Montag, 4. Februar 2013

Theater hat auch Buhrufe


   Gott ist ein Komödiant, der vor einem Publikum spielt, das zu ängstlich zum Lachen 

   ist. 
   Voltaire

   Die Macht des Zuschauers.

   Er kann wegbleiben. Einfach, deutlich, tödlich.
   Er kann weggehen, das bedarf eines Entschlusses und eines gewissen Mutes. 
   Er kann einschlafen, wenn es auf der Bühne nicht allzu plötzlich laut wird, und dies ist 
   eine beliebte Ausweichvariante zwangsverschleppter Ehemänner und kunstbeflissener,
   doch gestresster Workoholics. Er kann das Klatschen, den begehrten Applaus
   verweigern oder zumindest nur matt und verlangsamt die Hände aneinander schlagen.
   Und er kann pfeifen, buhen, brüllen, jubeln und, im schlimmen Fall, rythmisch 
   applaudieren.
    
   Der Zuschauer.
   Ziel aller unserer Bemühungen, manchmal fast verschwunden unter der Last 
   des alltäglichen Theatertrottes und der inzestuösen feuilletonbesessnen Egomanien,
   denen wir gelegentlich verfallen. Er allein macht aus dem Spieler, einen Schau-Spieler.
   Der Zuschauer schaut oder schaut halt nicht, er begreift oder entzieht sich, er hat die 
   Entscheidungsgewalt zum Zeitpunkt der Offenlegung aller unserer Bemühungen. 
   Er ist vorgefüttert mit Klischees und Erwartungen, er ist konservativ, übersättigt, 
   faul oder überraschbar, dumm oder klug - er ist der eigentliche Theatergott und 
   wird angebetet und verachtet zugleich. 
   "Das sind ja nur die Apotheker/Notare/Optiker = die Abonnenten, der gutbürgerliche 
   Mittelstand!"," Heute ist der Saal halbleer, was haben wir falsch gemacht? " Keiner liebt 
   mich!"Kennt ihr Blumenkohlvorstellungen, eng verbunden mit dem Zwischenruf:
   "Könnten sie bitte etwas lauter sprechen?" Weißes Haupthaar wird gleichgesetzt 
   mit der  möglicherweise letzten Generation der Interessierten. Wir brauchen sie und 
   fürchten sie.
   
  
   Jeder einzelne im Publikum ist ein Esel, aber alle zusammen sind sie die Stimme 
   Gottes.
   Franz Liszt 
    
   2. Februar 2013, Ingolstadt, Premiere von " Die Verschwörung des Fiesco zu 
   Genua" von Friedrich Schiller 

   Das  Stück, produziert unter extremer Zeitbeschränkung läuft, war schon mal lockerer,

   wird wieder entspannter werden, wenn der Premierenüberdruck raus ist. Schlußapplaus,
   Es gibt Bravos fürs Ensemble und gut durchmischt Zuwendung und Ablehnung, sprich
   "Buhs" für die Regisseurin, sprich mich.

   Erst ein Schreck, dann der Gedanke, fair sind sie, können unterscheiden zwischen

   Konzept und Spieler. Und schließlich bemerke ich, wie selten ich diesen klaren, ent-
   schiedenen Laut in letzter Zeit gehört habe. Nicht nur bei meinen Arbeiten, sondern 
   überhaupt im Theater. Viel Applaus, oft Gepfeife, Bravos, viel zu häufig 
   "stehende Ovationen", das scheint so ein modisches Ding zu sein, wahrscheinlich
   ein Ableger von DSDS, The Voice und solchem Zeug.
   Sind wir zu politisch korrekt geworden, um uns deutlich gegen etwas zu positionieren?
   Hat sich Theaterleidenschaft in mildinteressiertes In-Empfang-Nehmen der gekauften 
   Kunstdosis verwandelt? Tatort am Sonntag, zweimal im Monat ins Theater und einmal 
   zum Italiener. Oder ist die Unsicherheit gegenüber dem eigenen Urteil durch das 
   postdramatisch-dekonstruierte verbale Artilleriefeuer des Feuilletons so groß  
   geworden, dass lieber höflich geklätschelt wird, als lauthals gebuht. 
   'Der König ist nackt', 'Die Inszenierung ist Mist', oder 'Ich sehe das anders', zu
   sagen, verlangt Vertrauen in das eigene Urteil. Anstatt sich selbst mit der Lüge: Die
   sind doch Profis, die wissen doch was richtig ist! zu geißeln, sollten Zuschauer mehr
   dem vertrauen, was sie am Abend sehen, denken, fühlen. Wenn der Saal dann mal voll
   mit spießigen Rechthabern ist, sollte es doch zum Tumult kommen. Oder wenn auf der
   Bühne selbstreferentieller Schmunz stattfindet auch. Das wäre doch aufregend, oder? 

