Heute im tiefen Winter, am Abend des 30. Januars stieg aus dem Wagen neben meinem ein nahezu nackter Mann aus der S-Bahn. Die Füße schuhlos in dicken Verbänden, den halbsichtbaren Hintern in einer Hose, die drohte ihren zugewiesenen Platz zu verlassen, die gänzlich zerrissenen Reste eines Kapuzenshirts überm nackten Oberkörper. Er humpelte langsam und mühselig die Treppen hinunter, ich dick eingepackt hinterher, im Portemonaie noch 5 Euro. Scheiße. Geldautomat, Karte, Euros kommen raus. Diesen gefälligen Vorgang kennt er wahrscheinlich gar nicht, oder nicht mehr. Ich laufe hinter ihm her, bitte ihn Geld für Schuhe und einen Pulli anzunehmen. Er dreht sich um und antwortet im höflichsten Österreichisch: "Das passt schon. Nein danke. Ich geh grad zur Bahnhofsmission." Dann hat er dezent in eine Strassenecke gepisst.
Was habe ich für ein Glück, zufällig. Was für Würde hat dieser entblößte Mann.
VON DER FREUNDLICHKEIT DER WELT
Auf die Erde voller kaltem Wind
Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr alle ohne Hab
Als ein Weib euch eine Windel gab.
Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt
Und man holte euch nicht im Gefährt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt
Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.
Von der Erde voller kaltem Wind
Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.
Fast ein jeder hat die Welt geliebt
Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.
b.b.
Hier singt es Ernst Busch! Und auch das Gegenlied!
https://www.youtube.com/watch?v=pKAJM4dFkRo
Gegenlied zu VON DER FREUNDLICHKEIT DER WELT
Soll das heißen, daß wir uns bescheiden
Und „so ist es und so bleibt es“ sagen sollen?
Und die Becher sehend, lieber Dürste leiden
Nach den leeren greifen sollen, nicht den vollen?
Soll das heißen, daß wir draußen bleiben
Ungeladen in der Kälte sitzen müssen
Weil da große Herrn geruhn, uns vorzuschreiben
Was da zukommt uns an Leiden und Genüssen?
Besser scheint ’s uns doch, aufzubegehren
Und auf keine kleinste Freude zu verzichten
Und die Leidenstifter kräftig abzuwehren
Und die Welt uns endlich häuslich einzurichten!
Mittwoch, 30. Januar 2019
Montag, 28. Januar 2019
Gottes Vergessene Kinder - William Hurt
Gottes Vergessene Kinder - ein Film aus dem Jahr 1986 über eine für mich fremde Welt, die Welt der Gehörlosen, über eine mir unbekannte Art der Stille, über das, was Körper und Hände ausdrücken können. Über Musik. Über Liebe und Freiheit.
Der eigentliche Titel, den Randa Haines ihrem Film gab, war Children of a lesser God, was man mit Kinder eines geringeren Gottes übersetzen könnte. Eine Provokation, eine Verhöhnung zum Zwecke des Aufmerksam-Machens. Aber damit konnte sich der deutsche Filmverleih nicht anfreunden, er wollte sicherstellen, dass wir auf die "richtige" Weise gucken, vorbereitet sind, um in unserem Urteil nicht unwissend irren.
William Hurt - Kuss der Spinnenfrau, Body Heat, Der Große Frust (The Big Chill), Gorki Park, Die Reisen Des Mr. Leary (The Accidental Tourist), Broadcast News und und und - ein schöner Mann mit einem großflächigen, sehr amerikanischen Gesicht, über das seine Gedanken, Gefühle wie zarte Wellen liefen. Sechzehn unterschiedliche Dinge hintereinander, sich auseinander entwickelnd. Augen verändern den Winkel, der Mund verbiegt sich, der Körper verändert die Spannung. Ganz und gar außergewöhnlich. Er hat viel Theater gespielt und machte seinem Ruf als anstrengend alle Ehre. Anstrengend klingt abfällig, das schwer Erreichbare erreichen wollen, verlangt aber manchmal eben diese Anstrengung. Kompatibel ist nicht wirklich ein Kompliment, aber es ist wirtschaftlicher.
