Montag, 10. Januar 2011

Theater hat auch Klischees - Worst of ...


Habe gerade auf einem anderen Blog http://niwill.blog.de/tags/die-schlimmsten-filmklischees/ eine Liste gefunden, die mich darauf gebracht hat, mal zu beschreiben, welche Regieeinfälle (so wie die Mongolen in Europa eingefallen sind), Spielertricks, -angewohnheiten, Ausweichmanöver oder einfach Unfähigkeiten ich auf der Bühne besonders verabscheue.

Die aus- und einzitternden Nasenflügel bei Erregung, desgleichen der beliebte Backenknochenmuskelzucker.

Ich und Du Gesten in Zweipersonenszenen, wer sollte denn ich und du sonst sein? Überhaupt wildes herrenloses Gestikulieren von Nichtitalienern, wenn es an Leidenschaft mangelt. Da kann ich auch noch Überbrüllen dazupacken. Ich liebe Brüllen, aber es muss gekonnt sein und Hysterie ist so oft der leichteste Ausweg aus komplizierten emotionalen Bühnensituationen.

Das traurigstimmende Verschwinden des End -t (T der Buchstabe), weil wir ja alle coole Berliner sind. Das arme Ä ist ja bloss zum E geworden, verwandelt, aber immerhin noch irgendwie existent.

Unterwäsche, speziell Ripp an sogar gutgebauten Männerkörpern, wenn es  Nacktheit hätte seien sollen oder es als Simpelzeichen für Armseligkeit herhalten muss. Und Nacktheit nur mal so für nix.
Das scheint mir noch prüder und spiessiger als die 5000ste Roll, Beiss, Grabsch Fickszene, der ich ohne jedes Lust oder Angsthassgefühl beiwohnen muss.

Best of Pop und Indie Soundtracks.

Coole tiefsinnige Drogensüchtige, die sich gefakte Schüsse setzen, um den Mittelstandsphantasien mitteljunger Kunstschaffender Auslauf zu geben. "Ja, die Randexistenzen, die leben das echte Leben!" Nein, tun sie nicht, sie leben harte Leben mit hoher Sterblichkeitsrate.

Coolness anstatt Wut.

Das unglaubliche Selbstmitleid, das in nahezu allen Ibsen und Tschechow Inszenierungen über die Rampe springt und sich mir aufdringlich auf den Schoss setzt.

Und und und...

Gott sei Dank kann ich dieser Liste auch eine lange Liste verzückender Bilder und Spielmomente entgegenstzen. Und leider bin ich auch schon in einige der oben benannten  Haufen getreten. Wer ohne Sünde ist, hat keine Steine zum Werfen, oder?

Sonntag, 9. Januar 2011

Drei - ein Film von Tom Tykwer

Ein richtig guter Film.
Und um das in seinen Kontext zu setzen, muss ich hier eingestehen, dass ich nicht in deutsche Kinofilme gehe, wenn ich es nur irgendwie vermeiden kann. Und nein, ich habe keine Entschuldigung dafür, und meine Gründe sind eine bunte Mischung aus Erfahrungen, Vorurteilen und Arroganz.
In "Drei" bin ich ausschließlich Sophie Rois' wegen gegangen. Mann, ist das eine wunderbare Schauspielerin und eine schöne Frau und außerdem hat sie eine Stimme wie frisches Pumpernickel. Es gibt ein paar Momente, da spielt sie in aller Sparsamkeit Reaktionen, Emotionen, Gedanken, die mich so überrascht haben, dass ich spontan mit Ton reagiert habe. Eine Freude ihr zuzugucken! Sie ist genau und entblössend und schräg und witzig. David Striesow ist der zweite der Drei, sehr interessant (nicht im ironischen Sinne!) und er hat einen schiefen Vorderzahn, der sehr auffällt und ihn vorm Hübschsein rettet.
Tykwer hat sich eine Versuchsanordnung gebaut und dann, wie undeutsch, diese und nur diese in aller Konsequenz durchgespielt. Nicht noch ein bisschen von dem Thema oder dem dazu, sondern Konzentration und Verspieltheit auf eine spezielle Geschichte. Und es ist ein Film "für Erwachsene", wie angenehm, da ich ja aus eigener Erfahrung weiss: es gibt ein Leben nach 35.
Sicher könnte man hier und da rummäkeln, muss man aber nicht. Ich hatte gute Laune, als ich aus dem Kino ging und habe Bilder im Kopf und hört! hört!: ich denke über mich nach.
Einen klasse Schlusseinfall gibt es auch noch.
Korrektur: Verwechselt! Devid, habe gedacht, das wäre ein Druckfehler im Abspann. Ich habe mich auch schon einmal als Johanna Schell auf einem Kinoplakat begrüssen dürfen. Also eigentlich sprach ich über den Schauspieler mit dem feinen Zahn - Sebastian Schipper. Sorry!


