Mittwoch, 1. Dezember 2010

Counting

The final death toll of the attack upon the World Trade Centre on 30 October 2001 comes to 3478 people.
The Rwandan Genocide was the 1994 mass murder of an estimated 800,000 people.
Every year 15 million children die of hunger.

Dienstag, 30. November 2010

Dodeskaden von Akira Kurosawa


1970 in nur einem Monat gedreht, ist es Kurosawas erster Film in Farbe, und was für Farben! Technicolor Buntfilm hieß das einmal. Dicke Farben, zu farbige Farben! Geplant als Kassenhit, wurde es ein phänomenaler Flop, trotz Oscarnominierung. Zu sentimental, zu merkwürdig, zu mitfühlend. Der Misserfolg des Films (sicher nicht nur, aber auch) führte Kurosawa in eine schwere Depression und einen, glücklicherweise, mißlungenen Selbstmordversuch.
In einem Großstadt-Slum spielt ein Junge Strassenbahn, ohne Strassenbahn, aber mit realen Geräuschen, daher der Titel: "Do-desu-ka-den do-desu-ka-den do-desu-ka-den"*. 
Er fährt von einem Bewohner zum anderen, die einzige Verbindung zwischen ihnen, die, wie eingeschweißt in ihr Elend in dieser Landschaft surrealer Armut leben, während sie sich mit überwältigender Kraft aus ihrem Elend wegträumen. 
Ich habe den Film in den 70ern im "Kino Camera" gesehen, im Gebäude des jetztigen Tacheles in der Oranienburger. Ein kleines Kino, der Kassenkasten, war genau so groß, wie die sehr dicke Kassiererin, die uns als Kinder manchmal auch ohne Eintritt reinließ, der kleine Saal hatte Logen, der Ton wurde per Hand aus dem Zuschauerraum geregelt und es gab viel staubigen Samt. Manchmal wurde die deutsche Übersetzung live eingesprochen, was besonders bei Horrorfilmen der 40er zu wunderbar absurden Doppeldialogen führte: wilde englische Angstschreie übertragen in ein sachliches sächsisches "Oh". Herrlich!
Das ich Film so sehr liebe, stammt von dort. Drei-, vier Mal in der Woche durch die Filmgeschichte, zumindest durch den Teil davon, der in der DDR zugelassen war. Alles von Truffaut, Lelouche, Howard Hughes, Billy Wilder und eben auch Akira Kurosawa. 
Wäre es nicht wunderbar, wenn das deutsche Fernsehen anstatt der 237sten Wiederholung einer schon beim ersten Mal grottenschlechten Serie, uns nachts nach 12 die großen Filme des vergangenen Jahrhunderts anbieten würde? Programmfüllung für Jahrzehnte! George Melies! Buster Keaton! Karel Zeman! Larissa Schepitko! "Im Morgengrauen ist es noch still"! Und und und!

*Der deutsche Hahn kräht ja bekanntlich kikeriki, der französische cocorico, in Schweden wird man von kuckeliku geweckt und in Malta durch ququququ. Der isländische Hahn sagt dazu nur gaggalagú. Cock-a-doodle-doo antwortet der der englische Hahn. Und offensichtlich klangen japanische Straßenbahnen der 70er wie Do-desu-ka-den do-desu-ka-den do-desu-ka-den! Nur so nebenbei!

Montag, 29. November 2010

Martin Luther Von den Juden und ihren Lügen 1543

http://www.sgipt.org/sonstig/metaph/luther/lvdjuil.htm
Hat mich gerade ein Freund drauf hingewiesen. Wow! Wenn man über die historischen und emotionalen Wurzeln des Holocaust etwas mehr wissen möchte, ist das eine hilfreiche und wirklich unangenehme Lektüre. Und dabei hat der eine so wunderbare Bibelübersetzung geschaffen, aber offensichtlich nicht verstanden. Widerlich, aber Teil unserer Geschichte und Kultur.

Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch von Lion Feuchtwanger

Margarete von Tirol, genannt Margarete Maultasch geboren 1318 in Tirol, gestorben 3.10. 1369 in Wien ist die Titelheldin eines Romans von Lion Feuchtwanger. Ich habe den vor einer kleinen Ewigkeit gelesen, vielleicht mit sechzehn, aber in Erinnerung ist mir mein Erstaunen darüber geblieben, wie es Feuchtwanger gelingt eine höchst zynische Analyse von politischen Motivationen und Strategien, in eine herzzerreißende 'private' Geschichte zu versenken. Ganz nebenbei gibt er eine detailliertes und lebendiges Bild mittelalterlichen Lebens. Aber der Kern ist die nahezu kitschige Geschichte einer Frau, die sich, unsichtbar hinter ihrem abstoßenden Äußeren, so sehr danach sehnt geliebt zu werden, daß sie immer auf die falschen setzt, auf die Schönen also. Sie ist klug und interessant und, aber die Außensicht der Anderen hat sie so verinnerlicht, daß sie sie auch zur eigenen Sicht auf die Welt macht und diese ihr Handeln mehr und mehr verkrüppelt. Es endet, wie könnte es anders sein, in der Katastrophe. Und man verläßt das Buch mit einem fauligen Gefühl: Politik wird nicht dadurch besser, daß sie von guten Absichten geleitet wird. Merkwürdiger Weise kennt fast niemand dieses Buch, das Feuchtwanger 1922/23 für den Verlag Volksverband der Bücherfreunde geschrieben hat. Randnotiz: Der Verlag war zu feig "Jud Süß" zu veröffentlichen und gab deshalb den Auftrag zu "Margarete Maultasch".


Sonntag, 28. November 2010

T.S. Eliot - Journey Of The Magi

Erster Advent und man prügelt wieder, schon seit Wochen, mit Weihnachtsstimmung auf uns ein und trotzdem liebe ich Weihnachten, obwohl Jude, obwohl ich Weihnachtsmärkte der modernen Variation hasse und Kinderchöre, die immer die selben fünf Weihnachtslieder singen mir in den Ohren schmerzen. Obwohl. Denn es gibt auch die Weihnachtsgeschichte und kleine Mädchen, die mir am Telefon folgenden Vers vortragen:
Advent, Advent
Ein Lichtlein brennt.
Dann zwei, dann drei, dann vier,
Dann steht das Christkind vor der Tür.
Und wenn das fünfte Lichtlein brennt,
Dann hast du Weihnachten verpennt.

Und es gibt wirklich schöne Weihnachtsbäume, bunt und voll und undesignt
und Pasolinis' Film "Das Erste Evangelium nach Matthäus".
http://www.youtube.com/watch?v=Y5BmG6ZU8jo

Und die Geschichte vom "Glücklichen Prinz" von Oscar Wilde, bei der ich immer weinen muß. Und wirklich guten Stollen, gebacken von meiner Mutter. Und unser Familien-Weihnacht. Und und und. Es lebe Weihnachten und nieder mit dem Weihnachtsstress!

 
Journey Of The Magi


'A cold coming we had of it,
Just the worst time of the year
For a journey, and such a journey:
The ways deep and the weather sharp,
The very dead of winter.'
And the camels galled, sore-footed, refractory,
Lying down in the melting snow.
There were times we regretted
The summer palaces on slopes, the terraces,
And the silken girls bringing sherbet.

Then the camel men cursing and grumbling
And running away, and wanting their liquor and women, 
And the night-fires going out, and the lack of shelters, 
And the cities hostile and the towns unfriendly
And the villages dirty and charging highprices:
A hard time we had of it.
At the end we preferred to travel all night,
Sleeping in snatches,
With the voices singing in our ears, saying
That this was all folly.

Then at dawn we came down to a temperate valley,
Wet, below the snow line, smelling of vegetation;
With a running stream and a water-mill beating the darkness,
And three trees on the low sky,
And an old white horse galloped in away in the meadow.
Then we came to a tavern with vine-leaves over the lintel,
Six hands at an open door dicing for pieces of silver,
And feet kicking the empty wine-skins.
But there was no imformation, and so we continued
And arrived at evening, not a moment too soon
Finding the place; it was (you may say) satisfactory.

All this was a long time ago, I remember,
And I would do it again, but set down
This set down
This: were we led all that way for
Birth or Death?  There was a Birth, certainly, 
We had evidence and no doubt.  I had seen birth and death,
But had thought they were different; this Birth was 
Hard and bitter agony for us, like Death, our death.
We returned to our places, these Kingdoms, 
But no longer at ease here, in the old dispensation,
With an alien people clutching their gods.
I should be glad of another death.


