Montag, 17. Januar 2011

Stücke die fast keiner kennt und fast keiner spielt und die trotzdem schön sind

Die goldene Harfe von Gerhart Hauptmann
UA: 15.10.1933, Münchner Kammerspiele München
Rechte bei Felix Bloch Erben
Entweder die einzige Komödie Hauptmanns oder sein Versuch deutsch zu tümeln. Habe beim Lesen  laut gelacht, ein nicht üblicher Akt während man die Stücke dieses Mannes liest.

Der Zwergriese - Hidalla - Sein und Haben von Frank Wedekind
Wow, ein mißgestalteter Mann gründet eine Gesellschaft zur Züchtung von Rassemenschen, scheitert und endet als trauriger Clown im Zirkus.
aus dem ersten Akt:
HETMANN. Schönheit! – Unsere bisherige Moral war auf das menschliche Wohl gerichtet; sie war dazu bestimmt, das Unglück zu bekämpfen und hatte in erster Linie die Unglücklichen ins Auge gefaßt. An dieser Moral wird – auch soweit sie sich an die Opferfreudigkeit der Reichen wendet – kein Wort geändert. Für die Reichen aber habe ich, über die alte Moral hinaus, eine neue geschaffen, deren höchstes Gebot die Schönheit ist.
LAUNHART. Das ist ausgezeichnet! Kamen Sie ganz von selbst auf den rühmlichen Gedanken?
HETMANN. Der Gedanke liegt sehr nahe. Der Durst nach Schönheit ist ein nicht minder göttliches Gesetz in uns als der Trieb zur Bekämpfung der Erdenqual!
BERTA. Schade nur, daß in der ganzen Welt die Erdenqual noch so übergewaltig ist, daß das Vergnügen an der Schönheit ihr gegenüber kaum als Sonnenstäubchen in die Waagschale fällt!
HETMANN. Um Vergnügen, gnädige Frau, ist es uns nicht zu tun! Unsere Moral fordert Opfer, wie sie noch keine forderte. Die allgemeine Moral steht im Dienste des höchsten menschlichen Glückes, der Familie. Dieses höchste menschliche Glück fordern wir von den Mitgliedern unseres Bundes als erstes Opfer!
BERTA. Sie wollen also durchaus noch etwas mehr Unglück in die Welt hineinbringen?
LAUNHART. Ja, ja, schon gut, liebe Berta; laß jetzt den Herrn sprechen! Zu Hetmann. Verzeihen Sie bitte, ich habe Ihre Moral noch nicht vollkommen verstanden.
HETMANN. Wenn die Menschen dazu emporsteigen, die Schönheit höher zu achten als Hab und Gut, als Leib und Leben, dann sind die Menschen der Gottheit um eine Stufe näher, als wenn der Sieg über die Erdenqual ihr höchster Preis ist!
LAUNHART. Das ist selbstverständlich! – Was ich noch fragen wollte – zeichnen sich die Angehörigen Ihres Bundes alle in so hervorragendem Maße durch Schönheit aus wie Sie?
HETMANN. Ich bin natürlich nicht Mitglied des Bundes; ich bin vom Bund nur als Sekretär in Dienst genommen. Die Mitglieder sind ausschließlich Menschen von auffallender, allgemein bewunderter Schönheit.
Textlink:

Arden von Faversham von einem anonymen elisabethanischen Autoren (eventuell Thomas Kyd, vielleicht Shakespeare, obwohl nicht sehr wahrscheinlich?)
Link zum englischen Original:
Es gibt eine grandiose Übersetzung/Fassung von Jörg Laederach, er nennt sie cruel version (grausame Version). Stark gekürzt, fast nur Hauptsätze, eine Groteske. Alle sind böse, alle, herrlich.

Der Lauf der Welt - The way of the world von William Congreve
Eine Übersetzung ist von Wolfgang Hildesheimer, er nennt es eine lieblose Komödie und das trifft es genau. Ich kenne die Version nicht und das Englisch dieser Restaurations - comedy of manners ist sicher schwer übertragbar. Viele Doppeldeutigkeiten, Wortspiele und untergeschobene Bösartigkeiten. Aber wenn es gelänge, müßte es ein beißendes Bild des trendigen Teils unserer Gesellschaft bieten.

