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Samstag, 28. Juli 2018

Achtung, Achtung!

Vertrauen und Achtung, das sind die beiden unzertrennlichen Grundpfeiler der Liebe, ohne welche sie nicht bestehen kann, denn ohne Achtung hat die Liebe keinen Wert und ohne Vertrauen keine Freude. 

H. v. Kleist

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Achtung, Achtung!, Obacht, Beobachtung, Beachtung, Verachtung, Hochachtung, Mißachtung, Selbstachtung, Nichtachtung, in Acht und Bann legen, sich in acht nehmen, achtgeben / Acht geben, erachten, außer acht lassen, achtsam, achtbar, beachtlich, achtungsgebietend, achtlos, Achtungsbezeugung.
  Andacht?

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Seid nicht selbstsüchtig; strebt nicht danach, einen guten Eindruck auf andere zu machen, sondern seid bescheiden und achtet die anderen höher als euch selbst.  

Philipper 2,3

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! Achtung !

Du sollst, die anderen höher achten, als dich selbst. Sie nicht mehr lieben, aber höher achten. Mhm. 
Achten Sie auf Ihre Worte!
Achten wir auf unsere Worte!
Jeder von uns wünscht sich, geachtet zu werden, hofft, dass er beachtet wird, dass auf ihn Acht gegeben wird. Etymologisch betrachtet, könnte wir es, mit wir alle wollen erkannt werden, übersetzen. 
Verachtung schmerzt. Mißachtung kann uns geradezu unsichtbar machen. 
Unerkannt. Unverstanden. Ungesehen.
Achtsamer Umgang ist nicht nur nette Geste, nicht bloß belanglose Harmlosigkeit, er verlangt Interesse und Bemühung. Um jemanden achtungsvoll zu behandeln, bedarf es manchmal beachtlicher Anstrengung. Und leichtfertige Unachtsamkeit, kann bei manchen Menschen zu verfrühtem Tode führen. Denn unser aller Selbstachtung ist ein verletzbares Ding. Obacht!
Ich beobachte zunehmend achtlosen Umgang miteinander. Schnell gepostet, schnell vergessen. Wir verbuchen das unter realistischem Umgang mit der Welt, unter Ironie, unter witzgeschütztem Zynismus. Aber Verächtlichmachung Anderer ist letztendlich nur billig. Ich lasse die Verletzlichkeit des Anderen außer Acht. 
Haben Sie heute jemanden beachtet? Wurden Sie heute mißachtet? Wen verachten Sie? Wem gebührt Ihre Hochachtung?
Acht mal Acht ist 64.
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TREUE PFLICHT
 
An ihr liegt Alles mir.
Was acht' ich mich?
Mein Sinn ist Freund mit ihr
und hasset sich.
Was ich beginne spat und früh,
Was ich gedenk, ist sie,
die Werthe, die.

Und leb ich mich gleich tot
in solcher Pein,
noch hat es keine Not;
sie, sie kans sein,
die mir das Leben wiedergiebt,
die mich so sehr betrübt,
als sie mich liebt.

Habt Achtung auf mein Leid,
auf meine Qual,
ihr, die ihr Wächter seid
in Amors Saal'.
Hebt alle meine Tränen auf
und schafft mir Freude drauf
für guten Kauf.

Paul Fleming
 
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Acht f. ‘Aufmerksamkeit, Beachtung’, heute vornehmlich in Wendungen wie (sich) in acht nehmen, außer acht lassen, achtgeben, achthaben, in denen der substantivische Charakter des Wortes verblaßt ist. 
Ahd. ahta ‘Überlegung, Meinung, Ansehen’ (um 800), mhd. aht(e), mnd. mnl. acht(e), nl. acht, aengl. eaht sind verwandt mit got. aha ‘Sinn, Verstand’, ahjan ‘meinen’ und lassen eine Verbalwurzel germ. *ah- ‘denken, meinen’ erkennen. Ob sich die germ. Gruppe mit außergerm. Formen wie griech. óknos (ὄκνος) ‘Bedenklichkeit, Zaudern’, okné͞in (ὀκνεῖν) ‘zögern, Bedenken tragen’, toch. B āks- ‘wach sein’ verbinden und der Wurzel ie. *ok- ‘überlegen’ zuordnen läßt, ist nicht mit Sicherheit zu erweisen. 
Vom Substantiv abgeleitet ist achten Vb. ‘schätzen, aufpassen, Rücksicht nehmen’, ahd. ahtōn (um 800), mhd. ahten ‘erwägen, beachten, schätzen’, asächs. ahton, mnd. mnl. nl. achten, aengl. eahtian ‘schätzen, achten, erwägen’; vgl. anord. ætla (aus *ahtilōn) ‘meinen, glauben, vorhaben, beabsichtigen’; dazu Achtung f. ‘Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Ansehen’, ahd. ahtunga (9. Jh.), mhd. ahtunge ‘Überlegung, Wertschätzung’. Imperativisches habt, gebt Achtung! wird verkürzt zum Kommando- und Warnungsruf Achtung! (Ende 18. Jh.). 
achtbar Adj. ‘geachtet, angesehen, achtenswert, anerkennenswert, beachtlich’, mhd. aht(e)bære, zu mhd. ahte im Sinne von ‘Schätzung, Stand, Rang’, danach eigentlich ‘rangtragend’. achtsam Adj. ‘aufmerksam, wachsam, behutsam’ (16. Jh.); früher bezeugt ist unachtsam Adj. ‘nicht auf das achtend, worauf man achten sollte’, mhd. unahtsam. beachten Vb. ‘achten auf, berücksichtigen, Aufmerksamkeit schenken’, ahd. biahtōn (10. Jh.), mhd. beahten; beachtlich Adj. ‘bemerkenswert, wichtig’, geläufig seit 19. Jh., spätmhd. beahtlich. erachten Vb. ‘wofür halten, ansehen’, ahd. irahtōn (9. Jh.), mhd. erahten. verachten Vb. ‘als schlecht, minderwertig ansehen, geringschätzen, verschmähen’, mhd. verahten; verächtlich Adj. ‘Verachtung ausdrückend, abfällig, verachtenswert’ (15. Jh.); Verachtung f. ‘Geringschätzung, Abscheu’, spätmhd. verahtunge.

