Samstag, 26. Oktober 2019

„Die Tage der Commune“


Wir arbeiten hier gerade an einem Stück über eine Revolution, die fast niemand kennt. 
Leute reden und streiten über Ungerechtigkeit, ihre Not, ihren Zorn, ihre Zweifel. Sie werden am Ende alle sterben. 
Was für Biographien. Aus einer Zeit, als der Traum vom Kommunismus seine Unschuld noch nicht verloren hatte. Aber was für ein dreckig blutiger Absturz folgte im 20. Jahrhundert nach Christus, nach der Geburt dessen, von dem man behauptet, das er verlangte, dass wir, im Falle eines Angriffs auch die andere Wange zur Verfügung stellen sollten.
Widersteht nicht dem, der böse ist, sondern wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, so wende ihm auch die andere zu.
Matthäus 5:39
Um dieses Dilemma kreist der Text, wie ein melancholischer Geier.
Rigault:         Terror gegen Terror, unterdrückt oder werdet unterdrückt, zerschmettert oder werdet zerschmettert.
Beslay:          Keine Gewalt, keine Gewalt!
Jourde:          Das bedeutet die Diktatur.
Beslay:          Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Varlin:          Und wer nicht zum Schwert greift?
Avrial:          Die Großmut der Commune wird Früchte tragen! Lasst sie von der Commune sagen: sie hat die Guillotine verbrannt.
 La Commune de Paris (1871). Vue de la place Vendôme © Parisienne de photographie
Glaube, Liebe, Hoffnung.
Wir mussten wohl oder übel lernen, dass die großen Revolutionen nicht nur durch ihre Feinde von außen bedroht werden, sondern im Gegenzug auch nahezu sofort beginnen, sich nach innen in Lager aufzuspalten, die einander bekämpfen. Eine Gruppe gewinnt die Oberhand, es folgt Überwachung, politische Verurteilungen und Terror.
Und doch sehnen wir uns nach Veränderung, denn die Welt ist in einem üblen Zustand.
„Die Tage der Commune“ erzählt von einer „kleinen“ Revolution, beschränkt auf die Stadt Paris und einer Dauer von nur 72 Tagen.
Wie tief wird hier an die Möglichkeit eines guten Ausgangs geglaubt. Wie verzweifelt wird hier auf eine bessere Zukunft gehofft! Wie innig wird die Vision einer gerechten Welt geliebt. Wie hart darüber gestritten, wie diese neue Welt aussehen soll.
Am 28. Mai wurden die Kämpfer der Commune endgültig besiegt. Die deutsche und die französische Regierung, eben noch Erzfeinde, sorgten gemeinsam für die Niederschlagung des Aufstands. Tausende Männer, Frauen und Kinder wurden deportiert, in Gefängnisse gesteckt, etwa 7000 erschossen. 
Der Glaube kann Berge versetzen? Liebe macht blind? die Hoffnung stirbt zuletzt?
Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei; aber die größte unter ihnen ist die Liebe, heißt es in der Bibel.
Dabei wissen wir ja:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
 
Bertolt Brecht

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