Eine U-Bahnstation in Berlin in diesem Dezember. Das Jahr ist 2016. Eine Frau im schwarzen Kapuzenmantel zögert einen Augenblick, geht dann eine U-Bahntreppe hinunter, ein rauchender Mann mit einer Bierflasche in der Hand, der kurz hinter ihr im Bild auftaucht, guckt kurz auf sie, folgt ihr und tritt ihr mit seinem Fuß hart in den Rücken, sie stürzt die Treppe herunter, der Mann geht weg, immer noch mit der Zigarette im Mund, dem Bier in der Hand, einer seiner Begleiter folgt ihm ungerührt, ein anderer stockt und starrt, aber dann doch nur auf eine Bierflasche, die scheinbar auf die Stufen gefallen ist. Er hebt diese auf und geht den anderen Männern nach.
Die Frau hat sich glücklicherweise nur den Arm gebrochen, welche psychischen Folgen sie zu ertragen haben wird, kann ich nicht einmal erahnen.
Was war das? Was ist das? Was?
Ich bin Nachts auf den Strassen verschiedener Städte ein recht furchtfreier Mensch - durch Glück - denn mir ist bisher nie körperliche Gewalt angetan worden. Andere Frauen beschreiben ihre ständige Wachsamkeit, ihre Sofortreaktion, wenn sie nächtens auf betrunkene oder einfach nur in Gruppen herumstehende Männer treffen. Sie haben eben andere Erfahrungen als ich gemacht.
Aber -
Was war das? Was ist das? Was?
Was war das? Was ist das? Was?
Das sind, für mich, Fragen jenseits einfacher populistischer "früher war alles besser" Binsenwahrheiten. Warum hat jemand den Wunsch einem ihm unbekannten Menschen Schmerzen zuzufügen, ihn vielleicht sogar zu töten? Wie kommt es zu dieser völligen Abwesenheit von Empathie? Ganz als würde keinerlei Zusammenhang zwischen Tun und Folgen des Tuns hergestellt. "Mir ist gerade so." Ich will Sex, also zwinge ich jemand anderen dazu, um zu bekommen, was ich will. Ich bin wütend, also muß irgendjemand meinem Zorn zum Opfer fallen, egal wer. Ich langweile mich und fülle meine Ödnis mit den Schmerzen eines anderen Menschen.
Sicher habe ich schon einen keineswegs Beteiligte angemotzt, weil ich schlechte Laune hatte. Sicher habe ich schon verbal meine Wut über etwas momentan Nichtänderbares an einem Unschuldigen abgelassen. Sicher bin ich nicht immer fair oder sensibel.
Aber -
Was war das? Was ist das? Was?
Einen anderen Menschen schlagen, treten, mit einer Waffe verletzen, ihm Gewalt antun. Warum tue ich das nicht? Und andere tun es? Bin ich ein Glückskind? Geschützt durch glückliche Umstände und genetische Zufälle? Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? - fragte Georg Büchner im Woyzeck. Die sind schlecht und ich bin es nicht, scheint mir keine ausreichende, hilfreiche Erklärung zu bieten. Gibt es keine bessere? Ich verabscheue vereinfachende Erklärungen und doch hätte ich gern irgendeine.
Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?
ich weiss keine Antwort auf diese so dringliche Frage, aber ohne nachzudenken beim nur schwer ertragbaren Anschauen des Videos bin ich in ihr und nicht in ihm, zucke ich beim fallen schmerzhaft zusammen, fühle ich ihre "vergewaltigte" Ahnungslosigkeit... ich schätze mich glücklich ob dessen, besser nicht ich aber in jedem Fall besser aufgehoben in mir.
AntwortenLöschenViele Verbrechen, die die Denkweise normal sozialisierter Gehirne überfordern, kann man auf einen recht simplen Mechanismus herunterbrechen - Macht.
AntwortenLöschenBesonders das Bedürfnis nach dem Gefühl von Macht in jenen, die sich machtlos empfinden. Die sich fremdbestimmt empfinden, die frustriert empfinden, dass sie nicht die Wertschätzung erfahren, von der sie glauben, dass sie ihnen zusteht, die weniger entscheiden dürfen, als sie wollen.
Der Moment, wo solche Menschen entscheiden ob jemand unverletzt bleibt oder nicht, der Moment, wo sie mit einem anderen Menschen nach ihrem Willen verfahren... im schlimmsten Fall sogar entscheiden, ob ein Mensch lebt oder stirbt... ist ein Moment von Macht und Dominanz. Ein Moment, der sie über andere erhebt, nicht selten durch das Mittel der Gewalt.
Ausdrücklich... das entschuldigt gar nichts. Es gibt lediglich eine Erklärung für Taten, die schockierend unerklärlich scheinen und fassungslos machen.
Ich empfehle die Lektüre von John E.Douglas. Keine schöne Lektüre und nur eine gute, wenn man einen Blick in die Kellergewölbe menschlicher Gehirne werfen will.