Freitag, 15. Dezember 2017

Das Gute

Wir alle meckern. Gern und ausschweifend und oft und meist mit Recht. Wie sollten wir auch nicht, wenn die Leute, die wir schweren Herzens gewählt haben, miteinander hadern, wie die Mitglieder eines chaotisch organisierten Swingerclubs, wenn der Flughafen, den keiner wirklich will, circa 7 Milliarden Euro kosten und dann doch nicht funktionieren wird, wenn der neue Chef der Volksbühne, seine zu weiße Föhnfrisur schüttelt und mißbilligend den Bezirk Mitte als unerträglich tituliert, usw., usw..

ABER. Aber ich hatte heute wieder einen Plausch mit dem nettesten lebenden Postboten, im Edeka sitzt ein etwas fülliger junger Mann an der Kasse, dessen gute Laune auch durch zweihundert norwegische Jugendliche, die nur ein Bier kaufen, nicht zu verderben ist, der Zigarettenverkäufer sortiert für mich zuvorkommend alle Gauloise-Packungen mit ekligen Geschwüren und schwarzen Zähnen aus, und verkauft mir dann nur die mit den schlecht inszenierten Leidenstableaus. Der reizende hagere Klempner ist dreimal wiedergekommen, weil die Badezimmerheizung immer noch gesponnen hat. Meine Freundin hat mir Senf und weiße Tulpen geschenkt. Ich habe einem Freund heute ein gutes Geschenk machen können. Und eine andere Freundin freut sich wie Bolle, weil sie bald in Albanien Kindern und Lehrern die Finessen der deutschen Sprache schmackhaft machen wird.

Gestern hat ein mir nicht bekannter junge Mann auf Facebook im Zusammenhang mit einer Brechtinszenierung locker "Bei Brecht hoff ich echt. Dass Erben sterben." formuliert, und also mir und einigen meiner Verwandten den Tod an den Hals gewünscht. Er hat keinen blassen Schimmer, was wir tun. Er weiß auch nicht, was meine Mutter, das mythische böse Brecht-Gespenst getan hat. Aber ein Kollege hat mir heute eine schöne Anekdote erzählt. Er, sehr jung, spielt den Flieger im "Guten Menschen von Sezuan" an einem süddeutschen Stadttheater. Der Regisseur inszeniert wild, Musik aus sämtlichen Stücken, neu arrangiert, überhaupt alles anders. Zu einem Durchlauf kommt meine Mutter, unterbricht zur Hälfte aufgeregt mit "So geht das nicht". Der Regisseur fragt "Warum?". Sie antwortet: "Weil, weil, ... Es ist nicht gut."
Sklavische Stücktreue ist öde, aber Dekonstruktion garantiert leider auch keinen guten Abend. 


DAS GUTE

Es ist gut zu wissen, dass es auch
die andern gibt; die, die
dir den Arsch abwischen, ohne zu murren.
Die dir ein Lächeln schenken
mitten im Feiertagsgewühl, die ihren Wagen
abbremsen, damit du die Spur wechaseln
kannst.

Es ist gut zu wissen, dass
es Menschen gibt, die sichdem
Schlechten widersetzen,
ohne an den Preis zu denken; 
einfach so, ganz selbstverständlich.

Und es ist gut, hier oben zu 
sitzen. Allein. Ohne Frau und ohne
Streit. Und meinen Gedanken 
nachzuhängen. während es draußen schneit
und der junge Vietnamese seinen
Laden wie immer pünktlich
auf die Minute öffnet und auf Kundschaft
wartet, während er auf seinen kleinen
Farbfernseher 
blickt.

Und es ist gut zu wissen, dass es
nicht sehr lange dauern wird, bis der
erste bei ihm eintritt. Ein
Feuerzeug erwirbt, Kaffee oder ein Heft
mit Kreuzworträtseln, und dass er
ihn bedienen wird, wie jeden andern auch,
und ohne einen Unterschied zu machen;
Scherz auf den Lippen. Während die Kasse
klingelnd aufspringt und ein Taxi auf der andern
Strassenseite hält.

Florian Günther 
AUS DER TRAUM 
Moloko Print 
Fotografien von Michael Dressel


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