Pinocchio.
10 oder 11 Verfilmungen gibt es. Niedliche Grillen, liebende, väterliche Gepettos, freche Pinocchios, mal animiert, mal mit menschlichen Darstellern. Immer fehlte mir etwas, zu süß. zu moralisierend und immer auf Kosten der anarchischen Lebenslust der kleinen hölzernen Kreatur.
Wie im deutschen Struwelpeter wird in dieser italienischen Geschichte ein Kind zurecht gestutzt. Um ein "wirklicher" Junge zu werden, bezahlt Pinocchio am Ende einen hohen Preis, einschließlich seiner Autonomie.
Das Verrückte ist, dass Collodi, Kind seiner Zeit, trotz seiner geradezu sich ins Auge und Herz bohrenden, pädagogischen Absichten, ein viel wilderer und darum wahrhaftiger Phantast war, als es seinen Absichten entsprochen und gedient hätte.
Schlangen lachen sich tot, brutale Puppenspieler niesen aus Mitleid, der übelste Bösewicht ist so hoch wie breit und hat eine sanfte, weiche Stimme.
Guillermo del Torro packt seiner Titelfigur ein schweres Gewicht auf die zarten Schultern. Mussolini, den italienischen Faschismus, Unsterblichkeit und einen leidgeprüften, wahrhaft guten Vater, der seinen Sohn verloren hat. Nicht das Kind ist der Held, sondern der Vater.
Ein Kind, wenn auch aus Holz, voll von Lebenslust und Neugier, erobert sich die Welt, mit den zu erwartenden katastrophalen Erlebnissen. Es will werden, wie die anderen Jungs, ein "richtiger, braver Junge. Angepasst. Selbstlos, ohne sein Selbst.
Die blaue Fee, wird bei Del Torro zu einer eigenartigen Mixtur aus Sphinx und Alien, anstatt der ambivalenten Vorgabe von aus Leiden geborener, erpresserischer Maria und wütendem, totem Kind. Und sie hat mich heftig genervt.
Das Pinocchio, eine Holzpuppe, nicht so einfach sterben kann, es sei denn, er verbrennt, ist eine herrliche Allegorie der Unsterblichkeitsgewissheit kleiner Kinder, aber hier wird daraus ein angestrengtes Szenario über die unausweichliche Bedeutungsschwere der menschlichen Sterblichkeit.
Kein Szenarium bisher hat, so scheint es mir, das Kind ernst genommen. Geworfen in die Welt, ihr ausgeliefert, kämpfend um seine Eigenartigkeit, seine Unschuld.