Sechs Wochen üben ohne Unterlass. Unterbrochen nur von Grippeattacken, Gastspielen, Wiederaufnahmen etc., eben dem Stadttheateralltag.
Sechs Wochen Tür auf - Tür zu, Treppe hoch - Treppe runter, Sardinen rein, Sardinen raus, Anschlüsse, Anschlüsse und bloß an der richtigen Stelle atmen. Beim Üben gibt es wenig Freiheit, erst wenn alles bis zur Erschöpfung trainiert ist, wird der Freiflug möglich. Zu Beginn geht gar nichts, dann herrscht blanke Hektik und im Glücksfall wird in der letzten Probenwoche daraus fokussierte Schnelligkeit. Frayn hat das Ding mit seiner Stoppuhr im Anschlag geschrieben. Wir mußten uns seiner Strenge ergeben und konnten nur dadurch unsere Eigenheit einbringen.
Der erste Akt braucht 56 Minuten, Akt 2 und 3 eine Stunde.
Alle bewegen sich panisch auf sehr dünnem Eis, selbst ich, die ich Tempo liebe, brauchte Atempausen. Slow-Motion, Zeit anhalten, Verlangsamung.
Das Ding probieren mit Beamtenspielern oder anderen mißgelaunten Leuten wäre der reinste Horror. Ich hatte Glück. Alle wollten und konnten.
Aus dem Programmheft:
TÜREN
Ein Requisit, aus dem sich unbegrenzt theatralisches Kapital schlagen lässt
Einer der zugleich alltäglichsten und merkwürdigsten Gegenstände, die es auf der Welt gibt, ist die Tür. Man weiß nicht sehr genau, was eine Tür ist. Ist sie sie selbst, wenn sie offen oder wenn sie geschlossen ist? Ist sie also eine Öffnung oder ist sie ein Verschluss? Eine Tür ist aber nicht nur offen oder geschlossen, sie verändert mit ihrem Zustand auch den angrenzenden Raum. In einem geschlossenen, privaten Raum können und werden ganz andere Dinge stattfinden als in einem offenen, öffentlichen Raum. Oft bedeutet im Märchen der Schritt durch eine Tür oder Pforte den Schritt in einen anderen Raum, eine andere Form des Daseins. Die Tür ist nicht nur ein Gegenstand der wirklichen Welt, sie ist ein Symbol, sie öffnet sich nicht nur in einen zweiten Raum hinein sondern eine andere Wirklichkeit.
Dass die Tür mit dieser Verwandlung eines Raumes etwas wirklich Neues in die Welt gebracht hat, dass sie ähnlich wie das Rad die Welt auf fundamentale Weise verändert hat, sieht man am besten im Theater. Türen sind im Theater Hort unendlicher Missverständnisse. Wenn einer hinausgeht, um einen anderen zu holen, den er zum Dritten führen will, verschwindet dieser Dritte durch eine andere Tür, und es beginnt eine Verwirrung, die sich immer weiter verfeinern und nutzen lässt. Die französische Salonkomödie ist dafür das beste Beispiel. Man kann durch das Lauschen aus dem Unterschied zwischen abgeschlossenem und offenem Raum scheinbar unbegrenzt theatralisches Kapital schlagen und immer weiter variieren.
Peter Michalzik
Alle Photgraphien © Steffen Rasche