Samstag, 8. Januar 2011

Humor und Tod

Vor vielen Jahren war ich, eher zufällig, im Publikum einer Benefizveranstaltung englischer Schauspieler für einen verstorbenen Kollegen, bzw. dessen Familie. Ich kann mich nicht erinnern, wie der Verstorbene hieß und kannte ihn sowieso nicht, aber was ich noch weiß: es war ein herzlicher und lustiger Abend. Ein paar Anekdoten, kurze Reden und mittendrin, Glenda Jackson, die damalige Grande Dame des englischen Theaters, im braven blauen Kleid mit weißem Kragen, und sie rezitierte mit zarter Stimme den wahrscheinlch ordinärsten Limerick, den ich je die Freude hatte zu hören.
There was a young girl of Peru
Who filled her vagina with glue.
And she said with a grin,
If they pay to come in,
They can pay to come out of it too.
Dann ein Knicks und Abgang. Ich vermute, der Tote mochte schweinische Verse. Ich kenne da auch ein paar Kollegen! Ich sage nur: Wirtinnenverse! Aber stellt euch bitte eine ähnliche Szene bei der Trauerfeier für einen deutschen Schauspieler vor! 
Und? 
Vorstellbar? 
Wohl eher nicht.
Als sich die Mitglieder von Monty Python zu irgendeinem Jubiläum in einer Fernsehsendung trafen, hatten sie ihren 1989 gestorbenen Kollegen Graham Chapman in einer Urne dabei, und als ihnen Tee serviert wurde, kriegte auch er eine Tasse in die Urne mit dem Angebot von Sahne und Zucker.
Diana Rigg, den meisten etwas älteren, als Emma Peel aus "Schirm, Charm und Melone" (The Avengers) bekannt,  hat 1983 ein Buch mit Verrissen herausgebracht: No Turn Unstoned: "The Worst Ever Theatrical Reviews". Sie schrieb an unzählige Schauspieler, mit der Bitte um ihre schlimmsten Kritiken. Viele antworteten, manche nicht. Das Buch ist eine Lust zu lesen, aber nur, weil man nicht selbst diese Kritiken bekommen hat. 
ABER - wie witzig und leidenschaftlich Kritiker seien können, das ist das eigentliche Wunder dieses Buches. Beispiel? Über Catherine Hepburn als Ophelia: Sie zeigte die gesamte Palette ihrer Möglichkeiten von A bis B. 
Gut, wenn man Kerr oder Jehring liest, oder einiges von Friedrich Luft, findet man Parallelen. Aber meist liest man ermüdete oder angestrengte oder unsinnliche "Was hätte ich inszeniert/gespielt, wenn ich inszenieren/spielen könnte - Schulaufsätze" in deutschen Zeitungen, oder? 
Was hindert uns deutsche Theaterleute daran, uns zu mögen? Ich denke, das es nur möglich ist, leidenschaftlich unernst der eigenen Bedeutungsschwere gegenüber zu sein, wenn man sich nicht unentwegt der eigenen Lebensberechtigung versichern muss. Wir sind nicht die Retter der Nation. Wir arbeiten hart und viele von uns für wenig Geld. Wir dürfen tun was wir lieben. Wir sind wichtig, wenn wir unsere Zuschauer wichtig nehmen. Spielen ist ein Spass!
George Thompson, ein englischer Wissenschaftler hat ein hochinteressantes Buch über die Entstehung des griechischen Theaters geschrieben: "Aischylos und Athen", hunderte Seiten hochkomplizierter Fakten zur Entwicklung des Dramas, und ganz am Ende beschreibt er, wie in seiner Vorstellung, der erste Theaterabend aussah.
Eine Horde Urmenschen. Morgen werden sie auf Mammutjagd gehen. Sie haben Angst. Mammut gross, Mensch klein. Also machen sie ein Feuer und spielen die Jagd durch. Ein Tanz. Es werden Mammuts erlegt. Wenn sie am nächsten Morgen auf die Jagd gehen, haben sie ein wenig mehr Mut, etwas mehr Selbstvertrauen. Im Spiel hat es doch geklappt, also vielleicht auch in der Realität. Besser kann ich nicht beschreiben, was ich als den ursächlichen Grund für Theater ansehe.