Hurt war hübsch genug, um jedermans Liebling zu sein und einsam genug, um dies nicht ertragen zu können. Er hat sich fast zu Tode gesoffen, schlechte Filme gemacht und kämpft sich jetzt langsam wieder in die Rollen vor, die ihm zustehen.
Es gibt sie wirklich, die gigantischen Talente, die zu empfindsam, zu aufmerksam, zu verletzbar, zu unsicher sind, um das schwere Gewicht ihrer Gabe unter dem Druck der industriellen Verwertung auf die Dauer auszuhalten. Brando und Elvis haben sich totgefressen, Ledger, Phoenix, Belushi sich totgedröhnt, die weiblichen Mitglieder dieser Gruppe flüchten in chirurgische Experimente oder eben auch in den Alkohol oder die Chemie. Andere wachsen stabiler auf. Ihr Glück. Welchen Preis bezahlen sie?
Der eigentliche Titel, den Randa Haines ihrem Film gab, war Children of a lesser God, was man mit Kinder eines geringeren Gottes übersetzen könnte. Eine Provokation, eine Verhöhnung zum Zwecke des Aufmerksam-Machens. Aber damit konnte sich der deutsche Filmverleih nicht anfreunden, er wollte sicherstellen, dass wir auf die "richtige" Weise gucken, vorbereitet sind, um in unserem Urteil nicht unwissend irren.
William Hurt - Kuss der Spinnenfrau, Body Heat, Der Große Frust (The Big Chill), Gorki Park, Die Reisen Des Mr. Leary (The Accidental Tourist), Broadcast News und und und - ein schöner Mann mit einem großflächigen, sehr amerikanischen Gesicht, über das seine Gedanken, Gefühle wie zarte Wellen liefen. Sechzehn unterschiedliche Dinge hintereinander, sich auseinander entwickelnd. Augen verändern den Winkel, der Mund verbiegt sich, der Körper verändert die Spannung. Ganz und gar außergewöhnlich. Er hat viel Theater gespielt und machte seinem Ruf als anstrengend alle Ehre. Anstrengend klingt abfällig, das schwer Erreichbare erreichen wollen, verlangt aber manchmal eben diese Anstrengung. Kompatibel ist nicht wirklich ein Kompliment, aber es ist wirtschaftlicher.
Hurt war hübsch genug, um jedermans Liebling zu sein und einsam genug, um dies nicht ertragen zu können. Er hat sich fast zu Tode gesoffen, schlechte Filme gemacht und kämpft sich jetzt langsam wieder in die Rollen vor, die ihm zustehen.
Es gibt sie wirklich, die gigantischen Talente, die zu empfindsam, zu aufmerksam, zu verletzbar, zu unsicher sind, um das schwere Gewicht ihrer Gabe unter dem Druck der industriellen Verwertung auf die Dauer auszuhalten. Brando und Elvis haben sich totgefressen, Ledger, Phoenix, Belushi sich totgedröhnt, die weiblichen Mitglieder dieser Gruppe flüchten in chirurgische Experimente oder eben auch in den Alkohol oder die Chemie. Andere wachsen stabiler auf. Ihr Glück. Welchen Preis bezahlen sie?
Sonntag, 27. Januar 2019
The Favourite - ein tolles Stück Schauspielkunst
The Favourite
Favourite heißt Günstling, Liebling, Lieblingsstück, wobei in diesem Fall alle Wörter weiblich gemeint wären.
The Favourite - Intrigen und Irrsinn
Da Favourite als Titel so einfach ist und ich so den Film vielleicht nicht verstehen würde, wurde, wie meist bei deutschen Titelübersetzungen, ein neongrelles Wegweiserchen, hier ein peinlich-pädagogisch-putziges Wortspiel, hintendran gehängt. Boa eh!