     


  Fotos: Jochen Klenk
  
    
   Denise Matthey, wunderbare Schauspielerin und Mitverschworene hat auf Facebook

   einen Kommentar zu "unseren" Buhs geschrieben :  
   Es war einer der elektrisierendsten Momente, die ich bisher auf der Bühne erlebt
   hab -  voller Lebendigkeit, Empörung und viel Wohlwollen (es waren 
   wirklich nicht gleich viele Buher, nur laute.. ) - es gab verschiedene Positionen, 
   einfach, weil du eine bezogen hast. Und sie sind aufgewacht, da unten, konnten sich 
   nicht gemütlich zurücklehnen und schlafen und danach erzählen, ich hab mir was 
   Klassisches im Theater angeschaut. Offenbar mussten sie zuhören und sich 
   auseinandersetzen. Das hat mich ernsthaft glücklich gemacht.


   Weit darf man nicht ins deutsche Publikum hineinhorchen, wenn man Mut zu 
   arbeiten haben will. Johann Wolfgang von Goethe
   Quelle: an Wilhelm von Humboldt, 3. 12. 1795 

  
   Friedrich Schiller über die Premiere Der Räuber in Mannheim am 13. Januar 1782
   
   Das Publikum fieberte fasziniert und in beeindruckender Stille dem Ende der 
   Geschichte entgegen. Während der ersten beiden Akte zeigte es überhaupt 
   keine Regung, so dass mich zunächst eine große Furcht überkam, das Drama 
   würde nicht ankommen.



   Aber dann, nach Ablauf des dritten Aktes, applaudierte die rasende Menge, 
   teils schreiend mit geballten Fäusten. Der Beifall vermischte sich mit dem 
   Weinen wankender Frauen, die, einer Ohnmacht nahe, auf ihre Stühle sanken. 
   Trotz der mittelalterlichen Aufmachung des Stückes hatten alle begriffen, dass es 
   die Gegenwart war, die hier dargestellt wurde.



Freitag, 1. Februar 2013

Schwarze Romantik


Die Ausstellung „Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst“ im Frankfurter Städel Museum endete am 20. Januar 2013, wird aber vom 5. März an in Paris im Musee d'Orsay zu sehen sein.

Max Ernst: Vom nächtlichen Anblick der Porte Saint-Denis ausgelöste Vision, 1927   
© Privatsammlung/VG Bild-Kunst, Bonn 2012

 Johann Heinrich Füssli: Der Nachtmahr, 1790/91, 
Frankfurter Goethe-Haus – Freies Deutsches Hochstift  |  © Frankfurter Goethe-Haus/Freies Deutsches Hochstift


Julien Adolphe Duvocelle: Totenschädel mit hervortretende Augen, 1904   
© Musée d’Orsay, Paris


Die Ähnlichkeit muß Zufall sein, oder? 
„Kilroy was here“, wurde im Zweiten Weltkrieg von US-Soldaten an die unmöglichsten und seltsamsten Stellen geschrieben.


Wiki schlägt für Liebhaber der Literatur der schwarzen Romantik folgende Titel vor: 

Marquis de Sade (1740–1814): Juliette 
Ludwig Tieck (1773–1853): Der Runenberg 
E. T. A. Hoffmann (1776–1822): Die Elixiere des Teufels 
Lord Byron (1788–1824): Childe Harold’s Pilgrimage 
Mary Shelley (1797-1851): Frankenstein 
Gérard de Nerval (1808–1855): Aurélia 
Edgar Allan Poe (1809–1849): Der Untergang des Hauses Usher 
Charles Baudelaire (1821–1867): Die Blumen des Bösen 
Gustave Flaubert (1821–1880): Die Versuchung des heiligen Antonius 
Algernon Charles Swinburne (1837–1909): Tristram of Lyonesse
 

Mittwoch, 30. Januar 2013

Sexismus ist nicht schick


Wiki schreibt: Unter Sexismus versteht man die soziale Konstruktion von sexuellen Unterschieden zwischen Menschen und die daraus abgeleiteten Normen und Handlungsweisen. Der Sexismus unterteilt alle Menschen anhand ihrer biologischen Geschlechtsmerkmale in Frauen und Männer, unterstellt ihnen damit eine grundlegende Unterschiedlichkeit und weist ihnen auf dieser Basis unterschiedliche Rechte und Pflichten zu.

Wir sind verschieden: Männer, Frauen, Transsexuelle und jede andere denk- und fühlbare geschlechtsspezifische Variation. Nicht besser, nicht schlechter, unterschiedlich. Unterschiede sind gut, wenn alle gleich wären, wäre die Welt eine öde Gegend und die Zahl der verblüffenden Überraschungen, Bestürzungen, Ungläubigkeiten, Fassungslosigkeiten reduzierte sich um eine undenkbar große Zahl.

Ich habe zwei x-Chromosomen, (ein Vorteil, wenn ich den wissenschaftlichen Artikeln glauben darf,) bin körperlicher schwächer als die meisten Männer, ich habe Brüste, eine Gebärmutter und Cellulitis, ich verdiene, (und das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit,) weniger als vergleichbare männliche Berufskollegen, mir wächst kein Bart, bei vielen anderen Geschlechts-unterschieden gehen die Meinungen stark auseinander, aber ich bin, und das kann ich aus jahrelanger Erfahrung sagen, eine Frau. Und oder aber, ich bin auch anders als die meisten anderen Frauen. Männer, heterosexuelle und homosexuelle und alle anderen,  sind nur noch anderer.

