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Dienstag, 30. August 2022

Winnetou, Shakespeare und die Autobiographie der Mary Prince

Nicht alles ist geich. Und es ginge uns vielleicht besser, wenn wir das nicht so leicht vergäßen.

Nein, nicht alle Karl May Bücher werden nicht mehr verkauft, sondern nur die, die zu den jüngst erschienen Filmen geschrieben wurden. Karl May - ich habe nur Winnetou 1 bis 3 gelesen und habe "Blauvogel" von Anna Müller-Tannewitz immer mehr gemocht. Der eine träumte eurozentriert den Traum vom guten "Wilden", die andere überschrieb indigene Geschichte mit naiven urkommunistischen Wunschträumen. Goiko Mitič und Pierre Brice, meine kleine Schwester hat mich gezwungen, Osceola u.a. mehrmals im Kino Camera anzuschauen, der andere, westliche ist an mir vorbeigegangen. Aber Rolf Hoppe habe ich noch im Gedächtnis, der seinen in wilder Wut zerstampften Hut, sorgsam wieder in Form bringt. Und das Renate Blume mit Goiko und Dean Reed zusammen war, den zwei Exoten in der, bis auf vietnamesische Gastarbeiter und Studenten aus afrikanischen "Brüderstaaten", mit nicht ddrischen Mitbürgern nicht gerade gesegneten deutschen Republik. Den ersten indigenen Mitbürger, einen Kanadier, habe ich vor zwei Jahren kennengelernt und von ihm, ganz real, viel gelernt. Das eine mit dem anderen habe ich auch vorher nicht verwechselt. Der Antagonismus zwischen der Träumerei und der Realität des Kolonialismus. Die Körper tausender toter indigener Kinder in Kanada, die sich unter der "Aufsicht" religiöser Schulen befanden, sind ein grauenhaftes Testament der Verachtung und Vernichtung des angeblich "Fremden".

Shakespeare ist voller Gewalt und unangenehmer Überraschungen, genauso wie das Leben. Und keine Triggerwarnung schützt uns vor dieser Welt und dem Leben. Aber nun wünschen sich junge Menschen, dass sie vor dem Gefühl des Unwohlseins beim Lesen seiner Werke geschützt werden. "Der Sommernachtstraum" zeigt Szenen von Klassismus, Titus Andronicus" ist zu brutal, Vergewaltigung, Verstümmelung und dann ist der Bösewicht ist auch noch schwarz. Liebe Mitbürger, wie meine Mutter sagen würde, tough shit, große Literatur erzählt nur, was das Leben zu bieten hat, und das ist nicht immer schön. Früher oder schlimmsten Falls später werdet ihr merken, dass das das Leben keine Triggerwarnungen ausgibt. Euer Herz wird gebrochen werden, ihr werdet verraten werden, euch wird Leid angetan. Da müßt ihr durch.

ABER, ABER.

Die Autobiographie der Mary Prince ist an einigen Universitäten der USA nicht mehr Pflichtlektüre, weil sie die Sklaverei "zu brutal" schildert. Sie bescheibt ihr Leben. Das was ihr angetan wurde. Und hier hört mein Sinn für Humor auf. Sklaverei ist menschenverachtend und gewinngierig, kein Argument kann sie verteidigen. Unvorstellbar, dass ein Mensch einem anderen "gehören" soll, dass er ihn verkaufen, gar töten kann, und es ist sein Recht. Und darüber wollt ihr nichts  hören, weil es zu hart, zu unangenehm ist? Weil ihr euch dabei unwohl fühlt? Wie wollt ihr eine Welt erschaffen, die besser ist als die jetzige, wenn ihr die Schrecklichkeiten dieser Welt nicht kennen wollt?




Samstag, 27. August 2022

Patientenimpressionen 4

Es sind jetzt sieben Wochen seitdem mir eine Konstruktion aus Titan und Kunststoff in den Körper implantiert wurden - auf dem Röntgenbild sieht es toll aus, elegant, wie ein leicht gebogenes Attentätermesser, dass in meinem Oberschenkelknochen steckt. Ich spüre es nicht. Es piekt hier und es piekt da, aber nicht dort. Und ich muß Sport machen, etwas, dass ich seit Ewigkeiten nicht mehr konnte und, ehrlicherweise, auch nicht richtig wollte. Sport ist langweilig. Aer jetzt muss er sein. Täglich. Das atrophierte Bein, wegen der Schmerzen geschont seit Jahren, muss wieder fit werden. What the fuck. Also habe ich jetzt ein Theraband und einen Gymnastikball und mein 40 Jahre altes Ketteler Standfahrrad wird endlich entsprechend genutzt. 

Trotzdem merkwürdig, wie ich in meinen Körper hineinhorche. Ein Schmerz da, was bedeutet der? ein Schmerz dort, ist der schlimm? Ich bin ängstlich, eine Gefühlslage, die ich nicht mag. Mißtrauen dem eigenen Körper gegenüber ist nicht förderlich.

GEDULD, nicht eine meiner größten Qualitäten, ist notwendig. Ein Jahr dauert es, bis man nix mehr merkt. Ein Jahr sind circa 52 Wochen. Sieben sind es jetzt. 



Patientenimpressionen 3

Meine erste Operation am 4. Juli, drei Wochen zu Hause, die Reha drei Wochen später - eine Reise. Meine erste Op, drei Wochen allein zu Haus mit Krücken, dann meine erste Reha. Ein Abenteuer.

"Gutmütigst", ein Wort, habe ich gerade zum ersten Mal gehört ( Das Wort wurde der Deutlichkeit wegen wiederholt! ) und ich hoffe, es nie wieder hören zu müssen. 

Die gemeinte "Gutmütigste" ist die Rentenkasse oder die Rehabilitationsklinik, die mir aus "Gutmütigskeit" mehr Behandlungsminuten zugesteht, als mir den bürokratischen Regeln nach zustehen würden.

Die Rehabilitationsklinik - Medical Park Humboldtmühle - ist eigentlich toll. Die Zimmer geräumig und genau richtig karg möbliert, immerhin müssen hier auch Rollstuhlfahrer zurechtkommen, das Bad perfekt, die Physiotherapeut*innen, Masseur*innen, Trainer*innen, Kellner*innen und Rezeptionist*innen zu 99 Prozent freundlich und kompetent, das Essen durchaus akzeptabel. Ich kann meine Fortschritte täglich spüren und bin heiterster Stimmung. 

Aber als ich, zum vierten Mal, nun mehr nachdrücklich, wegen zu viel ungenützter Zeit, um mehr Trainingseinheiten bitte, geschieht mir eine Begegnung der dritten Art: Ein Arzt mittleren Alters um die Lippen ein allwissendes Lächeln, das überdeutlich impliziert, ich kann die Kompliziertheit der Situation unmöglich vollumfänglich begreifen, steht vor mir und er "mansplained" auf mich herab. (Mansplaining: jemandem etwas auf eine als herablassend oder bevormundend empfundene Weise erklären, typischerweise ein Mann gegenüber einer Frau, so nennt es Wiki.) Hey, er ist 50, ich über 60, wir sind beide berufstätig, nur bin ich momentan in seinem Machtbereich. Zitat: "Manchen Patienten kann man es einfach nicht Recht machen." ARSCHLOCH. Seit ich raus aus der Schule bin, habe ich, erst im Osten, dann im Westen ganz brav Rentenbeiträge eingezahlt und der Kerl offeriert mir meine Therapie als "Geschenk", das mir die Rentenversicherung in ihrer unendlichen Güte zukommen läßt. Ein unangenehmes Zusammentreffen. Ich habe übrigens erstaunlicherweise nicht die Beherrschung verloren, sondern bin einfach gegangen und habe dann mehr Trainingseinheiten bekommen. Wäre ich um einiges älter oder weniger aufmüpfig, wie wäre das gelaufen?

Demut ist ein Wort, das mir jetzt öfters durchs Hirn schießt. Demut, sagt Wiki, ist die in die Einsicht in die Notwendigkeit und den Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit. Klingt edel, aber meint, glaube ich, auch die Einsicht, dass es mir im Vergleich zu vielen anderen Menschen verflixt gut geht. Drei Wochen in einem Haus mit Menschen, deren Leiden und Krankheiten, meine Hüfte zu einer Harmlosigkeit machen. Mir wird es wahrscheinlich in einigen Wochen richtig gut gehen, ihnen nicht. Also rege ich mich ab und versuche, demütig zu sein.


Freitag, 22. Juli 2022

Patientenimpressionen 2

Drei Wochen zuhause bis zur Reha meine zwei roten Krücken und ich. Neue Bewegungsabläufe, neue Langsamkeit, neue Bedachtsamkeit, immer eins nach dem anderen, alles durchgeplant und in realisierbare Einzelaktionen aufgeteilt. Dazu die ständige Innenbeobachtung, wo tut was weh und warum, ist es die Hüfte, bitte nur die nicht, nein, es ist nur die Narbe oder einer der vielen Muskeln, die Neues lernen müssen. 

