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Samstag, 3. März 2012

Georg Büchner


Aber da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.
Danton's Tod

Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. – Man muß mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!
Danton's Tod



Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte.
Lenz

Herr, ich habe die große Beschäftigung, müßig zu gehen, ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtsthun, ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit. Keine Schwiele schändet meine Hände, der Boden hat noch keinen Tropfen von meiner Stirne getrunken, ich bin noch Jungfrau in der Arbeit, und wenn es mir nicht der Mühe zu viel wäre, würde ich mir die Mühe nehmen, Ihnen diese Verdienste weitläufiger auseinanderzusetzen.
Leonce und Lena

Straßburg, den 5. April I833

...Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unseren Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade und ein elendes Kinderspielzeug, um dem ewigen Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen. Es ist eine blecherne Flinte und ein hölzerner Säbel, womit nur ein Deutscher die Abgeschmacktheit begehen konnte, Soldatchens zu spielen. Unsere Landstände sind eine Satire auf die gesunde Vernunft, wir können noch ein Säkulum damit herumziehen, und wenn wir die Resultate dann zusammennehmen, so hat das Volk die schönen Reden seiner Vertreter noch immer teurer bezahlt, als der römische Kaiser, der seinem Hofpoeten für zwei gebrochene Verse 20,000 Gulden geben ließ. Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde. Was nennt Ihr denn gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch eine rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten, dies Gesetz ist eine eweige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. Wenn ich an dem, was geschehen, keinen Teil genommen habe und an dem, was vielleicht geschieht, keinen Teil nehmen werde, so geschieht es weder aus Mißbilligung, noch aus Furcht, sondern nur weil ich im gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung betrachte und nicht die Verblendung Derer teile, welche in den Deutschen ein zum Kampf bereites Volk sehen."
Brief an die Familie


Dienstag, 28. Februar 2012

Daniil Charms



Дании́л Ива́нович Хармс

Daniil Charms wurde am 30.12.1905 in Petersburg geboren und ist im Februar 1942 in der psychiatrischen Abteilung des Gefängnisses No. 1 im eingekesselten Leningrad höchstwahrscheinlich verhungert.

Rehabilitierung

Ohne angeben zu wollen, kann ich sagen, daß ich Volodja, als er mir eine aufs Ohr gehauen und mir ins Gesicht gespuckt hatte, so erwischt habe, daß er es nie vergessen wird. Erst danach habe ich ihm den Primuskocher drübergehauen, und mit dem Bügeleisen habe ich ihn erst gegen Abend geschlagen. So daß er also keineswegs gleich tot war. Daß ich ihm das Bein dann am Tage abgeschnitten habe, ist kein Beweis. Zu der Zeit hat er noch gelebt. Und Andrjuscha habe ich einfach aus Trägheit erschlagen, das kann ich mir nicht zum Vorwurf machen. Warum sind Andrjuscha und Elisaveta Antonovna mir in die Hände gefallen? Sie hätten nicht plötzlich hinter der Tür hervorspringen dürfen. Blutrünstigkeit wirft man mir vor, man sagt, ich hätte Blut getrunken, aber das ist nicht wahr, ich habe die Blutlachen und Blutflecken aufgeleckt; es ist ein natürliches Bedürfnis des Menschen, die Spuren seines auch noch so geringen Verbrechens zu beseitigen. Auch habe ich Elisaveta Antonovna nicht vergewaltigt. Erstens war sie keine Jungfrau mehr, und zweitens hatte ich mit der Leiche zu tun und keine Zeit, sie zu trösten. Und daß sie kurz vor der Niederkunft stand? Ich habe das Kind doch rausgezogen. Und daß es überhaupt kein Erdenbewohner war, das ist nun mal nicht meine Schuld. Ich habe ihm den Kopf nicht abgerissen, schuld war der dünne Hals. Es war für dieses Leben nicht geschaffen. Es ist wahr, daß ich ihr Hündchen mit dem Stiefel in den Erdboden gestampft habe. Aber es ist schon Zynismus, mich der Tierquälerei zu besichtigen, wenn dicht daneben, kann man sagen, drei Menschenleben vernichtet wurden. Das Kind nicht mitgezählt. Also schön: in alledem (und dem kann ich zustimmen) möge man eine gewisse Brutalität meinerseits erkennen. Aber mir als Verbrechen anzurechenen, daß ich mich auf meine Opfer gesetzt und meine Notdurft verrichtet habe, - Sie müssen schon entschuldigen, das ist einfach absurd. Sich entleeren ist ein natürliches Bedürfnis, folglich durchaus kein verbrecherisches. Weshalb ich die Besorgnis meines Verteidigers zwar verstehe, aber dennoch auf meinen Freispruch hoffe.