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Früher, da ich unerfahren
und bescheidner war als heute.
hatten meine höchste Achtung
andre Leute.
Später traf ich auf der Weide
außer mir noch mehre Kälber,
und nun schätz ich sozusagen
erst mich selber. 

Wilhelm Busch

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http://woerterbuchnetz.de/DWB//wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=GA01898#XGA01898 

Sonntag, 29. Oktober 2017

Wörter klingen - Bilder entstehen

Eine nicht erinnerte, mir nur von meiner Mutter, die heute Geburtstag hätte, würde sie noch am Leben sein, berichtete Episode aus meiner frühesten Kindheit: ich, ihr neues, erstes Baby wird angepriesen, als blond, fett, ausgeglichen und blauäugig, die Gäste bereiten den erwarteten Jubel vor und treffen auf mich, den Säugling im Gitterbett, mild grinsend und über und über mit der mir eigenen Kinderkacke beschmiert. Kontrastbild: blond und dunkelbraun.
Wir bennenen es nur ungern. Obwohl jeder von uns es produziert. Es ist unser völlig idiotisches, geteiltes Geheimnis. Wir essen und verdauen und scheiden die unverdauten Reste aus. Oben geht Nahrung rein, unten kommt Scheiße raus. Warum ist uns das so peinlich?

Die Kackwurst, ein Kinderwort - in meinem Kopf das Bild von etwas länglichem, rundlichen, mittelbraun, nahezu geruchlos. Das erstemal eigenständig auf einer Toilette oder in einen Nachttopf, Windeln werden bald ein vergessenes Wort sein. Hurra!
Aber es gibt auch viele andere Worte für diese menschliche Ausscheidung, zum Beispiel: Scheiße, Kacke, Kot, Stuhl, Darmausscheidung, Haufen, Fäzes, Fäkalien, Exkrement, Schiß, Kaviar.  
Jedes dieser Synonyme, sprachlichen Entsprechungen hat einen eigenen Geruch, eine eigene Deutung, ein eigenes damit verbundenes Gefühl.
Stuhl wird in kleinen Gläsern in Labore gesandt, zur Untersuchung.
Schiß ist, wenn es denn ein guter ist, befreiend, oder er impliziert Angst.
Kacke klingt wie infantiles Schimpfwort.

Kot ist zu untersuchen. Ein Indiz für etwas.
Die Darmausscheidung vermeidet den Ekel und übersetzt ihn hilfreich ins medizinische.
Der Haufen wurde von einem Tier ausgeschieden.
Fäkalien kommen nur in Masse vor. Sie sind Teil des Abwassers, des Abfalls, den wir als Rasse erzeugen.

Fäzes kenne ich nur im Zusammenhang von Kriminalromanen und pathologischen Untersuchungen. 

Kaviar nennt man es in Anzeigen sexueller Art. Ein Euphemismus, Wiki bezeichnet das als Glimpfwort, Beschönigung, Hehlwort, Hüllwort oder Verbrämung. Glimpfwort, als Gegensatz zur Verunglimpfung habe ich das erst heute kennengelernt.
Scheiße ist ein gutes Wort. Das deutsche Equivalent zum englischen "Fuck you". Ich liebe dieses Wort. Es ist ist hart, kurz und und nicht zu verniedlichen. Was Scheiße ist, wird nicht als etwas anderes mißverstanden werden.


Freitag, 7. Oktober 2016

REMMIDEMMI = BAMBULE = HALLIGALLI ???

REMMIDEMMI   BAMBULE   HALLIGALLI 

Geschäftigkeit, Chaos, Lärm, Trubel, Party

Verwendung der Wörter mit freundlicher Genehmigung durch Thomas Wiesenberg.

Der Inbegriff von Bambule bleibt für mich der gewöhnliche Kindergeburtstag, vor Erfindung der organisierten Bespaßung. Eine Feier ohne sorgfältig designte Einladungen, ohne Clownsauftritte, ohne eine Liste ernährungspolitisch korrekter Verbote, mit wenig Planung und nichts als der Vorahnung von herrlichem, beängstigendem, weil unbeherrschbarem Chaos.

Dazu braucht es: Sechs bis zehn Kinder, Torte & Kekse & Würstchen & Kakao (unbedingt ganz ungesund, voll mit Gluten, Laktose, Zucker, Allergenen - ih baba), Eltern in der Rolle von Kellnern und Erste-Hilfe-Personal, Möbel von denen herunterspringen werden kann, ein alter Topf mit Kochlöffel fürs Topfschlagen, die Gewinne dürfen drei Bonbons nicht übersteigen. Eine Steigerungsmöglichkeit wäre das Kinderzimmer mit ausgeschaltetem Licht, Dunkelheit als Quelle der Angt und der Lust, und der Hummelflug von Rimski-Korsakow erschallt, viel zu laut, als Untermalung zum Gespensterspielen. Der Spaß am Lärm um des Lärmens willen.
Nur minderjährige Kinder können diese quietschenden, kreischenden, schrillende Töne erzeugen, erwachsend aus reiner Lebensfreude, sehr viel Zucker, noch ziellos produzierten Hormonen und verschiedensten Kleinverletzungen, die ein wahrhaftes Bambule definieren. Mit einer Ausnahme: angetrunkene Frauen bei Stripshows. 
Das Halligalli klingt mir mehr nach Faschingsparty, schließt Alkohol, mittelalte tanzende Männer/Frauen, Kostümierung und lustige Ansprachen ein. Und ein Remmidemmi? Laut ist es auch. Aber die Stimmlage ist unkindlich tiefer, die Luft dicker, die Körper hitziger. 