Bisher hatte ich keine Ahnung was meine Lymphen überhaupt so machen, jetzt lerne ich sie kennen, Knie dick, Wade dick, Fuß dick und alle 15 Minuten pullern, Brennnesseltee (Drei "n"!), Lymphdrainage, Kneippgüsse - ich werde zu einer Ansammlung von Heilbehandlungen. 

Da laufe ich 63 Jahre durch die Gegend und mein freundlicher Körper macht was ich will, macht mit, was ich ihm auferlege, antue und plötzlich sagt eben dieser Körper, jetzt bin ich dran, kümmere dich um mich. Er hat jedes Recht dazu, trotzdem hat er mich mit seinen Forderungen überrascht. 

Die Regeln, nicht die Beine übereinanderschlagen, nicht das operierte Bein nach außen drehen, zwischen Oberkörper und Bein muß stets ein Winkel von mindestens 90 Grad bleiben, das ist wie Tanzen mit strengen Vorgaben. Ich stelle fest, dass ich versuche innerhalb dieser Einschränkungen eine gewisse Eleganz zu erreichen, die sich sofort in Luft auflöst, wenn mir was runterfällt. Dann hilft nur noch meine schicke Greifzange oder, wenn die es nicht schafft, warte ich auf den nächsten Besuch, der aufhebt, was ich fallen gelassen habe. Was habe ich für liebenswürdige Freunde! 

Oder, der Weg von mir zur Physio ist kurz, vielleicht normalerweise 1500 Schritte, in etwa 10 Minuten, bestückt mit Krücken zu Beginn 30, jetzt 20 Minuten und ich bin stolz wie ein Marathonläufer, wenn ich wieder daheim bin -und - ich schaue viel mehr als sonst auf den Boden, damit die Krücken nicht in Löcher stockern. 

Soviel Selbstbetrachtung, -beschäftigung, obwohl unbedingt nötig, wirkt trotzdem irgendwie egozentrisch auf mich, arbeiten geht nicht, Intelligentes lesen auch nicht, nur gesund werden ist die Aufgabe.

Dienstag, 19. Juli 2022

Patientenimpressionen 1

Ich humple schon seit langem und als jetzt das andere, das gesunde linke Bein, angefangen hat, sich wegen Überlastung zu beschweren, mußte ich, wohl oder übel, ins Krankenhaus. Meine erste Operation!

"Ein Streifen verrutscht. Halb so schlimm", sagt Dr. Walterfrosch. "kleine Operation, Tiger geheilt." Eine Operation ist, wenn der kleine Tiger eine wohltuende Spritze bekommt, dann schläft und einen schönen blauen Traum hat. Wacht auf, Operation vorbei, Tiger geheilt. Wohltuende kleine Spritze, blauer Traum, Operation vorbei, nix gemerkt, total komplett gesund geheilt. (Janosch)

Die Präparation: Verrückt, Menschen schneiden in Dein Fleisch, sägen ein Stück Knochen ab, stecken eine Konstruktion aus Titan und Kunststoff in dich und nähen dann das Ganze wieder zu. Vorher wurdest du geröntgt, kernspintomographiert, elektrokardiogrammt und sonst noch so Einiges. Du humpelst von Labor zu Labor, sitzt, wartest, siehst andere Kranke und viel Kränkere (Den Anblick von sehr alten Menschen, die in Krankenhausgängen auf Tragen liegen, finde ich entsetzlich traurig.) und du phantasierst dir mögliche imaginäre Schrecklichkeiten zusammen. Natürlich hast du dich vorher informiert, gegoogelt, (Sollte man nur in Maßen tun!) Freunde und Bekannte befragt, aber ... mein Hirn hat einen perversen Spaß daran, sich auszumalen, was alles schief gehen könnte.

Damit sie nicht das falsche Bein aufschneiden!  
 

Die Operation: Nüchtern bleiben (in neuer Bedeutung), "rückenfreies" Nachthemd anziehen, auf einer Trage herumgeschoben werden durch lange, leicht abgeschrammte Gänge vollgestellt mit hochmoderner Technik, der Anästhesist sagt Hallo, der Lagerungsassistent wechselt Nettigkeiten, der Operateur wischt vorbei, Spritze, schlafen, kein Traum.

Die Nachsorge: Wach werden, Aua, Schmerzmittel, schlafen, dämmern, pullern auf einem Schieber (unbequemer, demütigender Horror), Pappstulle mit Pappkäse und Pappbierschinken. Schlafen. Tag 2 aufstehen, selbstständig pinkeln, die Hüfte hält, das Pappessen wiederholt sich. Tag 3 den Flur runter und rauf an Krücken (Meine sind rot, habe ich mir zur Stimmungsaufhellung gekauft.)  schreiten, die Hüfte hält und die Schwestern sind zum überwiegenden Teil sehr lieb, auch unter Stress, die Pappe bleibt Pappe, sogar Schafskäse kann wie Pappe schmecken. Am Tag 4 ich darf runter in den Hof rauchen. Vor einem übergroßen Rauchverbotsschild versammeln sich Kranke und Pfleger und paffen um die Wette. Einer hat zwei gebrochene Arme, ein anderer trägt drei Fläschchen mit verschieden farbigen Flüssigkeiten, die aus ihm herauslaufen, mit sich herum, Rollstühle, Gehhilfen, Krücken, alles vertreten. Wie vorm Späti, nur ohne Bier. Man kommt schnell ins Gespräch, ich sehe ein Video, auf dem Leute mit Baseballschlägern auf einen Mann einprügeln, es ist der mit den eingegipsten Armen. Keiner hat ihm geholfen, als er blutend auf dem Bürgersteig lag, bis auf eine ältere türkische Frau, die ihr Kopftuch abnahm und damit seine Vene abgebunden hat. Er nennt sie jetzt "Mama". Was mag die Vorgeschichte sein.

Wie unterstützend, schützend und tröstend Freundschaften sind, wird einem wohl nie deutlicher, als zu solcher Zeit, wenn man eingeschränkt und rekonvaleszent auf Zuspruch und Hilfe angewiesen ist, ein Kokon von Wärme, Snacks, Aufmunterung und blöden Witzen.

Bis heute tut immer mal was anderes mehr oder weniger weh, aber nicht die neue Hüfte. Wünscht mir Glück!

 


 

Mittwoch, 15. Juni 2022

Beerdigungen

Mit zunehmendem Alter nehme ich häufiger an Beerdigungen teil, immer klarer wissend, dass die letzte dieser Zeremonien, meine eigene sein wird

Als mein allerliebste Großmutter starb war ich 12 und ihr Begräbnis war hauptsächlich ein dienstliches Zusammentreffen von egozentrischen Selbstdarstellern. Es wurde viel gelacht. Der Mann, der ihre Totenrede hielt, verwendete das Pronomen "ich" 57 Mal. Ich habe mitgezählt. Die Stasi machte derweil sinnlose Photos der vor dem Friedhof geparkten Autos. Ich habe sie, mein wunderbare olle Großmutter sehr, sehr geliebt.

Als ich 17 Jahre alt war, hat sich ein guter Freund umgebracht. Für uns Teenager damals völlig unbegreiflich und unfassbar. Wir hatten nichts vorausgesehen. fühlten uns vage schuldig.

Mit Mitte 20 starb ein mir lieber Mensch an Aids, ein wunderschöner, begabter, liebenswürdiger. Sein Lebenspartner besuchte mich und zündete mir aus alter Gewohnheit eine Zigarette an, dass ich sie nahm und rauchte berührte ihn. Wie sehr traurig.

50 Jahre alt war ich, als meine beste Freundin starb. Sie war 6 Jahre jünger als ich, lebenslustig, eine wild begabte, schlaue, lustige, gefühlvolle Frau, ein sexy Mädchen und ein herrlicher Mensch. Der letzte Satz, den sie zu mir gesagt hat, schon schwach und zerbrechlich, doch mich fest beim Kragen packend, waren: "Wag es nicht, nicht gern zu leben."

Mittlerweile sind es so viele mehr geworden. Immer die Kapelle, die Blumen, die Musikauswahl meist den Wünschen des Verstorbenen folgend, der Gang zum Grab, die Blumenblätter und der Sand, ein Ritual, eine Abwesenheit. Der Dorotheenstädtische Friedhof ist so etwas wie mein persönlicher Treffpunkt für Abschiede.

Mein Opa Walter, seine Frau, eine weitere Großmutter, mein Vater, meine Mutter, geliebte Kollegen, entfernte Verwandte - keiner lebt mehr, der mich als Kind kannte, ich bin eine der Alten. Seltsam.

Als mein Vater begraben wurde habe ich es geschafft die vier Zeilen seines Gedichtes aufzusagen.

