Donnerstag, 17. März 2011

Annabell Lee - Edgar Allen Poe


Edgar Allen Poe

ANNABEL LEE

Es ist nun schon lange, so lang schon her
- Und die See verstummt dort nie –
Seit ein Mädchen gelebt in dem Reich am Meer,
Ihr kennt sie: Annabell Lee.
Und der einzige Sinn ihres Lebens war ich
Und mein einzger Gedanke war sie.

Ich war ein Kind und sie war ein Kind
- Und die See verstummt dort nie
Doch wir liebten uns tiefer als Liebe es weiß,
Ich und Annabell Lee;
So tief, dass die Engel des Himmels voll Neid
Uns ansahen, mich und sie.

Und das war der Grund, dass vor langer Zeit
- Und die See verstummt dort nie
Ein Wind sich erhob und sie frösteln ließ,
Meine liebliche Annabell Lee;
Und dass ihre hohe Verwandtschaft kam
Und sie forttrug von mir und sie
In ein Grabmal verschloss – und ich war allein.
- Und die See verstummt dort nie -.

Die Engel, nicht halb so glücklich da droben,
Beneideten mich und sie –
Ja; das war der Grund (wie jeder dort weiß
- und die See verstummt dort nie -),
Dass ein Frosthauch aus nächtlicher Wolke sie traf
Und sie welken ließ: Annabell Lee.

Doch wir liebten uns stärker, weit mehr als die Alten,
Die reifer als ich und als sie
- Und weiser als ich und als sie
Und die Engel im Licht und die Nachtgestalten
Der Tiefe entreißen doch nie
Mit all ihrem Neid meine Seele der Seele 
Der lieblichen Annabell Lee.

Jeder Mondstrahl bringt mir einen Traum ja von ihr,
Von der lieblichen Annabell Lee;
Jeder Stern schaut mich dann wie ein Strahlenblick an 
Meiner lieblichen Annabell Lee;
Keine Nacht geht dahin, wo ich nicht bei ihr bin,
Meinem Lieb – meinem Lieb, meinem Leben und Sinn –
An dem Grabmal nicht neben ihr knie...
- Und die See verstummt dort nie.

Übersetzung: Heyer



ANNABEL LEE 

It was many and many a year ago,
In a kingdom by the sea,
That a maiden there lived whom you may know
By the name of Annabel Lee;
And this maiden she lived with no other thought
Than to love and be loved by me.

I was a child and she was a child,
In this kingdom by the sea,
But we loved with a love that was more than love,
I and my Annabel Lee;
With a love that the wing′d seraphs of heaven
Coveted her and me.

And this was the reason that, long ago,
In this kingdom by the sea,
A wind blew out of a cloud, chilling
So that her highborn kinsmen came
And bore her away from me,
To shut her up in a sepulchre
In this kingdom by the sea.

The angels, not half so happy in heaven,
Went envying her and me;
Yes! that was the reason (as all men know,
In this kingdom by the sea)
That the wind came out of the cloud by night,
Chilling and killing my Annabel Lee.

But our love it was stronger by far than the love
Of those who were older than we,
Of many far wiser than we;
And neither the angels in heaven above,
Nor the demons down under the sea,
Can ever dissever my soul from the soul
Of the beautiful Annabel Lee:

For the moon never beams, without bringing me dreams
Of the beautiful Annabel Lee;
And the stars never rise, but I feel the bright eyes
Of the beautiful Annabel Lee;
And so, all the night-tide, I lie down by the side
Of my darling - my darling - my life and my bride,
In her sepulchre there by the sea,
In her tomb by the sounding sea.


Mittwoch, 16. März 2011

Doiseneau - Der Kuss - Paris



Theater lenkt ab

Mannomann, von 9 bis 6 geleuchtet und dann um 7 erste Komplettprobe, Kritik für die Spieler bis 11.30 Uhr, dann Kritik für mich bis um 1.
Und "nebenbei" werden die Brennstäbe in Japan immer heißer, es gibt Löcher in der Umhüllung, Radioaktivität und, nicht zu vergessen, die Folgen von Erdbeben und Tsunamis. Lasst mich nicht noch von Darfur, Haiti, Libyien - die Liste ist beliebig zu verlängern - anfangen. Und Lindsay Lohan muss ins Gefängnis, das war heute auch Schlagzeile.
Und ich, ich wühle mich den ganzen Tag unverdrossen durch die Geschichte vom Meister und seiner Margarita, diskutiere Lichtstimmungen, verliebe mich in Gesten, ärgere mich über Lahmarschigkeit und Ungenauigkeit und freue mich über Spiellust und Erfindungsreichtum.