Es gäbe auch noch Radau. Reiner Lärm mit einem Anteil von Gewalt. Und was ist ein Gaudi? Nur ein harmloser Spaß?

Merkwürdig wie Klang von Wörtern, eine Definition in meinem Hirn hervorruft, die durch nichts, als das mir eigene Laut-Gefühl, untermauerbar ist.
    
    
WIKIS ERKLÄRUNGEN IN AUSZÜGEN

Remmidemmi oder Remmi Demmi - Das Wort gilt als vor dem oder im 20. Jahrhundert entstanden. Seine Etymologie ist nicht geklärt. Vermutlich ist es eine Weiterentwicklung der lautmalerischen Bezeichnung Rammerdammer für den Steinmetz und Pflasterarbeiter. Die weitere Entwicklung zu Remmidemmi geschah dann wahrscheinlich unter dem Einfluss des in Norddeutschland verbreiteten Verbs rementen, 
ramenten, ramentern für „Unruhe verbreiten, lärmen, toben". Als semantisch verwandt oder auch in der Entstehung verwandt gilt außerdem das österreichisch-bairische Remisuri, Remasuri, Ramasuri „Ausgelassenheit der Kinder bei Abwesenheit der Eltern"...
Bambule ist ein Begriff aus der deutschen Gaunersprache, der das Trommeln mit allen möglichen Gegenständen innerhalb und außerhalb von Gefängniszellen als eine von Gefangenen praktizierte Form des Protestes bezeichnet. Das Wort leitet sich von dem ursprünglich wohl afrikanischen Trommeltanz Bamboule (auch Bamboula) ab, der heute noch z. B. in Louisiana und auf Guadeloupe bekannt ist.
Über die auch von Jugendlichen in Erziehungsheimen (vor der Änderung des Jugendhilferechts in den 1970er Jahren) praktizierte Form des Protestes, Lärm mit allen zur Verfügung stehenden Gegenständen zu machen, bekam Bambule im Deutschen die Bedeutung Krawall. 1970 produzierte Ulrike Meinhof den Fernsehfilm Bambule...

Hully Gully (oder eingedeutscht "Halligalli") ist ein Wort aus dem englischen Sprachbereich. Es ist eine Verstärkungsform wie etwa bei uns holterdipolter oder drunter und drüber. Ursprünglich soll es von einem traditionellen Spiel mit Nüssen oder Murmeln kommen...

Radau für Lärm stammt aus der Berlinischen Umgangssprache des späten 19. Jahrhunderts ab ca. 1890 in die Schriftsprache eindringend. Das Wort ist höchwahrscheinlich lautnachahmenden Ursprungs.

Dienstag, 17. März 2015

Wir leiden uns ins Wissen.




Ich lese mich manchesmal unerwartet ins bloggen. Ein Essay über die Illias und ich falle urplötzlich in einen Satz. Den Zorn besinge, o Göttin, des Peleussohns Achilles. Die erste Zeile der Illias. Im Original ist "Zorn" sogar das erste Wort. Dass der Zorn eines Menschen Thema eines ganzen Buches sein kann, ist schon großartig, aber heute war es ein anderer Satz, der mich gewurmt hat. Nur in einem Nebensatz erwähnt und nicht einmal aus der Illias, sondern aus einem Stück von Aischylos.

Aischylos
Agamemnon 

Vers 176-183

Wir leiden uns ins Wissen.

Zeus, der den Menschen zum Denken geführt hat,
der bestimmt hat, dass Weisheit
nur durch Leiden kommt.
Dennoch, tropft im Schlaf 
Die Trauer der Erinnerung gegen das Herz; gegen
unsere Freude sind wir maßvoll.
Von den Göttern, die in Erhabenheit sitzen
kommt Gnade irgendwie grausam.

Zeus, who guided men to think,
who has laid it down that wisdom
comes alone through suffering.
Still there drips in sleep against the heart
grief of memory; against
our pleasure we are temperate
From the gods who sit in grandeur
grace comes somehow violent.
 
Übersetzt von Richmond Lattimore
 


Zeus hat die Sterblichen auf den Weg zur Weisheit gesetzt
als er dies Gesetz festlegte;
Durch Leiden lernen wir.
Doch tropft im Schlaf vor meinem Herzen
ein trauererinnernder Schmerz.
Gesunden Menschenverstand gewinnt man nur auf die harte Tour.
Und die Gnade der Götter
(Da bin ich mir ziemlich sicher)
Ist eine Gnade, die durch Gewalt kommt.


Zeus put mortals on the road to wisdom
when he laid down this law;

By suffering we learn.
Yet there drips in sleep before my heart
a griefremembering pain.
Good sense comes the hard way.
And the grace of the gods
(i'm pretty sure)
is a grace that comes by violence. 

Übersetzt von Anne Carson



Totenmaske des Agamemnon (mykenisch, 16. Jh. v. Chr.). Gold. 
Gefunden im Grab V des Gräberrunds A auf der Akropolis in Mykene (Peloponnes, Argolis). 
Athen, Archäologisches Nationalmuseum (Griechenland, Attika).

Ihn, der uns zum ernsten Nachsinnen leitet, uns in Leid
Lernen läßt zu seiner Zeit;
Drum weint auch im Traum im Herzen noch
Kummer leideingedenk, und es keimt
Wider Willen weiser Sinn.
Wohl heißt streng und schonungslos der ewgen hochgethronten Götter Gunst!


Übersetzt von J. G. Droysen (Berlin 1832)

Denn der Weisheit Führer ist 
Zeus des Urgesetzes Herr,
Dass im Unglück Lehre wohnt.
Wachsam stirbt Gewissenbissesangst

Selbst im Schlaf unser Herz; Zwang sogar
Leitet manchen zur Vernunft.
Solches leihn die Götter uns,
In Hoheit prangend auf dem stolzen Thron.


