Samstag, 3. November 2018

Besser als nichts.

Im Osten schlurften wir mißmutig zur Wahl oder wurden hingeschleift und durften doch gar nicht wählen. Heute könnten wir wählen und gehen nicht hin, weil wir nicht wissen, wen wir wählen sollen, denken, dass es eh nichts bringt, oder weil wir zu faul, desinteressiert, träge sind. Oder wir wählen zwischen Regen und Traufe, die nicht ganz so schlimm scheinende Variante. Was soll's.

Wenn ich mir z.B. die Wahlbeteiligung beim Brexit-Referendum angucke, möchte ich meinen Kopf trotzdem hart gegen eine Mauer schlagen.

Aber wen würde ich Klugscheißer heute und jetzt wählen? Gott laß es Hirn auf mich regnen! Wen kann ich denn wählen, wenn ich versuchen will, anständig zu sein, nicht herzlos entscheiden will, wenn ich zu viel Zeitungen lese und dann zu viel nachdenke?

Ich verorte mich vage links. Vage, weil die Verortung links/rechts, meines Erachtens, nur noch gebraucht wird, um sich von den auf der anderen Seite Stehenden hart abzugrenzen. Es bezeichnet nicht mehr eine Haltung zu den sozialen Verhältnissen, nicht die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Ordnung, wie absurd diese Hoffnung auch scheinen mag. Denn gebranntes Kind scheut (schlauerweise) das Feuer.

Eine Diktatur habe ich, beschützt, aber nicht blind und taub erlebt, und sie gefiel mir gar nicht. Ich hatte Freunde, die im Gefängnis gelitten haben, und andere Freunde, die, wie ich später erfuhr, in der Stasi waren. Eine Utopie, unverdaut meine Utopie wurde verraten, vergewaltigt und zerdroschen.

Was ist meine heutige Sicht?
Europa ist nicht der Nabel der Welt, die USA nicht die Heimat der Freiheit.
Sentimentale Erinnerungskultur der DDR und ihrer "Bündnispartner" gegenüber, überschreibt die Schicksale unzähliger Opfer dieser gewalttätigen Regimes mit verkitschten Lügen.

Unter anderem deshalb halte ich freie Meinungsäußerung für unser kostbarstes Gut und es macht mich fassungslos, wie wenig es genutzt wird, um der Dummheit und dem Unrecht Widerstand zu leisten und wie oft es vergeudet wird, um dubiosen Kränkungen, selbstgerechten Rechthabereien und dumpfen Ressentiments Ausdruck zu geben. Von der aus Auflagengier geborenen Hast und Diensteifrigkeit mancher Medien nicht zu reden.
Ürigens haben auch rechte Arschlöcher ein Recht auf freie Meinungsäußerung.

Wie definiere ich mein konturloses Linkssein? 
Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und unerträglicher Armut fliehen, muß, unter allen Umständen, von uns, denen es vergleichsweise blendend geht, geholfen werden. Und auch, wenn jetzt viele ausspucken, Merkels "Wir schaffen das" hat ihr bei mir, die ich sie nicht mochte, zu Sympathie verholfen. Ja, ich weiß, das die Aufnahme dieser Menschen große und schwierige Probleme mit sich bringt. Trotzdem bestehe ich auf unsere Hilfsbereitschaft. Was sonst soll ich wünschen? Das sie alle bleiben, wo der Pfeffer wächst? Mich nicht mit ihrer Not behelligen und still und leise irgendwo da in den südlichen Gefilden verhungern, verrohen, verschwinden? Was wäre eine gute Lösung dieses monumentalen Problems?
Gerade jetzt schickt Präsident Trump 6000 Soldaten an die mexikanische Grenze, um die sich ihr nähernden Karawanen mittelamerikanischer "Wirtschaftsflüchtlinge" mit militärischer Machtpose zu stoppen. 

Polen, Ungarn, Brasilien, die USA haben ihre Entscheidung getroffen. Werden wir ihnen folgen?

Unakzeptable Anhäufung von Reichtum einerseits und akuter Mangel, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Miteinander verhindert, andererseits, sind mir unerträglich. 
Unbildung, auch politische, als Ergebnis von subventionierter Armut und der totbürokratisierten Hilflosigkeit eines unterfinanzierten, überforderten Ausbildungssektors, erzeugt notwendigerweise dummes Wahlvieh. 

Kinder armer, nicht integrierter Familien haben dabei die miesesten Karten. Meine Freundin,Lehrerin an einer Berliner Schule, hat Schüler, die im sechsten Lehrjahr solche Texte schreiben: 
Vorrausgeschickt: Das Kind wurde in den "Trainingsraum" geschickt, weil es den Unterricht gestört hatte.

Was für einen Unterricht hattest du?: Wat Kochen
Was war das Thema der Stunde? Getrenke Herstelen
Warum bist du in den TR (Trainingsraum) geschickt worden? In ganzen Sätzen:
Ich habe mit der Leher diskotiert *
sie hat mich gefragt Wenn ich
in den TR gehenwill und ich
habe ja gesat dann hat sie 
gesat ich gehe freifilich in denn
TR aber ich bin nicht freifilich 
gekomen
* Weil Sie mich ange schrien Hat
wegen ich geredet habe

Ein Schüler der 6. Klasse, also um die 12 Jahre alt. 
Ich wünsche mir dringend ein Land, in dem ein Zwölfjähriger weiß, wie freiwillig geschrieben wird, und in dem er nicht in Panik gerät, wenn er von einer entnervten Lehrerin angeschrien wird.

Wirtschaftspolitik und Geldmärkte überfordern mein Verständnis, aber ich erlebe in meiner Stadt, meinem Umfeld täglich den normalen Wahnsinn von Respektlosigkeit, Unachtsamkeit und Grobheit. "Ich mache dich Urban" ist nicht dümmer oder brutaler, als der verächtlich abstrafende Ton, dem ich hier, in meiner Blase, auf Facebook begegne. Wer nicht genau meiner Meinung ist, der ist gegen mich, und folgst du nicht willig dann brauche ich (Wort-) Gewalt.

Wo endet meine Verantwortung? Wo beginnt Politik? Gibt es, außer gutgemeinte Petitionen zu unterschreiben, überhaupt etwas was ich tun kann, um der guten Sache zu helfen? Was ist die gute Sache. Etwas mehr Gerechtigkeit?

Also spende ich für Ärzte ohne Grenzen und die UNESCO und weiß, dass Tropfen auf heiße Steine verpuffen.

Nichtsdestotrotz: https://ssl.aerzte-ohne-grenzen.de/form/online-spenden-b?pc=A_A-Brand_aerzte-ohne-grenzen-spenden-bmm&pk=%2B%C3%A4rzte+%2Bohne+%2Bgrenzen&gclid=Cj0KCQjwjvXeBRDDARIsAC38TP7_KH7ts52F3hJDRq2nz2E_peCFFd6KQW5x5ZdOSW6J35WFNersjpYaAum5EALw_wcB&utm_expid=.mjVOP3wNQBaUKu-iZF61Fw.2&utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F


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