Montag, 25. Juli 2016

Meine kleine Weltreise - Ferien mit Faulsein & Kultur - Teil 1

Ich hatte einen tollen, tollen Urlaub, erstmals sogar ohne Blog, ein komisches Gefühl zuerst, aber es war offensichtlich notwendig.
Eine der schöneren Seiten des Älterwerdens scheint mir, die duldende Geduld den eigenen Bedürfnissen gegenüber zu sein. Größere Gelassenheit, weniger Normopathie. (Ein von mir neugelerntes Wort meiner Freundin Ö., ein Wort, dass man kennen sollte. Wiki definiert es so: Unter Normopathie wird eine Persönlichkeitsstörung des Menschen verstanden, die sich in einer zwanghaften Form von Anpassung an vermeintlich vorherrschende und normgerechte Verhaltensweisen und Regelwerke innerhalb von sozialen Beziehungen und Lebensräumen ausdrückt. Ein treibendes Moment hierbei ist das unter Aufgabe der eigenen Individualität übersteigerte Streben nach Konformität, das letztlich zu unterschiedlichen Beschwerdebildern und Symptomatiken führt und sich zu einem pathologischen Geschehen ausweiten kann.)
Ist ein Buch auf Seite 50 immer noch öde, lese ich nicht weiter. Weckt eine allgemein "gehypte" Fernsehserie nach Teil 3 immer noch nicht mein Interesse, schalte ich aus. Langweilt mich jemand zu sehr, vermeide ich den Kontakt in Zukunft. Mag mich jemand nicht, schade, aber auch gut.
Ich spare viel Zeit, von der ich zunehmend weniger habe! Und wenn ich halt mal undiszipliniert sein möchte, gestatte ich es mir.
Mein Urlaub. Gar nix tun, aber auch mich mit zufälligen Eindrücken vollfuttern, was auch immer mir begegnet genießen, schlafen, essen, durch Städte laufen, viel laufen, quatschen und auch reden, Krimis lesen, Theater nur mal so gucken, schlafen, essen.

LONDON

Die Dreigroschenoper am National Theater, eine brandneue Adaption von Simon Stephens voll heutiger grober Frechheit aber leider ohne viel Poesie, und in einer konservativen Inszenierung ohne Härte. Warum splaziert man eine so moderne Übersetzung in ein ungenaues London/Berlin der Zwanziger Jahre? Aber der Abend ist immens erfolgreich, ausverkauft bis auf Weiteres. Rory Kinnear und Nick Holder als Macheath und Peachum sind präzis und bös, Polly ödet extrem. Nix Neues, nix Schlimmes.


Florence Foster Jenkins ein Film über die Hoffnung, ein Film über das Versagen, über die Liebe zur Musik und die unerklärliche und unbesiegbare Macht der Selbsttäuschung. Meryl Streep konkurrenzlos gräßlich und ganz wunderbar, ihr Körper tanzt die schrecklich falschen Töne, die sie auswendig lernen mußte, um bloß nicht richtig zu singen. Sie liefert sich, und damit uns, der grandiosen Megalomanie dieser maßlos verwöhnten, armen Frau aus. Und dazu ein gut gealterter Hugh Grant, als rückratloser Versager voll tiefer, wahrer Liebe. Also, ich hab geweint, und gleichzeitig gelacht.

Vor vielen Jahren hat ein Dichter, Jörg-Michael Koerbl, unangekündigt, während einer Lesung seines Stückes "Zauberstein" Gesänge der Florence Foster Jenkins zwischen den Szenen eingespielt - ich lag hilflos lachend unter dem Tisch und konnte nur unter Aufbringung allergrößter Anstrengung weiterhin meinem Beruf nachgehen.

Die Platte mit den Aufnahmen ihrer Lieder heißt: "The glory of the human voice" oder verdeutscht: "Die Pracht der menschlichen Stimme".

https://www.youtube.com/watch?v=-quQHNriV-Q

"Sie können sagen, dass ich nicht singen konnte. Aber sie können nicht sagen, dass ich nicht gesungen habe."

Genauer kann man unser aller Hoffnung nicht formulieren.

                                                 TORONTO

Toronto, so schön wie immer, so erfrischend unaufregend wie immer. Es ist fast wie ein zweites Zuhause.

Ich gucke ein bißchen Fringe, ein Indie-Theaterfestival, und anderthalb mal Freilicht Shakespeare, ich esse viel chinesisches Essen, das so gar nicht europäisch schmeckt. Zwei Drittel der Kinder hier sind Mischlinge, Blendlinge. Also Menschen verschiedener Herkunft haben sich zusammengetan und Kinder gezeugt, Rassismus hat weniger Chancen, wenn international gevögelt wird. Was ist mein deutsches Heimatland doch noch ahnungslos weiß. Wir und unsere Einwanderer wohnen doch überwiegend nebeneinander her, aber hier wird vermischt, vermanscht, verwirbelt. Der Fremde, bei dem ich mein Gemüse kaufe, der meine Zähne repariert, der mich Französisch lehrt, der mein Nachbar ist, den ich liebe, dem ich Zucker leihe, dieser Fremde ist weniger fremd, als der den ich nur theoretisch akzeptiere. "The truth is in the pudding." Die Wahrheit zeigt sich im Pudding.
Eine Bekannte und bekennende Ausländerfeindin verliebt sich in einen Kroaten und unterscheidet nun zwischen "den Ausländern" und "ihren Ausländern".

