Mittwoch, 11. Mai 2016

Das soll ich sein?

Ein kleiner Albtraum. Heute nacht nach einem heftigen Probentag weisen mich Facebookfreunde darauf hin , dass auf MDR ein alter DEFA-Film mit mir läuft. "Vernehmung der Zeugen" von Gunther Scholz. Ein junger Mann tötet seinen Mitschüler, die Zeugen werden befragt. Ich spiele eine Lehrerin namens Frau Schulenburg. In meinem Hirn herrscht nahezu völlige Amnesie. 
Ich erinnere mich an einen heißen Sommer, ich weiß, ich war sehr verliebt in einem Haus im Brandenburgischen, ein Tatra holte mich jeden Morgen zum Dreh ab. Das Kind war klein und erfand täglich exotische Gerichte aus frischen Blaubeeren, Gartensand und Schlagsahne. Die Knutschflecke am Hals mußten überschminkt werden. Das Gelächter der sehr jungen Kollegen am Set. Heute sind viele davon "gestandene" Spieler, aber einige sind aus dem Beruf verschwunden. Da war Hoffnung und dann war keine mehr.
Meine große Szene habe ich leider verpasst und hänge vor dem Fernseher und blicke fremd und verstört in eine längst vergangene Zeit. 
Diese verflixte kleine pissige DDR mit ihrer deprimierenden beigen Farblosigkeit. Der Film ist beklemmend hölzern und doch irgendwie rührend in seiner bemühten Ernsthaftigkeit. Alle versuchen so sehr ehrlich, so sehr wahrhaftig zu sein, hier und da ein gewagter Satz, gewagt nach den Regeln der Zensur, an die wir alle gewöhnt waren. 
Jeder berlinert was das Zeug hält, denn berlinern ist authentisch.
Zwischendurch tolle Schauspieler, Christine Schorn, Henry Hübchen, die unfaßbar wunderbare Gudrun Okras.
Und inmitten dieses Kuddelmuddels ich, im Jahr 1987. 29 Jahre alt. und ich erkenne mich nicht. Ich spiele das ganz gut. Nicht peinlich. Aber ich weiß ums Verrecken nicht mehr, wer die Frau war, die da agiert. 
Sicher im Theater verschwindest Du, wenn Du nicht mehr spielst, oder wie Schiller es besser formuliert, uns Mimen flicht die Nachwelt keinerlei Kränze, aber Dir selbst so zuzuschauen, wie Du ohne Deine jetzt gemachten Erfahrungen mit einem Gesicht frischer, doch fremder, Sätze, an die Du Dich nicht erinnerst, sprichst ist surreal. Wer war ich?


1 Kommentar:

  1. Florian Leiffheidt schrieb:
    Interessanter Film, wirklich. Erinnerte mich, wenn auch thematisch anders gelagert, an Veiels DER KICK.

    Gerhard Haase Hindenberg
    Übrigens dreht Gunter Scholz heute Dokumentarfilme.

    Jens Mittelstenscheid
    Hab gestern abend auch geschaut. Hölzern und wie eine Versuchsanordnung. So gleichnishaft für dieses Land. Versuch. Versuchen. Ohne wirkliche Suche. Erklärung suchen ja. Verstehen können nicht. Wunderbare Schauspieler. Alles hat wie in einer Szenenfolge stattgefunden.

    Martin Schlierkamp
    Schöne Zeilen wieder!

    Robert Hummel
    Ich vermute: Je jünger, desto purer sind wir. Je älter, desto mehr versuchen wir, dem Wunschbild nahezukommen, das wir von uns entwerfen. (Die Gegenthese wäre: Je älter, desto mehr stehen wir dazu, wie wir halt nun mal sind.)

    Axel Holst
    Das ist interessant.das die Sachen von damals immer so wirken als wäre die Luft mit Watte gefülllt. So fremd und künstlich und auch traurig. Es hat viel mit der Geschwindigkeit zu tun. Unfassbar langsam gespielt und montiert. Irgendwie weiss man nicht ob man das gut oder schrecklich finden soll.

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