Übersetzt von J. Minckwitz

πάθει μάθος
Pathei mathos
Aischylos Agamemnon Vers 177

Wikis Liste griechischer Phrasen schlägt Folgendes vor:
Durch Leiden lernen. Der Ausspruch geht auf Aischylos' Agamemnon zurück, wo er vom Chor als Huldigung des Zeus gesungen wird. Die zugrundeliegende Textpassage wurde recht unterschiedlich ins Deutsche übersetzt, u. a. "Dass im Unglück Lehre wohnt" (Johannes Minckwitz), oder auch "uns in Leid Lernen läßt zu seiner Zeit" (Johann Gustav Droysen), wiewohl die Grundaussage stets als die gleiche aufzufassen ist: „Er (sc. Zeus) setzte dies: dass aus Leid wir lernen.“ (Max Treu, mündlich)

We suffer into knowledge, habe ich dann als englische Übersetzung gefunden. Das gefällt mir:
Wir leiden uns ins Wissen. Oder in die Erkenntnis.
 
http://www.suhrkamp.de/buecher/zorn_und_zeit-peter_sloterdijk_45990.html

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zorn-und-zeit-von-peter-sloterdijk-wenn-ganze-kulturen-sich-beleidigt-fuehlen-1380330.html


Samstag, 7. März 2015

Mein Stift ist stiften gegangen, wer stiftet mir einen neuen?


DER STIFT ist stärker als das Schwert. 
niederländische Sprichwort

Bei uns sagt man, es ist die Feder. So sagt das Sprichwort, aber sagt es auch die Realität?
 
Vor kurzem habe ich mit meiner Lieblingsnichte Englischvokabeln geübt, ein anstrengend und letztendlich tristes Unterfangen. Das arme Kind mußte so relevante Wörter wie: Doppelhaushälfte (semi-detached house) auswendig lernen. Und bei der Vorstellung, wie eine lustige Zehnjährige gerade dieses Wort in ein Gespräch mit irgendeiner englisch sprechenden Person einflechten würde, verdrehten sich meine Augäpfel mehrmals gen Himmel. Überhaupt schien die ganze, enorme Menge von zu lernenden Wörtern, es waren mindestens fünfzig, seltsam wilkürlich, trocken und unsinnlich ausgewählt. Kein Spaß mit der völlig irrationalen und gerade deswegen vergnüglichen Rechtschreibung der Briten. Keine Lust an Wörtern, die Eines sagen, aber auch ein Anderes. Alles, was Sprache genüsslich macht, Doppel- und Mehrdeutigkeit, Überschneidungen, Widersprüchlichkeit, blieb ausgespart. 
Sprache ist doch wie Pudding, es gibt nie genug davon und doch, um ins Schlaraffenland, zu kommen, muß man sich durch den süßen Brei durchfressen, bis man irgendwo, in der Sprache ankommt. Sprache ist lustvoll und nie völlig greifbar. Mysterium und logische Konstruktion in einem. Eine Stripteasetänzerin, die nie ganz nackt isein wird.

Stift. 
Ein Wort, fünf Buchstaben. Nur eine Vokabel, wenn ich Deutsch als Fremdsprache lernen würde. Und wenn ich sie gelernt hätte, was wüßte ich dann?

 
DER STIFT, DER SCHREIBT
Buntstift, Rotstift, Bleistift; länglich, ehemals immer aus Holz, nur angespitzt nützlich
&
DER STIFT, DER WÄCHST UND LERNT
Lehrling, Bube, kleiner Kerl, manche Jungs sehen aus wie zu lange Stifte mit Armen dran.

&
DER STIFT, DER BEFESTIGT
Er ist oft spitz, ein Nagel ohne Kopf.
&
DER STIFT, DER VERBINDET
Er ist flach und braucht eine Nut, in die er hineinpasst.

&
DAS STIFT, DAS GESTIFTET WURDE
Es braucht Geld und existiert zu Ehren des stiftenden Geldgebers, oder des einzigen und
alleinigen Gottes, das ist Ansichtssache.
&
DER STIFTER, DER EINE STIFTUNG STIFTET
Er gibt Geld und stiftet es für eine Stiftung zu eigener Ehre oder siehe oben.
&
DER ANSTIFTER
Er stiftet Unruhe, Ärger oder gar einen Austand.
&
DER, DER STIFTEN GEHT
Er macht sich aus dem Staub, verduftet, verschwindet, sucht das Weite, nimmt die Füsse unter den Arm, büxt aus, entrinnt.


Kunigunde.
Der Schlüssel, liebes Herzens-Töchterchen,
Hängt, jetzt erinnr' ich michs, am Stift des Spiegels,
Der überm Putztisch glänzend eingefugt!

Käthchen.
Am Spiegelstift?

Das Käthchen von Heilbronn H. von Kleist
 
Es scheint mir, daß ein Mensch bei dem allerbesten Willen unsäglich viel Unheil anstiften kann, wenn er unbescheiden genug ist, denen nützen zu wollen, deren Geist und Wille ihm verborgen ist.
F. Nietzsche

Der Frauenleib ist der Anstiftung dringend verdächtig.
K. Tucholsky
 
Wo sie eine Verwüstung stiften, nennen sie es Frieden.
Ubi solitudinem faciunt, pacem appellant
Tacitus über die Eroberungen der Römer

Gedanken, weisheitsvoll, wenn ich sie jemals hab.
Sie brechen immer mir beim Bleistiftspitzen ab.

