Ein Treffen in einem Cafe in der Nähe meiner Wohnung, das
Gespräch ist interessant, meine Tasche hängt an der Stuhllehne zum
Fenster hin. Später rekonstruieren wir, dass ein junges Paar, mit
"südeuropäischem" Akzent hinter uns Platz nahm, bestellte, bezahlte und
ging. Und meine Tasche wohl mit ihnen.
Um 12 Uhr mittags im hellen Sonnenschein, stehe ich, ohne Schlüssel, ohne Geld, ohne Papiere, ohne Telefon vor meiner verschlossenen Wohnung und begreife wie waghalsig ein Leben ohne in meinem Hirn abgespeicherte Telefonnummern sein kann. (Soll ich sie mir an unzugänglichen Körperstellen eintätowieren lassen?) Die Nummer meiner Eltern als ich Kind war, weiß ich noch, 424511.
Vier Menschen haben einen Schlüssel zu meiner Wohnung, aber keine ihrer Nummer kenne ich auswendig. Verrückt, keine Nummer, außer meiner eigenen, die mir nichts nützt, weil mein Telefon im Besitz eines Diebes ist, der wahrscheinlich nicht mit mir reden will.
Bei verschlossener Tür würde der Schlosser die Tür aufbrechen müssen, nicht gut, also muß jemand mit Schlüssel gefunden werden. Hingehen kann ich nicht, denn im Zusammenspiel von Ausweis und Schlüssel könnten die neuen Besitzer meiner Dinge leicht auch noch meine Wohnung besuchen, um von dort das eine oder andere mitzunehmen. Der netteste Hausmeister der Welt bietet mir sein Telefon zu Nutzung an. Ich kann googeln, aber wonach? Kein Mensch setzt seine Nummer noch ins Telefonbuch oder dessen digitales Equvivalent.
Lange Rede kurzer Sinn, nach einer Stunde verschwitzter intelektueller Akrobatik, Gesprächen mit Fremden und Verwirrten, ist mein Kind, hilfreich wie immer, mit dem Rad und dem Schlüssel auf dem Weg zu mir.
Zwischendurch bietet mir ein Nachbar Unterschlupf, eine anderer ein neues Vorhängeschloß für den Keller, ein dritter einen Apfel und ein Engel eine Zigarette an.
Wohnung öffnen, noch alles da, Erleichterung, Schlosser kommt, reizend, gutaussehend, still UND kompetent, wechselt Türschlösser aus.
2688 Festnetz-Anrufe später, (Ja, ich habe noch Festnetz und eine Mailadresse bei AOL!) sind Karten gesperrt, neue bestellt, Anzeige erstattet, Telefon gekauft, gehortetes Bargeld gefunden, Freunde benachrichtigt. Bei den albernen Punktesammelkarten versuche ich es gar nicht, perdu, ein zauberhaftes, gemaltes "Ausweisbild" meiner damals etwa 8-jährigen Nichte auch.
Der gestohlene Ausweis hatte das einzige gute Passphoto meines Lebens, photographiert in der deutschen Botschaft in London vor 12 Jahren im September, als mir schon einmal die Tasche entwendet worden war. Das neue biometrische Bild zeigt eine verkrampfte Frau mit einem Hängelied, die panisch versucht, den Kopf gerade zu halten und keinerlei Mimik zu zeigen. Etwas, dass mir, wie alle die mich kennen, wissen, sehr schwer fällt. Im Ergebnis sehe ich aus, wie eine mißmutige Kindermörderin.
Ein Absacker Gin Tonic und dummes Fernsehen beenden den Tag.
Um 3 Uhr früh stehe ich im Bett, der Schreck war angekommen.
Leicht sentimentale Fußnote: Die einzige Abbuchung, die von meinem Konto gemacht wurde, vor der Kartensperrung, waren 9 Euro 80 bei MacDonald.
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