Donnerstag, 6. Januar 2011

Sechs Wort Geschichten

For sale: baby shoes, never used.

Das hat Ernest Hemingway geschrieben auf eine Wette hin, dass er keine Geschichte in sechs Wörtern erzählen könne. Er hat gewonnen!
Daraus ist jetzt eine ganze Flut von Sechs-Wort-Geschichten geworden. Es gibt Bücher und eine Website.
http://www.sixwordstories.net/about/
Eine Menge Quatsch dabei, aber hin und wieder trifft jemand genau ins Herz oder ins Schwarze.
"We kiss; I remember someone else." oder von Margaret Atwood: " Starlet sex scandal. Giant squid involved."
Was ich daran mag, ist der Rest, der der in deinem Kopf entsteht und erst eine Geschichte daraus macht.
Im ersten Star Wars Film sitzen Han-Solo und Chewbacca in einer interstellaren Kneipe und man sieht im Bild-Vordegrund ein paar lange, dünne vogelartige Beine vorbeigehen, nur die Beine. Der Rest ist mir überlassen, es wird meine Figur, mein Alien.
"Ophelia gespielt. Keine Zuschauer. Trotzdem gestorben."

Mittwoch, 5. Januar 2011

Eva Strittmatter


Freiheit I

Ich kann dich lieben oder hassen-
ganz wie du willst. (Kann dich auch lassen.)
Und du kannst schweigen oder sprechen.
Ganz wie du willst. Daran zerbrechen
werd ich nicht mehr. (Ich kann auch gehn.)
Ganz wie ich will, wird es geschehen.

Als ich heute in der Zeitung las, dass Eva Strittmatter gestorben ist, war das erste Bild in meinem Kopf der Einband eines Buches. 
Die Edition Neue Texte (1972–1991) des Aufbau Verlages veröffentlichte "Ich mach ein Lied aus Stille" 1973. Weißer Papierumschlag, Autorin, schwarzer Strich, Titel, ein Aquarell. 
Schöne Bücher sind selten geworden (Die weiße Reihe! gestaltet von Lothar Reher für Volk und Welt z.B.), Typographie eine Kunst für kostbare Spezialausgaben, und dass ich auf ein erscheinendes Buch mit Ungeduld warte ist auch eher eine sentimentale Erinnerung. 
Obwohl, um sachlich zu bleiben, wieviele Bücher man in der DDR nicht lesen konnte und wie schwer es war manche zu bekommen, ist eine weit weniger romantische Seite dieser Erinnerungen.
Aber, ich hatte sehr gute "Beziehungen" zu einem kleinen scheinbar chaotischen Buchladen in der Oranienburgerstrasse, nahe des Hackeschen Marktes und bei meinem wöchentlichen Besuch holte die wunderbare, irrsinnig belesene und leicht wirre Verkäuferin/Besitzerin dieses Buch unter dem Ladentisch hervor.
Eine Vielzahl dieser  Gedichte konnte ich dann auswendig. Ich war 15! Einige kann ich heute noch.
Später schon am Theater, an jedem Gehaltstag, die Gage wurde im Umschlag bar ausgezahlt, trug ich einen Teil des Geldes immer in den besagten Buchladen. Schätze! Überraschungen! Fiebrig erwartete Neuerscheinungen.

