Samstag, 13. Mai 2023

Gestorbene

Wenn ich ein Grammatikproblem nicht lösen konnte oder ein Zitat aus einem deutschen Gedicht suchte oder ein Detail deutscher Geschichte erfragen wollte, habe ich meinen Vater angerufen. Und, darauf bin ich stolz, er mich auch, vice versa. Er war ein strenger Kritiker, aber ein liebevoller.

Wenn ich ein Detail der englischen Geschichte überprüfen wollte, etwas über einen obskuren englischen Dichter oder den Namen eines Schauspielers, wie klein die Rolle auch war, eines Hollywoodfilms der 30er oder 40er Jahre wissen wollte, oder über die Schwierigkeiten meines Lebens überhaupt abjammern wollte, war mein Gesprächspartner meine Mutter. Sie war ein Sonderfall, weil ihre Liebe ohne Bedingung war. Was immer ich auch angestellt hätte, sie war immer auf meiner Seite.

Meine Oma, Helli, war die coolste Person, die ich je gekannt habe. Ich liebte sie und sie mich.

Mein Opa Walter war schwerhörig und sehr liebenswert.

Meine Oma Margarete war eine garstige Frau.

Tante Gerda kannte alle Details der Trotzköpfchen- und Nesthäkchenromane und die besten, köstlichsten Rezepte für jederlei Resteverwertung. Und sie war außergewöhnlich und bezaubernd.

Tante Schusti konnte besser backen als irgendwer und überließ ihre Rezepte immer nur mit Auslassungen. 

Mein Onkel Stefan hat sein halbes Leben mit der Dokumentation der New Yorker Theaterszene der 70er Jahre verbracht und sein wahres Talent vergeudet.

Meine Tante Hanne liebte Therese Ghiese, war gegen den Krieg und vermied jedwede Genüsse.

Meine Freundin Annette liebte das Leben und das Theater, ihren Sohn, Alex und die Marx Brothers und konnte sogar noch mehr und schneller sprechen als ich.

Horst, mein lieber Bühnenbildner über fast 30 Jahre, war neugierig, höflich, wunderbar, Sachse und nie wirklich glücklich.

Mein Freund Volkmar war aufmerksam und genau und ließ mir nichts durchgehen.

Meine Kollegen Tommy, Tobias, Robert, Heimar, Dieter, Dietrich, Kurt, Fred, Katja, Gerhard, Johanna und Inge haben mich Vieles und Wichtiges gelehrt.

Sie alle sind tot.

GROWING OLD IS NOT FOR SISSIES. Bette Davis

ALT WERDEN, IST NICHTS FÜR SCHWÄCHLINGE. Bette Davis


2 Kommentare:

  1. Liebe Johanna
    Wir dürfen ALT werden - ist das nicht wunderbar ?
    Am Beispiel meiner eigenen Eltern muss ich sagen:Ja , auch alt werden muss Grenzen haben; 15 Jahre lang sich den Tod herbei zu wünschen und immer darauf zu pochen man habe jetzt aber mal ein würdiges Ende verdient ist doch auch „weird“
    Ich habe in den letzten zehn Jahren drei Freunde begraben müssen die grade mal ein,zwei Jahre älter waren - das war ganz arg und mein Abdanken via assistiertem Suizid hat mich auch viele Monde beschäftigt, aber es bleibt dabei dass mit 80 Schluss ist.
    Auf dem Flohmarkt hab ich ein T-Shirt gefunden: Älter ist wie Jung nur Besser ! Das damit kann ich mich assoziieren, mein jung sein hat mich viel Kraft gekostet - alles selbstverschuldet um meine nonkonformität zu behalten aber jetzt ist es besser !!
    Ich bin auch ALT und langsam , ganz langsam lerne ich das als Privileg einer alternden Gesellschaft die Ihre Werte verrät, ihre Nachkommen, weiter mit Geschichten zum Narren hält und ohne Rückhalt Rohstoffe verbrennt um neue aus dem Laib der Mutter Erde zu pumpen Einer der zu sein, die am Rand stehen und mit wachen Augen andere Wege zu gehen.
    Herzlich ❤️💙👊🏽⭐️🏵

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Anonym, vielen Dank für Ihren Kommentar, aber wären Sie so lieb, uns auch noch Ihren Namen zu verraten?

      Löschen