Meinetwegen auch mit Schmerzen
meinetwegen auch mit Wut
sterben nicht nur mit dem Herzen
sterben so, als sei es gut.

Beim Begräbnis von Klaus Piontek, dem feinen, gebildeten, herzensguten, habe ich bei Strophe zwei von Mathias Claudius Gedicht "Der Mond ist aufgegangen" heulend aufgegeben.

Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Bei der Totenfeier für Dieter Mann, meines guten Intendanten, habe ich alle vier Strophen geschafft.

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder!
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns Gott mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen,
Und unsern kranken Nachbar auch!

Katharina Thalbach hat liebenswürdigerweise, für mich beim Totengang meiner Mutter ihr Lieblingsgedicht gesprochen, ich konnte es nicht.

Der letzte Wellenreiter
Einer schöneren Zeit
Mir ward warm wo es schneit
Die mich lieben
Sind mir lang geblieben
Und auch so kleine Sorgen
Sind immer wieder – morgen
Die Kriege die die Welt zerfraßen
Haben mich und Meine in Ruh gelassen
Das Essen schön
Die Betten warm
Die Kinder kamen nicht zu Harm
Die Kindheit von Vater und Mutter umgeben
Mein Mann der liebt mich sein ganzes Leben
Und eigentlich froh und heiter
Ich bin der Wellenreiter
Zwischen Himmel und Hai
Kam ich halb sorglos
Am Schlimmsten vorbei.


Lasst uns, die, die wir lieben, gut behandeln, bevor wir begraben werden.









Sonntag, 5. Juni 2022

Freundlichkeit im Angesicht des Krieges

Wir alle, und ich weiß, dass ich zu diesem "wir" gehöre, kritisieren, schimpfen, meckern gern und ausgiebig. Wir brüllen unentwegt empört unsere Wahrheit in die mediale Welt. 

Warum begreift keiner, was wir so klar sehen?

Früher war es besser. Oder wenn es schlimm war, dann war es nur der damaligen Zeit und Situation geschuldet. So schlimm wie jetzt war es noch nie. 

Und (fast) keiner begreift das außer uns. Warum nur?

Bald wird die Welt untergehen. Die Menschen werden immer dümmer und böser. Die da oben, die Politiker, die Medien, die Trill-, Bill-, Millionäre machen alles kaputt, weil sie gierig, zynisch, korrupt sind. Die da unten sind blind, korrumpiert, verblendet oder von Qanon oder ähnlichem  gehirngewaschen. 

Warum begreift (fast) keiner, was "wir" klar sehen?

Klimakatastrophenleugnung, Coronaepidemie und Ukrainekrieg - Inflation, Hungersnöte, Trumpismus, Fundamentalismus, Populismus, Antisemitismus, Rassismus, Incels, Wokeness, Frauenfeindlichkeit. 

"Wir" sind frei davon, warum all die anderen nicht?

Seit drei Wochen laufe ich mit einer Krücke und erlebe eine andere Realität, eine, wo mir Menschen Hilfe anbieten, ungefragt, höflich und durchaus ernsthaft. Ich bin eine ältere Frau mit Gehhilfe, nix weltbewegendes, nur ein Detail, eine Kleinigkeit, eine mich beglückende Erfahrung.

Ich befürchte, hoffe, meine, unsere selbstgewisse Weltuntergangsgewissheit ist möglicherweise nur unserer, meiner Empathiefaulheit geschuldet. Denn wenn wir, ich, die Anderen so ernst nehmen würden, wie wir uns, ich mich selbst, dann müssten wir, müsste ich, Zweifel einräumen, Grautöne akzeptieren, unangenehme Fragen zulassen.

Es ist ungemein schön, sich, mich im Recht zu fühlen. Ich bin schlau, habe den Durchblick, weiß was läuft. Im Recht zu sein kostet mich allerdings auch nichts.  

Dieser bequeme Salonkommunismus, dieser Pazifismus ohne Achtung der Opfer, dieses Ich-bin-auf jeden Fall-besser-als-ihr-Denken, es kotzt mich an.

Momentan versucht keiner mich zu töten. Keiner bedroht mein Haus, mein Heim, meine Liebsten, meine Existenz.

Den Mund halten. Einatmen. Ausatmen. Einfühlen. Nachfühlen. Nachdenken. Nochmal nachdenken.

 



 


 

Dienstag, 8. März 2022

Krieg

Ich hatte Mühe, bei "Bühnenschüssen", auch wenn ich vorgab der Schütze zu sein, nicht panisch zusammenzuzucken. Im echten Leben habe ich keinen Schuß erlebt oder auch nur gehört, außer Luftgewehre auf Jahrmärkten.

Das nahezu orchestrale Pfeifen der Stalinorgeln in Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg jagte mir Angst ein.

In Filmen ist Schießen meist lustig, 1000 Patronen in einer Minute und lauter Tote, die nur tot spielen.

 

Mein Onkel Herbert ist vor Stalingrad "gefallen", vermutlich wurde er von einem Panzer überrollt. Mein Vater sollte 44 noch zu den Werwölfen und wurde von seinem Vater daran gehindert, was ihn den Krieg überleben ließ. Die Familie wurde 45 in Magdeburg ausgebombt.

Meine Familie mütterlicherseits war 12 Jahre auf der Flucht vor dem Krieg, der jetzt der 2. Weltkrieg genannt wird. Beim Ersten gab es noch keine Nummerierung, er hieß einfach der Große Krieg.

Meine liebsten Freunde hatten schreckliche Zeiten bei der NVA in DDR-Friedenszeiten und der gänzlich militaristische Wehrkundeunterricht meiner Oberschulzeit lehrte uns Verhalten im Kriegsfall, dass sicher nichts genutzt hätte. Z.B.: Übermangansaures Kaliumpermanganat in Wasser auflzuösen und darin Kleidung etc. einzuweichen, um sie strahlungsabweisend zu machen, die Hülle des Personalausweises  zur Schutzbrille umzuarbeiten und den Deckel für den Exkremente-Eimer im Schutzkeller nicht zu vergessen. Der FDJ-Sekretär täuschte aus einem Busch heraus mit feuchten Platzpatronen einen Atomangriff vor, woraufhin wir uns in Richtung der "Explosion" auf den Boden werfen sollten, da wir so unter den konkaven Teil des Atompilzes gelangen würden.

Stanislaw Lem war da hilfreicher. "Im Falle eines Atomangriffes werfen sie sich auf den Boden und legen ihre Aktentasche über den Kopf, dann robben sie eilig zum nächsten Friedhof."

Ich gehöre der glücklichen Generation meines Landes an, der, die keinen Krieg erlebt hat. So wie meine Altersgenossen in Frankreich, Groß-Britannien, Schweden, Griechenland, etc. 

Andere, genauso alt, die in Kroatien, Serbien, dem Kosovo, Palästina, Israel, Syrien, dem Kongo, Ruanda und vielen anderen Ländern leben, hatten dieses Glück nicht.

Und jetzt ein Krieg uns ganz nah, es sind nur etwa 1000 Kilometer bis Kyiv. Ich weiß, die Flüchtenden werden liebevoll aufgenommen, aber die aus Syrien kamen, wurden mißtrauisch beäugt. Die jetzigen sehen uns ähnlich. Macht das den Unterschied? Und sie sind eher Christen. Auch Polen und Ungarn öffnen ihre Türen.

Ich weiß, dass die Ukraine kein Land voller Heiliger und ohne eigene Oligarchen, Korruption und rechtsradikale Söldner ist. Ich weiß, (vermute), dass die Nato und die Geheimdienste der USA nach dem offiziellen Ende des Kalten Krieges intensiv eigene Interessen in der Ukraine gefördert haben.

https://www.youtube.com/watch?v=DjTJF8OPAIg 

Und ich weiß, dass die Rote Armee uns unter großen Opfern und mit verspäteter Hilfe durch die westlichen Armeen, vom Faschismus befreit hat.

ABER. ABER. Wladimir Wladimirowitsch Putin hat diesen Krieg erklärt und seine Kriegserklärung mit Lügen gepolstert. Er berät sich mit seinen Generälen an einem 10 Meter langen Tisch, wobei er an dem einen Ende sitzt und die nervösen Militärs am anderen. Er meint entscheiden zu können, ob die Ukrainer das Recht haben, ihr Land ihr eigen zu nennen. Er arbeitet mit nationalistischen Konstrukten, die nach Großrussischem Reich stinken. Er droht mit dem Einsatz von Atomwaffen. Er ist im KGB groß geworden und diese Prägung bestimmt seine Entscheidungen.

https://www.t-online.de/nachrichten/id_91710112/wladimir-putin-enger-vertrauter-spricht-reaktion-vom-kremlchef-geht-viral.html

Laut einer Umfrage des Moskauer Levada-Zentrums, bewerten 70 Prozent der Russen Stalins Rolle in der Geschichte positiv, während sie nur von 19 Prozent negativ beurteilt wird. (Umfrage des Levada Zentrums 2019)

Russisches Gas & Nord Stream oder amerikanisches Flüssiggas? Welche Rolle spielt das?