Carl Spitzweg 


Die Stiftshütte wird verschiedentlich auch das Zelt der Zusammenkunft oder das Zelt des Zeugnisses genannt. Dies war der von Gott anerkannte Ort, wo er unter seinem Volk wohnte und ihm begegnen wollte, und wo in Absonderung von der Außenwelt sein Wille bekannt gegeben wurde. In ihrem Innern befand sich die Bundeslade.
Wiki 

 Stiftskirche in Innichen im Hochpustertal
 
---------------------------------------------------------------------------------------------- Stift, der
indogermanische wurzel stip- 'steif sein'
lat. stipes 'pflock, pfahl' - künstlich hergestellter länglicher, meist cylindrischer körper aus metall oder holz, oft mit einer spitze
Grimms Wörterbuch
Bei einem »Stiftermahl« für eine gemeinnützige Einrichtung kam die Frage auf, wie die Wendung stiften gehen im Sinne von ›abhauen, sich verdrücken‹ entstanden sein mag. In den Lexika, die mir vorliegen, auch bei Lutz Röhrich, findet sich der Ausdruck wohl erwähnt, aber ohne Erklärung. Könnte nicht das Wort Stift in der Bedeutung ›etwas Geringes, Kleinigkeit‹ – man vergleiche Stift als ›Lehrling‹ – der Ausgangspunkt sein? Wer sich schnell aus dem Staub macht, »sich dünne macht«, wirkt nur noch wie ein Strich in der Landschaft?
[!] Der Ausdruck stiften gehen, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts geläufig ist und in vielen Wörterbü­chern, auch Dialektwörterbüchern, ver­zeich­net wird, ist trotz verschiedener Deu­tungsversuche noch nicht plausibel und sicher erklärt.
In der Soldatensprache des Ersten Weltkriegs ist der Ausdruck stiften ge­hen reichlich belegt. Gustav Hochstet­ter ­(Der feldgraue Büchmann. Geflügelte Kraftworte aus der Soldatensprache, 1916) und Otto Maußer (Deutsche Solda­tensprache, 1917) haben stiften und stiften gehen im Sinne von ›weggehen, sich entfernen, bei Gefecht sich wegmachen‹ bzw. (in der Fliegersprache) ›schnell verschwin­den, Deckung suchen‹ doku­mentiert. Dies wird wiedergegeben im Deut­schen Wörterbuch der Brüder Grimm, Bd. 10.II.II (1942, Sp. 2890), wo auch vermerkt wird, dass stiften gehen in die Umgangssprache über­nommen wurde. Die Wendung hat sich ja gehalten, und in der späteren Soldatensprache, auch der in der DDR war stiften gehen zu beobachten.
Entstanden ist der Ausdruck ver­mutlich schon zuvor. Heinz Küpper gibt in seinem Illustrierten Lexikon der deutschen Umgangssprache (Bd. 7, 1984) bei stiftengehen ›sich heimlich entfernen‹ an: »1900 ff.«, und er verweist nicht nur auf die Soldatensprache, sondern auch auf die Verbrecher- und die Polizeisprache. Zur Deutung schreibt er: »Gehört zu mhd ›stieben = Staub aufwirbeln; schnell laufen‹.« Anscheinend unter Bezug auf Küpper erwägt dies auch das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache von F. Kluge/E. Seebold (zuletzt 2002). Doch bleibt dies spekulativ. Auch Johann Knoblochs Hypothese, hier liege eine Wendung aus der Imkersprache vor – siehe das Stiften der Bienen –, ist unbewiesen. Knobloch weist darauf hin, dass die Königin nach dem Bestiften des Eis (die Bieneneier werden also als Stifte angesehen) ihre besondere Zelle verlässt und wegfliegt; ein Einfluss der Imkerfachsprache auf die Umgangssprache sei denkbar (siehe Muttersprache, 1978, S. 261 f.). Zustimmend aufgegriffen wurde diese Erklärung unseres Wissens nicht.
Für Ihren Deutungsversuch spricht zunächst, dass in der Soldatensprache des Ersten Weltkriegs, für die stiften gehen ja reichlich belegt ist, seinerzeit auch Stift in der Bedeutung ›Rekrut‹ geläufig war; dies übrigens schon früher, wie bei Paul Horn belegt (Die deutsche Soldatensprache, 1905). Doch eine rechte Sinnbeziehung will sich für mich nicht herstellen, da der Gang der Erklärung sehr verwickelt und der Ausdruck offenbar älter ist sowie auf andere Weise zu erklären sein müsste. Einige Dialektwörterbücher haben schon diese Beziehung zu Stift formal hergestellt, doch auch kein nachvollziehbares Motiv benannt.
Schon die Autoren jenes Bandes des Deutschen Wörterbuchs vermuten, die Wurzel liege in der Gaunersprache. In anderer Weise wird auf dieses Idiom Bezug genommen in Trübners Deutschem Wörterbuch, Band 6, 1955. Hier wird stiften gehen im Sinne von ›weglaufen‹ erklärt unter Hinweis auf das hebräische Wort schataf mit der Bedeutung ›überströmen‹; der Ausdruck sei »durch Gaunerkreise vor allem der Soldatensprache vermittelt worden«. Eine Bestätigung allerdings war nicht zu ermitteln.
Einen weiteren Hinweis mit Blick auf die Gaunersprache bietet Sigmund A. Wolfs Wörterbuch des Rotwelschen. Deutsche Gaunersprache (1956): Stift ist mehrfach belegt, für ›Knabe‹ und Lehrling, Kellnerlehrling‹ (Stiftche meint ›Knäbchen‹, Stiftbohrer ›Päderast‹). Stift heißt weiterhin aber auch ›Kautabak‹ und stiften ›Tabak kauen‹ (dies wird übrigens von den Dialektwörterbü­chern zum Berlinischen und zum Preußischen unterstützt). So wäre eine weitere Spe­kulation möglich: Könnte die frag­liche Wendung nicht mit Blick auf denjenigen entstanden sein, der sich aus dem Staube macht und Deckung sucht, weil er sich aus dem Gefecht zurückziehen und in Ruhe priemen will?
Eine schlüssige Erklärung für stiften gehen steht wohl noch aus, aber mir scheint, die Herleitung aus stieben hat viel für sich. Im Mittelhochdeutschen meinte stieben nicht nur ›wie Staub umherfliegen‹ und ›Staub von sich geben, stäuben‹, sondern auch ›schnell laufen, rennen, fliegen‹. Auch das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (Bd. 11, 2006) belegt stieben, übertragen und auf den Menschen bezogen, im Sinne von ›sich schnell entfernen, entfliegen‹.
Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS.de) 

stiften - afries. stifta 'stiften, gründen, erbauen, in ordnung bringen; neben diesem j-verb steht vielleicht ein ō-verb im altostndfränk. gestiftoda s. u. I. entlehnt sind norw., schwed. stifta, dän. stifte 'stiften, anstiften, errichten'. die herkunft des wortes ist unklar.

