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Freitag, 14. Juli 2017

Stumm. Meine Stimme, Mimi und ich.

Die Stimmlippen, auch: Stimmfalten, sind paarige schwingungsfähige Strukturen im Kehlkopf. Sie sind ein wesentlicher Teil des stimmbildenden Apparates des Kehlkopfes, bestehend aus der von Epithel überzogenen Stimmfalte, dem eigentlichen Stimmband, dem Musculus vocalis und den Aryknorpeln jeweils beider Seiten. Die Stimmlippen werden beidseits bei der Stimmgebung durch Anblasen aus dem Brustkorb in Schwingungen versetzt und bilden so den Primärschall der Stimme.


Meine Mutter hat mir erzählt, dass wir gemeinsam, als ich zwei Jahre alt war, meine zauberhafte Nenn-Tante Sloma in einem Westberliner Delikatessladen in dem sie damals arbeitete, besuchen gingen. 1960, also noch vor dem Mauerbau, man bin ich alt!  
Eine laute, dunkle, heisere Stimme brüllte: "Loma!", die Kunden wendeten sich der Quelle des wüsten Schreis zu und ihr Blick fiel auf mich, klein, blond, süß.

Am Telefon wurde ich später des öfteren als Herr Schall identifiziert und einige Regisseure drängten mich, meine Töne eine Oktave nach oben zu quetschen. Blond, Unschuld, Opfer - hohe Stimme. WTF?

Mein Vater spielte über 500 Mal den Arturo Ui und brüllte sich vor den Vorstellungen fachgerecht ein. Ich schrie dilettantisch mit und bekam die ersten Knötchen auf den Stimmbändern. Die gingen wieder weg, kamen nach zehn Jahre wieder & wurden operiert. Ohne Narkose, nur Vereisungsspray in den Hals, selbst die Zunge festhalten und Professor Doktor Wendler, ein ganz wunderbarer Arzt, schnitt mit einer ganz kleinen Schere, die an der Spitze eines langen Metallinstrumentes angebracht war, das kleine Gewächs weg. Ein Test-Ton direkt danach - war noch Zukunft, oder nicht mehr? Dann sechs Wochen Schweigen. Danach war alles, was mich umgab mit geschriebenen Worten vollgeschmiert. Selbst die Raufasertapete. 

Am Rande: versucht mal ohne zu sprechen, ein Buch zu kaufen. Der Verkäufer antwortet sehr laut, sehr langsam und sehr deutlich. Keine Stimme, kein Gehör, kein Hirn?

Jahre später verfiel ich auf den Plan, entgegen meiner eigenen festen Erwartung, nun doch Schauspielerin werden zu wollen. Der Stimmtest amüsierte meinen Phoneater, wiederum Professor Dr. Wendler, etwas zu sehr.
Aber ich war fleißig, Sprecherziehung, Atemübungen, Ausdauertraining. Herr Aderholt, der, mit dem französischen Regisseur, der ein tschechisches Stück mit einer Eifersuchtsszene inszeniert, war mein Sprecherzieher, für mich der ganz falsche. Er sagte, ich solle mich auf einen Tisch legen und meine Mauern fallen lassen. Ich bin anstattdessen mit starken Halsschmerzen nach Hause gegangen. 
Und fand dann, durch den Rat einer Freundin, Mimi. 
Mimi, deren Nachname mir leider ums Verrecken nicht einfallen will. Sie war einst Chorsängerin an der Komischen Oper und hatte viel mit Felsenstein gearbeitet, den sie sehr bewunderte. Sie liebte Stimmen, konnte verdruckste, gestemmte, verkrampfte Töne aber körperlich nicht ertragen, also nahm sie ihre Liebe und machte Deine/meine Stimme ihrer würdig. 
Erinnerungen: unzählige Zeitungsausschnitte mit anatomischen Darstellungen von Kehlköpfen, eine winzige Küche, ihre Passion, ihr Bedürfnis nach körperlicher Nähe, so dass ich oft fast rückwärts aus dem Küchenfenster hing. 
Aber meine empfindliches/empfindsames Organ wuchs und gedieh und wurde stärker, widerstandsfähiger. Und hat seitdem viel geleistet, viel mitgemacht und tapfer durchgehalten, trotz meiner dummen Raucherei und meiner Neigung zur Asozialität. 
Im Allgemeinen ähnelt mein physisches Naturell dem eines Ackergaules, stabil, ausdauernd und kräftig. Wenn ich allerdings Stress habe, oder Kummer, dann sind es immer meine Stimmlippen, die zuerst reagieren. Meine Schwachstelle und meine Sensibilität vereint.
Ich mag meine Stimme, sie ist zweistimmig, dunkel mit hellen Untertönen. Nicht kratzig oder derb, eher gut gebraucht. Zwar nicht herrlich verderbt, wie die von Sophie Rois, aber auch nicht harmlos. Kein Piepsstimmchen, auch nicht wunderbar süffig, nicht schön im klassischen Sinn, keine klassisch zarte Mädchenstimme, aber mittlerweile die einer erwachsenen Frau. Sie ist halt meine Stimme, die, mit der ich streiten kann und zustimmen, laut denken und leise vermuten. Sie läßt mich teilnehmen am Leben, aktiv und widerborstig und ganz ich selbst.
Apropos: ich liebe Gesang, kann aber leider nicht gut singen, auch weil meine Physis hohe Töne, obwohl als Sopran eingestuft, nur widerwillig produziert. Schade, schade. 
Vor 15 Jahren dann nochmal Ödeme, nachdem ich in einer neuen Stelle am Volkstheater in Rostock ein Jahr durchgearbeitet hatte und nachlässig geworden war, noch eine Op, diesmal unter Vollnarkose,
Und jetzt, 2017, mitten im Sommer mein persönlicher Supergau. Ein Virusinfekt. Geschlagene vier Wochen lang! Für mich, die ich nie krank bin, eine völlig unbekannte Katastrophe. Husten, noch mehr Husten und dann, als ich grad dachte, es geht wieder, schlich sich der Scheißinfekt auf meine Stimmbänder und legte mich still.
Allein sein und stumm. Wie merkwürdig. Man lebt im eigenen Kopf und hat Angst, dass man da für immer bleiben muß, allein im eigenen Kopf. Kein guter Ort. Ich bin gern mit Anderen, brauche Widerspruch, ich will, muß mich mitteilen, auseinandrsetzen. 
Heute Abend habe ich sie, meine Stimme, nach acht Tagen völliger Stilllegung wieder gehört, noch etwas angerauht, noch nicht in voller Kraft, aber wiedererkennbar, hörbar, meine Stimme.

