Sonntag, 15. Mai 2016

Serien - Wie geht es weiter? - Ein Junkie beichtet.

Vor circa zehn Jahren habe ich, kurz entschlossen, aufgehört Fernsehen zu gucken. 
Nächte, in denen ich zum penetranten Klang von Dauerwerbesendungen aufwachte, in denen mir im halbwachen Zustand gräßliche Gestalten ihre unnützen Angebote in die schlafmüden Ohren brüllten, in denen ich angeschrien und bedrängt wurde jetzt und sofort irgendwelchen Dreck zu kaufen, solche Nächte hatten mich zu dieser Entscheidung gezwungen. Ich war offenbar nicht fähig, das übertragende Gerät auszuschalten, wenn es genug war. Irgendetwas an diesem Medium hypnotisierte mich in einen Zustand verteidigungsloser Willigkeit alles aufzusaugen, was mir visuell und akustisch zugemutet wurde, von inhaltlich und ästhetisch ganz zu schweigen. 
Schluß, aus, genug! 
Ich ging ersteinmal viel ins Kino, heute seltener, weil meine Mutter nicht mehr da ist, mit ihrer jungen und erfrischenden Begeisterungsfähigkeit für nahezu jedwede Form von beweglichen Bildern. Eine Kindheit in Los Angeles mit Triple-Shows am Samstag für einen Dollar hatte sie wohl lebenslang infiziert. Und durch genetische Übertragung dann mich. Mit wem soll ich jetzt in den nächsten Avenger gehen? X-Men Teil XV für mich und der neue Thor für sie. Die 3D-Brillen immer bereit in ihrem Täschchen, da spart man jedesmal 2 Euro, hat sie gesagt. Mist, Mist, Doppelmist!

Wenige, nahezu fernsehfreie Jahre später, haben mich Serien kalt erwischt.

SERIEN sind meine neue Droge. 
Nein, nein, nein, keineswegs alle. Keine Komödien, nix mit Vampiren und Zombies, und nichts aus deutscher Produktion (Mea culpa!). 
Aber eine komplizierte, langwierige, überraschende Geschichte gründlich und langsam, ja, nahezu bedächtig, durch Schauspieler,  Regisseure und ihre Kollaborateure, die ihr Handwerk verstehen, erzählt, packt mich, greift mich am Schlaffitchen, zwingt mich zum Zuschauen, Mitfiebern.
Manche gucke ich im Stück, eine Staffel im Schnelldurchlauf, wie ein Gelage: es ist zwei Uhr nachts, aber eine Episode geht doch noch. Andere ganz ordentlich im Wochenabstand, Happs für Happs mit Genuß und vorfreudiger Ungeduld. 

 
Game of Thrones war in seiner fünften Staffel, ich arbeitete in Heilbronn, das kein Wlan bietet, außer beim örtlichen Starbucks. Dort ist es laaaaaaangsaaaaaam, aber willig. Jeden Montag trank ich dort verlogen betulich anderthalb Stunden einen Latte, bis die neue Episode heruntergeladen war. Illegal und lächerlich, aber wahr.

Vor drei Tagen habe ich meine großartige und sehr ernsthafte Regieassistentin, eine Frau um die 40, tanzen gesehen, in Vorfreude auf Staffel 6.

Homer sang den Zorn des Achilles. 
Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,
Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte,
Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs
Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden,
Und dem Gevögel umher. So ward Zeus Wille vollendet:
Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten
Atreus Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus.

Zwischen der fünften und sechsten Staffel vergeht ein Jahr, übervoll von gelebtem Leben und lebendiger Arbeit, und doch weiß ich immer noch, wer wen haßt, wer mit wem bald zusammentreffen muß, wer gestorben ist (oder doch nicht?), wer wen liebt in Westeros. In einer Geschichte mit mindestens sieben Handlungssträngen, Drachen und äußerst unfeministischen Frauenkostümen. In meiner realen Welt macht es mir Mühe die Namen der Hauptakteure, Politiker, Bosse und Bankiers zu erinnern, in der mythischen Fernsehwelt nicht. Warum?