Aber der Film ist toll!
The Favourite
Giorgos Lanthimos hat Regie geführt und zwar im schönsten Sinne des Wortes, er bringt verschiedene Künstler zusammen, bündelt ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten, verdichtet sie, erhöht durch kluge Auswahl den Druck und es entsteht: ein Diamant.
Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone bilden eine entsetzliche Triade, entsetzlich komisch und ebenso traurig. Die spielen sich wirklich in hoher Dezenz den Arsch ab und die Seele aus dem Leib. Großartig. Colman als alternde, gichtgeplagte Queen Anne, Mutter von 17 toten Kindern, die sie nun als kleine weiße Kaninchen verhätschelt. Weisz ist ihre Kindheitsfreundin und Geliebte, politische Planerin und Jongleurin brennender Schwerter in einer von Männern dominierten Welt. Sie sagt den zentralen Satz des Films: "Liebe ist Wahrheit." Stone gerät in diese eigenartige, aber funktionierende Partnerschaft, als verarmte Verwandte mit gutem Herzen oder giftigem Ehrgeiz, oder beidem? Die drei spielen sich die Bälle zu, dass es nur so blitzt.
England führt wieder einmal Krieg mit Frankreich, Tories & Whigs kämpfen verbissen für ihre Interessengruppen. Krieg kostet Geld, Steuern sollen ihn finanzieren. Das Volk kommt nur als realpolitisches Erpressungsmittel und als Dienerschaft vor. Die Herrschenden bleiben unter sich.
Liebe und Politik, Kalkül und Sehnsucht, Verwöhntheit und Verletztheit, eins kippt ins andere und dann in wieder etwas anderes und man versteht und kichert und bedauert und erschrickt und wechselt die Fronten, nimmt mal für die eine, dann für ihre Gegnerin Partei und am Ende starrt man auf drei einsame kaputtgespielte Wesen, die wissen, das nichts Schönes mehr kommen wird.
Robbie Ryan, von I, Daniel Blake hat die Kamera geführt, manchmal ganz gradlinig, manchmal mit verzerrenden Linsen, die Schönheit der Interieurs einsaugend, auf Gesichtern lange verharrend. Die Kostüme sind von historischer Form, aber Farben, Material, Details schneiden dagegen, ebenso bei der Musik.
Fein, sehr fein.
Favourite heißt Günstling, Liebling, Lieblingsstück, wobei in diesem Fall alle Wörter weiblich gemeint wären.
The Favourite - Intrigen und Irrsinn
Da Favourite als Titel so einfach ist und ich so den Film vielleicht nicht verstehen würde, wurde, wie meist bei deutschen Titelübersetzungen, ein neongrelles Wegweiserchen, hier ein peinlich-pädagogisch-putziges Wortspiel, hintendran gehängt. Boa eh!
Aber der Film ist toll!
The Favourite
Giorgos Lanthimos hat Regie geführt und zwar im schönsten Sinne des Wortes, er bringt verschiedene Künstler zusammen, bündelt ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten, verdichtet sie, erhöht durch kluge Auswahl den Druck und es entsteht: ein Diamant.
Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone bilden eine entsetzliche Triade, entsetzlich komisch und ebenso traurig. Die spielen sich wirklich in hoher Dezenz den Arsch ab und die Seele aus dem Leib. Großartig. Colman als alternde, gichtgeplagte Queen Anne, Mutter von 17 toten Kindern, die sie nun als kleine weiße Kaninchen verhätschelt. Weisz ist ihre Kindheitsfreundin und Geliebte, politische Planerin und Jongleurin brennender Schwerter in einer von Männern dominierten Welt. Sie sagt den zentralen Satz des Films: "Liebe ist Wahrheit." Stone gerät in diese eigenartige, aber funktionierende Partnerschaft, als verarmte Verwandte mit gutem Herzen oder giftigem Ehrgeiz, oder beidem? Die drei spielen sich die Bälle zu, dass es nur so blitzt.
