Sonntag, 7. Dezember 2014

Macbeth inszeniert von Ariane Mnouchkine in der Cartoucherie in Paris


PARIS UND DIE METRO

Ersteinmal zum erfreulichen Teil meines Wochenendausflugs:
selbst für schwerst Richtungsfindungsbehinderte wie mich, die ich außerdem, nach verlorenem Kampf mit den fünfzehn unterschiedlichen Nasalen des Französischen, dieser schönen Sprache überhaupt nicht mächtig bin, also selbst für solche Härtefälle, ist das Nahverkehrssystem von Paris so wunderbar klar und verständlich ausgeschildert, dass ich durch die betonhäßlichen Labyrinthe der Metro sicher und schnell ans gewünschte Ziel kam. Von Orly ins Zentrum und dann in ein winziges, verstecktes Hotel in den Gebäuden einer alten Schule, ganz ohne Problem, ohne Panik. Das ist für mich so erstaunlich, wie für andere die Durchwanderung des Himalaya ohne Kompass.  

PARIS UND DAS ESSEN

Ach. Mhmmmm. Ach. Wirklich guter Kaffee allüberall, ohne dass ein Starbucks betreten wurde. Frisches Baguette! Kohleintopf mit
Andouillette, grob und wärmend und schmackhaft. Auch bevor man bei Madame Mnouchkine Theater guckt, kriegt man Suppe - diesmal dicke Hühnersuppe und danach Honiggebäck. 
Die meisten Restaurants sind winzig, sechs Tische und wahrscheinlich ist die Küche so klein wie ein mittlerer Kleiderschrank. Am Flughafen bin ich eingeknickt und habe Gänseleber-Pâté gekauft. Schändlich, ich weiß. Aber es schmeckt so verflucht gut und ungesund. 

PARIS UND DAS STEHKLO

Sowas habe ich zuletzt in Bulgarien benutzt und die Männer in den Nachbarkabuffs bewundert, die mit in den Knien eingeknickter, halbhockender Haltung stoisch ihre Zeitung lasen.

PARIS UND DE SADE

Im Museum d'Orsay läuft gerade eine große de Sade Ausstellung unter dem Titel "Die Sonne angreifen". Habe ich leider nicht geschafft.
Schade. Die Ausstellungsankündigung endet mit einem besonders netten Satz:
"Der gewalttätige Aspekt bestimmter Werke und Dokumente kann das Feingefühl von empfindlichen Besuchern verletzen."  
Wohl für die Besucher, die beim Besuch einer de Sade Ausstellung pinkfarbene Kuscheltiere und Photos süßer Babies in Kohlköpfen erwarten. 



PARIS UND DIE POLITIK 

Vor wenigen Tagen wurde ein junges Paar in seiner Pariser Wohnung überfallen und ausgeraubt, die Frau wurde vergewaltigt. Die Täter bedrohten das die Opfer mit Waffen und sagten: "Ihr seid Juden, also habt ihr Geld". Im letzten Jahr sollen 5000 französische Juden, aus Angst vor dem wachsenden Antisemitismus im Land, nach Israel ausgewandert sein.

Der Bürgermeister von Marseille versteht nicht, warum es Proteste gibt, wenn die Obdachlosen in seiner Stadt gelbe Dreiecke tragen sollen, um sie als Clochards sichtbar zu machen.

PARIS UND DIE CARTOUCHERIE


Wieder eine leichte und gut geführte Fahrt mit verschiedenen U-Bahnen, dann ein Shuttle-Service zum Ort des Geschehens, zur Cartoucherie, einer ehemaligen Munitionsfabrik. Hier lebt und arbeitet die Firma Mnouchkine oder, wie es offiziell genannt wird, das Théâtre du Soleil. Etwa 40 Spieler und unzählige Mitarbeiter proben sechs Monate an einem Stück, alle, so wird es behauptet, verdienen dabei das gleiche Geld, dann wird ein Jahr lang sechs Mal in der Woche gespielt und dann circa zwei Jahre getourt. So weit, so großartig. Die Chefin reißt zu jeder Vorstellung selbsthändig die Karten ab. Die Schauspieler schminken sich selbst und können dabei durch einen sanft wehenden Gazevorhang beobachtet werden, alles macht einen gemeinschaftlichen, exzellent organisierten und freundlichen Eindruck. 
Und dann beginnt die Vorstellung. Und dauert volle vier Stunden.
Ich muß vorher noch sagen, dass ich vor zwei Jahren großes Vergnügen an Les Naufragés du Fol Espoir hatte, einer wilden theatralischen Vision über die Stummfilmproduktion eines Jules Verne Romans, und ich mochte auch ihren Moliere-Film sehr. Und nach der Betrachtung der Bildbände, wünschte ich, ich hätte ihre Atriden-Abende gesehen und ihre Version von Klaus Manns Mephisto.



Aber diesmal gab es Macbeth, das dunkle schottische Machtmysterium. Vierzig Darsteller rennen, bauen um, reagieren, fegen, schauspielern, gestalten, rennen wieder, bauen in einem fort neue immer aufwendigere fernsehtaugliche Bühnenbilderchen in perfekt choreographierter Eleganz auf, es wird chargiert, gedröhnt, gestikuliert, immer und immer wieder gerannt, aber all diese immense Dynamik kreist um ein großes - NICHTS. 
Sicher, der Pförtner ist witzig, Lady Macbeth von kühler Intelligenz und die Hexen haben einen herrlich liederlichen Tanz - aber warum das alles? 
Ein Mensch wird böse und die Anderen, die Guten leiden? Und auch wenn sie das Ganze in die Zeit eines halbwegs heutigen Krieges legen, bleibt der moralisierende Ton doch seltsam altbacken. Warum vier Fernseher auf die Bühne hieven, wenn nicht damit gespielt wird? Warum moderne Kostüme, wenn dann lange Monologe gefühlsintensiv und gedankenleer gesungen werden? 
Am Ende wird Macbeth besiegt und die glaubhaft erschöpften Spieler bzw. die Widerstandskämpfer verneigen sich im vollgenebelten, halbdunklen Bühnenraum. Kitsch und Quatsch. Schade. 
Und doch liebe ich diese gelebte Idee von kreativem Miteinander, das muß auch mal schief gehen dürfen, oder?
Aber sowas Ödes, wie den Schlußmonolog von Malcolm, einem zierlichen Schauspieler ohne irgendeine ihn empfehlende Qualität außer seiner Baritonstimme mit dickem Bibber, habe ich schon lange nicht mehr gehört oder gesehen.

 

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