100 000 000 Millionen für die Aufrüstung, eine große erschreckende Geste, die mir erst bewußt gemacht hat, dass nach 89 wirklich und fast unbemerkt abgerüstet wurde. Und jetzt alles wieder hochpumpen? 

Und die Klimakrise macht keine Kriegspause. Und Corona ist noch nicht vorbei. Und Trump dreht  ab.

https://www.youtube.com/watch?v=dLSaFerdWQE

Hier meine Losung, die ein besonders idiotisches Transparent aus der DDR zu Zeiten des Kalten Krieges wiederholt.

WIR FORDERN EINE WELT OHNE ATOME!


Sonntag, 6. Februar 2022

Dieter Mann ist gestorben

Dieter Mann. 

Wir haben uns über die vielen Jahre immer gesiezt und doch mit dem Vornamen angesprochen. Eine unfassbar altmodische Form von gegenseitigem Respekt.

Ich war 21, Elevin und in den Proben zu Alexander Langs "Sommernachtstraum" gab es der Witzeleien über meine Jugend die Menge. Eines Tages, wieder mal eine lustige Bemerkung, diesmal von Dieter Mann, über meine jugendliche Erscheinung, genauer meine Brüste. Und ich hatte genug, biss zurück, "Ist Ihnen das nicht irgendwann langweilig?" Pause. Mir schoß durchs Hirn, jetzt hast Du's dir mit einem älteren Kollegen versaut. Nach langer Pause murmelte D.M. "Ich werde sehr bald 40." Seitdem hatte ich ihn gern.

Mit Christine Schorn in "Unterwegs"

Er hat mir, nun schon als Intendant, vorgeschlagen, das Deutsche Theater zu verlassen, sah keine Zukunft für mich. Er hat zwei Jahre später, ich hatte seinen Rat nicht befolgt, seinen Vorschlag zurückgenommen und mich in die DT-Familie aufgenommen. Er war, mir gegenüber, in ganz erstaunlicher Weise ehrlich und klar. Damit konnte ich gut umgehen.

Er hat mir, zusammen mit Ulrike Krumbiegel, als blutige Regie-Anfängerin zu meiner ersten Regie in den Kammerspielen des Deutschen Theaters verholfen und hat sich meinen noch sehr unlockeren Einfällen großmütig und offen ausgesetzt.

Er hat, als wir, 1988/89, "Die Diktatur des Gewissens", von Schatrow, ein wirklich schlechtes Stück, aber auch ein wirklich notwendiger Text zur Zeit, gefühlte 1000 Mal in einem Jahr spielten, den alten Mann aus der Ukraine, um uns aufzuheitern, ein jedesmal anders alt angelegt, mal war er 80, dann 120, gelegentlich noch viel älter.

Er war ein Arbeiterkind, Student der Arbeiter- und Bauern Fakultät, seine Bildung, und sie war beeindruckend, war das Ergebnis von harter Arbeit und Hoffnung. Wenn der verfluchte unsozialistische Sozialismus eine gute Seite hatte, dann, dass Kinder, die nie hätten studieren können, es konnten.

Er war Mitglied der SED und Intendant, sicher ein zweischneidiges Ding, eine solche Position in einem solchen Land. Er hat im aufgeregten und aufregenden Jahr 1989 einige gute Entscheidungen getroffen und versucht, Notwendiges zu ermöglichen.

ZWEI KRAWATTEN  Aufzeichnung der Inszenierung des Deutschen Theaters. Was für ein Spaß war das und dann hat Dieter auch noch gesteppt.

Er gab elegante Handküsse.

Er konnte ganz wunderbar Gedichte sprechen und Verse, präzise, unangestrengt, ganz gerade gedacht, nicht betont oder getönt. 

Photo Ralf Hirschberger / dpa

Ich hatte ihn sehr gern und es gibt mittlerweile verflixt viele Kränze, die von der Nachwelt, für von mir verehrte Mimen, nicht geflochten werden.

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
Drum muss er geizen mit der Gegenwart,
Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen,
Muss seiner Mitwelt mächtig sich versichern,
Und im Gefühl der Würdigsten und Besten
Ein lebend Denkmal sich erbaun – So nimmt er
Sich seines Namens Ewigkeit voraus,
Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Getan, der hat gelebt für alle Zeiten.



Sonntag, 5. Dezember 2021

DIE COVID-IMPFUNG UND SELBST EINIGERMASSEN KLUGE LEUTE DREHEN DURCH.

Ich bin heute auf Facebook als KZ-Wärterin bezeichnet worden, weil ich mich fieser Propaganda verweigert habe, man hat mir prophezeit, ich würde in einer, nicht näher bezeichneten Zukunft, meine Hände nicht in Unschuld waschen können und würde mich für meine Worte schämen, mein Vater würde sich im Grab umdrehen und mein Großvater wäre empört, ob dessen, was ich poste. Dies alles geschah in Folge zweier Postings in denen ich erstens eine emotionale, aggressive und gänzlich introvertierte Reaktion auf die Äußerungen einer bestürzend ungenauen, esoterischen Nicht-Impferin konstatiert und, zweitens, meinen Impfstatus auf "geboostert" aufgestockt habe.

Ich habe in jungen Jahren meine kleine Schwester einmal geschupst, ansonsten ist mein physisches Gewaltkonto ernüchternd leer, gemein bin ich manchmal, aber, so denke ich, nur im Rahmen des Üblichen.

Was ist mit uns los? Nette Leute, bei denen ich vermute, dass sie unter normalen Umständen, freundlich und umgänglich wären, äußern plötzlich Vorwürfe der aggressivsten Art und fühlen sich dabei völlig im Recht.

"Wir befinden uns in einer Situation, die der in 1933 oder wahlweise 1989 gleicht. Die Diktatur ist im Kommen oder, was das gleiche ist, diese Diktatur muß verhindert werden, mit allen Mitteln."

Ist das so? Nein. Keiner wird heute für nichteinverständliche Meinungen bezüglich der Impfung ins Gefängnis geworfen, verhört, gefoltert und verurteilt. Millionen Juden wurden ermordet, aus keinem anderen Grund, als dem, dass sie Juden waren. Kein Impfgegegner befindet sich in solcher Gefahr. Keiner.

Was ist mit uns los? Haben wir jedes Maß verloren? Anne Franks Schicksal gleicht dem eines Lockdowns? Sophie Scholl darf unerwidert von Jana aus Kassel vereinnahmt werden? 

Ich bin ein, zugegeben, uneinsichtiger Anhänger der Wissenchaft, Big Pharma existiert, aber es hat auch vielen von uns das Leben gerettet. Blinddärme, Bluthochdruck, Diabetes ... Mensch, die Hälfte der Leute, die ich lieb habe und ich selber, wäre tot ohne "Big Pharma".


Sonntag, 21. November 2021

GUDRUN RITTER - GÖTZ-GEORGE-PREIS

 

Ich liebe Gudrun Ritter. 

Sie ist eine zarte, kleine Frau mit wissenden Augen und einem gefährlich sinnlichen Mund, ihre Stimme kann rau und schrill und flirrend und trocken und gurrend und hart und zärtlich und und und ... Sie ist immer, immer direkt im Ton, nie tönend, nie salbadernd, nie vage, sondern genau ins Ziel.

Eine gefährliche Elfe, eine klarsehende Träumerin, eine Unschuld mit Wissen und Sexappeal, ein Mysterium, selbst wenn sie scheinbar einfach wirkt. 

Und wie macht sie das, dass es jedesmal wirkt, als sei es frisch, gerade passiert, neu gedacht? 

Torquato Tasso, Zwei Krawatten, Miss Sara Sampson, Stella, Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, Sugardollies, die Aufzählung könnte Seiten füllen. 

Ich gucke ihr so gern zu, so gern. 

Und ihr unerreichtes "Was?" in Proben, superlaut und gänzlich plötzlich, wenn sie die Souffleuse nicht verstand. Das nahm der Probe die Heiligkeit und gab ihr Leben.

In einer Produktion, in der der Regisseur gelegentlich zu terroristischen Methoden gegen einzelne Spieler, öfter gegen mich, griff, rettete mich ihr gut gesetztes Rülpsen, nach hinten, unhörbar fürs Publikum, aber mir die Angst nehmend, in einer anderen, nicht ganz gelungenen Inszenierung hat sie mich an einer schwer erträglichen Stelle lustvoll, heftig in die Wade gekniffen. Dafür bin ich ihr ewig dankbar.

Heute wurde sie mit dem Götz-George-Preis der gleichnamigen Stiftung in einer liebevoll vorbereiteten und durchdachten Veranstaltung, ausgezeichnet. Der Abend war 2G plus und trotzdem habe ich Angsthase meist mit Maske dagesessen, so viele Leute.

