Dienstag, 26. Juli 2016

Meine kleine Weltreise - Ferien mit Faulsein & Kultur - Teil 2

NEW YORK

Nur zwei Tage. Tolle Leute kennengelernt. Viel zugehört. Eine wunderbare deutsche Malerin, die Anfang der Achtziger nach New York kam, ihr Deutsch durchsetzt mit Redewendungen, die aus der Zeit fallen. 
Verwandte besucht. Sie sehen aus wie meine Mutter, sind aber so ganz anders. Dazwischen laufen, gucken, laufen, gucken, laufen. Tagsüber bei bis zu 39 Grad langsam und mit Pausen fürs Sitzen und Gucken. Nachts schneller und länger.
Eine alte Frau mit Morbus Bechterew, je Schlurfschritt kommt sie etwa 5 Zentimeter vorwärts, nach 5 Schritten pausiert sie, blickt mühsam auf und weiter. Sie war einkaufen, ich habe ihr eine Viertelstunde zugeschaut. Derweil hat sie 5 Meter zurückgelegt. In einem Fenster ein kleines Schild: When too perfect lieber Gott böse. (Nam June Paik) 

Hamilton ein Musical, wie es noch keines vorher gab. Was gänzlich Neues. So wie es, zu seiner Zeit, wahrscheinlich "West Side Story" war. Ein Ensemble von bleichweiß bis ebenholzschwarz singt, tanzt, spielt die Lebensgeschichte des Sohnes einer Hure und eines Schotten, geboren an einem vergessenen Ort in der Karibik, arm und verdreckt, der zum Helden und Gelehrten wurde: die Biographie des Alexander Hamilton, des erste Finanzministers der jungen USA und eines ihrer Gründungsväter, sein Gesicht ziert heute den Zehn-Dollar-Schein.

How does a bastard, orphan, son of a whore and a
Scotsman, dropped in the middle of a
Forgotten spot in the Caribbean by providence
Impoverished, in squalor
Grow up to be a hero and a scholar?

Das Ding ist unübersetzbar und grandios. Acht Jahre hat Miranda an den Texten und der Musik gearbeitet. Jede Figur hat eine eigene Art der Lyrik, eigene Musik, eigene Bewegungen. Jefferson jazzt, Washington gospelt, der englische König ätzt mit Pop. Die Stilarten des Hip-hop sind individuell differenziert. Ich habe vielleicht 75 Prozent verstanden und war drei Stunden wie hypnotisiert auf die Wörter konzentriert. Das Bühnenbild funktioniert perfekt, die Kostüme erzählen was ich wissen muß und sind flixt veränderbar, die Choreographie erzählt. Es wird marschiert, aber jedesmal anders und überraschend. Alles was vorher war wird nutzbringend verwendet, Bob Wilson, Pina Bausch, Verfremdung, Peter Brook, Steppenwolf und Leonard Bernstein. Aber nie bleibt es im Zitat stecken, immer ist es notwendig für die beste Art die Geschichte zu erzählen. Die Spieler sind konzentriert und entspannt. Welches Wort passt Geil? Überwältigend? Atemberaubend?

Hier kann man auch die Originalaufnahmen hören.

The ten-dollar founding father without a father
Got a lot farther by working a lot harder
By being a lot smarter
By being a self-starter
By fourteen, they placed him in charge of a
Trading charter

Wie zum Beispiel in Hamilton das Wort "shot" verwendet wird. I am not throwing away my shot! = Ich werde meine Chance nicht vertun. So stellt er sich vor. Der nächste "Shot" ist ein Drink, den Hamilton mit Freunden nimmt und später ist es ein "shot" der ihn töten wird, ein Schuß.
Miranda ist ein Dichter, ein Dramatiker, Poet. Ein intuitiver Rebell. Und indem das Ensemble so wild gemischt ist, hat man das Gefühl, das die aus der Geschichte Entfernten, die Verschwiegenen, Mißbrauchten, sie, die ja auch ihre Geschichte ist, für sich zurückerobern.
Die Vorstellungen sind bis zum nächsten Sommer ausverkauft, und jährlich bekommen 20 000 Jugendliche verbilligte Karten, als theatralischen Geschichtsunterricht.

Und wieder Wiki: Hamilton ist ein Musical von Lin-Manuel Miranda über das Leben des amerikanischen Gründervaters Alexander Hamilton. Miranda wurde durch das Buch Alexander Hamilton von Ron Chernow zum Schreiben des Musicals inspiriert. Die Off-Broadway-Premiere fand am 20. Januar 2015 statt. Seit dem 6. August 2015 ist Hamilton regelmäßig auf dem Broadway zu sehen. Derzeit sind Inszenierungen in Chicago und London sowie eine überregionale Tour in den Vereinigten Staaten geplant. Hamilton wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 11 Tony Awards und ein Pulitzer-Preis. Die Aufnahme des Musicals gewann einen Grammy Award als „Best Musical Theater Recording".
 
 
"Tiefschürfend, kühn und zutiefst bewegend ist es ein allseits gefeiertes Meisterwerk, wohl das erste wirkliche Hip-Hop-Musical. Auch wenn eine Verfilmung noch nicht in Arbeit ist, wirkt es bereits über den Broadway hinaus und wird zu einem echten Phänomen - wahrscheinlich ist es das erste popkulturelle Werk, das gleichermaßen von Barack Obama, Dick Cheney, Lena Dunham, Joss Whedon and Steven Van Zandt gelobt wird. Es verbindet den Broadway wieder mit zeitgenössischer Musik und da eine überwiegend schwarze und lateinamerikanische Besetzung Washington, Jefferson usw. spielt, holt es die amerikanische Geschichte zu den Menschen zurück, die im Narrativ nur Randerscheinungen waren." Rolling Stone. 29. September 2015
 
Die Gegenveranstaltung:  Der Parteitag der Republikaner in Cleveland/Ohio

Ein Präsidentsschaftskandidat dessen bevorzugtes Mittel der Wahl die grobe 
Provokation ist, sagt, was sich bisher keiner zu sagen wagte, egal was es für 
ein Dreck ist, lügt was das Zeug hält und wird schrill schreiend umjubelt. 
Sein Publikum ist überwiegend weiß und christlich. Er hat gute Chancen der 
nächste Präsident zu werden.

 

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