Das blaue Heft Nr. 10

Es war einmal ein Rotschopf, der hatte weder Augen noch Ohren. Er hatte auch keine Haare, so daß man ihn an sich grundlos einen Rotschopf nannte.
Sprechen konnte er nicht, denn er hatte keinen Mund.
Eine Nase hatte er auch nicht.
Er hatte sogar weder Arme noch Beine. Er hatte keinen Bauch, er hatte keinen Rücken, er hatte kein Rückgrat, er hatte auch keinerlei Eingeweide. Nichts hatte er! So daß unklar ist, um wen es hier eigentlich geht.
Reden wir lieber nicht weiter darüber.



Ein Mensch legte sich als Gläubiger schlafen, und erwachte als Ungläubiger.

Zum Glück stand im Zimmer dieses Menschen eine Medizinalwaage, und der Mensch hatte die Gewohnheit, sich jeden Tag morgens und abends zu wiegen. Und so hatte der Mensch beim Wiegen am Abend zuvor erfahren, daß er 4 Pud und 21 Pfund wog. Am anderen Tage aber, als Ungläubiger aufgestanden, wog der Mensch sich erneut und erfuhr, daß er nurmehr 4 Pud und 13 Pfund wog. "Also, - sagte sich der Mensch, - wog mein Glaube annähernd 8 Pfund.".


Dienstag, 8. November 2011

Joni Mitchell - Blue


Blue - das vierte Album der kanadischen Liedermacherin Joni Mitchell, erschien 1971. 

Ich war 13 und noch mit dem wöchentlichen Anhören der Schlager der Woche auf RIAS beschäftigt, "Wer hat mein Lied so zerstört, Ma" von Daliah Lavi, zum Beispiel, und "Fremder Mann" von Marianne Rosenberg, und dann hatte Frank Schöbel einen Hit im Westen mit "Gold in Denen Augen", das war was! 

Ein Jahr später, nach der Jugendweihe, zu der ein Kassettenrekorder geschenkt worden war, haben wir versucht, unsere Lieblingslieder per Mikrophon direkt aus dem Radio mitzuschneiden. Oder im Kino, bei den "Blutigen Erdbeeren", Mikro in der Hand, viel Pst, Pst und die Hoffnung, dass "Something in the Air" von Thunderclap Newman doch noch hörbar wäre. In dem Film habe ich dann auch mein erstes Joni Mitchell Lied gehört, wenn auch nicht von ihr selbst gesungen, sondern von Buffy Sainte-Marie - "Circle Game". 

1971, das Jahr der "Weltfestspiele": mein Jahrgang wurde ein Jahr vorzeitig in die FDJ aufgenommen, um die Menge der Feiernden zu vergrößern und wir alle durften für die Dauer der "Spiele" plötzlich in Berlin auf dem Rasen sitzen, mit Unmengen "Ausländern" quatschen und knutschen, aber dann starb Walter Ulbricht mittendrin und alle hatten Sorge, dass die Feier wegen der Staatstrauer abgebrochen werden würde, und der Erich hat die Trauer auf die Zeit nach dem Ende der "Weltfestspiele" verschoben, oder den Tod ein paar Tage rausgezögert, da bin ich mir nicht mehr sicher.

Baumwoll-FDJ-Hemden konnte man durch intensives, mehrmaliges Waschen übrigens ausbleichen, so dass sie ein ganz klein wenig wie aus Jeansstoff aussahen.


Und so hat mich die Stimme von Joni Mitchell erst einige Jahre später erwischt. Diese Stimme, so klar, so zart und kräftig zugleich und mit solcher Leichtigkeit in der Höhe, und voll solcher Einsamkeit. Ich glaube wirklich, dass ich Einsamkeit in ihrem Gesang "höre". 

Sie hat alle Lieder selbst geschrieben, James Taylor und Stephen Stills haben gespielt, und in "Rolling Stones 500 größten Alben aller Zeiten", steht das Album auf Platz 30. Keine weibliche Musikerin hat es höher geschafft.