Sonntag, 18. Juni 2017

DIE RATTE

Mein Angsttier seit Kindertagen, die Ratte.  Ein Nagetier aus der Gruppe der Altweltmäuse. Klingt niedlich, ist mir gräßlich.

So mit 10 oder 11 las ich alles über exotische Krankheiten, was ich ergattern konnte. Und hatte dann einen Tag lang Gelbfieber, eine Woche die Schlafkrankheit, und häufig die Tollwut. Totes Tier gesehen, mehr Spucke im Mund und los in Erwartung des schrecklichen Endes.

Ich las Paul de Kruifs "Mikrobenjäger", Daniel Defoes "Die Pest zu London", große Teile des Gesundheitslexikons der DDR (Die Bilder sehe ich noch immer vor mir, sie ähneln sehr denen auf heutigen Zigarettenschachteln.) Und dann, nur wegen dem Titel, Die Pest" von Albert Camus.

"Am selben Abend stand Bernard Rieux im Flur des Hauses und suchte seine Schlüssel, ehe er zu seiner Wohnung hinaufging, als er aus dem dunklen Hintergrund des Korridors eine unsicher laufende dicke Ratte mit nassem Fell auftauchen sah. Das Tier blieb stehen, schien das Gleichgewicht zu suchen, lief auf den Arzt zu, blieb wieder stehen, drehte sich mit einem kurzen Fiepen um sich selbst und fiel schließlich um, wobei sein Blut aus den halb geöffneten Lefzen spritzte. Der Arzt betrachtete es eine Weile und ging in seine Wohnung hinauf." Ein Todestanz.


Und dann waren da die Großstadtmythen meines Vaters von Plumpsklos in denen Hoden von unten angesprungen wurden oder von der Frau in der Waschküche in der Johannisstrasse, die nach langem Stillestehen, währenddessen sie das Waschbrett bearbeitet hatte, einen Schritt tat und von einer Ratte ins Bein gebissen wurde, deren Kiefer sich verkrampfte. So verkrampfte, dass sie mit der Ratte am Bein zur Notaufnahme rennen mußte.
Die Bilder saßen, sitzen tief in meinem Hirn. 


Eine tote Ratte im Mülleimer und ich trug meinen Müll wochenlang ins Theater, Pullern im Gebüsch und eine interessiert zuschauende Ratte ließ mich schreiend, mit knöchelumwehenden Höschen, auf den mit Touristen bepackten Boulevard rasen. (Niedliche kuschlige Punkratten sind nicht das gleiche.)


Ratz - Ratte, aber auch Siebenschläfer.

ratzekahl - so nackt wie der Schwanz der Ratte oder ein Ort, an dem Ratten alles weggefressen haben.

ratzen - schlafen wie ein Siebenschläfer

ratzfatz - sehr schnell - mundartlich „ratz“ = „schnell“ und „fatzen“ = „zerfetzen - dalli dalli oder ruckzuck, auch Knall auf Fall. Schnell wie ein Superschütze, es knallt und schon fällt das Wild, also eigentlich Fall auf Knall.

Ratzefummel - für den Bleistift, was der Tintenkiller für den Füller ist.

Die Ratten verlassen das sinkende Schiff - letztmöglicher Zeitpunkt um lebend zu entkommen.

Widerliches Machwerk: Der Ewige Jude Regie Fritz Hippler - Wo Ratten auch auftauchen, tragen sie Vernichtung ins Land, zerstören sie menschliche Güter und Nahrungsmittel. […] Sie sind hinterlistig, feige und grausam und treten meist in großen Scharen auf. Sie stellen unter den Tieren das Element der heimtückischen, unterirdischen Zerstörung dar – nicht anders als die Juden unter den Menschen."

Rattenfänger - in Hameln flötenspielender Kammerjäger, dann wegen verweigerter Bezahlung, Verführer musikbegeisterter Kinder. Heute, jeder, der Idioten überzeugt, dass sie tun, was er will.

Ratatouille - Pixarfilm über die Kochleidenschaft einer französischen Wanderratte

einen Rattenschwanz nach sich ziehen - ich will wissen, was ratzekahl bedeutet und schreibe über meine Rattenphobie.

Sonntag, 14. Mai 2017

Leberwurst ohne Fleisch ist Unsinn und falsch. 