von stiften der sinngehalt 'durch einen willensentschlusz und zweckentsprechendes handeln den beginn eines werkes oder einer handlung herbeiführen', doch kann damit keine grundbedeutung festgelegt werden; bereits in den ältesten zeugnissen auf die einmalige handlung des einrichtens bezogen, nicht auf die handwerkliche tätigkeit wie bei gründen und bauen; daher ist eine konkrete grundbedeutung unwahrscheinlich 
Grimms Wörterbuch

 http://www.zeno.org/Adelung-1793/A/Stift,+das

Samstag, 16. August 2014

Tollpatsch, Trampel, Klutz


Tollpatsch, Trampel, Klutz

Vor vielen Jahren hat meine Schwester bei einem Restaurantbesuch eine winzige Perle in einer Auster gefunden. 
Als ich sie bat, mir die kleine weiße Kugel mal näher ansehen zu dürfen, gab sie mir diese nur zögerlich, weil ich in meiner Familie, und nicht nur dort, als ungeschickt verschrien bin. Ich bettelte weiter. Sie ließ sich erweichen, ich griff zu, knickte gleichzeitig mit dem Fuß um, ließ die Perle fallen und, jetzt kommts, geriet mit den Fingern in die Perlenkette an ihrem Hals, die sofort zerriß, was zur Folge hatte, dass nun ein Regen von 100 Perlen, der eben gefundenen, folgte.


Trampeltier

Den Finger habe ich mir gebrochen, als ich im Knopfloch meines Maxi-Mantels hängenblieb und zeitgleich mir selber auf den Saum trat. 
Verstauchungen, kleinere Verbrennungen, Kopfbeulen, Splitter, zerbrochene Gläser, verlorene Brillen pflastern meinen Weg. Und das alles vielleicht nur, weil meine sonst herzallerliebste Tante Gerda, überzeugt war, dass Linkshänder kriminell gefährdet sind und mich, mit sanfter Gewalt zum Benutzen der rechten Hand, umerzogen hat. 
Sonst wäre ich möglicherweise heute Jongleur.


Sehr geehrtes Trampeltier, 
heute endlich schrieb ich dir, 
hätte dir schon lang geschrieben, 
konnte kein Papier mehr kriegen. 
Bleistift hat die Spitz verloren, 
Füller ist mir zugefroren. 
Dies schrieb dir, welch ein Knüller, 
deine Freundin mit dem Füller.
 
Zur Bedeutung des Wortes links: http://www.reinhardt-verlag.de/pdf/leseprobe01646.pdf 

Holder Engel, süßer Bengel,
furchtbar liebes Trampeltier.
Du hast Augen wie Sardellen,
alle Ochsen gleichen Dir.


Zusatzstrophe von "Dunkel war's der Mond schien helle"

Klutz: clumsy person (from Yiddish קלאָץ klots 'wooden beam', cf. German Klotz)
Klutz in Yiddish means a block as in a block of wood. Hence, a klutz's clumsiness is likened to the action of a person with a block of wood for a head. 

Tollpatsch (maskulin: der Tollpatsch) ist ein Lehnwort aus dem Ungarischen, Hungarismus, und umgangssprachliche Bezeichnung für einen ungeschickten Menschen.
Das Wort wurde im 17. Jahrhundert entlehnt aus ungarisch talpas  „füßig, breitfüßig“, zu talp „Sohle“ und bezeichnete im 17. und 18. Jahrhundert in den Formen Tobatz, Tolpatsch, Talpatsch, Dolpatsch, Dalpatsch (mit Plural -en: die Tolpatschen) zunächst, wie auch im Französischen talpache, einen ungarischen Fußsoldaten, einer gängigen Erklärung zufolge speziell darum, weil ungarische Infanteristen statt festen Schuhwerks breite mit Schnüren befestigte Sohlen getragen haben sollen. Im Österreichischen wurde das Wort dann zur Spottbezeichnung für einen Soldaten ungarischer oder slawischer Herkunft, der eine unverständliche Sprache spricht.
Durch volksetymologische Umdeutung, die das Wort mit ähnlich klingendem toll („verrückt“), Tölpel („ungeschickter, dummer Mensch“) oder Talp („Tölpel“) und patschen („schwerfällig oder laut auftreten“, aber auch „laut zuschlagen, ohrfeigen, mit der Peitsche knallen“, „schwatzen“) assoziierte, wurde das Wort in seiner Bedeutung verallgemeinernd erweitert zu der heute üblichen Bezeichnung für einen Menschen, der sich ungeschickt oder tölpelhaft verhält. In Verbindung damit wurde auch die ursprüngliche Pluralform Tolpatschen durch die heute richtige Schreibweise Tollpatsche abgelöst.
Die schon im 18. Jahrhundert gelegentlich, etwa bei Gleim auftretende Schreibvariante mit doppeltem „l“ (Tollpatsch), die nach der alten Rechtschreibung nicht zulässig gewesen ist, wurde durch die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 zur einzig zulässigen Schreibweise.

Freitag, 11. Juli 2014

Kühl bis ans Herz hinan



Kühl. 
Kühl oft verstanden als nüchtern, unbeteiligt, distanziert,
selten als vorsichtig, zurückhaltend oder sogar erquickend
Kühl, ein schöner Klang und in mancher Situation eine hilfreiche Haltung.