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Die Reise aus dem Morgenland

„Wohl einen kalten Anweg hatten wir,
War grad die schlimmste Zeit im Jahr
Für eine Reise, eine so lange Reise:
Die Wege tief, das Wetter harsch,
Mitten im ärgsten Winter.“
Und die Kamele fußkrank, wundgelaufen, mürrisch,
Legten sich in den Schnee, der ringsum schmolz.
Es gab Zeiten, da uns die Sommerpalais reuten
In den Berglehnen, die Terrassen, und der Sorbet,
Kredenzt von seidnen Mädchen.
Dann die Kameltreiber, fluchend und schimpfend,
Die uns durchbrannten, sie wollten was zu trinken sehn und Weiber;
Und die Nacht-Feuer, die ausgingen, und fast nie ein Obdach,
Und die Städte feindselig, die Flecken unfreundlich,
Die Dörfer verschmutzt und überteuert:
Wohl kam uns die Zeit schwer an.
Zum Schluß reisten wir lieber übernacht,
Nur ab und an schlafend,
Mit den Stimmen, die uns im Ohr sangen,
Daß all dies Unsinn sei.
Dann, im Morgengrauen, stiegen wir in ein Tal ab,
Taufeucht unter der Schneezone; es grunelte,
Und war ein flinker Bach da und ein Mühlrad, das Dunkel stampfend,
Am Himmelsrand drei Bäume,
Und ein alter weißer Gaul stob im Galopp über die Wiese.
Dann kamen wir an eine Schenke mit Weinlaub überm Türsturz,
Sechs Hände an der offnen Tür, würfelnd um Silberlinge,
Und leere Weinschläuche, Fußtritte fangend.
Doch es gab keine Auskunft, und wir zogen weiter
Und trafen am Abend ein, fanden den Ort,
Kamen noch grad zurecht; und es ging (darf man sagen) gut ab.

All das liegt weit zurück, ich erinnere mich.
Und würd es wieder tun, doch schreibt
Dies schreibt nieder
Dies: Wurden wir den weiten Weg geführt
Zu Tod oder Geburt? Sicher, da war eine Geburt,
Wir hatten die Gewähr und waren frei von Zweifel.
Mir war Geburt und Tod vertraut,
Doch hatte ich sie für Verschiednes gehalten; diese Geburt war uns
Ein harter, bittrer Heimgang, so wie ein Tod, wie unser Tod.
Wir kehrten wiederum an unsern Ort, in diese Königreiche,
Doch nimmermehr getrost hier in dem Alten Bund,

Über ein fremdes Volk, das seinen Göttern anhängt.
Ich wäre froh um einen neuen Tod.

Samstag, 27. November 2010

Notes On "Camp" by Susan Sontag

Notes On "Camp"

by Susan Sontag

Published in 1964.

Many things in the world have not been named; and many things, even if they have been named, have never been described. One of these is the sensibility -- unmistakably modern, a variant of sophistication but hardly identical with it -- that goes by the cult name of "Camp."
A sensibility (as distinct from an idea) is one of the hardest things to talk about; but there are special reasons why Camp, in particular, has never been discussed. It is not a natural mode of sensibility, if there be any such. Indeed the essence of Camp is its love of the unnatural: of artifice and exaggeration. And Camp is esoteric -- something of a private code, a badge of identity even, among small urban cliques. Apart from a lazy two-page sketch in Christopher Isherwood's novel The World in the Evening (1954), it has hardly broken into print. To talk about Camp is therefore to betray it. If the betrayal can be defended, it will be for the edification it provides, or the dignity of the conflict it resolves. For myself, I plead the goal of self-edification, and the goad of a sharp conflict in my own sensibility. I am strongly drawn to Camp, and almost as strongly offended by it. That is why I want to talk about it, and why I can. For no one who wholeheartedly shares in a given sensibility can analyze it; he can only, whatever his intention, exhibit it. To name a sensibility, to draw its contours and to recount its history, requires a deep sympathy modified by revulsion. 

Ein wunderbarer Artikel. Sie beschreibt das, was ich in Ermangelung ihrer Präzision 'meinen schlechten Geschmack' nenne. Für den ich mich schäme, auf den ich stolz bin und den ich vor allem nicht wirklich beeinflussen kann (und will). Und der auch beim Theatermachen, wie ein persönliches Rumpelstizchen immer mitarbeitet. 
Heute denk ich, 
morgen plan ich 
und übermorgen geht es wieder mit mir durch. 
Manchmal wünschte ich, es wäre nicht so, aber meistens, vor allem, wenn ich mich wieder mal im Theater/TV/Kino öde, bin ich nur froh, dass meine intellektuelle Selbstkontrolle einen so schwachen Willen hat.