Ich mach ein Lied aus Stille

Ich mach ein Lied aus Stille
Und aus Septemberlicht.
Das Schweigen einer Grille
Geht ein in mein Gedicht.

Der See und die Libelle

Das Vogelbeerenrot.
Die Arbeit einer Quelle.
Der Herbstgeruch von Brot.

Der Bäume Tod und Träne.

Der schwarze Rabenschrei.
Der Orgelflug der Schwäne,
Was es auch immer sei,

Das über uns die Räume

Aufreißt und riesig macht
Und fällt in unsre Träume
In einer finstren Nacht.

Ich mach ein Lied aus Stille.

Ich mach ein Lied aus Licht.
So geh ich in den Winter;
Und so vergeh ich nicht.

Beichte

Immer die gleiche Rose.
Immer das gleiche Gesicht.
Unter wechselndem Monde.
Unter wechselndem Licht.
Immer die gleiche Tollheit.
Immer der gleiche Traum.
Immer noch keine Weisheit.
Immer noch nicht: wie ein Baum.

Wenn ihr mal wieder Gedichte lesen wollt, diese vielleicht oder die von Inge Müller, der heimlichen Heldin meiner jugendlichen Poesieliebe!

Dienstag, 4. Januar 2011

Theater ist sexy


Theater ist sexy:
wenn die Spieler wissen, was sie tun und nicht mehr tun, als sie wissen.
wenn der Zuschauer nicht zum Mitfühlen gezwungen wird. Auch die schickste Vergewaltigung, bleibt eine Vergewaltigung.
wenn der Regisseur leidenschaftlich genug ist, um alles zu wagen und klug genug, um Gewagtheit als eitle Petitesse zu erkennen.
wenn das Stück mehr ist als eine Meinungsäußerung und mich überrascht, ohne mich zu übervorteilen.
wenn die Poesie stärker ist als die ästhetische Absicht. 
wenn ich irgendwann, vielleicht sogar ohne es zu wissen, einen Satz zitieren werde.
wenn geschwitzt wird.
wenn ich lachen muss und nicht genug Zeit habe zu lachen, weil ich nichts verpassen will.
wenn ich weinen kann und so weiss, dass ich nicht der einzige Idiot auf der Welt bin.
wenn ich mich richtig ärgere. Und diesen Ärger nach Stückschluss stundenlang wegdiskutieren muss.
wenn es schön ist und alles doch nicht ganz passt.
wenn ich mich in einen Spieler für einen Abend verliebe.
wenn ich danach nicht sprechen kann.
wenn die Leute das Theater wacher verlassen, als sie es betreten haben.
wenn ich wenigstens einmal staune.
wenn meine Erwartungen nicht erfüllt werden.
wenn der alte Theaterzauber mich doch wieder erwischt.
wenn ich mitzaubern darf.

Sonntag, 2. Januar 2011

Meine Lieblings - Engel

Zur sonntäglichen Unterhaltung:

Die Erste Duineser Elegie

Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. ..... 


RAINER MARIA RILKE


WILLIAM BLAKE

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Und es geschah eines Tages, da kamen die Söhne Gottes, um sich vor dem HERRN einzufinden. Und auch der Satan kam in ihrer Mitte. 1,7 Und der HERR sprach zum Satan: Woher kommst du? Und der Satan antwortete dem HERRN und sagte: Vom Durchstreifen der Erde und vom Umherwandern auf ihr. 1,8 Und der HERR sprach zum Satan: Hast du acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es gibt keinen wie ihn auf Erden - ein Mann, so rechtschaffen und redlich, der Gott fürchtet und das Böse meidet! 1,9 Und der Satan antwortete dem HERRN und sagte: Ist Hiob [etwa] umsonst so gottesfürchtig? 1,10 Hast du selbst nicht ihn und sein Haus und alles, was er hat, rings umhegt? Das Werk seiner Hände hast du gesegnet, und sein Besitz hat sich im Land ausgebreitet. 1,11 Strecke jedoch nur einmal deine Hand aus und taste alles an, was er hat, ob er dir nicht ins Angesicht flucht! 1,12 Da sprach der HERR zum Satan: Siehe, alles, was er hat, ist in deiner Hand. Nur gegen ihn [selbst] strecke deine Hand nicht aus! Und der Satan ging vom Angesicht des HERRN fort.
BUCH HIOB

zu Milton's Paradise Lost

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Über die Verführung von Engeln


Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Mund und lang
Ihm untern Rock, dass er sich nass macht. Stell 

Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock 
Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen,
So halt ihn fest und lass ihn zweimal kommen,
Sonst hat er dir am Ende einen Schock. 


Ermahn ihn, dass er ruhig den Hintern schwenkt,
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen

Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt.


Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht. 


BERTOLT BRECHT


Mein Flügel ist zum Schwung bereit
ich kehrte gern zurück
denn blieb ich auch lebendige Zeit
ich hätte wenig Glück
Gerhard Scholem, Gruß vom Angelus

Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er  eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm. WALTHER BENJAMIN

PAUL KLEE

Die Gewänder der Engel
sind aus Scheu gewoben. HRABANUS MAURUS 

 
FRIEDRICH ENGELs oben rechts.
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Angel of the morning

There’ll be no strings to bind your hands
Not if my love can find your heart
And there’s no need to take a stand
For it was I who choose to start
I see no need to take me home
I’m old enough to face the dawn

Just call me angel of the morning, angel
Just touch my cheek before you leave me
Just call me angel of the morning, angel
Then slowly turn away from me

Maybe the sunlight will be dim
But it won’t matter anyhow
If morning’s echoes say we’ve sinned
Then it was what I wanted now
And if we’re victims of the night
I won’t be blinded by the light

Just call me angel of the morning, angel
Just touch my cheek before you leave me
baby
Just call me angel of the morning, angel
Just touch my cheek before you leave me, baby
Just call me angel of the morning, angel
Just touch my cheek before you leave me
baby
Just call me angel of the morning, angel   CHIP TAYLOR
(gesungen von Nina Simone auf "The Essential Nina Simone")

Erster Gesang.

....
Der Höllendrache, Jener, dessen List
Von Rach' und Neid erregt, der Menschen Mutter
Zu einer Zeit betrog, als ihn sein Stolz
Herab vom Himmel stürzte sammt der ganzen
Rebellischen Engelschaar, mit deren Hülfe
Er glorreich seines Gleichen zu beherrschen
Und Gott sich gleich zu stellen trachtete,
Da er durch Widerstand und ehrsuchtvoll
Verruchten Krieg im Himmel gegen Gottes
Alleinherrschaft erhob, und stolzen Kampf,
Der fruchtlos blieb. Des Allerhöchsten Macht
Stieß häuptlings ihn aus den äther'schen Höh'n
Furchtbaren Sturzes glutumflammt hinab
Zum bodenlosen Abgrund, dort zu wohnen
In Demantketten und in Feuerpein,
Da dem Allmächtgen er gewagt zu trotzen.
Neun Mal die Zeit, die bei den Sterblichen
Den Tag, die Nacht bezeichnet, lag er dort
Besiegt mit seiner schaudervollen Horde,
Im Feuerpfuhl sich wälzend, sinnverwirrt,
Und doch unsterblich; denn zu größrer Qual
War er verdammt, nun martert der Gedanke
Verlornen Glückes ihn, und ew'ger Pein;
Die düstern Augen wirft er rund umher,
Die Angst und tiefe Traurigkeit verrathen,
Worein verstockter Stolz und Haß sich mischt;
Er sieht, so weit als Engel können sehn,
In seiner Lage wüst' und elend sich,
Ein furchtbarlich Gefängniß flammt um ihn,
Gleich einem Feuerofen, doch den Flammen
Entstrahlt kein Licht; nur sichtbar finstre Nacht
Enthüllt ihm hier die Gruppen tiefen Weh's,
Die Gegenden der Sorgen, düstre Schatten,
Wo Friede nicht, noch Ruhe je verweilt,
Wohin selbst Hoffnung, die sonst Allen naht,
Nicht kommen kann; nur endlos grimme Pein
Mischt sich der Feuerflut, genährt von Schwefel,
Der ewig brennt und nimmer sich verzehrt.
Solch einen Ort erschuf der ewge Richter
Für die Empörer, deren Kerker hier
Aus tiefstem Dunkel gähnt, daß sie von Gott
Und Himmelslicht drei Mal so weit entfernt,
Als wie der Mittelpunkt vom letzten Pol.
Wie ungleich jenem Raum, aus dem sie fielen! JOHN MILTON