Seven Stories - Sieben Geschichten oder Sieben Stockwerke von Morris Panych
Das ist mir in Kanada untergekommen. Ein Mann steht auf dem Sims eines Fensters, um sich in den Tod zu stürzen, die Menschen in den drum herum befindlichen Wohnungen, mit ganz eigenen Problemen, geraten in Gespräche mit ihm. Sehr witzig, tolle Prämisse, schwer zu machen, weil der Mann halt wirklich die ganze Zeit auf dem Sims bleibet und die anderen aus dem Fenster gucken.


Leb wohl, Judas von Ireneusz Iredynski
praktisch alles von Sławomir Mrożek
Methusalem oder Der ewige Bürger von Yvan Goll, das habe ich, verrückterweise auch in Kanada, in einer sehr schönen Studentenproduktion gesehen. Absurd, manisch und sehr berührend.

Diskussion über den "Dokuboom" auf deutschen Bühnen

 Da wurde durch einen Spiegel Artikel ein interessant Diskussion ausgelöst.

http://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=175641485806363&id=1069874200#!/permalink.php?story_fbid=175641485806363&id=1069874200&notif_t=like

Bitte mitmischen!

Samstag, 15. Januar 2011

W.H. Auden zum Zweiten


Musée des Beaux Arts

About suffering they were never wrong,
The Old Masters: how well they understood
Its human position; how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer's horse
Scratches its innocent behind on a tree.
In Breughel's Icarus, for instance: how everything turns away
Quite leisurely from the disaster; the plowman may
Have heard the splash, the forsaken cry,
But for him it was not an important failure; the sun shone
As it had to on the white legs disappearing into the green
Water; and the expensive delicate ship that must have seen
Something amazing, a boy falling out of the sky,
Had somewhere to get to and sailed calmly on.  

Copyright © 1976 by Edward Mendelson, William Meredith and Monroe K. Spears,
Executors of the Estate of W. H. Auden.


Das Museum der Schönen Künste

Was das Leiden betraf, lagen sie nie falsch,
Die Alten Meister: wie gut sie seine menschliche 
Wertigkeit verstanden; wie es stattfindet, während
Jemand anderes isst oder ein Fenster öffnet oder einfach so läuft;
Wie, wenn die Greise ehrfürchtig, leidenschaftlich warten,
Auf eine wunderbare Geburt, da immer Kinder
Seien müssen, die sich nicht sonderlich dafür interessieren, Schlittschuh laufen
Auf einem Teich am Rande des Waldes:
Sie vergessen niemals,
Dass sogar das schreckliche Martyrium vorbeigeht;
Auf jeden Fall in einer Ecke, ein unordentlicher Fleck
Wo die Hunde ihr Hundeleben weiterleben und das Pferd des Folterknechts
Sein unschuldiges Hinterteil an einem Baum reibt.
In Breughels Ikarus zum Beispiel, wie leicht sich alles
Von der Katastrophe wegdreht, der Pflüger
Hat vielleicht den Aufprall im Wasser gehört, den verlorenen Schrei
Aber für ihn war es kein wichtiges Missgeschick; die Sonne schien
Auf ihn, wie auf die weißen Beine, die im grünen Wasser 
Verschwinden; und das teure, filigrane Schiff das etwas Erstaunliches
Gesehen haben muss, einen Knaben, der aus dem Himmel fällt,
Hatte einen Ort an den es wollte und segelte ruhig weiter.

(Versuch einer Übertragung von mir)


Freitag, 14. Januar 2011

Wie Kinder schlachten miteinander gespielt haben - Gebrüder Grimm

 

Ich liebe Märchen. Besonders bevor sie geputzt und gereinigt worden sind. Ja, man könnte sagen sie sind gelegentlich grausam und schreckenerregend, amoralisch gar, halt wie auch Kinder manchmal sind, wie Menschen manchmal sind. Hier eins meiner Lieblingsbeispiele, vielleicht noch nix für die ganz Kleinen.

Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben

I

In einer Stadt, Franecker genannt, gelegen in Westfriesland, da ist es geschehen, dass junge Kinder, fünf- und sechsjährige, Mägdlein und Knaben, miteinander spielten. Und sie ordneten ein Büblein an, das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein, das solle Koch sein, und ein drittes Büblein, das solle eine Sau sein. Ein Mägdlein, ordneten sie, solle Köchin sein, wieder ein anderes, das solle Unterköchin sein; und die Unterköchin solle in einem Geschirrlein das Blut von der Sau einfangen, dass man Würste könne machen. Der Metzger geriet nun verabredetermaßen an das Büblein, das die Sau sollte sein, riss es nieder und schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel auf, und die Unterköchin empfing das Blut in ihrem Geschirrlein. Ein Ratsherr, der von ungefähr vorübergeht, sieht dies Elend: er nimmt von Stund an den Metzger mit sich und führt ihn in des Obersten Haus, welcher sogleich den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen all über diesen Handel und wussten nicht, wie sie ihm tun sollten, denn sie sahen wohl, dass es kindlicherweise geschehen war. Einer unter ihnen, ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle einen schönen roten Apfel in eine Hand nehmen, in die andere einen rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen und beide Hände gleich gegen dasselbe ausstrecken: nehme es den Apfel, so soll' es ledig erkannt werden, nehme es aber den Gulden, so solle man es töten. Dem wird gefolgt, das Kind aber ergreift den Apfel lachend, wird also aller Strafe ledig erkannt.

II

Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen; als sie nun Nachmittag miteinander spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: "Du sollst das Schweinchen und ich der Metzger sein"; hat darauf ein bloß Messer genommen und es seinem Brüderchen in den Hals gestoßen. Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete, hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz. Darauf lief sie alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; deswegen dann die Frau so voller Angst ward, dass sie in Verzweifelung geriet, sich von ihrem Gesinde nicht wollte trösten lassen, sondern sich selbst erhängte. Der Mann kam vom Felde, und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, dass er kurz darauf gestorben ist.

Mittwoch, 12. Januar 2011

Sulamith - die Friedfertige



Todesfuge.

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne und er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor lässt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr anderen singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süsser den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith  

Paul Celan (1947) 

Hohelied 7

Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith! kehre wieder, kehre wieder, daß wir dich schauen! Was sehet ihr an Sulamith? Den Reigen zu Mahanaim. Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Deine Lenden stehen gleich aneinander wie zwei Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat. Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen. Deine zwei Brüste sind wie zwei Rehzwillinge. Dein Hals ist wie ein elfenbeinerner Turm. Deine Augen sind wie die Teiche zu Hesbon am Tor Bathrabbims. Deine Nase ist wie der Turm auf dem Libanon, der gen Damaskus sieht. Dein Haupt steht auf dir wie der Karmel. Das Haar auf deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs, in Falten gebunden.Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum und deine Brüste gleich den Weintrauben. Ich sprach: Ich muß auf dem Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und deiner Nase Duft wie Äpfel und deinen Gaumen wie guter Wein, der meinem Freunde glatt eingeht und der Schläfer Lippen reden macht. Mein Freund ist mein, und nach mir steht sein Verlangen. Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld hinausgehen und auf den Dörfern bleiben, daß wir früh aufstehen zu den Weinbergen, daß wir sehen, ob der Weinstock sprosse und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume blühen; da will ich dir meine Liebe geben. Die Lilien geben den Geruch, und über unsrer Tür sind allerlei edle Früchte. Mein Freund, ich habe dir beide, heurige und vorjährige, behalten.