Mittwoch, 24. November 2010

Jesus Christ Superstar


"Jesus Christ Superstar" eine Rockoper von Tim Rice und Andrew Lloyd Webber: erstaunlich, wenn wir zum einemillionsten Male eine kitschige Version von 'Memory' hören, dass derselbe Mann das hier geschrieben hat, intelligente Rockmusik anstatt der späteren süßlichen Popballaden, voll von überraschenden musikalischen Wendungen, teils zum sofortigen Mitsingen und manches hochkompliziert. Und witzig. Pilatus bassiger als bassig, das militante Pop 'Hoseanna' erinnernd an Gesänge der Heilsarmee, und die Verquickung von Melodien in der Nacht vor der Kreuzigung. 

Und dann, natürlich, die Sicht auf Judas, meinen Lieblingshelden. Geschrieben 1970/77, also mitten im Vietnamkrieg, konzentriert sich die Geschichte stark auf die Auseinandersetzung zwischen Judas Ischariot und Jesus Christus, zwischen dem, der sofortigen gewaltsamen Aufstand gegen die Besatzer verlangt und dem, der passiven erleidenden Widerstand predigt.

(Es gibt da auch ein schönes Bändchen von Walter Jens über den Versuch Judas heilig sprechen zu lassen, da er getan hat, was getan werden mußte, um Jesus zu dem zu machen, was er werden 'mußte'. Es heißt: "Der Fall Judas". Kein Verrat, keine Kreuzigung, keine Himmelfahrt, kein Neues Testament! Wären dann alle Christen heute alle Juden? Es gibt übrigens auch ein 'Judas Evangelium' einen koptischen Text, heftig umstritten unter Theologen, ganz interessant.)

Joh. 7.12 „Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllt.“ Halt, damit sich die Schrift, sprich Prophezeiung erfüllt. Es war also ein Pflicht und kein Verrat im simplen, geldgierigen oder auf Vorteil bedachten Sinne. ER sagt es selbst, oder?

Dienstag, 23. November 2010

Meister und Margarita von Michail Bulgakow

Was für ein Text. 
Geschrieben von einem leicht weinerlichen, seltsam religiösen, zutiefst bürgerlichen Hypochonder unter der schwarzen Wolke stalinistischer Gewalt - Paranoia, veröffentlicht und noch nichteinmal vollständig, Jahre nach dessen Tod durch das unermüdliche Bemühen seiner zweiten Frau und die anhaltende Leidenschaft von einigen wenigen Literaturprofessoren. 
Was für ein Text. 
Der Teufel kommt nach Moskau, er ist aber nicht böse, nur gnadenlos. Es gibt eine Liebe, irgendwie ähnlich, der des Mädchens aus "Breaking The Waves" und einen 'Augenzeugenbericht' über Vorkommnisse in Jerusalem ungefähr um 30 nach Beginn unserer Zeitrechnung. Am Ende sind die Titelhelden tot, Moskau brennt und ein römischer Prokurator geht mit Jeschua oder ist es doch Jesus in den Himmel spazieren. Lesen! Da hilft nix. Das muß gelesen werden. 
Was für ein Text.

Sonntag, 21. November 2010

R.E.D.

Völliger Quatsch, aber hinreißend gespielt. Diese Anhäufung von älteren und alten Spielern, die es nicht mehr nötig haben ihr Talent zu beweisen und also "nur" noch spielen, im frechsten und unverschämtesten Sinne. Und sie verhökern den ihnen anhängenden Mythos gleich noch als guten Witz mit. Helen Mirren, John Malkowich, Bruce Willis, Mary-Louise Parke, Morgan Freeman - Retired & Extremely Dangerous.
Ein Spaß!

Gainsbourg (Vie héroïc)

Ein schöner kleiner Film, wobei das 'klein' keineswegs eine Abwertung bedeutet, sondern dass er Demut seinem Subjekt gegenüber hat und und beim Thema bleibt. Eric Elmosnino und Kacey Mottet Klein spielen Gainsbourg, das 'bourg' kommt übrigens von bourgeois, den geboren wurde Serge G. als Lucien Ginsburg. Das Kind (Klein) ist phantastisch, nicht niedlich, nicht süß, aber saufrech und schlau und selbstbewußt. Und der Darsteller des erwachsenen Mannes hat eine wirkliche Fresse. Im Film ist dieses Wort 'Fresse', im Französischen vermutlich gueule, sowohl ein Witz über Gainsbourgs selbstempfundene Häßlichkeit als auch ein fiktiver Schatten, ein superjüdischer Riesenserge, der als stets nach der nächsten Fluchtmöglichkeit suchender  Kopfgefährte, sogleich Quälgeist und Ablaßspender des Helden ist. Und die Ohren, abstehende Ohren sind unglaublich sexy! Sollte man sich anschauen und anhören. Unter anderem ein ganz wunderbare Reggeaversion der Marsellaise.