KÜHL BIS ANS HERZ HINAN 
DER FISCHER

 Liebermann Der Fischer 1926

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Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
»Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?«

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.
HALB ZOG SIE IHN, HALB SANK ER HIN
Johann Wolfgang von Goethe 1779  



Durchs hohe Laubdach der Schatten, das streifende Lüfte bewegen,
worunter ein sichtbares Kühl in grünen Wogen sich wälzet.  

Heinrich von Kleist

Donnerstag, 1. Mai 2014

Der Nacken


 
Der Nacken
Nach Grimm: im eigentlichen Sinne, der hintere Theil des Halses, 
das Hinterhaupt. 
 
Jean-Antoine Watteau
 
 
Ihr Haar im Nacken reizet mich
Zu hundert kleinen Torenspielen.
Fast nimmermüde läßt es sich
In diesen seidnen Locken wühlen.
Sie äugelt nach dem Spiegel hin,
Belauschet meine Neckereien;
Sie schilt, daß ich ein Tändler bin,
Und freut sich doch der Tändeleien.
 
Aus: Gottfried August Bürger Die beiden Liebenden


Wiki sagt: Die Redensarten „jemand hat den Schalk im Nacken“ bzw. „jemandem sitzt der Schalk im Nacken“ weisen dem Genannten die Eigenschaft eines Schalks zu, bedeuten aber eigentlich „jemandem sitzt ein schalkhafter Dämon im Nacken“. Die Nähe zum Kopf macht den Nacken zu einem begehrten Angriffsziel für Dämonen. So kann auch Angst im Nacken sitzen, den man beugt, wenn man sich dem Schicksal eribt, das manchmal Nackenschläge versetzt.  

Der Nacken einer Frau
Andre Derain 1928

Ich 
  bin
eine Koralle
im Meer der
Erinnerungen
und warte
auf den Wind
Prinzessin
fisch
mich auf
leg mich
um deinen Hals
Das wär
mein Glück

Image courtesy of: http://www.immortalgeisha.com/

denn ich weis, das du hart bist, und dein nack ist ein eisern ader. Jes. 48, 4 

Breite um Nacken und Hals mir die Arme,
Lege dein Haupt an die klopfende Bruſt.
Daß ich an deinem Herzen erwarme,
Breite um Nacken und Hals mir die Arme,
Siehſt du nicht, daß ich vergeh’ im Harme
Mächtiger Sehnſucht nach Liebe und Luſt.
Breite um Nacken und Hals mir die Arme,
Lege dein Haupt an die klopfende Bruſt.

Detlev von Liliencron
 

Dienstag, 12. November 2013

Man könnte durchbrechen


Paul Klee Seiltänzer 1923


Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; 
ich meine immer, 
ich könnte durchfallen, 
wo so ein Loch ist. - 
Man muß mit Vorsicht auftreten, 
man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, 
 ich rat es Ihnen!

Georg Büchner 
Dantons Tod

Freitag, 18. Oktober 2013

Karl Georg Büchner geboren vor 200 Jahren


GEORG BÜCHNER starb mit 23 Jahren.

Lucille. 
Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange an, so was zu begreifen. Sterben – Sterben –! – Es darf ja alles leben, alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekommen von dem Streich. Es regt sich alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen, das Wasser rinnt, und so alles weiter bis da, dahin – nein, es darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen und schreien, daß erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt, sich nichts mehr regt.  
(Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich.) 
Das hilft nichts, da ist noch alles wie sonst; die Häuser, die Gasse, der Wind geht, die Wolken ziehen. Wir müssen's wohl leiden.

Karl Georg Büchner geboren am 17. Oktober 1813 in Goddelau im Groß- herzogtum Hessen, gestorben am 19. Februar 1837 in Zürich. Wie viele Dreiundzwanzigjährige verzweifelten, wie ich, beinahe an den eigenen altersgemäßen, mehr oder weniger talentierten Leistungen, wenn sie Büchners Dichtungen lasen? Wobei Werke ein krummes Wort für das schmale Bändchen sind, das seine gesammelten Arbeiten enthält. Aber, aber was so alles auf so wenigen Seiten Platz hat! Kein Wort zu viel. Kein Wort wie erwartet. Sprache auf des Messers Schneide.
Heiner Müller hat es am klarsten gesagt, er spricht in seiner Rede zum Büchnerpreis über Woyzeck: Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben...
Anstatt dünn mit moralisierender Weltanschauung ("Klüngelwort der Jahrhundertwende und Ersatz für Philosophie" nennt es Klemperer) übertünchter Sentimentalität, bietet er dialektische Klarsichtigkeit, wissende Verzweiflung und trotzalledem, Sehnsucht nach Utopie an. Wir müssen's wohl leiden.

ZITATE:

Dreht euch. wälzt euch! Warum bläst Gott nicht die Sonn aus, daß alles in Unzucht sich übereinanderwälzt, Mann und Weib, Mensch und Vieh?! Tut's am hellen Tag, tut's einem auf den Händen wie die Mücken! – Weib! Das Weib is heiß, heiß! – Immer zu, immer zu! - Woyzeck

Es war einmal ein arm Kind und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein. - Woyzeck  

Es krassirt ein entsetzlicher Müßiggang. – Müßiggang ist aller Laster Anfang. – Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben! Sie studiren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheirathen und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich an der Langeweile und – und das ist der Humor davon – Alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken warum, und meinen Gott weiß was dabei. Alle diese Helden, diese Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter sind im Grunde nichts als raffinirte Müßiggänger. - Leonce & Lena

Ein sonderbares Ding um die Liebe. Man liegt ein Jahr lang schlafwachend zu Bette, und an einem schönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Wasser, zieht seine Kleider an und fährt sich mit der Hand über die Stirn und besinnt sich und besinnt sich. – Mein Gott, wieviel Weiber hat man nötig, um die Skala der Liebe auf und ab zu singen? Kaum daß eine einen Ton ausfüllt. Warum ist der Dunst über unsrer Erde ein Prisma, das den weißen Glutstrahl der Liebe in einen Regenbogen bricht? - Leonce & Lena 

Camille. 
Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!
Danton (er kleidet sich an)
Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles doppelt geschieht – das ist sehr traurig.
 