England führt wieder einmal Krieg mit Frankreich, Tories & Whigs kämpfen verbissen für ihre Interessengruppen. Krieg kostet Geld, Steuern sollen ihn finanzieren. Das Volk kommt nur als realpolitisches Erpressungsmittel und als Dienerschaft vor. Die Herrschenden bleiben unter sich.
Liebe und Politik, Kalkül und Sehnsucht, Verwöhntheit und Verletztheit, eins kippt ins andere und dann in wieder etwas anderes und man versteht und kichert und bedauert und erschrickt und wechselt die Fronten, nimmt mal für die eine, dann für ihre Gegnerin Partei und am Ende starrt man auf drei einsame kaputtgespielte Wesen, die wissen, das nichts Schönes mehr kommen wird.
Robbie Ryan, von I, Daniel Blake hat die Kamera geführt, manchmal ganz gradlinig, manchmal mit verzerrenden Linsen, die Schönheit der Interieurs einsaugend, auf Gesichtern lange verharrend. Die Kostüme sind von historischer Form, aber Farben, Material, Details schneiden dagegen, ebenso bei der Musik.
Fein, sehr fein.
© 2019 Twentieth Century Fox Film Corporation.
Freitag, 25. Januar 2019
Spielen macht Spaß
Ja!
Spielen macht Spaß.
Und wie. Noch immer, auch nach 25 Jahren auf der "anderen", der dunklen Seite.
Acht Wochen Proben von 12 bis circa 20.00 Uhr. Die Regisseurin ist hochmusikalisch, scheint das Stück als eine durchkomponierte Partitur im Kopf zu haben. Eine für mich neue, aber durchaus mögliche Arbeitsweise. Fragen, Einwände, Eigenwilligkeiten mag sie eher nicht.
12 Spieler, darunter drei Regisseure, liefern sich aus.
Wir alle wollen spielen.
Szenenübergreifende Zusammenhänge sind diesmal nicht meine Verantwortung. Bühne, Kostüme (außer mein eigenes), Licht, Ton, Requisiten gehen mich nichts an. Ich bin nur zuständig für Frau Dupperi, die siebzigjährige Nachbarin, die erst nach der Pause auftritt, flehentlich nach Familienanschluss sucht und dann völlig unerwartet Kraft zum Widerstand findet.
Meist gelingt mir diese Konzentration in den Proben gut. Die völlige Fixation auf die Geschichte meiner Figur hält mich wach und gebündelt.
Wie spielt man eine Einsamkeit, die sich jemand selbst nicht eingestehen kann?
Die Regisseurin gibt die Form, den Ton, die Melodie vor, diese Artifizialität zu unterfüttern ist mein Job, den ich gerne tue. Sie ist präzise und kurzangebunden, energiegeladen und ungeduldig. Ihr Text ist gut, sozial auf den Punkt, wenn auch schwankend zwischen der Entstehungszeit des Stücks in den 80ern und den Aktualisierungen zu unserer Zeit. Handys werden erwähnt, aber nicht genutzt und Mamas Familiengeschichte aus einem Land nach dem Zweiten Weltkrieg ist sehr stark, aber verschiebt die Zeitlinie.
Erwischt, hier spricht die Regisseurin.
Spielen in innerer Freiheit, alle Verabredungen einhaltend, das ist Glück!
Und dieses Glück ist nur selten zu haben, man muß es sich erkämpfen, erarbeiten.
Aber.