nochmal WILLIAM BLAKE

Kenneth Anger - Lucifer Rising (1973)
http://video.google.com/videoplay?docid=1710883728662460695#



Donnerstag, 30. Dezember 2010

Tschaikowsky - Genie und Wahnsinn


1970 von Ken Russell gedrehter Film (Originaltitel "Music Lovers), nach einem Drehbuch von Melvyn Bragg und in den Hauptrollen Richard Chamberlain (Dornenvögel!) als Tschaikowsky und keine Geringere als Glenda Jackson in der Rolle der Antonina Miliukova. 
Wenn ihr mal Lust auf einen absurd schlechten Film habt, in dem sich anständige, und im Fall von Glenda Jackson sogar großartige, Schauspieler völlig verausgaben, mit dem Ergebnis, dass sie sich somit ganz und gar zum Löffel machen, dann ist dieses Werk die richtige Wahl. 
Glückliches Hüpfen über eine grüne Wiese, geiles Herumrollen in einem Eisenbahnwagon und die grauenhaft komischsten Emotinaldarstellungen unbefriedigter Sexualität, die ich jemals die Freude hatte, sehen zu dürfen, natürlich unterlegt mit dicker Tschaikowsky Musik. Und das Ganze ist auch noch wirklich gut gemeint, da es uns einen TIEFEN Einblick in die gequälte Seele des Komponisten und seiner nymphomanischen Freundin Nina geben möchte. 
Ich habe lange Zeit in der Erwartung geguckt, dass die Darsteller irgendwann in die Kamera schauen und mich angrinsen: "War nicht so gemeint, ist bloß ein Spaß!" Passierte aber nicht. Schade und dann auch wieder nicht, denn wenn man die anfängliche ungläubige Starre überwunden hat, kann man wirklich viel Vergnügen haben. 

Das ist ein Bild aus der Verfilmung der "Zofen" von Genet. Interessanter Versuch, sicher nicht mehr ganz taufrisch, aber in seiner Zeit mutig. Rechts ist Glenda Jackson! Links Susannah York.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao von Junot Diaz


Rückfahrt von Ingolstadt mit der Deutschen Bahn, nur 30 Minuten Verspätung und es war egal, weil ich so mein heutiges Buch noch zu Ende lesen konnte. Soviel Romane habe ich lang nicht mehr gelesen!
"The wondrous life of Oscar Wao" - wondrous kann man mit seltsam oder wundersam übersetzen und warum der deutsche Verlag mit dem "kurzen Leben" unnötige, ja sogar störende Vorinformationen geben muss, weiss ich nicht. 
Aufstehen und losgehen, in der Bibliothek ausleihen, kaufen, stehlen, egal. Muss gelesen werden! Ich hoffe, die deutsche Übersetzung kann der wundersamen, seltsamen, herrlichen, meschuggenen Sprache von Junot Diaz halbwegs gerecht werden, ich hoffe sehr. Eingestreut eine Menge Spanisch, unübersetzt und mal verständlich, mal nur Klang. 
Und eine Geschichte, 10 000 Geschichten über die Bewohner eines Landes, der Domikanischen Republik, viele davon in der Diaspora über die Welt verstreut, diese hier die in New Jersey gestrandet. Das Schicksal einer Familie und aller die mit ihr in Berührung kommen, getrieben, vertrieben durch die politischen Schrecklichkeiten ihrer Heimat, die sie erleiden und mitmachen, getragen von den Mythen einer Völkergemischs aus fünf Kontinenten, einsortiert nach Farben, Schattierungen und sozialer Herkunft, reich durch alltäglichen Zauber, gepeinigt von unsäglicher Gewalt, beglückt und geplagt von jeder Menge Sex und immer, wirklich immer voll Liebe. Das Buch hat mich atemlos entlassen. Es erzählt die grausamsten Dinge ohne jede Weinerlichkeit, es beschreibt seine Figuren so, dass man sie unbedingt kennenlernen will und es glaubt, im Angesicht von allem zu dem der Mensch fähig ist, an die Liebe. Wunderbar, herrlich, herzzerreissend, lustig, absurd, tragisch und wahr.


