Donnerstag, 29. August 2019

In Brandenburg kurz vor der Landtagswahl und sowas

Ein Kurzausflug ins Brandenburgische nach Schloß Liebenberg, dem Ort der "Liebenberger Affaire", dort wo Wilhelm II. mit Philipp zu Eulenburg-Hertefelds geturtelt hat, er ließ sich als "das Liebchen" titulieren. 
Das Schloß ist jetzt ein feines Hotel, die große Terrasse, ein Aushängeschild des Luxusetablissements, wird allerdings, jetzt mitten im Sommer, in der Hochsaison, saniert, man muß halt drinnen essen. "Wir danken für Ihr Verständnis", dass als gegeben vorausgesetzt wird. Ich verstehe es nicht.

Am Abend am Nebentisch Männer in martialischer Kleidung, die Vertreter der siebzehn Beretta-Hersteller auf ihrer Jahrestagung, morgens um halb Fünf werden sie mit ihren Berettas im Wald auf die Jagd gehen. Die Firma gibt es übrigens seit 1526! 
Im zum Hotel gehörigen Seehaus tagen die Mitarbeiter einer Optikerkette, nachmittags bauen sie, gekleidet in orange Schwimmwesten, in vier Gruppen Flöße aus Reifen und Brettern, um den Team- und Konkurrenzgeist zu schulen. Optiker auf Flößen. Exotisch.

Ausflug in Preussenmuseum in Wustrau. Sorgsam zusammengestellt, intelligent kommentiert, liebevoll arrangiert. Lohnt sich. 
Das einzige Cafe im Ort hat nur übers Wochenende geöffnet. 

In allen Dörfern, durch die wir fahren, und es sind viele, sind die Lebensmittelläden endgültig geschlossen, die Hälfte der Gaststätten auch. 

Der sehr angepriesene Hofladen in Hesterberg steht, im Hochsommer, wegen Umbau nicht zur Verfügung. 

Wir baden in herrlichen Seen, laufen durch lebendige Wälder. 

Ist es das Klima oder nur das Wetter! Der Mais ist knapp 50 Zentimeter hoch, die Bäume spielen schon Herbst, es dörrt und dürrt allerorten. Der Wasserstand der Seen, Flüsse, Tümpel, Bäche ist kläglich niedrig.

In Neuruppin landen wir auf der Suche nach einem Mittagessen. Im ersten Restaurant hat sich die einzige Kellnerin, die fröhlich mit ein paar Leuten schwatzt, nach zehn Minuten immer noch nicht zu uns umgedreht, wir gehen weiter, finden ein zauberhaftes Lokal in einem Innenhof, alle schon anwesenden Gäste sitzen im Schatten eines Sonnenschirms. Ich bitte den Kellner für uns einen weiteren Schirm zu öffnen, denn es ist heiß und grell in der Mittagssonne. Und jetzt kommt der Zaubermoment: Wie der Kasper aus der Kiste, springt dem vielleicht dreissigjährigen Mann, die Lust an der Macht über uns, seine Gäste, ins Gesicht. Er strahlt und sagt lustvoll "NEIN." 'Es würde in einer halben Stunde regnen und dies seien Sonnenschirme und keine Regenschirme und so oder so sei der Wind zu stark.' Währendessen steht der eine aufgespannte Schirm ungerührt und still hinter ihm unter wolkenfreiem blauem Himmel. 
In der DDR hieß das "Sie werden plaziert." und das böse Spiel war, den wartenden Gast so lang wie irgendwie möglich zu ignorieren. Wird diese Art von Gastmißbrauch, Verweigerung von Freude am Kundendienst auf geheimnisvolle Weise im Osten von Generation zu Generation weitergegeben? 'Wir wollen Touristen anlocken, an ihnen verdienen, aber deshalb müssen wir sie doch nicht auch noch freundlich behandeln!' Fühlt dieser Mann sich als einer der Abgehängten? Wen wird er dieses Wochenende wählen? Es hat nicht geregnet und außer einer leichten Brise ging den ganzen Tag kein Wind.

Gegenbeispiel. In Liebenwalde an der Schleuse gibt es ein kleines Restaurant mit angeschlossenem Kiosk, Frau Holzendorf, die Besitzerin, schmiert mir nach meinen Wünschen ein saftiges Lachsbrötchen, ihre Karte ist klein und fein, sie lacht, sie freut sich, wenn es mir schmeckt. Die hätte ich gern bei mir um die Ecke und drücke ihr die Daumen, dass sie viele Gäste hat und dabei gut verdient.

