2021. Berlin. U7. Heute.
Eine unmaskierte, schmale, mittelalte Frau, offensichtlich auf Droge, vermutlich Crack, versucht, Obdachlosenzeitungen zu verkaufen. Sie wirkt wie kurz vor dem Zusammenbruch, vor einem Hund geht sie in die Knie und streichelt ihn.
Plötzlich stutzt sie, stoppt, starrt einen jungen Mann an, "Warum lachst Du?". Sie starrt. Er zeigt auf seine Maske. Ihr "Warum lachst Du?" und seine Handzeichen wechseln mehrmals hin und her. Sie starrt. Zunehmend lauter und nun überdeutlich sagt sie: "Warum lachst Du?".
Ich sage: "Er hat nicht gelacht, er will, dass Sie eine Maske aufsetzen." Sie antwortet: "Ich werde keine Maske tragen mit meiner TBC." Lacher. Aber nur innerlich.
"Warum lachst Du?" Sie starrt weiter den jungen Mann an. Ein anderer freundlicher Mann versucht mit ihr zu reden. Sie wird wütend, beschuldigt uns, an ihrem Zustand schuld zu sein, zeigt vorwurfsvoll und aggressiv ihre vier verbliebenen Zähne und starrt. "Warum lachst Du?".
Ein junger Mann in Berliner-türkischem Dialekt rät "dem Crackjunkie" runter zu kommen, sie verwandelt sich sekundenschnell von einer bemitleidenswerten Person in eine miese Rassistin.
(Ich werde kurz sehr laut. Sie verzieht sich verbissen murmelnd.)
Und als Kontergewicht eine Geschichte, die ich gerade auf Facebook gefunden habe.
Ein Professor Perino schreibt: In einem Supermarkt in New Jerseyv sah ich eine kleine, ältere Frau, die vor einem hohen Regal stand, in dem Bonne Maman Marmeladen standen. Sie hatte Schwierigkeiten die Sorte zu finden, die sie wollte, weil die Gläser hinten in den Regalen standen. Sie konnte die Etiketten nicht lesen. Sie konnte sie nicht erreichen. Ich bot ihr Hilfe an. Nachdem ich ihr die Himbeer-Marmelade gegeben hatte, dankte sie mir, ließ eine Pause und fragte dann: " wissen Sie, warum ich diese Sorte kaufe?"
Ich lachte und antworte: "Weil sie so gut schmeckt?"
"Ja, sie schmeckt gut", sie ließ wieder eine Pause, "Ich bin eine Überlebende des Holocaust." Das war nicht das Gespräch, dass ich bei einem Sonntags-Lebensmittel-Einkauf erwartet hätte. "Während des Krieges, hat die Familie, der das Unternehmen gehört, meine Familie in Paris versteckt." Deshalb kaufe ich jetzt immer diese Sorte. Und immer, wenn ich zum Einkaufen gehe, erinnern mich meine Enkel, "Bubbe (Oma), vergiss nicht die Marmelade zu kaufen."
Ich sagte ihr, dass es keinen besseren Grund gäbe, das Produkt eines Unternehmens zu kaufen. Und dann lächelten wir beide hinter unseren Masken und gingen auseinander. ...
Das Original:
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