Immer dieses Aber. Warum feiern im deutschen Theater hierarchische Strukturen ihr Überleben, die wir an anderen Orten verächtlich niedermachen würden? Ich meine nicht, die notwendige Aufgabenverteilung zwischen Spieler und Hutaufhaber, die für mich in der Notwendigkeit des distanzierten Blickes begründet ist. Aber sozialer und psychologischer Druck sind subtil oder gleißend grell immer ein Mittel der Machtausübung oder des Mißbrauchs derselben. Ich habe also Einiges gelernt, was meinen eigentlichen Beruf betrifft. Will ich brave Spieler? Wieviel Widerspruch halte ich aus, wieviel ist sogar unbedingt nötig, um meine Arbeit voranzutreiben, besser zu machen? Ich will Kooperation, zu deutsch Zusammenarbeit, bei klarer Aufgabenverteilung, Respekt und Strenge, Höflichkeit ist angebracht, auch wenn es eine geradezu vom Aussterben bedrohte Umgangsform scheint. Der Regisseur sollte sich genauso ausliefern wie die Spieler. Wir sollten das Risiko gemeinsam tragen, oder?
Das schönste Kompliment hat mir zur Premiere ein Kollege gemacht, den ich sehr verehre. "Du bist gut, weil Du nicht weißt, was Du tust." Ich: "Hä?" Er: "Du spielst einfach. Wenn einer Schauspieler ist, nehme ich an, dass er einen Handstand kann, er muß ihn nicht zeigen, muß auch nicht andeuten, dass er ihn jederzeit könnte, er muß nur spielen."
Der unsichtbare Handstand, das ist Spiel im Glück.
Spielen macht Spaß.
Und wie. Noch immer, auch nach 25 Jahren auf der "anderen", der dunklen Seite.
Acht Wochen Proben von 12 bis circa 20.00 Uhr. Die Regisseurin ist hochmusikalisch, scheint das Stück als eine durchkomponierte Partitur im Kopf zu haben. Eine für mich neue, aber durchaus mögliche Arbeitsweise. Fragen, Einwände, Eigenwilligkeiten mag sie eher nicht.
12 Spieler, darunter drei Regisseure, liefern sich aus.
Wir alle wollen spielen.
Szenenübergreifende Zusammenhänge sind diesmal nicht meine Verantwortung. Bühne, Kostüme (außer mein eigenes), Licht, Ton, Requisiten gehen mich nichts an. Ich bin nur zuständig für Frau Dupperi, die siebzigjährige Nachbarin, die erst nach der Pause auftritt, flehentlich nach Familienanschluss sucht und dann völlig unerwartet Kraft zum Widerstand findet.
Meist gelingt mir diese Konzentration in den Proben gut. Die völlige Fixation auf die Geschichte meiner Figur hält mich wach und gebündelt.
Wie spielt man eine Einsamkeit, die sich jemand selbst nicht eingestehen kann?
Die Regisseurin gibt die Form, den Ton, die Melodie vor, diese Artifizialität zu unterfüttern ist mein Job, den ich gerne tue. Sie ist präzise und kurzangebunden, energiegeladen und ungeduldig. Ihr Text ist gut, sozial auf den Punkt, wenn auch schwankend zwischen der Entstehungszeit des Stücks in den 80ern und den Aktualisierungen zu unserer Zeit. Handys werden erwähnt, aber nicht genutzt und Mamas Familiengeschichte aus einem Land nach dem Zweiten Weltkrieg ist sehr stark, aber verschiebt die Zeitlinie.
Erwischt, hier spricht die Regisseurin.
Spielen in innerer Freiheit, alle Verabredungen einhaltend, das ist Glück!
Und dieses Glück ist nur selten zu haben, man muß es sich erkämpfen, erarbeiten.
Aber.