 (Luther Bibel 1545)

Sulamith und Maria (Franz Pforr)

Das Prinzip Meese - Maxim Gorki Theater

Während meiner Berliner Zwischenaufenthalte versuche ich jedesmal meinen Berliner Theater - Rückstand wieder in den Griff zu kriegen, dieses Jahr bin ich erstmals wieder länger in Berlin, da geht es leichter. Und ich bemerke, wie ich immer öfter ins Maxim-Gorki Theater drifte. Nicht, das da alles toll und spannend ist, aber meistens sehe ich zumindest einen ernsthaften Versuch von Mitteilung. Sysiphos hat wirklich einen Stein zum Rollen und nicht nur einen aus Pappmaché (oder Pappmaschee, wie man, habe ich gerade gelernt, auch schreiben darf.) und er schwitzt und er scheitert und er schafft es - fast, und manchmal, ist die Sekunde, wo der Stein ganz ruhig, nahezu oben auf dem Berg liegt, sehr heiter.
 
Heute abend also das Prinzip Meese von Oliver Stuck, den ich, muss ich zu meiner Schande gestehen, überhaupt nicht kannte und so bin ich auch nur, durch die Empfehlung einer Freundin ins Studiotheater geraten. Der Regisseur, Antú Romero Nunes, den ich auch nicht kannte und zwei Schauspieler:
Anika Baumann und Michael Klammer. Die Bühne leer, dann Nebel und Off-Text während zwei Techniker viele Matratzen und Bettzeug verteilen, am Ende Nebel und Off-Text und Abbau und dazwischen - ja, was? 

Wörter, viele Wörter, Musik, Nasenpfeifen und zweinasenflügeliges C-Flötenspiel, Matratzen hierhin und dorthin, ein Häuschen wird gebaut und wieder eingerissen, Gesang, noch mehr Wörter, eine geradezu unfassbare Lockerheit und Leichtigkeit und Genauigkeit der beiden Spieler, Pausen, lange Pausen, Publikumskontakt und - involvierung, mehr Wörter, Hilflosigkeit und verbale Kotzkrämpfe, und ganz langsam entsteht das verschwommene, unsichere Bild einer GENERATION. 

Das klingt blöd, Generation X, Generation Y, bla bla. Aber - "Eine Generation ist in der Genealogie die Gesamtheit aller Lebewesen, die zu anderen Lebewesen, in aufsteigender oder absteigender Linie durch Abstammung verbunden sind und im selben Abstand stehen." Und der Abstand ist da und die Wahrheit liegt zwischendrin, wie Ionesco sagt. 

Hier, an diesem Abend, sind es die um die Dreissig, geboren circa 1980. In Deutschland heisst das, irgendwo um das zehnte Lebensjahr, Schnitt! Entweder wird alles und alle anders (Ost) oder es wird versucht, so zu bleiben, wie man war, nur dass da plötzlich ein Extra Bein/Arm/Arsch gewachsen ist (West). Und dann? Milleniumspanik oder -euphorie, das Klima wird Zeitungsthema, Irakkrieg 1 und 2, Afghanistan, Jugoslawien oder besser Serbien, Kroatien, Kosovo-Albanien, Makedonien ..., SPD, CDU, die Grünen vielleicht?, nein, doch lieber die Linke, oder die Republikaner, oder was? Irgendwie geht es besser, nein, schlechter, was soll man studieren und wozu? Der größte Vorwurf den mir meine (Stief) Tochter gemacht hat:" Sei doch nicht immer so tolerant!!!!" Arbeit - gibts nicht, aber ein Praktikum wenn's Recht ist, oder zwei, oder drei, oder jobben, oder ... immer pleite, aber verreisen muß gehen, muß! Jung bzw. jugendlich bleiben, so lange es geht, kann man das bis 40 durchhalten? Gesund leben, vegetarisch essen, Yoga, Ekstasy, Weed, Oxy, Koks, aber bloß nicht rauchen, Hühnerpest, Rinderwahn, Schweinegrippe, Vogelwahnsinn. Sex, Sex, RTL Late Night, Pornowebsites, Liebe, wir sollten doch heiraten, bin ich schwul? metrosexuell? (ich dachte erst, das hätte was mit der U-Bahn zu tun), LGBTQ! impotent? aber es gibt ja Viagra. 
SMS, Twitter, facebook ohne face, myspace ohne space, wozu das Ganze?
AIDS, aber doch heute nicht mehr, da gibt es doch Medikamente. (Einer der schlimmsten Momente meines Lebens war, als ich der oben erwähnten (Stief) Tochter gegenüber, beim Gespräch über den in naher Zukunft anstehenden ersten Sex, die Möglichkeit des Todes erwähnen musste. Mann, hatte ich ein Glück, 1975, Pille kostenlos, Abtreibung erlaubt und ein Tripper behandelbar. Das Ganze war ja trotzdem aufregend und mystisch und herrlich genug.)
Ja, das ist, was mir nach diesem Abend durch den Kopf schießt. Ich habe, erstaunlicherweise, Freunde in diesem Alter, meine Alters-Arroganz hat einen Hieb abgekriegt, Gut so.

„Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.“

Sysiphos Ohne Stein

Montag, 10. Januar 2011

Edward Lear


Edward Lear (1812-1888) englischer Dichter und Unsinnschreiber. Das zwanzigste von einundzwanzig Kindern, depressiv, Epileptiker und ein "victorianischer Trickster". In der prüden, rüden Hoch-Zeit des britischen Imperiums zog er es vor, die meiste Zeit in Griechenland und Albanien zu verbringen, zu zeichnen, Reiseberichte zu verfassen und Limericks und andere Verse zu fabrizieren. Eine kleine Weile war er der Zeivchenlehrer der jungen Queen Victoria. Sicher nicht von der Unfassbarkeit eines Lewis Caroll, sind seine Verse doch von eigenartiger Doppeldeutigkeit und die sparsamen Zeichnungen voller Witz.
Als Landschaftsmaler fast vergessen, kann doch jedes englische Kind ein paar seiner Reime auswendig, wahrscheinlich ohne je vom Autoren gehört zu haben.



 
I
The Owl and the Pussy-cat went to sea
    In a beautiful pea green boat,
They took some honey, and plenty of money,
    Wrapped up in a five pound note.
The Owl looked up to the stars above,
    And sang to a small guitar,
'O lovely Pussy! O Pussy my love,
      What a beautiful Pussy you are,
          You are,
          You are!
What a beautiful Pussy you are!'
II
Pussy said to the Owl, 'You elegant fowl!
    How charmingly sweet you sing!
O let us be married! too long we have tarried:
    But what shall we do for a ring?'
They sailed away, for a year and a day,
    To the land where the Bong-tree grows
And there in a wood a Piggy-wig stood
    With a ring at the end of his nose,
          His nose,
          His nose,
With a ring at the end of his nose.


III
'Dear pig, are you willing to sell for one shilling
    Your ring?' Said the Piggy, 'I will.'
So they took it away, and were married next day
    By the Turkey who lives on the hill.
They dined on mince, and slices of quince,
    Which they ate with a runcible spoon;
And hand in hand, on the edge of the sand,
    They danced by the light of the moon,
          The moon,
          The moon,
They danced by the light of the moon.


Und noch eins extra. Lear hat auch lange Zeit für die Zoologische Gesellschaft Tiere und Pflanzen gezeichnet.
Tigerlillia Terribilis.
Tigerlillia Terribilis.




Theater hat auch Klischees - Worst of ...


Habe gerade auf einem anderen Blog http://niwill.blog.de/tags/die-schlimmsten-filmklischees/ eine Liste gefunden, die mich darauf gebracht hat, mal zu beschreiben, welche Regieeinfälle (so wie die Mongolen in Europa eingefallen sind), Spielertricks, -angewohnheiten, Ausweichmanöver oder einfach Unfähigkeiten ich auf der Bühne besonders verabscheue.

Die aus- und einzitternden Nasenflügel bei Erregung, desgleichen der beliebte Backenknochenmuskelzucker.

Ich und Du Gesten in Zweipersonenszenen, wer sollte denn ich und du sonst sein? Überhaupt wildes herrenloses Gestikulieren von Nichtitalienern, wenn es an Leidenschaft mangelt. Da kann ich auch noch Überbrüllen dazupacken. Ich liebe Brüllen, aber es muss gekonnt sein und Hysterie ist so oft der leichteste Ausweg aus komplizierten emotionalen Bühnensituationen.

