nicht brennen ...

Der Bauer schickt' den Ochsen 'naus,
Er sollt' das Wasser saufen.
Der Ochs, der wollt' das Wasser nicht saufen,
Das Wasser, das wollt' das Feuer nicht löschen …

Der Bauer schickt' den Fleischer 'naus,
Er sollt' den Ochsen schlachten,
Der Fleischer, der wollt' den Ochsen nicht schlachten,
Der Ochse, der wollt' das Wasser nicht saufen …

Der Bauer schickt' den Geier 'naus,
Er sollt' den Fleischer holen.
Der Geier, der wollt' den Fleischer nicht holen,
Der Fleischer, der wollt' den Ochsen nicht schlachten …

Der Bauer schickt' die Hexe 'naus,
Sie sollt' den Geier bannen.
Die Hexe, die wollt' den Geier nicht bannen,
Der Geier, der wollt' den Fleischer nicht holen ...

Der Bauer schickt' den Henker 'naus,
Er sollt' die Hexe verbrennen.
Der Henker, der wollt' die Hexe nicht verbrennen,
Die Hexe, die wollt' den Geier nicht bannen...

Der Bauer schickt' den Vater 'naus,
Er soll den Henker töten.
Eh' ich mich will töten lassen, will ich die Hexe verbrennen.
Eh' ich mich will verbrennen lassen, will ich den Geier bannen.
Eh' ich mich will bannen lassen, will ich den Fleischer holen.
Eh' ich mich will schlachten lassen, will ich den Ochsen schlachten.
Eh' ich mich will schlachten lassen, will ich das Wasser saufen.
Eh' ich mich will saufen lassen, will ich das Feuer löschen.
Eh' ich mich will löschen lassen, will ich den Knippel brennen.
Eh' ich mich will brennen lassen, will ich den Hund schlagen.
Eh' ich mich will schlagen lassen, will ich den Knecht beißen.
Eh' ich mich will beißen lassen, will ich den Jockel holen.
Eh' ich mich will holen lassen, will ich den Hafer schneiden.
Kleiner Schelm bist du, weißt du, was ich tu,
ich steck dich in den Hafersack und bind´ihn oben zu.
Und wenn du dann noch schreist” Ach, mach doch bitte auf!” (Ach, lass mich doch heraus!)
Dann bind ich ihn noch fester zu und setz mich oben drauf
Tralalalala, tralalalala, 

Zehn kleine Negerlein,
Die fuhren übern Rhein;
Das eine ist in’s Wasser gefall’n,
Da waren’s nur noch neun.
Ein klein, zwei klein, drei klein,
Vier klein, fünf klein Negerlein,
Sechs klein, sieb’n klein, acht klein,
Neun klein, zehn klein Negerlein.
Neun kleine Negerlein,
Die gingen auf die Jagd,
Das eine wurde totgeschossen,
Da waren’s nur noch acht
Ein klein zwei klein..
Acht kleine Negerlein,
Die gingen in die Rüb’n,
Das eine hat sich totgegessen,
Da waren’s nur noch sieb’n.
Ein klein…
Sieben kleine Negerlein,
Die gingen zu ‘ner Hex’,
Das eine hat sie totgehext,
Da waren’s nur noch sechs.
Ein klein…
Sechs kleine Negerlein,
Gerieten in die Sümf,
Das eine ist d’rin stecken geblieb’n,
Da waren’s nur noch fünf.
Ein klein…
Fünf kleine Negerlein,
Die gingen mal zum Bier,
Das eine hat sich totgetrunken,
Da waren’s nur noch vier.
Ein klein…
Vier kleine Negerlein,
Die aßen heißen Brei,
Das eine hat zuviel gegessen,
Da waren’s nur noch drei.
Ein klein……
Drei kleine Negerlein,
Die fuhr’n in die Türkei,
Den einen traf der Sonnenstich,
Da waren’s nur noch zwei.
Ein klein….
Zwei kleine Negerlein,
Die fingen an zu weinen,
Der eine hat sich totgeweint,
Da gab es nur noch einen.
Ein klein….
Ein kleines Negerlein,
Das fuhr mal in der Kutsch,
Da ist es unten durchgerutscht,
Da war’n sie alle
FUTSCH!!

Ick sitze hier und esse Klops,
Uff eenmal kloppt's.
Ick kieke, staune, wundre mir,
Uff eenmal jeht se uff, die Tür.
Nanu, denk ick, ick denk: nanu,
Jetzt isse uff, erst war se zu.
Ick jehe raus und blicke,
Und wer steht draußen? - Icke!