Immer dieses Aber. Warum feiern im deutschen Theater hierarchische Strukturen ihr Überleben, die wir an anderen Orten verächtlich niedermachen würden? Ich meine nicht, die notwendige Aufgabenverteilung zwischen Spieler und Hutaufhaber, die für mich in der Notwendigkeit des distanzierten Blickes begründet ist. Aber sozialer und psychologischer Druck sind subtil oder gleißend grell immer ein Mittel der Machtausübung oder des Mißbrauchs derselben. Ich habe also Einiges gelernt, was meinen eigentlichen Beruf betrifft. Will ich brave Spieler? Wieviel Widerspruch halte ich aus, wieviel ist sogar unbedingt nötig, um meine Arbeit voranzutreiben, besser zu machen? Ich will Kooperation, zu deutsch Zusammenarbeit, bei klarer Aufgabenverteilung, Respekt und Strenge, Höflichkeit ist angebracht, auch wenn es eine geradezu vom Aussterben bedrohte Umgangsform scheint. Der Regisseur sollte sich genauso ausliefern wie die Spieler. Wir sollten das Risiko gemeinsam tragen, oder?
Foto: Franziska Strauss |
Der unsichtbare Handstand, das ist Spiel im Glück.
Sonntag, 13. Januar 2019
Macbeth am Berliner Ensemble
Ja. - Morgen und morgen und morgen. Das kriecht
Mit diesem kleinen Schritt von Tag zu Tag
Zur letzten Silbe. Der Rest ist aus der Zeit.
All unsere Gesten , von Blinden am Seil geführt
In staubiges Nichts. Weißt du was anderes, Seyton.
Aus, kurze Flamme. Leben ein Schatten der umgeht
Ein armer Spieler, der sich spreizt und sperrt
Auf seiner Bühne eine Stunde lang
Und nicht gehört wird nachdem. Ein Märchen, erzählt
Von einem Irren, voll mit Lärm und Wut
Bedeutend nichts.
Wenn Shakespeare und Müller aufeinandertreffen, entsteht wundervolle
Sprachkunst, in deutscher Sprache.
Und nun dieser Abend inszeniert von Michael Thalheimer in strenger Konsequenz.
Der Bühnenraum ausschließlich über Licht definiert, großartige Lichtkompositionen, sparsam, genau und schlau die Farbfilter nutzend.
Etwas weniger "schottischer" Nebel hätte auch genügt. Die Kostüme klar und irgendwie wie immer. Schwarze Anzüge, edle Damenkleider, Nacktkörperanzüge.
Sehr viel Blut.
Die Spieler sprechen, schreien, pressen, brüllen präzise und verständlich.
Nur sechs Spieler übrigens, Nathan, Becker, Nest, Wehlisch, Hülsmann, Kohrt.
Einige ganz tolle Bilder.
Der tote Banquo, der auf dem Rücken des schwadronierenden Macbeth imaginäre
Herrschaftsgesten in die Runde wirft, die kleine "Weg!"-Geste von Macbeth, wie
er entdeckt, was fünf leicht bewegte Finger bewirken können, wenn man König ist.
Aber. Aber was genau ist diese Macht, die hier durchexperimentiert wird. Sie bleibt
im Vagen, MACHT AN SICH. Aber. Über wen? Zu welchem Zweck? Macht es Spaß
sie zu haben? Hier nicht. Was kann ich mit Macht tun, was ich sonst nicht tun könnte?
Wann genau kommt mir mein Gewissen abhanden? Oder ist auch das Gewissen nur
ein zivilisatorisches Konstrukt? Macht ist konkret. Machtmißbrauch auch.
Flüchten wir uns in solch apokalyptischen Visionen, weil wir zu träge, zu ängstlich, zu
selbstbezogen sind konkret zu denken? Niemand hat eine Lösung, aber wenn wir nur noch ganz allgemeine Fragen stellen, nein, nicht Fragen, mulmige Unterstellungen, dann wird
der Weltuntergang ein bisschen wie ein Disneyland für Zyniker. Unsere Todesangst wird als "Ausrede" für all das Schlechte in der Welt stilisiert.
Die Welt ist schlecht, der Mensch ist es auch, es ist ein ewiger Kreislauf. Ist das so?
Aber auch Herr Thalheimer ißt nach der Vorstellung ein Nachtmahl, küsst seine Frau, Freundin, oder küsst niemanden und guckt Fernsehen, liest ein Buch, er mag Regen oder Sonnenschein, das Laub im Herbst oder Sand unter den Füßen.