Seit Tagen lese ich jetzt über einen Fall sexistischer Anmache, und in den betreffenden Artikeln geht es atemberaubend bunt durcheinander, werden Machtmißbrauch, Empfindlichkeiten, berufliche Gerissenheit, menschliche Feigheit und simple Geschmacksunterschiede wild durcheinander gewürfelt und gesellschaftliche Verhaltensregeln verlangt, die, würden sie universell eingehalten, das Miteinander von menschlichen Wesen zu viktorianischer Verlogenheit und vorauseilender Ängstlichkeit verurteilen würde.

Die Fakten, soweit mir bekannt: ein ältlicher FDP-Politiker ist geil auf eine Journalistin. Sie sind nicht allein, sondern mit anderen nächtens in einer Bar. Es kommt zu keiner körperlichen Gewalt, Drogen sind nicht im Spiel, Alkohol wohl, aber nur beim aggressiven, männlichen Teil des "Dramas". Die Arbeitssituation der jungen Frau beim "Stern" ist durch Nichtgewährenlassen ganz offensichtlich nicht gefährdet. Der Mann, unansehnlich und FDP-Politiker, ist in Freizeit und er hat lächerlicherweise das Anmachvokabular eines unintelligenten Pubertierenden aus den frühen 70ern.
Die anklagende 28-jährige Frau könnte also mit gutem Recht fiese Witze über den Kerl machen, seine Potenz in Frage stellen, ihm ins Gesicht lachen, selbst ihm ins Gesicht schlagen - aber eine öffentliche Entschuldigung verlangen, weil er Politiker ist?

Das ist prätentiöser, haltloser Quatsch, öffentlichkeitswirksames Pseudomärtyrium und jede Sekretärin, die in Sorge um ihren Job die dümmlichen Verbalinjurien oder gar Grabschereien ihres Chefs mit erstarrtem Lächeln über sich ergehen läßt, sollte der Dame die Leviten lesen. Hier handelt es sich nicht um weibliche Solidarität, sondern um zeitgeist-bewußte Manipulation. Frauen, die Vergewaltigungen überleben müssen, möchte ich in diesem Zusammenhang nur höchst ungern erwähnen.

Ich habe Glück, ich kann mich wehren, ich bin kein Opfer, ich habe die Macht NEIN zu sagen, ich flirte oder flirte nicht, je nach Interesse oder Angebot. Ich habe Glück, weil ich nicht machtlos bin. Es handelt sich hier nämlich tatsächlich  um eine Frage von Macht, sozialer, politischer, körperlicher, ja, auch traditionell implamentierter Macht. Aber wenn sich zum Opfer stilisiert, wer die Möglichkeit hat, sich zu wehren, der schadet denen, die sich nicht verteidigen können, die Machtmißbrauch erleiden. 

Das ich Herrn Brüderle für ein korruptes Arschloch halte, spielt in diesem Zusammenhang, überhaupt keine Rolle.

Dienstag, 29. Januar 2013

Picasso, bevor er Picasso wurde


   Ausnahmen sind nicht immer Bestätigungen der alten Regel; sie können 
   auch die Vorboten einer neuen Regel sein.
   Marie von Ebner-Eschenbach

    Erst lernst du malen wie man angeblich malen soll und, wenn du begabt 

   genug bist, und die Kraft hast, durchzuhalten, dann malst du irgendwann, 
   nur noch so wie du willst. Wenn du die alten Regeln genauestens kennst, 
   kannst, mußt du sie genüßlich und mit Grandezza kaputt schlagen.


Pablo Picassos erstes uns bekanntes Gemälde, begonnen 1889, 
fertiggestellt 1890
DER PIKADOR

  Der sehr junge Pablo Diego José Santiago Francisco de Paula 
Juan Nepomuceno Maria de los Remedios Crispin Crispiniano de la 
Santisima Trinidad Ruiz Blasco y Picasso

Das ist auch ein Picasso, Wissenschaft und Barmherzigkeit 1897

Wiki schreibt: Eine Regel ist eine aus bestimmten Regelmäßigkeiten abgeleitete, aus Erfahrungen und Erkenntnissen gewonnene, in Übereinkunft festgelegte, für einen bestimmten Bereich als verbindlich geltende Richtlinie. Das Wort Regel taucht als lateinisches Lehnwort regula, regile um das 
9. Jahrhundert im Althochdeutschen auf (aus lat. regula = Maßstab, Richtschnur) und formte sich im Mittelhochdeutschen zu regel, regele.


  Das macht Spaß, Picassos "Bügelnde Frau", gemalt auf einer umgedrehten  alten Leinwand. Ein Mann mit Schnurrbart erscheint, wenn man das Link  
  besucht und sich durch das Bild klickt, dadurch wird die Röntgenaufnahme sichtbar. Der Kopf des bärtigen Mannes ist da, wo das Bügelbrett zu sehen ist.

1904