Das traurigstimmende Verschwinden des End -t (T der Buchstabe), weil wir ja alle coole Berliner sind. Das arme Ä ist ja bloss zum E geworden, verwandelt, aber immerhin noch irgendwie existent.

Unterwäsche, speziell Ripp an sogar gutgebauten Männerkörpern, wenn es  Nacktheit hätte seien sollen oder es als Simpelzeichen für Armseligkeit herhalten muss. Und Nacktheit nur mal so für nix.
Das scheint mir noch prüder und spiessiger als die 5000ste Roll, Beiss, Grabsch Fickszene, der ich ohne jedes Lust oder Angsthassgefühl beiwohnen muss.

Best of Pop und Indie Soundtracks.

Coole tiefsinnige Drogensüchtige, die sich gefakte Schüsse setzen, um den Mittelstandsphantasien mitteljunger Kunstschaffender Auslauf zu geben. "Ja, die Randexistenzen, die leben das echte Leben!" Nein, tun sie nicht, sie leben harte Leben mit hoher Sterblichkeitsrate.

Coolness anstatt Wut.

Das unglaubliche Selbstmitleid, das in nahezu allen Ibsen und Tschechow Inszenierungen über die Rampe springt und sich mir aufdringlich auf den Schoss setzt.

Und und und...

Gott sei Dank kann ich dieser Liste auch eine lange Liste verzückender Bilder und Spielmomente entgegenstzen. Und leider bin ich auch schon in einige der oben benannten  Haufen getreten. Wer ohne Sünde ist, hat keine Steine zum Werfen, oder?

Sonntag, 9. Januar 2011

Drei - ein Film von Tom Tykwer

Ein richtig guter Film.
Und um das in seinen Kontext zu setzen, muss ich hier eingestehen, dass ich nicht in deutsche Kinofilme gehe, wenn ich es nur irgendwie vermeiden kann. Und nein, ich habe keine Entschuldigung dafür, und meine Gründe sind eine bunte Mischung aus Erfahrungen, Vorurteilen und Arroganz.
In "Drei" bin ich ausschließlich Sophie Rois' wegen gegangen. Mann, ist das eine wunderbare Schauspielerin und eine schöne Frau und außerdem hat sie eine Stimme wie frisches Pumpernickel. Es gibt ein paar Momente, da spielt sie in aller Sparsamkeit Reaktionen, Emotionen, Gedanken, die mich so überrascht haben, dass ich spontan mit Ton reagiert habe. Eine Freude ihr zuzugucken! Sie ist genau und entblössend und schräg und witzig. David Striesow ist der zweite der Drei, sehr interessant (nicht im ironischen Sinne!) und er hat einen schiefen Vorderzahn, der sehr auffällt und ihn vorm Hübschsein rettet.
Tykwer hat sich eine Versuchsanordnung gebaut und dann, wie undeutsch, diese und nur diese in aller Konsequenz durchgespielt. Nicht noch ein bisschen von dem Thema oder dem dazu, sondern Konzentration und Verspieltheit auf eine spezielle Geschichte. Und es ist ein Film "für Erwachsene", wie angenehm, da ich ja aus eigener Erfahrung weiss: es gibt ein Leben nach 35.
Sicher könnte man hier und da rummäkeln, muss man aber nicht. Ich hatte gute Laune, als ich aus dem Kino ging und habe Bilder im Kopf und hört! hört!: ich denke über mich nach.
Einen klasse Schlusseinfall gibt es auch noch.
Korrektur: Verwechselt! Devid, habe gedacht, das wäre ein Druckfehler im Abspann. Ich habe mich auch schon einmal als Johanna Schell auf einem Kinoplakat begrüssen dürfen. Also eigentlich sprach ich über den Schauspieler mit dem feinen Zahn - Sebastian Schipper. Sorry!