Und weil ich diesen Widerspruch fühle, lassen mich Abende wie dieser, merkwürdig kühl.
Ich liebe das Leben, will noch lang nicht sterben und erfahre immer wieder, dass der
Mensch halt nicht nur mies und böse ist. Nennt mich einen zynischen Optimisten.
Mit diesem kleinen Schritt von Tag zu Tag
Zur letzten Silbe. Der Rest ist aus der Zeit.
All unsere Gesten , von Blinden am Seil geführt
In staubiges Nichts. Weißt du was anderes, Seyton.
Aus, kurze Flamme. Leben ein Schatten der umgeht
Ein armer Spieler, der sich spreizt und sperrt
Auf seiner Bühne eine Stunde lang
Und nicht gehört wird nachdem. Ein Märchen, erzählt
Von einem Irren, voll mit Lärm und Wut
Bedeutend nichts.
Wenn Shakespeare und Müller aufeinandertreffen, entsteht wundervolle
Sprachkunst, in deutscher Sprache.
Und nun dieser Abend inszeniert von Michael Thalheimer in strenger Konsequenz.
Der Bühnenraum ausschließlich über Licht definiert, großartige Lichtkompositionen, sparsam, genau und schlau die Farbfilter nutzend.
Etwas weniger "schottischer" Nebel hätte auch genügt. Die Kostüme klar und irgendwie wie immer. Schwarze Anzüge, edle Damenkleider, Nacktkörperanzüge.
Sehr viel Blut.
Die Spieler sprechen, schreien, pressen, brüllen präzise und verständlich.
Nur sechs Spieler übrigens, Nathan, Becker, Nest, Wehlisch, Hülsmann, Kohrt.
Einige ganz tolle Bilder.
Der tote Banquo, der auf dem Rücken des schwadronierenden Macbeth imaginäre
Herrschaftsgesten in die Runde wirft, die kleine "Weg!"-Geste von Macbeth, wie
er entdeckt, was fünf leicht bewegte Finger bewirken können, wenn man König ist.
Aber. Aber was genau ist diese Macht, die hier durchexperimentiert wird. Sie bleibt
im Vagen, MACHT AN SICH. Aber. Über wen? Zu welchem Zweck? Macht es Spaß
sie zu haben? Hier nicht. Was kann ich mit Macht tun, was ich sonst nicht tun könnte?
Wann genau kommt mir mein Gewissen abhanden? Oder ist auch das Gewissen nur
ein zivilisatorisches Konstrukt? Macht ist konkret. Machtmißbrauch auch.
Flüchten wir uns in solch apokalyptischen Visionen, weil wir zu träge, zu ängstlich, zu
selbstbezogen sind konkret zu denken? Niemand hat eine Lösung, aber wenn wir nur noch ganz allgemeine Fragen stellen, nein, nicht Fragen, mulmige Unterstellungen, dann wird
der Weltuntergang ein bisschen wie ein Disneyland für Zyniker. Unsere Todesangst wird als "Ausrede" für all das Schlechte in der Welt stilisiert.
Die Welt ist schlecht, der Mensch ist es auch, es ist ein ewiger Kreislauf. Ist das so?
Aber auch Herr Thalheimer ißt nach der Vorstellung ein Nachtmahl, küsst seine Frau, Freundin, oder küsst niemanden und guckt Fernsehen, liest ein Buch, er mag Regen oder Sonnenschein, das Laub im Herbst oder Sand unter den Füßen.
Und weil ich diesen Widerspruch fühle, lassen mich Abende wie dieser, merkwürdig kühl.
Ich liebe das Leben, will noch lang nicht sterben und erfahre immer wieder, dass der
Mensch halt nicht nur mies und böse ist. Nennt mich einen zynischen Optimisten.
Foto: Matthias Horn
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