Ich habe das Netz und meine Regale durchsucht, um eine "gute" Übersetzung zu finden, doch ohne Erfolg. Da wo Herr Shakespeare hart, genau, fast chirurgisch die gewaltige Macht der Lust beschreibt, die orkangleiche Kraft mit der sie uns ergreift, die Verwüstungen die sie anrichtet, ihre Unersättlichkeit - gehabt, habend, haben wollend - erliegen die Übersetzer allesamt der undeutlichen Schwammigkeit der mittelmäßigen Poeterei.
Lust / ist meineidig, mörderisch, blutig, voll Schuldzuweisung, / wild, extrem, grob, grausam, nicht vertrauenswürdig;
Alles dies weiß die Welt gut; doch keiner gut genug / um den Himmel zu meiden, der uns in diese Hölle führt.
Sonnet 129
Th’ expense of spirit in a waste of shame
is lust in action; and till action, lust
is perjur’d, murderous, bloody, full of blame,
savage, extreme, rude, cruel, not to trust;
enjoy’d no sooner but despised straight;
past reason hunted, and no sooner had,
past reason hated, as a swallow’d bait,
on purpose laid to make the taker mad –
Mad in pursuit, and in possession so;
had, having, and in quest to have,
extreme; a bliss in proof, and prov’d, a very woe;
before, a joy propos’d; behind, a dream.
All this the world well knows; yet none knows well
to shun the heaven that leads men to this hell.
WILLIAM SHAKESPEARE
Egon Schiele Stehende Frau in Rot 1913
Sonett 129
Verspritzter Geist, vergossen voll in Scham
ist Wollust, wenn es kommt. Bis man es tut,
bezeichnet man sie mörderisch, infam,
verlogen, grausam, tierisch, gar nicht gut.
Genossen kaum, verachtet man sie sehr,
man hat ihr nachgejagt aus Unbedacht,
hasst nun aus Unbedacht den Köder, der,
wen ihn geschluckt, nun so verrückt gemacht.
Verrückt, es zu erlangen; eine Qual,
wenn man's gehabt, noch hat und will; denn kaum
gehabt, wird das Momentvergnügen schal,
zuvor versprochne Freude bleibt ein Traum.
Dies weiß die Welt, und doch: kein Mann entrinnt
dem Himmel, der ihm diese Hölle bringt.
Übersetzt von Markus Marti
Des Geistes Sturz in unermess'ne Schmach,
Das ist die Tat der Lust, und bis zur Tat
Voll Mord und Meineid, Blut und Ungemach,
Wild, maßlos, grausam, roh und voll Verrat.
Verachtet schon, wenn eben noch begehrt,
Sinnlos gejagt und endlich, wenn erhetzt,
Sinnlos verflucht, ein Köder, der, verzehrt,
Wer ihn verschlang, in Raserei versetzt.
Toll im Verlangen, im Besitze toll;
Habend gehabt, in Habbegierde wild;
Süß im Genuß, genossen qualenvoll;
Vorher ein Glück, ein Traum nur, wenn gestillt.
Das weiß die Welt, doch keiner weiß zu fliehn
Die Himmelswonnen, die zur Hölle ziehn.
Übersetzungen von Max Josef Wolff
Verbrauch von geist in schändlichem verzehr
ist lust in tat und bis zur tat ist lust
meineidig morderisch blutig voll unehr
wild tierisch grausam roh des lugs bewusst.
Genossen wo gleich drauf verachtung trifft
sinnlos erjagt und gleich nach dem empfang
sinnlos gehasst wie ein verschlucktes gift
eigens gelegt dass toll wird wer es schlang.
Toll im verfolg und im besitz zumal
erlangt und im und beim erlangen wild
gluck beim versuch und wenn versucht nur qual
erst : freudig hoffen nachher : schattenbild.
Dies weiß jedweder doch nicht wie man flieht
den himmel, der zu dieser hölle zieht.