Leberwurst ohne Fleisch. Dosenfisch aus dem Glas. Salziger Zucker. Hühnchen von der Ente. Unsinn.
Ich verstehe jeden, der aus moralischen oder geschmacklichen oder politischen Gründen das Essen von Fleisch ablehnt. Ich wünschte, ich wäre so stark. Veganer, Fruktarier, Paläo-Diätler, jeder wie er mag. Obwohl ich zugegebenermaßen sehr über den Spruch eines Freundes gelacht habe - "Nichts, was eine kleine Hungersnot nicht regeln würde." Trotzdem jeder wie er es mag, was er mag, solange dabei keine sehr kleinen Kinder gebraten werden.
Aber dann bitte auch genau bleiben. Formfleisch ist kein Fleisch, obwohl Fleischreste drin sind. Leberwurst ohne Leber & Schweinefleisch ist keine Leberwurst, höchstens Geflügelleberwurst. Majoran, Salz, Pfeffer, Petersilie, eine Zwiebel, eine Dose Kidney Bohnen und 150g Räuchertofu, Olivenöl, wie es ein Rezept zur Herstellung vegetarischer Leberwurst vorgibt, verwandeln sich verarbeitet nicht in Leberwurst, sondern in etwas möglicherweise Eßbares, das schmierbar ist. Leberwurstähnliche Bohnen & Tofucreme?
Gute Leberwurst, auch unter anderem Namen, schmeckt wunderbar fleischig, wohingegen Bohnen & Tofucreme, wie schmackhaft auch immer, nicht nach Fleisch schmecken kann.
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose schrieb Gertrud Stein. 

Namen sind wichtig, am Anfang war das Wort, oder? Shakespeare hat es anders, aber auch schön gesagt: A rose by any other name would smell as sweet - eine Rose, auch wenn sie anders genannt wird, würde genauso lieblich duften, aber der stinkende Gänsefuss riecht auch dann nicht rosig, wenn wir ihn Rose nennen.

 Dies ist keine Pfeife - Magritte
Als ich sagte.
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Und als ich das dann später zu einem Ring gemacht hatte, machte ich Poesie, und was tat ich, ich liebkoste, liebkoste ganz und gar und wandte mich an ein Hauptwort.

Gertrud Stein

Im Osten mangelte es an teuren Mandeln, also gab es statt Marzipan Persipan oder Resipan (Maisgrieß mit Zucker und Aroma), dann wegen Maismangels Nakapan (Kartoffelgrieß mit Zucker und Aroma).

DER SPIEGEL im April 1991: Geheimsache Süßtafel - Mit billigen Ersatzstoffen ließ die DDR-Führung teure Import-Lebensmittel nachahmen - jetzt wurden die geheimen Rezepte bekannt.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13490070.html

WELT24 2009: Viele verschnittene Lebensmittel sind Klassiker

https://www.welt.de/wissenschaft/article4155486/Viele-verschnittene-Lebensmittel-sind-Klassiker.html 

Montag, 12. September 2016

Der Korinthenkacker

DER KORINTHENKACKER

Das Wort hab ich zufällig grad gelesen. Ewig her, dass es mir untergekommen ist. Schönes Wort. Bildstark. 
Ein Korinthenkacker ist einer, der solche perfekte Genauigkeit anstrebt, dass er den Wald vor Präzisionlust nicht mehr sieht. Nicht das Thema ist wichtig, nur die Einzelheiten und wenn er mit seinen Pitzelkritiken Recht hat, ist er glücklich und vergißt völlig, worum es eigentlich ging. Lieber eine staubige Korinthe als einen Sack saftiger Trauben.
Manchmal ist ein Korinthenkacker auch nur einer, der Umleitungsschilder wahllos aufstellt, weil ihm der Weg wichtiger ist als das Ziel.

Um Korinthen zu kacken, muß man doll drücken, der Mund wird ganz klein, eng und schrumpelig, viel Anstrengung mit nur kleinem verdörrten Ergebnissen, Korinthen eben. Allerdings sind sie, die Korinthen, sehr kräftig im Geschmack.

Korinthen wurden nach der griechischen Hafenstadt Korinth benannt und werden aus der Rebsorte Korinthiaki, auch Schwarze Korinthe, hergestellt. Es handelt sich um die kleinste Rosinen-Art... sagt Wiki


Synonyme für den Kacker von Korinthen laut Thesaurus:
Formalist · Kleingeist · Kleinigkeitskrämer · Kleinkarierter · Krämerseele · Pedant · Dippelschisser (ugs.) · Erbsenzähler (ugs.) · Fliegenbeinzähler (ugs.) · I-Tüpferlreiter (ugs., österr.) · Kleinkrämer (ugs.) · Prinzipienreiter (ugs.) · Tüpflischisser (ugs., schweiz.)
 
Krümelkacker und Pingelfritz gibt es auch noch! Und im Englischen nitpicker, was soviel wie Läusezähler heißt, einer der Läuse einzeln sammelt.
Besserwisser & Rechthaber kacken manchmal Korinthen, aber nur  als Mittel um ihr eigentlich ersehntes Ziel zu erreichen. Klugscheißer dagegen, scheißen alles, Rosinen, Korinthen, Sultaninen und jedes vorstellbare Obst, mit Namen und Erntezeit und Rezeptvorschlägen, einfach um des Vergnügens willen.

 Ein Korinthenkackhaufen


Und ein Gedicht, ein seeeehr langes, dass ich auch seit langer Zeit nicht mehr gelesen habe.

Die Braut von Korinth
 
Nach Korinthus von Athen gezogen
Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt.
Einen Bürger hofft' er sich gewogen;
Beide Väter waren gastverwandt,
Hatten frühe schon
Töchterchen und Sohn
Braut und Bräutigam voraus genannt.