Samstag, 8. Januar 2011

Humor und Tod

Vor vielen Jahren war ich, eher zufällig, im Publikum einer Benefizveranstaltung englischer Schauspieler für einen verstorbenen Kollegen, bzw. dessen Familie. Ich kann mich nicht erinnern, wie der Verstorbene hieß und kannte ihn sowieso nicht, aber was ich noch weiß: es war ein herzlicher und lustiger Abend. Ein paar Anekdoten, kurze Reden und mittendrin, Glenda Jackson, die damalige Grande Dame des englischen Theaters, im braven blauen Kleid mit weißem Kragen, und sie rezitierte mit zarter Stimme den wahrscheinlch ordinärsten Limerick, den ich je die Freude hatte zu hören.
There was a young girl of Peru
Who filled her vagina with glue.
And she said with a grin,
If they pay to come in,
They can pay to come out of it too.
Dann ein Knicks und Abgang. Ich vermute, der Tote mochte schweinische Verse. Ich kenne da auch ein paar Kollegen! Ich sage nur: Wirtinnenverse! Aber stellt euch bitte eine ähnliche Szene bei der Trauerfeier für einen deutschen Schauspieler vor! 
Und? 
Vorstellbar? 
Wohl eher nicht.
Als sich die Mitglieder von Monty Python zu irgendeinem Jubiläum in einer Fernsehsendung trafen, hatten sie ihren 1989 gestorbenen Kollegen Graham Chapman in einer Urne dabei, und als ihnen Tee serviert wurde, kriegte auch er eine Tasse in die Urne mit dem Angebot von Sahne und Zucker.
Diana Rigg, den meisten etwas älteren, als Emma Peel aus "Schirm, Charm und Melone" (The Avengers) bekannt,  hat 1983 ein Buch mit Verrissen herausgebracht: No Turn Unstoned: "The Worst Ever Theatrical Reviews". Sie schrieb an unzählige Schauspieler, mit der Bitte um ihre schlimmsten Kritiken. Viele antworteten, manche nicht. Das Buch ist eine Lust zu lesen, aber nur, weil man nicht selbst diese Kritiken bekommen hat. 
ABER - wie witzig und leidenschaftlich Kritiker seien können, das ist das eigentliche Wunder dieses Buches. Beispiel? Über Catherine Hepburn als Ophelia: Sie zeigte die gesamte Palette ihrer Möglichkeiten von A bis B. 
Gut, wenn man Kerr oder Jehring liest, oder einiges von Friedrich Luft, findet man Parallelen. Aber meist liest man ermüdete oder angestrengte oder unsinnliche "Was hätte ich inszeniert/gespielt, wenn ich inszenieren/spielen könnte - Schulaufsätze" in deutschen Zeitungen, oder? 
Was hindert uns deutsche Theaterleute daran, uns zu mögen? Ich denke, das es nur möglich ist, leidenschaftlich unernst der eigenen Bedeutungsschwere gegenüber zu sein, wenn man sich nicht unentwegt der eigenen Lebensberechtigung versichern muss. Wir sind nicht die Retter der Nation. Wir arbeiten hart und viele von uns für wenig Geld. Wir dürfen tun was wir lieben. Wir sind wichtig, wenn wir unsere Zuschauer wichtig nehmen. Spielen ist ein Spass!
George Thompson, ein englischer Wissenschaftler hat ein hochinteressantes Buch über die Entstehung des griechischen Theaters geschrieben: "Aischylos und Athen", hunderte Seiten hochkomplizierter Fakten zur Entwicklung des Dramas, und ganz am Ende beschreibt er, wie in seiner Vorstellung, der erste Theaterabend aussah.
Eine Horde Urmenschen. Morgen werden sie auf Mammutjagd gehen. Sie haben Angst. Mammut gross, Mensch klein. Also machen sie ein Feuer und spielen die Jagd durch. Ein Tanz. Es werden Mammuts erlegt. Wenn sie am nächsten Morgen auf die Jagd gehen, haben sie ein wenig mehr Mut, etwas mehr Selbstvertrauen. Im Spiel hat es doch geklappt, also vielleicht auch in der Realität. Besser kann ich nicht beschreiben, was ich als den ursächlichen Grund für Theater ansehe.