Übersetzung: Stefan George
Der Seelen Tod in schimpflicher Zerstörung
Ist Lust in Tat: und bis zur Tat, ist Lust
Meineidig, mörd'risch, blutig, voll Betörung,
Roh, wild, wüst, grausam, ihrer unbewußt.
Genossen kaum, und alsobald verachtet;
Gejagt mit Unsinn, und, erbeutet kaum,
Gehaßt mit Unsinn; wie ein Tier verschmachtet,
Das man mit Gift betört im engen Raum.
Toll im Bestreben, töricht im Genuß;
Besitz, Erwerb ist Wahnsinn, sonst und jetzt.
Im Schlürfen Seligkeit; geschlürft, Verdruß:
Erst ein gehofftes Fest, ein Traum zuletzt.
Wohl ist dies weltbekannt, doch selten meidet
Die Welt den Himmel, der zur Hölle leitet.
(korrigiert) Johann Gottlieb Regis
Den Geist versprühn in schändlicher Verschwendung,
Ist Lust im Tun; nur Lust, bis man es tat;
Ist Meineid, Mord, blutschändliche Verblendung,
Ausschweifung, Wildheit, Grausamkeit, Verrat,
Die, kaum genossen, ausspein möchte jeder,
Die blindlings man erjagt, die, kaum am Ziel,
Man blindlings hasst, wie den verschluckten Köder,
Mit dem uns Arglist rasend machen will.
Rasend im Suchen, rasend, wer sie fand,
Gehabt, noch habend, Habgier mit Gewalt;
Beim Kosten Seligkeit, gekostet, Tand;
Erst Glücksverheißung, dann nur Traumgestalt.
Das weiß man, doch weiß keiner, wie man flieht
Den Himmel, der uns in die Hölle zieht.
Deutsch von (korrigiert) Christa Schuenke
Die "anonyme" Übersetzung ist die "klassischste", die von Johann Gottlob Regis.
AntwortenLöschenDanke für die Information.
LöschenMartin Walser hat eine Übersetzung in seinem Roman "Brandung" gewagt.
AntwortenLöschenGeistverlust in Schamverschleiß
AntwortenLöschenist Lust, die loslegt, vorher ist Lust
verlogen, mörderisch, blutrünstig, kriminell,
roh, rücksichtslos, primitiv, grausam, unberechenbar;
wahnsinnig begehrt und, kaum gehabt,
wahnsinnig verabscheut, wie ein geschluckter Köder,
gelegt nur, den Geköderten verrückt zu machen,
verrückt im Wollen und im Haben auch;
danach, dabei und davor, rücksichtslos;
das Probieren, Wonne; probiert, das pure Weh';
vorher, ein Freudenbild; nachher, Geträum.
Jeder weiß das, doch keiner weiß,
Wie den Himmel meiden, der ihn in diese Hölle reißt.
Übersetzung von Martin Walser in "Brandung"
Kleine Korrektur:
AntwortenLöschenDie Angela Schanelec zugeschriebene Übertragung stammt nicht von ihr sondern von Christa Schuenke. Und die pauschale Kritik an allen Übertagungen "erliegen die Übersetzer allesamt der undeutlichen Schwammigkeit der mittelmäßigen Poeterei" halte ich gelinde gesagt für anmaßend. Jedenfalls enthält diese Formulierung außer Polemik keinerlei Substanz.
Danke für Ihre Korrektur. Was die Anmaßung meines Urteils betrifft, stimmt, ich maße es mir an und darf das, hier, auf diesem Blog, der nur meine persönliche Meinung formuliert, keine wissenschaftliche Glaughaftigkeit vorgibt und gänzlich unobjektiv ist. Mit freundlichem Gruß, Johanna Schall.
AntwortenLöschenAlle treffen den Punkt,den Shakespeare zu beschreiben wagte bzw in Poesie umsetzte...
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