Blue songs are like tattoos
You know I've been to sea before
Crown and anchor me
Or let me sail away
Hey Blue, here is a song for you
Ink on a pin
Underneath the skin
An empty space to fill in
Well there're so many sinking now
You've got to keep thinking
You can make it thru these waves
Acid, booze, and ass
Needles, guns, and grass
Lots of laughs lots of laughs
Everybody's saying that hell's the hippest way to go
Well I don't think so
But I'm gonna take a look around it though
Blue I love you

Blue here is a shell for you
Inside you'll hear a sigh
A foggy lullaby
There is your song from me

© 1970; Joni Mitchell





Ein Lied über das Ende ihrer Beziehung mit Graham Nash. Der hat wiederum "Our House" für sie geschrieben!

Blue (unübersetzbar zwischen blau und traurig und dem Blues) 
Blue Lieder sind wie Tätowierungen, Du weisst, dass ich schon früher auf dem Meer war, kröne und verankere mich, oder laß mich fortsegeln. Hey, Blue, hier ist ein Lied für dich, Tinte in einer Nadel, unter der Haut eine leere Stelle zu füllen, Man, so viele versinken jetzt, du mußt weiter glauben, dass du es durch diese Wellen schaffen wirst, Acid, Alk, und Sex, Nadeln, Waffen und Gras, Viel Lachen viel Lachen, Jeder sagt, dass die Hölle der schickste Weg ist, wie man sich davonmachen kann, das glaube ich nicht, aber ich werde mich da mal umschauen, Blue, ich liebe dich.
Blue, hier ist eine Muschel für Dich, darinnen wirst du einen Seufzer hören, ein nebliges Kinderlied, Dort ist dein Lied von mir.


Blue
http://www.youtube.com/watch?v=hvLTH8-9Z1I
In Case of You
http://www.youtube.com/watch?v=5QZioxCg20I
Und weil es so schön ist, wenn auch nicht auf dem Album: Big Yellow Taxi
http://www.youtube.com/watch?v=ZgMEPk6fvpg

Donnerstag, 18. August 2011

Sisyphos

 „Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.“
Homer Odyssee: 11. Gesang, 593–600 Übersetzung Schadewaldt

Persephone beaufsichtigt Sisyphos mit seinem Stein in die Unterwelt. Seite A von einer schwarzfigurigen attischen Amphora, um 530 v. Chr. Aus Vulci
„Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. [...] Der absurde Mensch sagt ja, und seine Anstrengung hört nicht mehr auf. Wenn es ein persönliches Geschick gibt, dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines, das er unheilvoll und verachtenswert findet. Darüber hinaus weiß er sich als Herr seiner Tage. In diesem besonderen Augenblick, in dem der Mensch sich seinem Leben zuwendet, betrachtet Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt, die Reihe unzusammenhängender Handlungen, die sein Schicksal werden, als von ihm geschaffen, vereint unter dem Blick seiner Erinnerung und bald besiegelt durch den Tod. Derart überzeugt vom ganz und gar menschlichen Ursprung alles Menschlichen, ein Blinder, der sehen möchte und weiß, dass die Nacht kein Ende hat, ist er immer unterwegs. Noch rollt der Stein. […] Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Albert Camus Der Mythos des Sisyphos: 6. Aufl., Reinbek, 2004. S. 159f.

Tizian1549































CAMILLE. Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!

DANTON er kleidet sich an. Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder heraus zu kriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles doppelt geschieht – das ist sehr traurig.
Georg Büchner Dantons Tod Akt 2 Szene 1

Franz von Stuck 1920
Wenn kein Sinn darin ist, so erspart uns das eine Menge Arbeit, denn dann brauchen wir auch keinen zu suchen.
Lewis Caroll Alice im Wunderland


Mrs Sisyphus 

That’s him pushing the stone up the hill, the jerk.
I call it a stone – it’s nearer the size of a kirk.
When he first started out, it just used to irk,
but now it incenses me, and him, the absolute berk.
I could do something vicious to him with a dirk.
Think of the perks he says.
What use is a perk, I shriek,
when you haven’t the time to pop open a cork
or go for so much as a walk in the park?
He’s a dork.
Folk flock from miles around just to gawk.
They think it’s a quirk,
a bit of a lark.
A load of old bollocks is nearer the mark.
He might as well bark
at the moon –
that feckin’ stone’s no sooner up
than it’s rolling back
all the way down.
And what does he say?
Mustn’t shirk –
Keen as a hawk,
lean as a shark
Mustn’t shirk!
But I lie alone in the dark,
feeling like Noah’s wife did
when he hammered away at the Ark;
like Frau, Johann Sebastian Bach.
Her voice reduced to a squawk,
my smile to a twisted smirk;
while, up on the deepening murk of the hill,
he is giving one hundred per cent and more to his work.

Carol Ann Duffy