                                            MONTREAL

Cité Mémoire - Montreal wird im Jahr 2017 dreihundertfünfundsiebzig (375) Jahre alt werden. Es feiert auf ganz eigene Art. Beim Schlendern durch die Altstsadt begegnen mir immer wieder großen Videoinstallationen projeziert auf große Brandmauern. Jede erzählt die Geschichte einer Person oder eines Ereignisses der Stadtgeschichte. Ich laufe, erlaufe die Stadt und schaue. Eine "App" liefert mir den Audioanteil. In einer kleinen Gasse verwandelt sich der Boden plötzlich per Video in einen Wasserstrom, dann schwimmen Lachse vorbei, dann trocknet das Wasser weg und meine Fußtritte verändern die Farbe des Bodens. Keine Ahnung wie sie das gemacht haben. Bewegungsmelder? Videoabtastung? Zauber der Interaktivität.


Von Silvia gefunden:  https://www.youtube.com/watch?v=YVAAb_LzL9U

 




 

 

The 10th birthday of the Grande Bibliothèque - The Library at Night - Die Bibliothek bei Nacht
Robert Lepage nennt es die ambitionierteste Anwendung der Oculus Rift Virtual-Techonologie bisher. Die Ausstellung, die den 10. Jahrestag der Großen Bibliothek von Montreal feiert, lädt den Besucher zum Besuch von zehn Bibliotheken in aller Welt, aus vielen Zeiten ein. Neun sind real, eine ist imaginär, die Bibliothek des Kapitän Nemo. Die Richtung meines Blickes, meiner Augen wählt aus zehn Symbolen das erwünschte aus. Mein Körper löst sich auf, ich bin, ohne selbst sichtbar anwesend zu sein, in einem Raum gefüllt mit Büchern. Virtuell, doch wie ohne Ort, meine Hände greifen den Tisch, um nicht verloren zu gehen. Nach 45 Minuten bin ich schwindelig, aber satt von Bildern.

                                VERMONT

Vermont sieht aus wie Europa, nur größer. Dünn besiedelt, zu 95 Prozent weiß, arm, schön. Mischwälder, Hügel, Seen. Die Dörfer haben angesächsische und deutsche Namen. Aber auch hier ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Im örtlichen Supermarkt hängt an der Kasse eine lange Liste, der Leute, deren Schecks nicht mehr angenommen werden. Der Saloon, am Eingang ein Schild: keine Messer, keine Waffen, hat eine noch längere Liste gesperrter Gäste. Aber auch viele Bio-Bauern, Bio-Imker, Bio-was-auch-immer.





                             Bread & Puppett Theatre


Mittendrin das Bread & Puppett Theater in Glover. Wiedereinmal Wiki: Das Bread and Puppet Theater ist eine US-amerikanische Theatergruppe, die sich der Mittel des Puppentheaters bedient und sich dem Genre des politischen Theaters zurechnen lässt. Herausragendes Merkmal des Kollektivs ist die Verwendung von Masken und von bis zu fünf Meter hohen Großpuppen, die wie Stabfiguren bewegt werden können. Da die Hauptaufführungsorte öffentliche Plätze sind, gilt das Kollektiv als ein typisches Straßentheater.

Der Chef und Initiator heißt Peter Schumann. er ist über achtzig und sehr sexy. Hellwach und glaubwürdig. 


  






























2 Kommentare:

  1. Die Videoinstallationen der Cité Mémoire sind, ja, da bemühe ich gerne Mr.Spock, faszinierend. Ich liebe das, wenn etwas normales, alltägliches und längst bekannt vertrautes verwandelt wird und plötzlich bezaubert. Sehr hinreißend.
    Habe ein schönes Video gefunden, das es, wenn auch zweidimensional, einfängt:
    https://www.youtube.com/watch?v=YVAAb_LzL9U
    But then the "Sendung mit der Maus-Kind" kicks in... und dann will ich genau wie Du wissen... WIE GEHT DAS?
    Der Nerd in mir dachte sofort an gestenbasierte Interfaces wie beispielsweise Kinect oder eine virtuelle Tastatur. Und deren Grundlagentechnologie muss auch die Lösung sein. Und die arbeitet mit Infrarotlicht.
    Aus der Phasenverschiebung zwischen ausgesendetem und empfangenem Infrarotlicht ensteht ein 3D-Relief der Umgebung und der sich darin bewegenden Objekte... in dem Fall der Menschen. So versteht ein Computer was wir tun und kann uns, dank ausgefeilter Algorithmen, interpretieren ...also eine Bewegung in eine vordefinierte Handlungsvorschrift/Reaktion überführen. So kann man mit der XBox fuchtelnd spielen, aber eben auch Videoinstallationen beeinflussen.
    Noch in Frage kommt Stereoskopie, bei der zwei Kameras uns räumlich "sehen" und erfassen. Prima geeignet seinem Fernseher zu sagen, dass er gefälligst das Programm wechseln soll. Da in der Videoinstallation aber mehrere Menschen gleichzeitig erfasst und integriert werden müssen würde ich eher auf Infrarotlicht tippen.
    Sendung mit der Maus Ende.

    Jedenfalls ein wunderschöner Beweis dafür, dass Menschen selbst Technik poetisch nutzen können... wenn sie es wollen.

    AntwortenLöschen
  2. Danke. Ich glaube, ich verstehe. Eine ähnlichr Technik hat Lepage schonmal benutzt, da hat der Projektor die Bühne ausgetastet und da wo Spieler standen oder gingen kein Bild gesendet. Danke. Deine technischen Erklärungen sind großartig!

    AntwortenLöschen