Aber wird er auch willkommen scheinen,
Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft?
Er ist noch ein Heide mit den Seinen,
Und sie sind schon Christen und getauft.
Keimt ein Glaube neu,
Wird oft Lieb' und Treu'
Wie ein böses Unkraut ausgerauft.

Und schon lag das ganze Haus im Stillen,
Vater, Töchter; nur die Mutter wacht;
Sie empfängt den Gast mit bestem Willen,
Gleich ins Prunkgemach wird er gebracht.
Wein und Essen prangt,
Eh' er es verlangt:
So versorgend wünscht sie gute Nacht.

Aber bei dem wohlbestellten Essen
Wird die Lust der Speise nicht erregt;
Müdigkeit läßt Speis und Trank vergessen,
Daß er angekleidet sich aufs Bette legt;
Und er schlummert fast,
Als ein seltner Gast
Sich zur offnen Tür herein bewegt.

Denn er sieht, bei seiner Lampe Schimmer
Tritt, mit weißem Schleier und Gewand,
Sittsam still ein Mädchen in das Zimmer,
Um die Stirn ein schwarz und goldnes Band.
Wie sie ihn erblickt,
Hebt sie, die erschrickt,
Mit Erstaunen eine weiße Hand.

"Bin ich", rief sie aus, "so fremd im Hause,
Daß ich von dem Gaste nichts vernahm?
Ach, so hält man mich in meiner Klause!
Und nun überfällt mich hier die Scham.
Ruhe nur so fort
Auf dem Lager dort,
Und ich gehe schnell, so wie ich kam."

"Bleibe, schönes Mädchen!" ruft der Knabe,
Rafft von seinem Lager sich geschwind:
"Hier ist Ceres', hier ist Bacchus' Gabe;
Und du bringst den Amor, liebes Kind!
Bist vor Schrecken blaß!
Liebe, komm und laß,
Laß uns sehn, wie froh die Götter sind."

"Ferne bleib', o Jüngling! bleibe stehen;
Ich gehöre nicht den Freuden an.
Schon der letzte Schritt ist, ach! geschehen
Durch der guten Mutter kranken Wahn,
Die genesend schwur:
'Jugend und Natur
Sei dem Himmel künftig untertan.'

"Und der alten Götter bunt Gewimmel
Hat sogleich das stille Haus geleert.
Unsichtbar wird einer nur im Himmel,
Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt;
Opfer fallen hier,
Weder Lamm noch Stier,
Aber Menschenopfer unerhört."

Und er fragt und wäget alle Worte,
Deren keines seinem Geist entgeht:
Ist es möglich, daß am stillen Orte
Die geliebte Braut hier vor mir steht?
"Sei die Meine nur!
Unsrer Väter Schwur
Hat vom Himmel Segen uns erfleht."

"Mich erhältst du nicht, du gute Seele!
Meiner zweiten Schwester gönnt man dich.
Wenn ich mich in stiller Klause quäle,
Ach! in ihren Armen denk an mich,
Die an dich nur denkt,
Die sich liebend kränkt;
In die Erde bald verbirgt sie sich."

"Nein! bei dieser Flamme sei's geschworen,
Gütig zeigt sie Hymen uns voraus;
Bist der Freude nicht und mir verloren,
Kommst mit mir in meines Vaters Haus.
Liebchen, bleibe hier,
Feire gleich mit mir
Unerwartet unsern Hochzeitschmaus!"

Und schon wechseln sie der Treue Zeichen;
Golden reicht sie ihm die Kette dar,
Und er will ihr eine Schale reichen,
Silbern, künstlich, wie nicht eine war.
"Die ist nicht für mich;
Doch, ich bitte dich,
Eine Locke gib von deinem Haar!"

Eben schlug die dumpfe Geisterstunde,
Und nun schien es ihr erst wohl zu sein.
Gierig schlürfte sie mit blassem Munde
Nun den dunkel blutgefärbten Wein;
Doch vom Weizenbrot,
Das er freundlich bot,
Nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.

Und dem Jüngling reichte sie die Schale,
Der, wie sie, nun hastig lüstern trank.
Liebe fordert er beim stillen Mahle;
Ach, sein armes Herz war liebekrank.
Doch sie widersteht,
Wie er immer fleht,
Bis er weinend auf das Bette sank.

Und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder:
"Ach, wie ungern seh' ich dich gequält!
Aber, ach! berührst du meine Glieder,
Fühlst du schaudernd, was ich dir verhehlt.
Wie der Schnee so weiß,
Aber kalt wie Eis,
Ist das Liebchen, das du dir erwählt."

Heftig faßt er sie mit starken Armen,
Von der Liebe Jugendkraft durchmannt:
"Hoffe doch, bei mir noch zu erwarmen,
Wärst du selbst mir aus dem Grab gesandt!
Wechselhauch und Kuß!
Liebesüberfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt?"

Liebe schließet fester sie zusammen,
Tränen mischen sich in ihre Lust;
Gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
Eins ist nur im andern sich bewußt.
Seine Liebeswut
Wärmt ihr starres Blut,
Doch es schlagt kein Herz in ihrer Brust.

Unterdessen schleichet auf dem Gange
Häuslich spät die Mutter noch vorbei,
Horchet an der Tür und horchet lange,
Welch ein sonderbarer Ton es sei:
Klag- und Wonnelaut
Bräutigams und Braut
Und des Liebestammelns Raserei.

