Mittwoch, 19. Juni 2013
Theater hat lange Tage bis hinein in die Nacht
Acht Uhr früh in Deutschland, zu früh für Menschen, die bis zweiundzwanzig Uhr probiert haben, beginnt die Beleuchtungsprobe. Fünf Akte, circa fünfzig verschiedene Stimmungen. Heute bis zur Pause und Morgen der Rest. Nach Zehn Stunden brennen die Augen und der Hintern imitiert aus stundenlanger Gewohnheit die Form eines unbequemen Theatersessels. Zum Glück sind alle Beteiligten entspannt und bei der Sache, ABER - weisses Licht, gelbes Licht, tiefroter Vorhang, grüner Hintergrund, terrakotta-farbene Wände, meine erste "volle" Bühne seit langem. Und sie dreht sich. Stimmungen, Situationen verändern sich im Stück abrupt. Soll das Licht mitmachen oder dagegenhalten? Da steht einer einsam ganz links. Soll er ein extra Licht bekommen oder durch Dunkelheit auffallen? Um achtzehn Uhr ist Pause, eine Stunde später kommen die Spieler. Sie sollen das Gleiche spielen, aber einen halben Meter weiter links oder mit einer Sekunde Verzögerung. Ich liebe es und hasse es. So viele Verabredungen, Notwendigkeiten und die Freiheit des Spiels muß danach wieder hart erarbeitet werden. Warum nicht einfach das Arbeitslicht anmachen und losspielen? Aber Magie oder zumindest Verzauberung benötigt Genauigkeit, unzählige Details und Konzentration und dann, mit dem Wissen um all dies, die glaubhafte Behauptung von Zufälligkeit. Die Naivität der ersten Proben wird getötet und muß mit harter Arbeit wieder erobert werden, damit am Ende, bzw. am Anfang, zur Premiere, alle wieder so spielen können, als wäre es das erste Mal. Entjungferung als imaginierter Dauerzustand. Das erste Mal zum fünfzehnten Mal. Repetition, immer anders, und immer innerhalb der Verabredungen, Anarchie in der strengsten Organisation. Welch ein Irrsinn, welch eine Kunstfertigkeit! Es ist neunzehn Uhr dreissig, seien Sie bitte spontan! Und da quatschen einige Dilettanten von Authentizität. Ich ziehe die glaubhafte Lüge dem leichtfertigen Zufallstreffer vor. Theater ist, wenn die Zuschauer bewusst und vergnügt ihr Mißtrauen beiseite lassen, nicht, wenn ich ihnen einrede hier wäre alles echt.
Nichts ist echt und Alles ist wahr, Alles ist festgelegt und Vieles, das niemand erwartet, kann passieren. Theater.
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