Und plötzlich saß da eine kleine Runde von DT Veteranen, Tine Schorn, Bernd Stempel, Dagmar Manzel - uff, so viele Erinnerungen. Ich hab an diesem Haus 15 Jahre verbracht, gute Jahre, mit harschen Phasen. Es waren meine prägende Jahre und ich habe dort Menschen getroffen, die mir die wirklich wichtigen Dinge für mein Theaterleben beigebracht haben, obwohl sie sich nie als "Lehrer" verstanden habe. Und dafür liebe ich sie. Manche, wie Tine und Gudrun sind putzmunter und aktiv, andere sind krank oder von uns fortgegangen, alle waren Spielmäuse.

Besser als Gudrun es heute Abend gesagt hat, kann ich es nicht formulieren: "Wenn ich könnte, ich würde nochmal von vorn anfangen."

Freitag, 19. November 2021

Juhu, die Welt geht unter und ich sitze im Atomschutzbunker

Bin ich hysterisch oder macht euch die augenblickliche Situation auch nervös? 

Die Nachrichten klingen, als wären sie wirre Schnittschnipsel aus irgendwelchen Hollywood-Weltuntergangsfilmen. Österreich im Lockdown, Bayern auch, Sachsen, Thüringen auf dem Weg dorthin. 

Eigentlich bin ich ein nervender Optimist, Glas halb voll, gelegentlich sogar überlaufend.

Aber: Verzweifelte Schausteller packen ihre Waren, gekauft oder produziert fürs Weihnachtsgeschäft wieder ein. Erschöpfte Clubbesitzer schalten die Musik aus, obwohl sie brav 2G plus eingehalten haben. Teenager verabschieden sich vom Feiern. Erste Theater schließen.

Die Lage tendiert ins Apokalyptische, aber wir unternehmen erst nächste Woche was?

Wir müssen die Ängste der Nichtimpfer verstehen. Muß ich? Will ich? Sicher, ihre Gründe sind sehr unterschiedlich. Aber bis auf die, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen, klingen viele ihrer Begründungen für meine Ohren übelst vage oder geradezu dämlich. Allgemeine Bauchgefühle, irgendwelche möglichen DNA-Veränderungen, unbewiesene Spätfolgen, Bill-Gates-Chipping, Wissenschaftsskeptizismus ohne größeres eigenes Wissen, Big-Pharma ganz allgemein und durch keine genauen Fakten begründetes überhebliches Besserwissen. Und ich weiß, dass ich vereinfache, aber 400 Tote am Tag und mehr in in der Zukunft gestatten mir das das vielleicht.

Wenn meine Waschmaschine aufgibt, frage ich einen Waschmaschinenreparateur um Hilfe. Wenn mein Blinddarm entzündet ist, lege ich meine Gesundheit in die Hände eines Chirurgen. Bei Zahnschmerzen hilft ein Zahnarzt, bei Unwissen hilft lernen. Zweitmeinungen sind möglich und manchmal nötig, aber letzten Endes hilft ein Spezialist. Übrigens würde ich in meinem Job auch nicht auf die Meinung jedes Laien hören, der meint, es besser zu wissen, weil er er das so fühlt oder auf Telegram gelesen hat, wie es anders geht.

Widerständig zu sein ist eine hohe Qualität. aber ist es eine Qualität an sich oder muß es seinen Feind genau definieren und nicht nur das Gegenhalten-An-Sich zur Qualität erklären? Bin ich ein Schlafschaf, wenn ich die Hygienemaßnahmen für richtig halte und sie, um gesund zu bleiben, einhalte?

Und die Impfdurchbrüche? Müssen die alten Leute aber auch alle irgendwelche Vorerkrankungen haben?  Mathematik ist auch zu verwirrend. Wenig Trauer um die Toten, viel Rechthaberei. Sie sind ja eh alt. Früher oder später. Begrüßt den Tod, er ist Teil unserer Existenz. Ich glaube, zu sterben, wenn man lieber leben will, ist schlimm, sehr schlimm. Weil wir nur ein Leben haben. Und dann sind da noch die, die uns lieben und vermissen werden.

Wie sind wir hier her geraten? Erst war Wahlkampf, da wollten sie keinen verschrecken und jetzt ampeln sie wie wild.

Ist die Lage so schlimm, wie sie mir scheint oder soll ich mich abregen und auf meine Booster-Impfung warten?

Corona ist wie Tinitus, ein dauernder stressiger Ton in meinem Innenohr. Ja, ich weiß, ich jammere auf hohem Niveau, aber so what.

Ich will, dass es besser wird. Bald. Balder. Am baldesten. 
 
Letztendlich bin ich fassungslos, wie viele meiner Mitbürger wirklich dumm sind, oder nicht einmal dumm, aber unwillig zu denken, mitzufühlen, weil wütend zu sein, so viel einfacher ist. Die Juden sind schuld, die Muslime, die Regierung, Bill Gates, wer auch immer, nur ich, armes, immer geplagtes Ich habe nie keinerlei Verantwortung zu tragen.

Samstag, 16. Oktober 2021

ICH HABE EINE MEINUNG. ODER ZWEI. ODER ...

William Shatner aka Captain Kirk der USS Enterprise fliegt im stolzen Alter von neunzig Jahren für zehn Minuten, oder waren es elf und eine Unsumme in den Weltraum, Prinz William, 39, Herzog von Cambridge, ohne Beruf, meint, "es gäbe „fundamentale Fragen“ hinsichtlich des CO2-Ausstoßes von Flügen in den Weltraum. Wichtiger als nach bewohnbaren Planeten im Weltall zu suchen, sei die Suche nach Lösungen für den Klimawandel."  (Zitat: Merkur.de)

Ein Professor an der Universität von Michigan zeigt Studenten und Studentinnen seines Kurses für Komposition, um ihnen den Weg vom Stück "Othello" zu Verdis Oper gleichen Namens zu veranschaulichen, eine Aufzeichnung des einer Inszenierung mit Lawrence Olivier in Blackface von 1965 ohne vorherige Triggerwarnung. Schock, Erschütterung, Briefe, Entschuldigungen, mehr Briefe, der Professor muss den Kurs verlassen. (NYT)

Frau Heidenreich redet im Fernsehen Dinge, die ziemlich platt und auf fade Pointen aus wirken und wird dafür verurteilt, als hätten sie das Vierte Reich ausgerufen. (Markus Lanz)

Herr Nuhr ist ein mittelguter Kabarettist, David Chappelle ein großartiger mit sehr eigenen Meinungen zu Rassismus und Transphobie, Mrs. Rawling äußert diskutierbare Ideen, gegen alle drei wird mit Wortkanonen geschossen, als wären sie gewissenslose Kannibalen, die unschuldige Babies zum Frühstück vernaschen. (verschiedene Quellen)                                               

Habt Meinungen. Habt zwei oder drei, so viele ihr wollt. Verteidigt sie. Stellt sie zur Diskussion. Kämpft um sie. Aber vergesst nicht, dass es (nur) eure Meinungen sind.

Es gibt wissenschaftliche Fakten und Meinungen und die sind nicht das gleiche. Faktisch, statistisch, wissenschaftlich beweisbar die einen und offen für Befragung, Zweifel, Ambivalenzen die anderen.

meinen: ‘eine bestimmte Ansicht haben, annehmen, denken’, althochdeutsch meinen (8. Jh.), mittelhochdeutsch meinen ‘sinnen, (nach)denken, seine Gedanken auf etw. richten, (feindlich oder freundlich) gesinnt sein, einem etw. angenehm machen.                                                            (DWDS)

Meine Meinungen sind meine Ansichten, sind, wie ich auf etwas schaue, es einordne, damit es zu mir und meinen anderen Meinungen passt. Andere haben andere Meinungen und noch andere reden einfach nur Müll. Ja, die gibt es auch, sie verweigern sich aus Denkfaulheit oder Ignoranz oder anderen traurigen Gründen wissenschaftlichen Fakten und meinen, dass wäre trotzdem ok. Nein, die Erde ist nicht flach, nein, Covid ist keine Erfindung einer Geheimen Weltregierung, um uns auszurotten, zu chippen, zu dezimieren. Viren sind fucking real. 

Wenn Du Dir nicht 100 prozentig sicher bist, informiere Dich, höre zu, denke nach und 

HALT DEN MUND, AUCH WENN ES DIR MÜHE MACHT,

bis du mehr weißt, und dann bleib dabei oder ändere deine Meinung und das ist auch ok, denn gute, schlaue Leute ändern ihre Meinung, wenn sie dazulernen, wenn sie Gründe finden, neu und anders zu denken. 

Samstag, 9. Oktober 2021

Ordnung ist mein halbes Leben

Ordnung ist mein halbes Leben. Naja, nicht das halbe, aber ich bin schon ganz schön ordentlich, aber eigentlich nur, weil ich völlig chaotisch bin. 

