Mittwoch, 17. Juni 2020

Meine Mama - Barbara Marie- war einst ein Kind


Meine Mama.  
Irgendwann irgendwo in Skandinavien, zwischen 1935 und 1941, eher nach 1937. Sie sieht sehr jung aus, vielleicht 7 oder 8. Ihre Kniestrümpfe sind runtergerutscht an ihren dünnen Kinderbeinen. Kinderknie. Die Gelenke wie kleine Wurzelballen zwischen den schmalen Gliedern. Zauberhaft. Die Jacke ist wohl nicht ihre, viel zu groß. Was hat sie da an der Leine? eine Puppe, eine Wurzel? Den Blick kenne ich. Von mir. Defensiv, wenn Du mir frech kommst, haue ich Dir eine runter. 
Sie ist mit ihren Eltern und ihrem Bruder auf der Flucht vor den Faschisten. Das sieht man nicht, aber ich weiß es. 1933 aus Deutschland von einer mutigen Calvinistin herausgeschmuggelt, mit kurzem Zwischenstop in der abweisenden Schweiz, ging es danach nach Dänemark, Schweden & Finnland. In Dänemark lernte sie die Sprache, hatte Schulfreunde, in Schweden lernte sie auch und hatte aber schon weniger Freunde, Finnland mit seiner so sehr fremden Sprache ließ ihr nur ein Jahr Zeit und nur eine Freundin. Ein kurzer Zwischenstopp im stalingepeinigten Russland und dann ging es, lebensrettend, nach Los Angeles, Santa Monica. 
Sie war im Herzen eine Amerikanerin, bis zum Schluß. Auch wenn sie als deutsche Jüdin dort nie willkommen war. Aber die Samstage im Kino, drei Filme für einen Dollar, die Bananasplits und die Sprache, eine, die sie Zeit genug hatte, wirklich zu lernen, haben sie geprägt. Ich, eine ältere Dame, habe dieses Photo heute durch Zufall zum ersten Mal gesehen, meine alte Mutter, als sie ein Kind war. Ein trauriges Kind. Ich könnte heulen, aber ich will nicht. 
Tausende traurige, dünne, ungelenke, heimatlose Kinder in Flüchtlingslagern überall auf der Welt.



Sonntag, 7. Juni 2020

Das C-Wort XXI - Disziplin

Es ist knallhart, dieses Probieren in Corona-Zeiten.
Meine Spieler sind Helden, spielgeil und gleichzeitig vernünftig. Ja, das geht.
Nicht anfassen! Nicht küssen! Nicht ohrfeigen! Nicht streicheln!
Wird leise gesprochen, dürfen wir nackt bleiben, gesichtsnackt, mit Mimik und Schweiß.
Aber bei lautem Sprechen oder Singen werden sechs Meter Abstand verlangt  und sofort rauf mit den Plastikschilden!
Für viel Geld gibt es entspiegelte Schilde, aber das Geld haben wir nicht!
Also sehe ich im schlimmsten Fall kein Gesicht, sondern nur den Widerschein eines oder mehrerer Scheinwerfer!
Die Stimmen meiner Spieler schallen von ihrem Schild zurück, der Zuhörende hört eine durch den Kunststoff abgedumpfte Version.
Auf der Pro-Seite: wird jemand aggressiv, verwandelt sich die Maskenbewaffnung des Gegenübers in eine starke Theater-Haltung.
Unser Stück verlangt meistens Abstand, GottseiDank!
Wir alle wissen, dass wir ein gefährliches Spiel spielen und die Intimität der Proben tut ihr Eigenes, unseren Regelgehorsam zu gefährden.
Und nun, nach einer corona-unwissenden Probenphase bis zu drei Wochen vor der Premiere und einer zweiwöchigen corona-geprägten jetzt im Mai & Juni, soll unsere Premiere im September sein.
Aber in den Unterbrechungsmonaten verändere ich mich, denke neu, denke anders, meine Weltsicht verändert sich.
Was wird uns im September passieren? Welche Regeln gelten dann? Wie denke ich dann?
Wieviele Zuschauer dürfen wir einlassen? Genug, um unser finanzielles Überleben zu ermöglichen?
Die bremer shakespeare company ist ein teilsubventioniertes privates Theater und verhält sich in dieser Krise ungewöhnlich sozial. Ausgefallene Vorstellungen wurden bezahlt, Mein Honorar zu mehr als der Hälfte ausgezahlt.
In unseren Proben treffen Kompromissbereitschaft und anarchisches Spielbedürfnis aufeinander und wir nutzen jede Möglichkeit der Unterwanderung, was bleibt uns anderes übrig?
I wish.
Ach wäre doch alles anders!
Ach wäre der Mistkerl Trump nicht psychotisch.
Ach wäre Hautfarbe eine Nebensächligkeit.
Ach wäre die Welt einsichtiger.
Ach wäre ich vorsichtiger.
Corona ist eine Spaßbremse!
Und ein Killer!