Montag, 27. Dezember 2010

Die Bahn und die Literatur

Ich glaube mich zu erinnern, dass ich kürzlich einen lobenden Text über die Deutsche Bahn verfasst habe. Jetzt folgt noch einer. 
Wie es begann: Ich wollte nach Ingolstadt. Mit der Bahn. Es ist Winter. 
4 Stunden Hauptbahnhof Berlin und eine Reihe von interessanten An-und Aussagen später - "Da der Zug heute immerhin 70 Minuten Verspätung hat, fährt er nur bis Leipzig." oder "Wir warten nur noch auf unser Zugpersonal und können keine Angaben zur Abfahrtszeit machen." oder "Nein, der Zug über Göttingen kommt erst in einer Stunde, und der über Nürnberg fährt von Gleis 2 - Ups, jetzt ist er weg!" sitze ich immer noch in Berlin, ABER ich habe zwei Romane gelesen, den zweiten dann im Bett, weil ich so durchgefroren war. 
Der eine: "The Filmclub" von David Gilmour (in deutsch"Unser allerbestes Jahr", was haben deutsche Verlage und Verleihe doch für ein feines Talent bei Titelerfindungen!), ein kleines Buch über den Versuch eines Vaters seinem Sohn den Weg durch die Pubertät zu erleichtern. Der sechzehnjährige Sohn versagt in der Schule, fängt an zu lügen und zu saufen - der Vater schlägt ihm einen Handel vor, der Sohn darf die Schule schmeißen, wenn er mit dem Vater dreimal in der Woche einen Film anschaut. Der Sohn willigt ein und sie gucken Filme. Wild durch die Filmgeschichte mit kleinem Einleitungsvortrag des Vaters, und danach muß der Sohn einen Satz zu dem Film formulieren, wirklich nur einen Satz. Der Autor ist Kanadier, was seinen Hang zur höflichen Formulierung erklärt, aber er hat auch eine Gelassenheit im Denken, die mir zwar fremd, aber auch sehr angenehm ist.
Das zweite Buch: "One Day" ("Zwei an einem Tag" Siehe oben) von David Nicholls, one day kann übrigens sowohl 'ein Tag', als auch 'eines Tages' heißen, ein wunderbare Geschichte für Leute über 40. Klingt schauderhaft, ist es aber keineswegs. Zwei Menschen schlafen 1988 fast miteinander und werden Freunde und für jedes Jahr werden die Ereignisse des Jahrestages dieses ersten Treffens erzählt, die Ereignisse des 15.Juli. Es gibt eine Szene, wo der Mann sein Kind für einen Abend hütet und zunehmend betrunken versucht, das weinende Baby zu beruhigen. Das ist so trocken (haha) und detailliert beschrieben, dass ich das Ende des Kapitels vor-lesen musste, weil ich panisch wurde, es könnte etwas Schreckliches passieren. 
Also zum Fazit, die deutsche Bahn hat es mir ermöglicht, zwar meinen Termin in Ingolstadt zu verpassen, aber dafür zwei Romane zu lesen. Es lebe die deutsche Bahn! Und wenn ich morgen früh um 5.45 Uhr wieder nicht wegkomme, erschlage ich einen Bahnangestellten und kann dann im Gefängnis ganz viel lesen!