Und ich war einst ein fröhlicher Chaot, Klamotten, wo sie fielen, zu spät, zu früh, wo ist mein Ausweis, schon wieder zu spät - und dann kam das wirkliche Leben und um 6 Uhr begann die Frühschicht im Krankenhaus und später dann um 10 die Probe im Theater und aus mir wurde, als Rettung in der Not, eine Preussin, die ihr Chaotentum in den Griff bekam, indem sie seitdem immer überall zu früh eintraf.

Also kurz gesagt, ich war unordentlich, schlampig und desorganisiert, aber dann geschahen zwei entscheidende Dinge. Erstens wurde ich Untermieterin einer zauberhaften Frau, die noch konfuser war als ich, und ich mußte, aus Gründen des Überlebens und um nicht völlig zu verwahrlosen, anfangen mich und mein Chaos in den Griff zu bekommen. Und zweitens begannen die Gene, die meine Eltern mir schenkten, ihre zeitlich verzögerte Wirkung zu zeigen. 

Ein Beispiel, mein Vater sortierte seine Bücher nach Kategorien und alphabetisch. Und wo stand die Bibel? Unter "Große Philosophen", das machte Sinn, aber auch unter "G", wie Gott, Autor. 

Mit solchen Vorbedingungen, wie konnte ich der Lust zur Ordnung entkommen? 

Meine Bücher sind nur nach Kategorien geordnet. Nein, alphabetisch, nie. 

 

 
Aber mein Geschirr ist nach Farben sortiert, meine Kleider ebenfalls, ich schreibe viele Listen und bin mehr als überpünktlich. Mazel, Schicksal oder Genetik. Wer weiß. Hätte schlimmer kommen können. Meine Eltern waren wenigstens keine Nazis oder ähnliches Gesocks. Ordung ist mein halbes Leben, aber die andere Hälfte ist immer noch ein einziges Chaos.

Montag, 16. August 2021

Bestürzte Beobachtung.

Ich poste auf Facebook meine Irritationen, mal schlau, mal unbedacht und junge, bzw. jüngere Menschen antworten mit Gegenmeinungen, Erklärungen die ich nicht unbedingt teile, aber nachvollziehen, verstehen kann. Gleichaltrige und Ältere antworten häufig aus ihrer biographischen Verzweiflung heraus, andere vertreten die vermuteten Interessen der Jungen mit geradezu emphatischer Wut. 

Alter ist keine eineindeutige Wertungs-Kategorie, manche alte Meinungen haben sich als überlebt und verwerfbar erwiesen, andere sind aus konkreten Erfahrungen gewonnen und haben Bestand. Das gleiche gilt für die Meinungen der Jungen. Sie können Dinge denken, die neu und aufregend sind, alte Bequemlichkeiten in mir in Frage stellen und fragwürdige Gewissheiten entblößen. Und manchmal geraten sie in alte Fallen und werden moralisierend, monolithisch, selbstgerecht und, so denke ich, reaktionär. 

Alte, weiße Männer - eine Un-Kategorie - weiß, rosa, beige, verschiedenste Schattierungen von Hautfarbe.

Nur scheint momentan selten ein offenes, interessiertes Gespräch über solche Widersprüche möglich zu sein. Entweder / Oder. "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich." Unterstellungen nehmen ihren Lauf und, was ich besonders hasse, mir wird erklärt, was ich eigentlich wirklich denke. 

Ich denke alles Mögliche. Ich will alles Mögliche denken dürfen. Das ist der Vorteil einer Demokratie, alles darf gedacht werden und auch befragt, gesagt, diskutiert werden. Nur wenn Schaden droht, Menschen gefährdet werden, greift der Staat ein. 

Bemerkung am Rande: Wenn die BVG das Wort "Schwarzfahren"  aussortiert, wirkt das wie vorauseilender Gehorsam, aber vor wem eigentlich? Schwarzfahren stammt ab von dem jiddischen Wort "shvarts", dass heißt Armut. Ist arm sein, möglicherweise auch un-woke? Das wäre zu begrüßen, wenn damit Armut abgeschafft würde.

Ob ich gendere oder nicht ist meine Sache. Und ich muß damit leben, dass andere Leute anders denken. Ob ich Triggerwarnungen für Verhätschelungen halte, die Auseinandersetzungen mit der wirklichen Welt verhindern oder nicht, it's open for discussion. Ich muß aushalten, dass Menschen glauben, die Welt wäre flach, Darwin sei ein Idiot, den Klimawandel gäbe es nicht. Aber, mir scheint, die Akzeptanz meiner Mitmenschen für Abweichungen von der festgelegten Norm nimmt ab. Und das zu einer Zeit, in der die wirklichen Abgründe noch tiefer zu werden scheinen.

Jeder, der nicht meinen Tod, meine Selbstauflösung, meine Unterwerfung fordert, jeder, der mir meine Existenz mit ihren irrationalen Komplikationen zugesteht, jeder, der sich nicht unumstößlich sicher ist, dass er im Recht ist, fühle sich hiermit eingeladen, sich mit mir zu streiten.


Freitag, 25. Juni 2021

THE WORLD ACCORDING TO MARVEL

SPOILERWARNUNG FÜR ALLE BISHERIGEN MARVELPRODUKTIONEN!

ICH LIEBE SUPERHELDENFILME. 

Was kann ich zu meiner Verteidigung sagen? 

Meine Mutter hat als Emigranten-Kind in Los Angeles Comicbücher gesammelt und mußte sie zurücklassen, als es zurück nach Deutschland ging? (Inclusive Superman Heft 1!) Und sie hatte ein Faible für die Thorfilme, tja, blonde witzige Männer, ihr "Ekke"-Komplex. Es war ein Riesenspaß mit ihr, imerhin schon achtzigjährig, mit Popcorn und Cola und Drei-D-Brille bewaffnet, diesen wahrlich gut gemachten Trash zu gucken. Jetzt ist sie fort und unser Kino am Potsdamer Platz auch, Disney Plus und alleine gucken ist nicht dasselbe. Aber; coranabedingt, tue ich es doch.

Ich liebe auch andere, ernsthafte Dinge? Manche Menschen, das Wort ist nicht genderbar, (oder?) lieben Torte, manche Proust, manche mathematische Gleichungen. Ich halt, unter vielem anderen, SUPERHELDENFILME

Wikipedia liebe ich auch, aber nur ein bisschen: Liebe (über mittelhochdeutsch liep, „Gutes, Angenehmes, Wertes“ von indogermanisch *leubh- gern, lieb haben, begehren) ist eine Bezeichnung für stärkste Zuneigung und Wertschätzung.

SUPERHELDENFILME. Marvel, DC eher weniger. 

Kevin Feige hat die meisten dieser Filme produziert. X-Men und Deadpool laufen zwar extra, werden aber sicher noch zueinander finden. Herr Feige ist schlau, klug, ob aus Geschäftssinn oder weil er die Welt beobachtet und ihrer Veränderung folgt oder aus einer Mischung von beidem. 

Noch in Iron Man II wurde Scarlett Johansson von Iron Man lässig mit ziemlich sexistischen Bemerkungen begrüßt, Heute hat Marvel mit Wonder Woman, Captain Marvel, Black Widow, der Valkyrie, Wanda Maximoff, Storm, Jean Grey und anderen viele starke, eigenwillige weibliche Frauen in Hauptrollen. 

Captain America ist schwarz. Endlich. Vor drei Jahren habe in Washington Square Park in New York Black Panther im Freilichtkino gesehen, einen tollen Film mit fast ausschließlich schwarzen Besetzung und auch im Publikum waren wir als Weiße in deutlicher Minderzahl. Was für ein Erlebnis, einmal für zwei kurze Stunden Film aus der anderen Perspektive, der nicht "wichtigen", zu erleben

Wanda Vision erzählt von PTSD und gibt uns gleichzeitig eine Geschichte der Vorabendserie. Ich habe sicher nicht alle Referenzen erkannt: I love Lucy, Die Partridge Familie, Verliebt in eine Hexe, Zauberhafte Jeannie, Mary Tyler Moore.

18.00 Uhr bis 18.30 und dann eine weitere halbe Stunde bis 19.00 Uhr, das war zwischen 7 und 13, also 1965 und 1971 meine erlaubte Fernsehmenge an Wochentagen.

Und jetzt Loki, die Serie. Die Infinity-Stones als Briefbeschwerer in einer anderen Zeitebene? Hamlets Vater starb durch einen Schlaganfall, Mephisto war Klempner, Shen-Te eigentlich ein Mann, Bachs 9. hat Mozart komponiert - WTF? Mal sehen, wo das noch hingeht.