Als ein Grundmuster von Mythologien hat der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell das Motiv der Heldenfahrt erforscht.

Das "Abenteuer des Helden" nach Joseph Campbell

Die Stationen einer Heldenreise stellen sich nach Campbell wie folgt dar:
Der Ruf des Abenteuers (Berufung): Erfahrung eines Mangels oder plötzliches Erscheinen einer Aufgabe
Weigerung: Der Held zögert, dem Ruf zu folgen, beispielsweise, weil es gilt, Sicherheiten aufzugeben.
Übernatürliche Hilfe: Der Held trifft unerwartet auf einen oder mehrere Mentoren.
Das Überschreiten der ersten Schwelle: Er überwindet sein Zögern und macht sich auf die Reise.
Der Bauch des Walfischs: Die Probleme, die dem Helden gegenübertreten, drohen ihn zu überwältigen - zum ersten Mal wird ihm das volle Ausmaß der Aufgabe bewusst.
Der Weg der Prüfungen: Auftreten von Problemen, die als Prüfungen interpretiert werden können (Auseinandersetzungen, die sich als Kämpfe gegen die eigenen inneren Widerstände und Illusionen erweisen können)
Die Begegnung mit der Göttin: dem Helden (oder der Heldin) wird die gegengeschlechtliche Macht offenbar.
Die Frau als Versucherin: die Alternative zum Weg des Helden kann sich auch als vermeintlich sehr angenehme Zeit an der Seite einer (verführerischen) Frau offenbaren

Versöhnung mit dem Vater: die Erkenntnis steht dem Helden bevor, dass er Teil einer genealogischen Kette ist. Er trägt das Erbe seiner Vorfahren in sich, bzw. sein Gegner ist in Wahrheit er selbst.
Apotheose: In der Verwirklichung der Reise des Helden wird ihm offenbar, dass er göttliches Potenzial in sich trägt (in Märchen oft symbolisiert durch die Erkenntnis, dass er königliches Blut in sich trägt).
Die endgültige Segnung: Empfang oder Raub eines Elixiers oder Schatzes, der die Welt des Alltags, aus der der Held aufgebrochen ist, retten könnte. Dieser Schatz kann auch aus einer inneren Erfahrung bestehen, die durch einen äußerlichen Gegenstand symbolisiert wird.
Verweigerung der Rückkehr: Der Held zögert in die Welt des Alltags zurückzukehren.
Die magische Flucht: Der Held wird durch innere Beweggründe oder äußeren Zwang zur Rückkehr bewegt, die sich in einem magischen Flug oder durch Flucht vor negativen Kräften vollzieht.
Rettung von außen: Eine Tat oder ein Gedanke des Helden auf dem Hinweg wird nun zu seiner Rettung auf dem Rückweg. Oftmals handelt es sich um eine empathische Tat einem vermeintlich "niederen Wesen" gegenüber, die sich nun auszahlt.
Rückkehr über die Schwelle: Der Held überschreitet die Schwelle zur Alltagswelt, aus der er ursprünglich aufgebrochen war. Er trifft auf Unglauben oder Unverständnis, und muss das auf der Heldenreise Gefundene oder Errungene in das Alltagsleben integrieren. (Im Märchen: Das Gold, das plötzlich zur Asche wird)
Herr der zwei Welten: Der Held vereint Alltagsleben mit seinem neugefundenen Wissen und damit die Welt seines Inneren mit den äußeren Anforderungen.
Freiheit zum Leben: Das Elixier des Helden hat die "normale Welt" verändert; indem er sie an seinen Erfahrungen teilhaben lässt, hat er sie zu einer neuen Freiheit des Lebens geführt.

1 Kommentar:

  1. Es geht doch nichts über ein Serienwochenende. Und am Montag taucht man dann fast benommen aus einer anderen Welt auf. Eine gute Methode zum Abschalten. "House of cards", "Homeland", "Dexter" ...

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