Unbeweglich bleibt sie an der Türe,
Weil sie erst sich überzeugen muß,
Und sie hört die höchsten Liebesschwüre,
Lieb' und Schmeichelworte, mit Verdruß:
"Still! der Hahn erwacht!" -
"Aber morgen Nacht
Bist du wieder da?" Und Kuß auf Kuß.

Länger hält die Mutter nicht das Zürnen,
Öffnet das bekannte Schloß geschwind:
"Gibt es hier im Hause solche Dirnen,
Die dem Fremden gleich zu Willen sind?"
So zur Tür hinein.
Bei der Lampe Schein
Sieht sie - Gott! sie sieht ihr eigen Kind.

Und der Jüngling will im ersten Schrecken
Mit des Mädchens eignem Schleierflor,
Mit dem Teppich die Geliebte decken;
Doch sie windet gleich sich selbst hervor.
Wie mit Geists Gewalt
Hebet die Gestalt
Lang und langsam sich im Bett' empor.

"Mutter! Mutter!" spricht sie hohle Worte:
"So mißgönnt Ihr mir die schöne Nacht!
Ihr vertreibt mich von dem warmen Orte.
Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?
Ist's Euch nicht genug,
Daß ins Leichentuch,
Daß Ihr früh mich in das Grab gebracht?

"Aber aus der schwerbedeckten Enge
Treibet mich ein eigenes Gericht.
Eurer Priester summende Gesänge
Und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
Nicht, wo Jugend fühlt;
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht.

"Dieser Jüngling war mir erst versprochen,
Als noch Venus' heitrer Tempel stand.
Mutter, habt Ihr doch das Wort gebrochen,
Weil ein fremd, ein falsch Gelübd' Euch band!
Doch kein Gott erhört,
Wenn die Mutter schwört,
Zu versagen ihrer Tochter Hand.

"Aus dem Grabe werd' ich ausgetrieben,
Noch zu suchen das vermißte Gut,
Noch den schon verlornen Mann zu lieben
Und zu saugen seines Herzens Blut.
Ist's um den gescheh'n,
Muß nach andern geh'n,
Und das junge Volk erliegt der Wut. -

"Schöner Jüngling! kannst nicht länger leben;
Du versiechest nun an diesem Ort.
Meine Kette hab' ich dir gegeben;
Deine Locke nehm' ich mit mir fort.
Sieh sie an genau!
Morgen bist du grau,
Und nur braun erscheinst du wieder dort. -

"Höre, Mutter, nun die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schichte du;
Öffne meine bange kleine Hütte,
Bring in Flammen Liebende zur Ruh'!
Wenn der Funke sprüht,
Wenn die Asche glüht,
Eilen wir den alten Göttern zu."
 
Johann Wolfgang von Goethe

Mittwoch, 31. August 2016

Der Mensch, das Mensch, a Mensh

Der Mensch

Das Englische hat kein gleichwertiges Wort, human being meint das gleiche, wirkt auf mich aber ungelenker, mehr Definition als Name, wie auch das lateinische Homo sapiens. Ein Mensch wie schön das klingt, ein Klang wie  Matsch, Flunsch, Quatsch, aber weniger lautmalerisch, runder, vollendeter, es fehlt nichts, es muß nichts dazu. Es reimt sich auch auf kein anderes Wort unserer Sprache. 
Und wir nutzen es unbedacht in vielfältiger widersprüchlicher Art. 

Menschlich, wie ein Mensch handeln, auf gute Art.
Menschheit, sind wir alle, ein diffuser Begriff, alle ausschließend, die wir nicht als Menschen anerkennen.
Unmensch, ein Mensch, der nicht menschlich handelt.
Menscheln, ursprünglich, noch bei Grimm, sich menschlich zeigen, heute aber eher wie Gutmensch unangenehm besetzt.
Vermenschlichen, entweder Nichtmenschlichem menschliche Züge geben (Anthropomorphismus) oder etwas sympathischer, niedlicher machen.
Menschenskind!, Ausruf von amüsierter Hilflosigkeit oder Anrede für ein menschliches Kind.
Mensch Meier! Entspricht in etwa "Das kann doch nicht wahr sein!"
Entmenschen, jemanden seiner Menschlichkeit berauben.
Ditte Menschenkind, ein heute fast vergessener Roman von Martin Andersen Nexö, der mich als junge Leserin erschrocken hinterließ.
Ein Mensch, wie stolz das klingt! schrieb Maxim Gorki und konnte Stalin doch nicht widerstehen.
Und unser Goethe schrieb im Faust: "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein." 

Im Englischen wäre french als Reim auf Mensch möglich, und bench und wrench und stench, aber nur die Amerikaner nutzen das Wort und dann in einer ganz anderer Bedeutung, denn sie haben es von emigrierten Jiddischsprechern übernommen, die mit a mensch etwas völlig anderes meinten. (Siehe weiter unten.)
Übrigens, ist der Mensch männlich, aber bis wir uns genderneutral UND wohlklingend unterhalten können, wird wohl noch einige Zeit vergehen, lieber/liebe Mensch/-in oder besser Menschx?

Wiki definiert es so: Der Mensch (auch Homo sapiens, lat., verstehender, verständiger bzw. weiser, gescheiter, kluger, vernünftiger Mensch) ist nach der biologischen Systematik ein höheres Säugetier aus der Ordnung der Primaten (Primates). Er gehört zur Unterordnung der Trockennasenprimaten (Haplorrhini) und dort zur Familie der Menschenaffen (Hominidae).
Und etymologisch so: Das Wort ist eine Substantivierung von althochdeutsch mennisc, mittelhochdeutsch mennisch für „mannhaft“ und wird zurückgeführt auf einen indogermanischen Wortstamm, in dem die Bedeutung Mann und Mensch in eins fiel...