Ein 2013 neu entdecktes Porträt Georg Büchners; signiert vom Darmstädter Theatermaler Philipp August Joseph Hoffmann aus dem Jahr 1833

Das Autogrammbild eines ernsthaften, zarten Dandys, manche Forscher sagen, es wäre das Porträt seines jüngeren Bruders.

BRIEFE:

An die Familie
um den 6. April 1833
Aus Straßburg nach Darmstadt
(...) Heute erhielt ich Euren Brief mit den Erzählungen aus Frankfurt. Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unseren Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade und ein elendes Kinderspielzeug, um dem ewigen Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen. Es ist eine blecherne Flinte und ein hölzerner Säbel, womit nur ein Deutscher die Abgeschmacktheit begehen konnte, Soldatchens zu spielen. Unsere Landstände sind eine Satyre auf die gesunde Vernunft, wir können noch ein Säculum damit herumziehen, und wenn wir die Resultate dann zusammennehmen, so hat das Volk die schönen Reden seiner Vertreter noch immer teurer bezahlt, als der römische Kaiser, der seinem Hofpoeten für zwei gebrochene Verse 20,000 Gulden geben ließ. Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde. Was nennt Ihr denn gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch eine rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten, dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. Wenn ich an dem, was geschehen, keinen Teil genommen und an dem, was vielleicht geschieht, keinen Teil nehmen werde, so geschieht es weder aus Mißbilligung, noch aus Furcht, sondern nur weil ich im gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung betrachte und nicht die Verblendung Derer teile, welche in den Deutschen ein zum Kampf für sein Recht bereites Volk sehen. Diese tolle Meinung führte die Frankfurter Vorfälle herbei, und der Irrtum büßte sich schwer. Irren ist übrigens keine Sünde, und die deutsche Indifferenz ist wirklich von der Art, daß sie alle Berechnung zu Schanden macht. Ich bedaure die Unglücklichen von Herzen. Sollte keiner von meinen Freunden in die Sache verwickelt sein? (...)


An die Familie
Juni 1833
Aus Straßburg nach Darmstadt
(...) Ich werde zwar immer meinen Grundsätzen gemäß handeln, habe aber in neuerer Zeit gelernt, daß nur das notwendige Bedürfnis der großen Masse Umänderungen herbeiführen kann, daß alles Bewegen und Schreien der Einzelnen vergebliches Torenwerk ist. Sie schreiben, man liest sie nicht; sie schreien, man hört sie nicht; sie handeln, man hilft ihnen nicht. (...)

 
An Wilhelmine Jaeglé
Mitte/ Ende Januar 1834
Aus Gießen nach Straßburg
(...) Schon seit einigen Tagen nehme ich jeden Augenblick die Feder in die Hand, aber es war mir unmöglich, nur ein Wort zu schreiben. Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Ärgernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, – ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an Deine Brust legen! (...)


An die Familie
28. Juli 1835
Aus Straßburg nach Darmstadt
(...) Über mein Drama muß ich einige Worte sagen: (...) Gutzkow's glänzende Kritiken habe ich gelesen und zu meiner Freude dabei bemerkt, daß ich keine Anlagen zur Eitelkeit habe. Was übrigens die sogenannte Unsittlichkeit meines Buchs angeht, so habe ich Folgendes zu antworten: der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst, aber die Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lectüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden, und da ist es mir auch nicht übel zu nehmen, wenn mein Drama ebensowenig dazu geeignet ist. Ich kann doch aus einem Danton und den Banditen der Revolution nicht Tugendhelden machen! Wenn ich ihre Liederlichkeit schildern wollte, so mußte ich sie eben liederlich sein, wenn ich ihre Gottlosigkeit zeigen wollte, so mußte ich sie eben wie Atheisten sprechen lassen. Wenn einige unanständige Ausdrücke vorkommen, so denke man an die weltbekannte, obscöne Sprache der damaligen Zeit, wovon das, was ich meine Leute sagen lasse, nur ein schwacher Abriß ist. (...) Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht. Wenn man so wollte, dürfte man keine Geschichte studieren, weil sehr viele unmoralische Dinge darin erzählt werden, müßte mit verbundenen Augen über die Gasse gehen, weil man sonst Unanständigkeiten sehen könnte, und müßte über einen Gott Zeter schreien, der eine Welt erschaffen, worauf so viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie sein solle, so antworte ich, daß ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie sie sein soll. Was noch die sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, daß sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affektiertem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, (...) Ich halte übrigens mein Werk keineswegs für vollkommen, und werde jede wahrhaft ästhetische Kritik mit Dank annehmen.

Die Deutsche Bundesbank informiert:

Die Bundesregierung gibt ab dem 10. Oktober 2013 eine 10-Euro-Gedenkmünze "200. Geburtstag Georg Büchner" heraus.
Die Gedenkmünze wird in der Prägequalität "Stempelglanz" aus einer Kupfer-Nickel-Legierung hergestellt und in der höherwertigen Sammlerqualität "Spiegelglanz" aus Silber geprägt. Das Gewicht der Silber-Gedenkmünze beträgt 16 Gramm. Die Legierung setzt sich aus 625 Tausendteilen Silber und 375 Tausendteilen Kupfer zusammen und ist durch die Inschrift "Silber 625" besonders gekennzeichnet.
Der Entwurf stammt von dem Künstler Eugen Ruhl aus Pforzheim. 

Der glatte Münzrand enthält in vertiefter Prägung die Inschrift:
"ICH BIN SO JUNG UND DIE WELT IST SO ALT".