Gefunden in
einer Ausstellung über jüdische Künstler in Paris 1905 bis 1940
im Jüdischen Museum Berlin
Den ermordeten Künstlern
Ob ich sie alle gekannt habe? Ob ich in ihrem Atelier gewesen bin?
Ob ich ihre Kunst von nah und fern gesehen habe?
Und jetzt trete ich aus mir heraus, aus meinen Jahren,
und gehe an ihr unbekanntes Grab.
Sie rufen mich, sie ziehen mich in ihre Grube – mich
Den Unschuldigen, den Schuldigen.
Sie fragen mich: Wo bist Du gewesen?
- Ich bin entflohen ...
Sie hat man zu den Todes-Duschen geführt,
wo sie ihren Schweiß schmeckten.
Da sahen sie das Licht
Ihrer ungemalten Bilder.
Sie haben die ungelebten Jahre nicht gezählt,
welche sie gespart und aufbewahrt hatten,
für die Erfüllung ihrer Träume
schlaflose, verschlafene.
Sie haben in ihrem Kopf jenen Kindheitswinkel –
gesucht, in dem der sternumkränzte Mond
ihnen eine helle Zukunft versprach.
Die junge Liebe im finsteren Zimmer, im Gras
Auf Bergen und Tälern, die aufgeschnittene Frucht,
mit Milch begossen, mit Blumen bedeckt,
verkündete ihnen ein Paradies.
Die Hände ihrer Mutter, ihre Augen,
begleiteten sie zur Bahn,
zu fernem Ruhm.
Ich sehe: Da schleppen sie sich nun – in Lumpen
barfuß, auf stummen Wegen.
Die Brüder von Israëls, Pissaro und Modigliano, unsere Brüder.
Es führen sie in Stricken, die Brüder von Dürer, Cranach und
Holbein – zum Tode in die Krematorien.
Wie kann ich, wie soll ich Tränen vergießen.
...
Marc Chagall
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