 
Das Mensch
Im Woyzeck fragt Marie den Woyzeck: Bin ich ein Mensch? und Andres fragt ihn: Wegen dem Mensch?

Laut Adelung:
In engerer Bedeutung, eine geringe Person weiblichen Geschlechtes, im verächtlichen Verstande. Ein armes Mensch. Ein böses, zanksüchtiges Mensch. Ein Frauensmensch, Weibsmensch. Besonders eine zu geringen Diensten verpflichtete weibliche Person, eine Magd, Ital. Massara; doch auch nur in der harten und verächtlichen Sprechart. Ein Dienstmensch, Küchenmensch, Kindermensch, Stubenmensch. Dem armen Menschen, (Mensche,) Gell. An den Höfen sind die Kammermenscher geringere Kammerbedienten, welche unmittelbar auf die Kammerdienerinnen folgen, und ihres geringen und verächtlichen Titels ungeachtet oft Figur genug machen. Die Kehrmenscher sind eben daselbst geringere weibliche Personen, welche die Zimmer auskehren. 

Mensch

Ebenfalls laut Adelung: In noch verächtlicherm Verstande pflegt man eine Hure in manchen Gegenden nur ein Mensch zu nennen; wo es zugleich ein Schimpfwort ist, welches auf Anbringen des Klägers gerichtlich geahndet wird. Engl. Wench, ein junges Mädchen, und eine Hure.

A Mensch, Mentsh, Mensh oder auch Mentsch
Ein Kompliment, vielleicht das größte, das man jemandem schenken kann: "Er ist a mensch." Er ist anständig, gut, hat ein großes Herz, er ist hilfreich, edel. Sei ein Mensch! 
Übrigens, vor dem schlimmen Krieg sprachen circa 12 Millionen Menschen Jiddisch. Heute sind es vielleicht noch der zehnte Teil davon.

A REAL MENTSH - Wie ein deutsches Wort über das Jiddische ins amerikanische Englisch fand
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/18359 
 
Im Jiddischen gibt es wunderbares Wort für Muttersprache - Mameloshn.

Montag, 22. August 2016

Abhauen - Damals als DDR-Bürger noch Flüchtende waren

Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.
Victor Klemperer LTI

"Der ist abgehauen." In der DDR ein bleischwerwiegender Satz, endgültiger war nur: er ist auf der Flucht erschossen worden, also tot, oder erwischt worden, also auf unbestimmte Zeit in einem ostdeutschen Gefängnis eingesperrt.
Ein Besuch in der Gedenkstätte Hohenschönhausen ist übrigens sehr zu empfehlen, wenn man eine Vorstellung von den Zuständen in solchen Institutionen bekommen will.
Eine Freundin hat dann neulich gesagt, dass das Wort "abhauen" so einen komisch negativen Beigeschmack hat, es schließt 'jemanden verlassen' ein, Rücksichtslosigkeit. Ist uns Dagebliebenen da etwas unterlaufen? 

Fast jeder von uns hat einmal mit dem Gedanken ans Wegmachen gespielt und unsere Gründe es nicht zu tun, waren vielfältig.
Aber haben wir vielleicht unser schlechtes Gewissen, weil wir blieben, den Neid auf den Mut derer, die geflohen sind, haben wir diese ambivalenten Gefühle, ohne es selbst zu bemerken, in diesem Verb versteckt? Gerade jetzt, wo es in den Medien allüberall so komplizierte Diskussionen über die Macht von Wörtern gibt, zum Beispiel ob man Bei-Uns-Asylsuchende als Flüchtlinge oder Geflüchtete bezeichnen sollte, finde ich so einen Gedanken nicht weit hergeholt.
Wir hätten ja auch sagen können: "Er ist entkommen."

Noch einmal Victor Klemperer diesmal aus einem Aufsatz über sein Buch LTI (Lingua Tertii Imperii): Man zitiert immer wieder TALLEYRANDs Satz, die Sprache sei dazu da, die Gedanken des Diplomaten (oder eines schlauen und fragwürdigen Menschen überhaupt) zu verbergen. Aber genau das Gegenteil hiervon ist richtig. Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern, sei es vor sich selber, auch was er unbewußt in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag. Die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein - im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen.

 
Victor Klemperer: Die unbewältigte Sprache, Darmstadt 1966 


https://www.amazon.de/Reclam-Bibliothek-Band-278-Klemperer-Philologen/dp/3379001252/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1471898677&sr=8-2&keywords=lti

ABHAUEN

transitiv: etwas abschlagen, abtrennen (starke und schwache Konjugation: hieb/ haute ab und abgehauen/ abgehaut) 

intransitiv: sich entfernen, davonmachen (Präteritum nur schwache Konjugation: haute; Partizip II abgehaut oder abgehauen)

ddrisch: illegal das Hoheitsgebiet der DDR verlassen, um in die BRD umzusiedeln, siehe auch Rübermachen

Aus dem Buch: Schlüsselwörter der Wendezeit

Bezeichnungen im Rahmen des Themas „Das Verlassen der DDR durch DDR-Bürger als eine Massenerscheinung der frühen Wendezeit"

fliehen, flüchten, Flucht, Flüchtling
übersiedeln, Übersiedlung, Übersiedler
ausreisen, Ausreise
(die DDR) verlassen
weggehen, Weggang, weglaufen, wegmachen, wegrennen, wegziehen, Wegzug
abwandern, Abwanderung
Exodus
ausbürgern, Ausbürgerung
(der DDR) den Rücken kehren
in den Westen gehen
auswandern, Auswanderung
ausweisen, Ausweisung
abhauen
Abstimmung mit den Füßen
davonlaufen
türmen
rübergehen, rübermachen
ausreißen, Ausreißer
aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen, Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR
flitzen
Zur Erinnerung ein Bild, das einen der vielen Gründe zeigt, warum man dort wegwollte.