Ernest Bornemann: Unsere Kinder im Spiegel ihrer Lieder, Reime, Verse und Rätsel.  Freiburg 1973 (Studien zur Befreiung des Kindes, Bd. 1) 

Der deutsche Schriftsteller, Anthropologe, Psychoanalytiker und Sexualforscher Ernst Wilhelm Julius Bornemann wurde 1915 in Berlin geboren, er starb 1995. Er hatte in den frühen 1930er Jahren Kontakt zu Wilhelm Reich. Nachdem er 1933 nach England emigriert war, anglisierte er seinen Namen zu Ernest Borneman (Art. „Ernst Wilhelm Julius Bornemann“, in: Wikipedia). Borneman sammelte seit den sechziger Jahren in 36 deutschen Städten ca. 5000 Kinderlieder und -reime. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf oral tradierte Kinderverse und -lieder.

Allerleirauh. Viele schöne Kinderreime. Versammelt von Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1961. 384 Seiten.
Das große Buch der Kinderreime: Die schönsten Kinderreime aus alter und uralter Zeit aufgesammelt sowie etliche ganz neu dazuerfunden und bunt illustriert von Janosch. Verlag Beltz.
Peter Rühmkorf: Über das Volksvermögen. Exkurse in der literarischen Untergrund. Reinbek 1967 

Alle Kinder machen Sex im Bett, nur nicht Daniel, der machts mitm Spaniel. 


Donnerstag, 26. Mai 2011

Joachim Ringelnatz - Kinder-Verwirr-Buch


Kinder, ihr müßt euch mehr zutrauen!
Ihr laßt euch von Erwachsenen belügen
Und schlagen. – Denkt mal: Fünf Kinder genügen,
Um eine Großmama zu verhauen.

Meine siebenjährige wunderschöne Nichte hatte heute ein Sommerfest in ihrer Schule. Hunderte Kinder in fast allen Farben und fast alle mit unvorstellbarer Lautstärke berlinernd. 
Und es gab ein mit Wasser gefülltes Bassin, in dem die Kinder in riesengroßen aufblasbaren Plasteblasen herumrollen konnten, mit langem, geduldigem Anstehen zuvor. (Ganz nebenbei, ich habe zwei fiese zwölfjährige Monster, die vordrängen wollten, mit Hexenblick und düsteren Drohungen, abgewehrt.) Alles wunderbarer Spaß, Spiele, Kuchen, Bratwurst, Seilbalancieren, Malen, Seifenblasen blasen und was nicht noch, UND DANN war Schluss und das Bassin wurde in den Schulhof geleert und einhundert Kinder rannten gleichzeitig los und spritzen und quiekten und lachten und kein Lehrer oder Elter hat auch nur einen Mucks gemeckert. Alle hatten breitgegrinste Münder und kicherten, derweil die pitschnassen Horden durch die Riesenpfütze jagten. Großartig. Das kriegt kein Theater hin.

Unter Wasser Bläschen Machen

Kinder, ein Rätsel! Hört mich an!
Wer es herausbekommt, kriegt Geld! – Wie kann
Man unter Wasser Bläschen machen?
Das müsst ihr versuchen – unbedingt! –
In der Badewanne. Und wenn es gelingt,
Werdet ihr lachen.
Geplapper an Großpapa
»Großpapa, ach, bist du dumm!
Weil du nichts verstehst.
Großpapa, was bist du krumm,
Wenn du gehst!

Und du zitterst immerzu
Wie ein Pappelwald.
Großpapa, wann stirbst denn du?
Stirbst du bald?«

An Berliner Kinder

Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben,
Wenn ihr schlafen gehen müsst?
Und sie angeblich noch Briefe schreiben.
Ich kann's euch sagen: Da wird geküsst,
Geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen,
Da schleichen verdächtige Gäste herbei.
Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen
Bis zur Papagei-Sodomiterei.
Da wird hasardiert um unsagbare Summen.
Da dampft es von Opium und Kokain.
Da wird gepaart, dass die Schädel brummen.
Ach schweigen wir lieber. – Pfui Spinne, Berlin!

Ernster Rat an Kinder

Wo man hobelt, fallen Späne.
Leichen schwimmen in der Seine.
An dem Unterleib der Kähne
Sammelt sich ein zäher Dreck.


An die Strähnen von den Mähnen
Von den Löwen und Hyänen
Klammert sich viel Ungeziefer.
Im Gefieder von den Hähnen
Nisten Läuse; auch bei Schwänen.
(Menschen gar nicht zu erwähnen,
Denn bei ihnen geht's viel tiefer.)
Nicht umsonst gibt's Quarantäne.
Allen graust es, wenn ich gähne.
Ewig rein bleibt nur die Träne
Und das Wasser der Fontäne.
Kinder, putzt euch eure Zähne!!