Überhaupt die Unverschämtheit mit der Mythologien und sämtliche Science Fiction Motive der letzten zweihundert Jahre und gleichzeitig unsere jetzige Zeit aufgesaugt und durchgeschüttelt werden, ist ein Abenteuer. Zeus & Co kämpfen gegen Aliens (Wonder Woman), ein AI will die Welt retten und sie zu diesem Zweck auslöschen (Age of Ultron), Kämpfe auf einem fiktionalen Balkan und in einem der Kolonialisierung entkommenen High-Tech Land in Afrika (Sukovia & Wakanda), Nazi-Super-Bösewichte und Sozialrevolutionäre (Captain America & The Falcon and the Winter Soldier), der Kalte Krieg und Space War. Und immer Familienaufstellungen, feindliche Brüder, unerreichbare Väter, geliebte, leidende Mütter.

Für mich ist es, als sähe ich meine Welt durch ein Kaleidoskop, amerikanische Superpowervisionen treffen auf gebrochene Helden und die Unvermeidbarkeit einer witzigen Bemerkung. Die Kämpfe interessieren mich weniger, aber das Spiel zwischen manchmal irritierendem America First Gehabe und den irren Typen, die dafür kämpfen oder in diese Kämpfe hineingeraten und die überraschend glaubwürdigen Verdrehungen in die sie hineingeraten, ist mein Spaß.

ICH LIEBE SUPERHELDENFILME.


Sonntag, 13. Juni 2021

Machtmißbrauch, Sexismus, Rassismus = Theater?

Die, meist schmuddeligen Bretter, die mir, irrerweise, immer noch die Welt bedeuten, haben einen ganz eigenen Geruch. Schweiß, geflossen aus Angst und Leidenschaft, Schminke, fettig und süßlich, Staub, immer Staub, erhitzter Staub unter Scheinwerfern, kalter Staub wiederverwenderter Kulissen, die Ausdünstungen von Menschen, spielender Menschen, Menschen im Lampenfieber, helfender Menschen, schauender Menschen. Und die Ausdünstungen aller vergangenen Vorstellungen, der gelungenen und der vergeigten, vermischen sich in diesem stinkenden, duftenenden Mischmasch. Menschen, die diesen Geruch lieben, sind nicht besonders, aber eigenartig. Sie stürzen sich in einen Beruf, der weder sozial, noch finanziell vielversprechende Angebote macht, die Arbeitszeiten sind Scheiße, Anerkennung ungewiss, aber sie, wir wollen, wir müssen diesem Duft nachjagen. Junkies, hooked on theatre.

Seit September 2020 habe ich den nicht mehr gerochen. Ein Junkie auf Entzug.

Machtmißbrauch, Sexismus, Rassismus = Theater?

In letzter Zeit lese, höre ich, wenn über diesen für mich magisch parfümierten Raum gesprochen wird, mindestens einen der drei anderen Begriffe auch. 

Es fing ganz wunderbar an, endlich wird das archaische Machtsystem des deutschen Stadttheaters in Frage gestellt. Endlich. Das Ensemblenetzwerk gründet sich, der GDBA wacht auf. Ein Aufbruch in wütender Liebe zum Theater.

Die Organisationsform des deutschen Stadttheaters wurzelt im Feudalismus und bewirbt sich gleichzeitig um Aufnahme ins Weltkulturerbe. 

Bei Wiki finde ich, dass "ursprünglich am feudalen Hof ein Intendant der Verwalter des (z. B. königlichen oder fürstlichen) Fundus oder der Kleiderkammer war, im Absolutismus bezeichnete man hiermit den Steuereintreiber." Die nahezu ungebremste Machtfülle des Intendanten begünstigt seinen Mißbrauch dieser Macht. 

Die Gagen für die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler sind geradezu lächerlich niedrig und ungerecht verteilt zwischen den Geschlechtern, wie allerorten, zu Ungunsten der Frauen. Regieassistenti*innen werden noch schlechter bezahlt und heftiger ausgebeutet. Die Arbeitszeiten aller Leute mit NV Solo-Verträgen sind empörend schlecht geregelt. 

Regisseur*innen verwechseln ihre vereinende, zielgebende Aufgabe mit intellektueller Überlegenheit und herablassender Berechtigung, weil sie es können und verletzen das zerbrechliche, kostbare Verhältnis von Schauspieler*innen und Regisseur*innen immer wieder durch Rücksichtslosigkeit, Ungeduld und mangelndes Talent.

Also gilt es, neu nachdenken, andere, zeitgemäßere Organisations- und Schutzformen zu entwickeln.

Aber allmählich beginnt sich der Ton der Diskussion zu verändern. In diesem schrecklichen Jahr, in dem die Theater nicht spielen konnten, verwandeln sich diese Orte vor meinen lesenden Augen in schlammige, tiefschwarze Abgründe, in denen notgeile weiße Männer hilflose Mitarbeiter*innen  verfolgen, systemischer Rassismus ungehindert Amok läuft, von Angst geschüttelte Schauspieler*innen unter menschenunwürdigem Druck arbeiten. Eine "toxische", systemisch rassistische, ergo kunstfeindliche Umgebung in der ich seit vielen, vielen Jahren meine produktive Zeit verbringe.

Die katholische Kirche wirkt im Vergleich wie ein kinderbespaßendes Bällebad. 

Was habe ich nicht mitbekommen? Während ich inszeniert habe an kleinen, mittleren und großen Theatern und mit freien Gruppen?

Alle Welt und ihr Onkel entschuldigt sich schnellstens und glaubwürdig. Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass man sich selbst ent-schulden kann, bezweifle ich auch, dass auf diese Art neues Verständnis entsteht. Öffentliche Kritik und Selbstkritik kenne ich gut aus meiner DDR-Schulzeit und habe es schon damals nicht gemocht, ein übles Ritual basierend auf moralischer Erpressung.

Mir scheint es fast so als würde hier keine neuen Kommunikationsformen gesucht, sondern Urteile gefällt, Strafen erlassen, Machtbereiche abgesteckt. Die weg, wir rein, und dann wird alls anders, besser. Eine monumentale, verzweifelte Selbstzerfleischung einer sowieso gefährdeten Kunstform, geführt in digitalen Foren mit Wortgewalt und gnadenloser, verallgemeinernder Wut

Der Stücke-Kanon muß weg ist noch einer der harmlosesten Verbesserungsvorschläge. Kleist weg. Schiller weg. Shakespeare weg. Weil ihre Figuren nicht unserer positiven Erwartung an den modernen Menschen entsprechen. What the fuck? Die meisten Menschen entsprechen nicht unseren Erwartungen. Das ist die Freude unseres Berufes, zu versuchen Konstellationen und Biographien zu verstehen, die uns vollkommen fremd scheinen und sich letztendlich als bekannt entblößen.

"Wenn wir unsere Vergangenheit nicht kennen (verstehen), werden wir keine (bessere) Zukunft haben." Was in klarem Deutsch heißt, wir machen den selben Scheiß wieder und wieder.

Irgendwann geht mir in diesen Auseinandersetzungen die Kunst verloren. 

Ich bin ziemlich alt, weiß, jüdisch, weiblich und noch viele andere Dinge. Das heißt was? Ich sollte besser gar keine Meinung haben? Meine Meinung ist sowieso systemisch rassistisch? Mich mochten Leute nicht, weil mein Nachname sie ärgerte, oder weil ich eine laute Frau war, oder weil ich aus dem Osten war. So what the fuck?

Wie werden wir probieren, wenn wir nicht mehr angstfrei, grenzenlos spinnen können? 

Sind alle Ankläger Opfer, die in gerechter Wut aufbegehren? Welche Eigeninteressen spielen eine Rolle? Könnten wir uns darauf einigen, nicht grundsätzlich selbstgerecht zu sein?

Ich habe in meiner Zeit als Theaterarbeiter nicht den Eindruck gehabt, es ginge hier grundsätzlich anders zu, als in der übrigen Welt. Soziale Abhängigkeit und Unsicherheit führt zu Ungerechtigkeit und sind ein gewöhnlicher und immanenter Teil des kapitalistischen Systems, in dem wir alle leben. 

Sind wir sauer auf uns selbst, weil wir besser verdienen, wenn wir uns nicht ganz treu bleiben? Verkaufen wir unsere Besonderheit für Anwesenheit in der Presse? Sind wir neidisch? Haben wir unrealistische Ansprüche? Ist Opfer sein ein Alleinstellungsmerkmal?

Wollen wir Gerechtigkeit? Für jeden? Gibt es die? Wo? Wie?


Beide Bilder sind Ausschnitte eines Frescos an der Decke des Domes in Florenz.

Freitag, 14. Mai 2021

Ich liebe Impfungen ODER Sonderrechte für Geimpfte

Eine Umfrage in "Der Zeit" will von mir wissen, ob ich etwas gegen "Sonderrechte für Geimpfte" hätte. Ja, hätte ich, aber ich hätte rein gar nichts dagegen, sogar heftige Gefühle dafür, dass sie ihre zur Einschränkung der Pandemie eingeschränkten Grundrechte wieder ausüben können.