Und was soll ich auch anderes tun. Natürlich, das ist was ich tun muss und will. Aber. Aber....
Aus
An die Nachgeborenen

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst!
Der dort ruhig über die Strasse geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Ich wäre gerne auch weise,
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen.
Aber ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten.

Bertolt Brecht  

Montag, 14. März 2011

Lied von denen, auf die alles zutrifft und die alles schon wissen

Lied von denen,
auf die alles zutrifft und die alles schon wissen

Dass etwas getan werden muss und zwar sofort
das wissen wir schon
dass es aber noch zu früh ist um etwas zu tun
dass es aber zu spät ist um noch etwas zu tun
das wissen wir schon
und dass es uns gut geht
und dass es so weiter geht
und dass es keinen Zweck hat
das wissen wir schon
und dass wir schuld sind
und dass wir nichts dafür können dass wir schuld sind
und dass wir daran schuld sind dass wir nichts dafür können
und dass es uns reicht
das wissen wir schon
und dass es vielleicht besser wäre die Fresse zu halten
und dass wir die Fresse nicht halten werden
das wissen wir schon das wissen wir schon
und dass wir niemand helfen können
und dass uns niemand helfen kann
das wissen wir schon
und dass wir begabt sind
und dass wir die Wahl haben zwischen nichts und wieder nichts
und dass wir dieses Problem gründlich analysieren müssen
und dass wir zwei Stück Zucker in den Tee tun
das wissen wir schon
und dass wir gegen die Unterdrückung sind
und dass die Zigaretten teurer werden
das wissen wir schon
und dass wir es jedes Mal kommen sehen
und dass wir jedes Mal recht behalten werden
und dass daraus nichts folgt
das wissen wir schon
und dass das alles wahr ist das wissen wir schon
und dass das alles gelogen ist das wissen wir schon
und dass das alles ist
das wissen wir schon
und dass Überstehn nicht alles ist sondern gar nichts
das wissen wir schon
und dass wir es überstehn
das wissen wir schon
und dass das alles nicht neu ist
und dass das Leben schön ist
das wissen wir schon
das wissen wir schon
das wissen wir schon
und dass wir das schon wissen
das wissen wir schon

(Hans Magnus Enzensberger)

Atompilz Torte

Sonntag, 13. März 2011

Die Sonntagmorgen-Matinee

Nahezu jedes mir bekannte Theater veranstaltet morgendliche Sonntagstreffen mit interessiertem Publikum, um die nächsten Premieren dramaturgisch und unterhaltend vorzustellen und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich mich zu diesen Anlässen in Abscheu zusammenknäueln oder sympathisierend dauernicken möchte.
Gegen 10.30 bewegen sie sich in kleinen Grüppchen und verwitwet einzeln gen Theater, die Interessierten. Sie sind alt. Das ist keine Disqualifizierung, ich bin auch nicht jung, aber sie sind alle alt, sehr sehralt, nur hin und wieder verirrt sich ein stützender besorgter Enkel dazwischen. Sie kommen schon immer, die Neuberin hat damals noch selbst die Veranstaltungen geleitet und ihnen höchstpersönlich die Entlassung des Hanswurst verkündet. 
Letztlich in Baden-Baden, dem geriatrischen Disneyland, untermauerten zwei Damen mit Rollatoren ihre zarte und melancholische Kritik an meiner dort zur Premiere gekommenen Inszenierung eines Goldonistücks, mit dem bedauernden Satz: "Wir haben doch nach dem Krieg so schönes Theater gesehen." (Nach welchem?)
Der Ablauf: Ein Dramaturg führt, je nach Fähigkeit, in literaturhistorische und biographische Details des jeweiligen Tschechow/Goethe/Shakespeare/Müller/Pollesch Materials ein. Ein paar Literaturbeispiele, obskure Gedichte, Biographieauszüge, lustige Anekdoten werden dazwischengemischt und von Darstellern (herrliches Wort!) vorgetragen. Die Interessierten hören zu, sie haben sich fein gemacht, sie sind ruhig, sie kichern gern, danach gehen sie zum Mittag. Sicher sind sie alle ganz verschieden, haben faszinierende, tragische, überraschende Biographien, aber an diesen Sonntagmorgen verschmelzen sie zur braven Gruppe "der Interessierten". Und das ist alles gut und richtig so, aber auch schrecklich traurig. Als wir in Rostock diese Matineen in Freitag-Nacht Soireen verwandelt haben, kamen viele, aber da eben nur junge. Auch keine Lösung. Entweder laut und deutlich sprechen für das Blumenkohlfeld oder Nuscheln im verzweifelten Umwerben der Twitter Generation. Und einen Jahrmarkt haben wir nicht, nur Foyers. Insbesondere die flugzeughallenartigen Eingangsräume in den Gussbetontheaterbauten des westlichen Deutschlands tun das ihrige, um die Wirkung der morgendlichen Zelebration ins postindustriell Absurde zu verstärken. 
Ja, ich meckere, gern, ausgiebig. Das ist wohl das Alter!