Der Hof mit Kirche von Schloß Liebenberg
P.S.:
Vorige Woche am Hackeschen Markt in der Mitte von Berlin. 
Ein Mann auf einer Bank an der Strassenbahnhaltestelle hinter dem S-Bahnhof, in sich zusammengesunken. Müde, betrunken, krank? Ich habe einen jungen Mann gebeten, ihn anzustupsen, weil ich ein ängstliches Bündel bin, er war wirklich nur sehr erschöpft. Gut.
Zehn Meter weiter lag ein Mann auf dem Bürgersteig, Rucksack auf dem Rücken, einen kleinen Wachhund neben sich. Vielleicht war er tot, wahrscheinlich nur sturzbetrunken.
Ein Kellner des naheliegenden restaurants brachte dem Hund eine Schüssel Wasser, die dieser verweigerte, weil er sein Herrchen beschützen mußte. Nachdem ich 110 angerufen hatte, saß ich da, wartete auf den Krankenwagen und beobachtete die Passanten. Ich habe nicht viel getan, ihn anzufassen habe ich ich mich wieder nicht getraut, nur mein Handy benutzt.
Vielleicht 50 Menschen liefen vorbei. Manche gänzlich auf sich konzentriert, bemerkten ihn nicht. Andere schauten irritiert, bestürzt auf den regungslosen Körper, erwägten kurz, ob sie etwas tuen sollten und entschieden sich dagegen. Ein paar stiegen über ihn weg.
Es kam kein Krankenwagen, sondern zwei grüne Minnas, vier Polizisten haben den komatösen Mann unter dem aufgeregten Gebell seines treuen Hundes, aus der prallen Sonne in den Schatten geschleppt. O-Ton Polizist: "Es ist sein freier Wille."
Was ist los mit uns? Ich habe Angst vor besoffenen Männern, ja, Menschen geraten in die Fänge des Alkohols, in die Macht der Drogen, werden sie dadurch unsichtbar, überflüssig, Abfall?

2 Kommentare:

  1. Ich fühle mich hilflos, wenn ich am Hauptbahnhof in Münster an um Geld bittende Menschen vorbeigehe. Ich fühle mich hilflos, wenn ich, wieder am Hauptbahnhof in Münster, durch Kreischen und Schimpfen aufmerksam geworden, sehe, wie ein vielleicht obdachloser Mann einer von ihm weglaufenden vielleicht obdachlosen Frau Wasser aus dem Trinknapf seiner Hunde hinterherschüttet, wobei ein Wasserspritzer auch mich trifft.

    Ich habe auch schon eingegriffen. Beim Unterqueren einer Eisenbahnbrücke, wiederum am Hauptbahnhof in Münster, war ein junger Mann gegenüber seiner Freundin (?) handgreiflich. Sie kreischte, er schimpfte. Er stieß sie vom Bürgersteig auf die Straße und dann weiter vor sich her. Ich stieg von meinem Fahrrad und sprach ihn an. Ich versuchte, ihn zu beruhigen. Dann hielt noch eine Frau an und noch ein anderer junger Mann. Die Masse der Radfahrer fuhr weiter, ohne sich zu kümmern.

    Die Frau war inzwischen weg, der Mann winkte heftig ab und ging ebenfalls weg. Meine Ansprache war ins Leere gesprochen. Überflüssig und nutzlos.

    Vor zehn Jahren war der Hauptbahnhof noch kein ‚sozialer Brennpunkt‘. Das ist für mich ein neues Phänomen, das ich erst seit kurzem beobachte; eigentlich erst in den letzten Monaten und Jahren, nach seinem Umbau. Ich weiß nicht, was da passiert. Für bestimmte Wege muß ich da vorbei, oder ich muß große Umwege in Kauf nehmen. Ich will davon nichts wissen. Das ist nicht meine Welt. Aber am meisten befürchte ich, daß ich möglicherweise selbst mal so ‚enden‘ werde. Wenn ich mir meine Wohnung nicht mehr leisten kann. Wenn ich es mir nicht mehr leisten kann zu leben.

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  2. O, ich verstehe Sie gut, denke ich. Eine Welt, die wir nicht kennen, die uns ängstigt, trifft neuerdings immer öfter auf unsere. Sie ist anders, gewalttätig und traurig, aber als Möglichkeit unserer eigenen Zukunft nah. Wie knapp rutschen wir gelegentlich am Abgrund vorbei? Wie glückselig sind wir, davongekommen zu sein. Wie hart das Leben derer, die es erwischt hat.

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