Unter Impfgegnern und Maskenablehnern gibt es scheinbar gerade eine erregte Diskussion darüber, dass Geimpfte möglicherweise ein hochgefährliches Gift ausscheiden und ob sich Masken als Schutz davor eignen und ob man ABSTAND von ihnen halten sollte. Oder vielleicht sollte mam die Geimpften besser internieren? Kann man sich nicht ausdenken, wie eine Freundin sagte.

Die Pocken sind weg, Polio auch und Tetanus, Masern waren es fast. Nur mal so am Rande. Wir sind also alle sowieso schon längst gechipt.

Ja. Bill Gates und sein Chip, was macht der eigentlich genau? Persönliche Fernsteuerung ermöglichen? Wohin? Geheime Botschaften übertragen? Welche? Wenn Gates, wie ich gelesen habe, die Menschheit ausrotten will, warum genau? Wenn er die Neue Weltordnung anstrebt, ist die für ihn ertragreicher als die jetzige (Un)-Ordnung?

Woher kommt dieses weitverbreitete Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft? Ich zum Beispiel liebe Wissenschaft. Ohne sie wäre ich nämlich schon längst tot. Was nicht heißt, dass sie, in den falschen Händen, nicht auch gräßliche Verbrechen ermöglicht und befördert. Aber der Aufschrei: BIG PHARMA IST BÖSE, ist so teuflisch versimpelt, dass ich brüllen könnte. Denn Big Pharma hat auch Wege gefunden, unsere Schmerzen zu lindern, unseren Krebs zu bekämpfen, Blinde sehend und Frühchen überleben zu machen. 

Ich, zum Beispiel, kann nicht dübeln. Wenn ich etwas in eine Wand hinein dübeln will, frage ich jemanden, der es kann. Und wenn ich ein medizinisches Problem habe, frage ich einen Facharzt, vielleicht, wenn ich unsicher bin, auch noch einen anderen. Aber letztendlich muß ich mich auf den Rat einer Fachperson einlassen, denn ich selbst habe keine Ahnung von Medizin. Bin ich ein armes Opfr oder privilegierter Empfänger neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse?

BIG PHARMA ist genauso dämlich wie DANKE MERKEL. 

Irgendjemand ist an irgendetwas schuld, und ich weiß wer es ist. Und, um zu dieser Erkenntnis zu kommen, habe ich nur die mir genehmen Nahrichten-Kanäle genutzt, denn die widersprechen meinen Lieblingsvorurteilen nicht.

Aspirin ist ein ziemlich gefährliches Medikament, Beipackzettel von Aspirin 500mg überzogene Tabletten: ASPIRIN 

Lasst euch impfen! Der Herr Drosten hat es gut formuliert: „Dieses Virus wird endemisch werden, das wird nicht weggehen. Und wer sich jetzt beispielsweise aktiv dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich infizieren.“ Dagegen könne man nichts tun, da die Maßnahmen mit der Zeit immer weiter zurückgefahren würden."... diejenigen, die sich aktiv gegen die Impfung entscheiden, die müssen wissen, dass sie sich damit auch aktiv für die natürliche Infektion entscheiden. Ohne jede Wertung“


Samstag, 1. Mai 2021

DAS C-WORT XXXV oder MMMDCCXXXIX - WHATEVER

Ich stelle mir vor
irgendwann,
aber bald
nach Mannheim zu Kiefer,
nach Leipzig zu Gursky,
nach Gent zu Milo Rau zu fahren.
Und
im Kino "Der Rausch" zu sehen,
oder irgendeinen Superheldenquatsch.
Und
ein Essen in einem Restaurant zu bestellen und es dort zu essen.
Und
im Theater irgendwas, egal was zu gucken in einem knackevoll gefüllten Saal.
Und
ins Schwimmbad, in die Sauna, ins Hamam zu gehen mit einer Freundin.
Und
eine verrauchte, verfressene, trunkene, verquatschte Party zu veranstalten mit viel zu vielen Leuten auf zu wenig Raum.
Und
"Die Nibelungen" wiederaufzunehmen. Und "Das Abschiedsdinner".
Und
zu probieren mit Schauspielern, die schwitzen, lachen, spucken mit Nähe, Intensität,  Auseinandersetzungen, Überraschungen, Schrecken und Freude.
Und
nicht jeden Morgen über so viele, so sehr viele Erkrankte und Gestorbene in einem doch nicht wirklich weit entfernten Land zu lesen.
Und
mich mit Leuten bis aufs Blut über ein strittiges Thema zu streiten, ohne dass ich als Brandstifter, Reaktionär, zu alt, zu weiß, generell zu blöd oder sonstwas, dass nichts mit dem Thema zu tun hat, bezeichnet werde.
Und 
ein Gespräch über die Wandlung meiner Muttersprache zu führen, welches in Erwägung zieht, dass Sprache Realität spiegelt und sie auf verordnete Veränderung mit Verletzung reagiert. 
Sie ist eine alte und sich trotzdem ständig verändernde Braut und mag es nicht bevomundet zu werden. Nicht mal, wenn es gut gemeint ist. Gebt ihr Zeit.
Und 
zu wissen, dass Jugendliche wieder verantwortungslos sein dürfen, Kinder wieder ahnungslos.
Und
albern zu sein, ohne schlechtes Gewissen.
Und?

Sonntag, 11. April 2021

DIE IMPFUNG - Ein Guter Tag

Ich, 62, Risikopatient, höre im Angebot ist Astrazeneca, 3 Tote auf über eine Millionen Geimpfte, also nichts rein damit. Natürlich will ich nicht die vierte Tote sein, aber irgendein Risiko ist immer. 

Im Osten wurden wir, wie üblich, gar nicht erst gefragt und nach einem tiefen, heftig blutenden  Schnitt habe ich mir letztens schnell eine Tetanus-Auffrischung geholt. Jeder Urlauber in exotischen Gefilden läßt sich widerspruchslos gegen Gelbfieber, Malaria und ich weiß nicht was impfen. Die jährliche Grippeimpfung ist ok, aber die Coronaimpfung nicht? Wir schlucken Aspirin und die Anti-Baby-Pille, aber gerade jetzt werden wir vehemente Medikamentkritiker? Masernparties sind, so höre ich, en vogue, aber ich habe noch von keiner Kinderlähmungsparty gehört. Was ist los mit uns, dass Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft unsere erste Wahl geworden ist? Mailab ist meine go-to Site, sie ist lustiger als Drosten und Lauterbach und doch Wissenschaftlerin und exzellente Erklärerin. Von meinem Job verstehe ich einiges, weil ich den lang studiert und ausgeübt habe, bei anderen Fachgebieten versuche ich vertrauenswürdige Fachleute zu finden und halte mich dann an deren Empfehlungen. 

Das ist mir bisher gut bekommen, Kaiserschnittgeburt, Keuchhusten mit neun, alle möglichen Impfungen entsprechend der DDR-Impfregelungen, Sehhilfen seit 55 Jahren, zwei wunderbar hilfreiche, rettende Stimmbandoperationen, 6 Transplatate im Kiefer und Medikamente für eine mögliche Herzschwäche - vermutlich wäre ich stimmlos und tot ohne die Errungenschaften der nun so verfehmten Wissenschaft.

Die Impfung - ein denkwürdiges Erlebnis, mit der U-Bahn zum Paradeplatz, dann ein Shuttle zur Impfstelle, für einen Moment die apokalyptische Vision, jetzt shutteln sie uns, gefangen in unseren Masken, nach irgendwo außerhalb der Stadtgrenzen und killen und verbuddeln uns. Nur ein Moment, aber ich gucke zu viele amerikanische Action Filme und habe eine überaktive Phantasie.

Ankunft auf dem Flughafen, ein kurzer Weg in eine riesige, ehemalige Abflughalle, vermutlich. Telefone sind nicht erlaubt, Waffen sind abzugeben, eine kleine Schüssel mit Taschenmessern läßt keine Angst vor Terrorangriffen aufkommen. Das Impfritual beginnt, hunderte freundliche Mitbürger in verschienenfarbigen Westen im Zweimeterabstand leiten mich, weisen mich, helfen mir, es ist geradezu deutscher als deutsch, organisiert, überorganisiert. Und jeder ist nett. Also doch nicht so deutsch.

Ich habe nix zu meckern. O Gott. Was mache denn dann jetzt? Nicht meckern können, der Albtraum des deutschen Bürgers. Nebenbei bemerkt, ich bin durchaus willig über viele Entscheidungen unserer Regierung während dieser Krise lauthals und überzeugt zu meckern.

Meine "Nebenwirkungen" beschränkten sich auf einen müden Tag und belanglose Schmerzen an der Einstichstelle.

Glückspilz.