Trost - Wort zum Sonntag


Nu ween ma nich, nu ween ma nicht, in de Röhre stehn Klöße, du siehst se bloß nicht.

(Von Tucholsky via Ö.)

Samstag, 12. März 2011

Für Herrn B. - Ein Trostgedicht


Remember me when I am gone away,
Gone far away into the silent land;
When you can no more hold me by the hand,
Nor I half turn to go yet turning stay.

Remember me when no more day by day
You tell me of our future that you planned:
Only remember me; you understand
It will be late to counsel then or pray.

Yet if you should forget me for a while
And afterwards remember, do not grieve:
For if the darkness and corruption leave
A vestige of the thoughts that once I had,
Better by far you should forget and smile
Than that you should remember and be sad. 

Christina Rossetti

 

Heute ganz ohne Humor


"I Am Legend" by Robert Matheson oder "Ich bin Legende"

Bitte nicht an den oder die Verfilmungen denken, ich meine die Kurzgeschichte!
Die Geschichte eines Mannes, Neville, der in einer postapokalyptischen Welt lebt, alle anderen Menschen haben sich, infiziert mit einer nicht näher bestimmten Seuche, in Vampire verwandelt. Er ist allein. Er raucht, trinkt, jagt "die anderen" und hört alte LPs. Es geht hier nicht um Blutsauger oder die üblichen Horrorszenarien, der wahre Terror liegt in der Einsamkeit Nevilles, wahrhafter, völliger Einsamkeit und Fremdheit in der Welt. 1953/54 geschrieben, wohl auch als Allegorie auf den die Luft verpestenden McCarthyismus, gibt die Erzählung eine Ahnung vom Schrecken der Dehumanisierung, die auch der verständlichste Kampf in Seele und Herz anrichtet, wenn er ohne Hoffnung gekämpft werden muss. Am Ende wird Neville von der Neuen Rasse, den Nachtwandlern, überrannt.

"Robert Neville betrachtete die neuen Menschen der Erde. Er wusste, dass er nicht zu ihnen gehörte; er wusste dies, genau wie die Vampire, er war Fluch und schwarzer Terror, der zerstört werden würde. Und, plötzlich, schloss sich das Konzept, erheiternd sogar im Schmerz. ...zum vollen Zirkelschluss. Ein neuer Terror geboren im Tod, ein neuer Aberglaube betrat die unangreifbare Festung der Ewigkeit. Ich bin Legende."

"Robert Neville looked out over the new people of the earth. He knew he did not belong to them; he knew that, like the vampires, he was anathema and black terror to be destroyed. And, abruptly, the concept came, amusing to him even in his pain. ... Full circle. A new terror born in death, a new superstition entering the unassailable fortress of forever. I am legend."



When The Wind Blows Animated Film, aus gegebenem traurigen Anlass.
http://www.youtube.com/watch?v=6EbsrJuAoQo

Freitag, 11. März 2011

Zbigniew Herbert - Der Siebte Engel


DER SIEBTE ENGEL

Der siebte engel
ist ganz anders
er heißt sogar anders
Schemkel

kein Gabriel
der güldene
eine stütze des throns
und baldachin

kein Raphael
stimmeister der chöre

auch kein
Asrael
planetenführer
geometer der unendlichkeit
vollendeter kenner der theoretischen physik

Schemkel
ist schwarz und nervös
vielmals vorbestraft
für schmuggel mit sündern

zwischen Abgrund
und himmel hallt
sein ständiges gestampfe

er hält nicht auf seine würde
und man lässt ihn in dieser schar
nur mit rücksicht auf die zahl sieben

aber er ist nicht wie die anderen

kein feldherr
Michael
ganz in schuppen und federbüschen

kein Asraphael
weltdekorateur
beschützer der üppigen vegetation
mit flügeln die wie zwei eichen rauschen

nicht einmal
Dedrael
apologet und kabbalist

Schemkel Schemkel
- murren die engel
warum bist du so unvollkommen

byzantinische maler
wenn sie die sieben malen
zeigen Schemkel
ähnlich den anderen

sie meinen nämlich
sie würden der lästerung schuldig
wenn sie ihn malten
so wie er ist
schwarz nervös
im alten ausgefransten glorienschein

von Zbigniew Herbert

 Drei Erzengel mit Tobias, Francesco Botticini 1470