Silvester bei den Kannibalen

Am Silvesterabend setzen
Sich die nackten Menschenfresser
Um ein Feuer, und sie wetzen
Zähneklappernd lange Messer.
Trinken dabei – das schmeckt sehr gut –
Bambus-Soda mit Menschenblut.
Dann werden aus einem tiefen Schacht
Die eingefangenen Kinder gebracht
Und kaltgemacht.
Das Rückgrat geknickt,
Die Knochen zerknackt,
Die Schenkel gespickt,
Die Lebern zerhackt,
Die Bäuchlein gewalzt,
Die Bäckchen paniert,
Die Zehen gesalzt
Und die Äuglein garniert.
Man trinkt eine Runde und noch eine Runde.
Und allen läuft das Wasser im Munde
Zusammen, auseinnander und wieder zusammen.
Bis über den feierlichen Flammen
Die kleinen Kinder mit Zutaten
Kochen, rösten, schmoren und braten.
Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau
Zubereitet als Karpfen blau.
Riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,
Nur mehr nach Kokosfett und Palmin.
Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist
Auf zwölf. Es entschwindet das alte Jahr.
Die Kinder und der Karpfen sind gar.
Es wird gespeist.
Und wenn die Kannibalen dann satt sind,
Besoffen und überfressen, ganz matt sind,
Dann denken sie der geschlachteten Kleinen
Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.
 
Joachim Ringelnatz 



Es ist auch mal schön ohne Theater

Mein Name ist Johanna Schall und ich bin am Theater.
Aber seit dem 19. April eben mal nicht. Doch bald wieder.
Sozusagen trocken, aber ich weiss schon, wann ich wieder trinken werde.

Und wie ist es? Merkwürdig.
Was ist man, wenn man nicht das ist, was man schon so lange war? Sicher, es ist eine Spielsituation, weil zeitlich begrenzt, aber erstaunlich in seinen Auswirkungen.

Fakt 1: Ich möchte momentan nicht ins Theater gehen. Sonst zwei-, dreimal in der Woche und nun, mit Aufraffen, einmal im Monat. Dafür aber ins Kino.

Fakt 2: Ich lese. Absichtslos. Weil ein Titel gut klingt, jemand etwas Interessantes über ein Buch zu sagen hat, mir ein Umschlag gefällt. Ohne Gedanken an den Nutzwert.

Fakt 3: Diesen Blog zu schreiben, den eine Leserin freundlich als "Ganzjahres - Advents - Kalender" titulierte, tut meinem Hirn und meiner Seele gut. Wo ich überall hingerate, wenn ich einer Idee freien Lauf lasse, wie wunderbar anders andere Menschen denken. Herrlich!

Fakt 4: Ich erinnere mich, dass es privates Leben gibt. Ist schwierig, weil langes Herumreisen sozialen Bindungen nicht förderlich ist, aber arbeite weiter daran.

Fakt 5: Das Schreiben. Ich umkreise es, umschleiche es. Müh-selig.

Fakt 6: Ich bin verwirrt. Verwirrung ist, glaube ich, gut für mich.

Fakt 7: Das sind sehr viele "ichs" in so einem kleinen Text. Aber der ist ja auch über m-ich.

Post Scriptum: Die apokalyptischen Ausschweifungen der letzten Tage wurzeln in  persönlichem Kummer, ABER, soweit ich weiss, geht die Welt in den nächsten zwei Wochen nicht unter, oder jedenfalls nicht schneller als üblich.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Francisco de Goya - The Dog - Der Hund


Zwischen 1819 und 1823, im Alter von 73 Jahren, nachdem er zwei sehr schwere Krankheiten überstanden hatte, in deren Folge er taub geworden war, malte Goya 14 Bilder mit Ölfarbe direkt auf die Wände seines Hauses. Das Haus hieß Quinta del Sordo oder Landhaus des Tauben. Die Bilder nennt man die die Schwarzen Bilder und sie hängen heute in Madrid im Keller des Prado.
Ich saß, völlig erschlagen auf dem Fußboden und starrte auf den ersaufenden Hund, als eine deutsche Reisegruppe den Saal betrat und der stark sächselnde Reiseführer laut verkündete: "Bei diesen Bildern, läuft es mir jedesmal, eiskalt den Rücken runter." Stimmt.

Für den "Lohndrücker" am Deutschen Theater hatte Heiner Müller ein anderes dieser Bilder gewählt, den "Kampf mit Knüppeln", obwohl er es immer den Kampf der zwei Brüder nannte.




Wie traurig muss jemand sein, um so etwas zu malen. Und doch, er malt. Alt, krank, taub und malt mit Farben auf die Wand.
Gestern ist Fritz Schedewy, Schauspieler, 68, inmitten einer Lesung, an einem Herzinfarkt gestorben. Ich habe ihn nicht gekannt, gute Reise!