© picture alliance / dpa

Die „Schlüsselwörter der Wendezeit“ (Herberg/Steffens/Tellenbach 1997) wurden in den Jahren 1993-1996 am Institut für Deutsche Sprache mit dem Ziel erarbeitet, den öffentlichen Sprachgebrauch der Wendezeit in der DDR und in der Bundesrepublik konsequent korpusbezogen und textdokumentativ darzustellen. Es handelt sich um ein textorientiertes, d.h. auf der Basis eines definierten Textkorpus des Wendekorpus erarbeitetes Buch, das den öffentlichen Gebrauch ausgewählter Lexeme in einem bestimmten Zeitabschnitt der Wendezeit darstellt, erläutert und dokumentiert. Dennoch ist es kein „Wörterbuch“ im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr ein „Buch über Wörter“.

Mittwoch, 27. Juli 2016

Heimsuchung - Besuch oder Strafe

Ich mag Wörter, die sich scheinbar selbst widersprechen. Sie sind älter, viel gebraucht und nachgiebig geworden. Sie meinen sich und auch ihr Gegenteil. Und es ist ihnen Recht.

Die Brüder Grimm schreiben:
HEIMSUCHEN: besuchen, aufsuchen im eigenen hause
 
Mariä Heimsuchung ist jährlich am 2. Juni

Wenn Maria ihn am 24. Dezember geboren hat, ist sie im Juni also ungefähr im vierten Monat. Ein Besuch unter Verwandten. Die Jüngere besucht die Ältere. Sie wurde heimgesucht und sucht nun ihre Base, Muhme, die Schwester ihrer Mutter oder die Ehefrau des Bruders der Mutter, heim, die etwa im sechsten Monat mit Johannes dem Täufer schwanger ist. Das Kind, das später Jesus taufen wird, hüpft in ihrem Leib. Vorfreude!

Mariae Heimsuchung

Noch erging sie's leicht im Anbeginne,
doch im Steigen manchmal ward sie schon
ihres wunderbaren Leibes inne, -
und dann stand sie, atmend, auf den hohn

Judenbergen. Aber nicht das Land,
ihre Fülle war um sie gebreitet;
gehend fühlte sie: man überschreitet
nie die Größe, die sie jetzt empfand.

Und es drängte sie, die Hand zu legen
auf den andern Leib, der weiter war.
Und die Frauen schwankten sich entgegen
und berührten sich Gewand und Haar.

Jede, voll von ihrem Heiligtume,
schützte sich mit der Gevatterin.
Ach der Heiland in ihr war noch Blume,
doch den Täufer in dem Schooß der Muhme
riß die Freude schon zum Hüpfen hin. 
Rainer Maria Rilke 1912
 
 Die Heimsuchung. Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Kupferstichkabinett.
Maria trägt ihren Heiligenschein wie einen Sonnenhut.

Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, 
hüpfte das Kind in ihrem Leibe. 

Mariam & Elischeva - Maria & Elisabet

Am Fest Mariä Heimsuchung (lateinisch: Visitatio Mariae, Besuch der Maria) gedenken die römisch-katholische und die altkatholische Kirche sowie teilweise die anglikanischen und die lutherischen Kirchen der Episode, die in Lk 1,39 EU im Anschluss an die Verkündigungsszene erzählt wird:
Lukas 1: Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.

Elisabet, selbst im sechsten Monat schwanger (Johannes der Täufer), begrüßt Maria mit den Worten: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Maria antwortet mit ihrem berühmten Loblied, dem Magnificat.

Meine Seele preist die Größe des Herrn,
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. 

Uber die Heimsuchung Mariä

Kind! nicht gebohren Kind/ doch schon der Welt Verlangen!
Kind das noch eh als Mensch der Menschen Tröster heist/
Das dieses Kind besucht/ das voll von Flamm und Geist/
Dich in der Mutter Leib mit Hüpffen hat empfangen!
Schau Kind/ schau Freuden-Kind/ wie mit bethränten Wangen
Ich in der Wehmuth schwimm/ in Wehmuth die mich beist/
In Wehmuth/ die mein Hertz umschlossen hält/ und reist.
Daß ich offt wünsch' ich wär in Mutterleib vergangen.
O komm doch süsses Kind/ du kanst mich frölich machen!
Komm/ komm/ mein Geist wird dir mit Lust entgegen gehn/
Und ob er liegt/ durch dich in lauter Wonn auffstehn!
Gleich wie Elisabeth fühlt ihre Frucht auffwachen/
Wen du besuchst/ fühlt/ ob er schon nicht sieht/
Dich Lebens-Krafft/ durch die das Leben blüht.
 
Andreas Gryphius
Aus der Sammlung Aus dem Nachlaß

Aber auch: HEIMSUCHUNG: besuch des strafenden gottes, so dasz das wort geradezu in die bedeutung strafe, strafgericht übergeht

Jeremias 23/12: Darum ist ihr Weg wie ein glatter Weg im Finstern, darauf sie gleiten und fallen; denn ich will Unglück über sie kommen lassen, das Jahr ihrer Heimsuchung, spricht der HERR.
HEIMSUCHT: heimweh

Samstag, 30. Mai 2015

DER PATERNOSTER & DAS VATERUNSER


DER PATERNOSTER & DAS VATERUNSER

Unser Vater in dem Himmel!
Dein Name werde geheiliget.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.
Unser täglich Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schulden,
wie wir unsern Schuldigern vergeben.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Übel.

Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen.

Der Paternoster, oder unschöner der Personenumlaufaufzug, wurde 1880 als Transportmittel für Pakete erfunden. Erst Jahre später wurde er auch von menschlichen Passagieren genutzt. 
Weil er durchgehend in Bewegung bleibt, verbraucht er weniger Energie als ein gewöhnlicher Aufzug, er gleitet elegant in einer ununterbrochenen Ellipse dahin und, wenn man ihn betritt, vermittelt er einem ein angenehm abenteuerliche Gefühl. Denn was würde passieren, wenn man den letzten Ausstieg verpasst und ganz oben kopfüber umgestülpt würde? Absturz oder ein neues Leben als Gegenfüßler? Als Antipode?

"Was verkünden denn jene, die meinen, es gebe Antipoden, die uns die Füße zukehren? Ja, wer ist denn so töricht wie der, der glaubt, es gebe Menschen, deren Füße über den Köpfen sind? Oder wo das, was bei uns herunter zeigt, nach oben hängt? Wo Pflanzen und Bäume nach unten wachsen? Wo Regen und Schnee und Hagel zur Erde nach oben fallen?" Laktanz

Liste von Paternosteraufzügen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Paternosteraufz%C3%BCgen 
Wie funktioniert ein Paternoster:
http://www.wissen.de/wie-funktioniert-ein-paternoster-aufzug 

Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) zur Verbesserung des Arbeitsschutzes bei der Verwendung von Arbeitsmitteln durch Beschäftigte sowie dem Schutz Dritter beim Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen wurde jetzt dahingehend verändert, dass nur noch gründlich eingewiesene Personen, die ihre Informiertheit durch ihre Unterschrift bestätigt haben, Paternoster befahren dürfen.
„Der Arbeitgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass Personenumlaufaufzüge nur von Beschäftigen benutzt werden."  Also müssen für Besucher nun Fahrstühle eingebaut werden?



Der Name Paternoster spielt auf seine Bauweise an. Die Personenkabinen sind hintereinander an einer Kette installiert. Das Prinzip ähnelt der Aufreihung der Perlen an einem katholischen Rosenkranz zum Abzählen der Gebete Ave Maria und Vater Unser, auf lateinisch Paternoster. Erfunden wurde der Personenumlaufaufzug im 19. Jahrhundert in England. Das Londoner Postamt kam 1876 in den Genuss des ersten Paternosters der Welt. Dieser wurde zunächst jedoch nur für Pakete verwendet. Der erste Umlaufaufzug zur Personenbeförderung wurde 1884 in Betrieb genommen. Zwei Jahre danach kam der erste deutsche Paternoster im Dovenhof in Hamburg zum Einsatz.
http://www.hundt-consult.de/blog/schlechte-nachrichten-fuer-die-betreiber-von-paternostern/ 
 

Montag, 11. Mai 2015

Petrichor - Der Geruch des Regens auf trockener Erde


Es gibt Worte, die sagen, was nicht zu sagen ist.

Petrichor 
 
Ruhe. Trockenheit. Süße. Hitze. Erde. Dichte. Unbeweglichkeit. Durst
trifft auf 
Leichtigkeit. Eile. Helligkeit. Auflösung, Geruchlosigkeit. Sättigung. Feuchtigkeit.

Festigkeit auf Tropfen.
Fläche auf kleinste Teile.
Schoß auf Sättigung. 
Erwartung auf Erfüllung.
  


Petrichor

Wiki schreibt:
Der Begriff Petrichor bezeichnet den Geruch von Regen auf trockener Erde. Das Wort leitet sich aus dem Griechischen ab. Das Wort petros bedeutet Stein und ist kombiniert mit Ichor, der Flüssigkeit, die, nach der griechischen Mythologie, in den Adern der griechischen Götter fließt.
Der Begriff wurde 1964 von zwei australischen Forschern, I.J. Bear und R.G. Thomas, in einem Artikel für die Fachzeitschrift Nature geprägt. Im Artikel beschreiben die Autoren, wie der Geruch durch ein Öl entsteht, das bestimmte Pflanzen während Trockenperioden absondern, welches wiederum von Tonböden und Gesteinen adsorbiert wird. Während des Regens wird das Öl, zusammen mit einer anderen Verbindung namens Geosmin, in die Luft freigesetzt. Durch die Verbindung entsteht der markante Geruch. In einem Folgebericht zeigten Bear und Thomas 1965, dass das Öl die Keimung von Samen und das frühe Pflanzenwachstum verzögert.
 
http://www.zeit.de/2015/05/geruch-regen-stimmts 

Samstag, 7. März 2015

Mein Stift ist stiften gegangen, wer stiftet mir einen neuen?


DER STIFT ist stärker als das Schwert. 
niederländische Sprichwort

Bei uns sagt man, es ist die Feder. So sagt das Sprichwort, aber sagt es auch die Realität?
 
Vor kurzem habe ich mit meiner Lieblingsnichte Englischvokabeln geübt, ein anstrengend und letztendlich tristes Unterfangen. Das arme Kind mußte so relevante Wörter wie: Doppelhaushälfte (semi-detached house) auswendig lernen. Und bei der Vorstellung, wie eine lustige Zehnjährige gerade dieses Wort in ein Gespräch mit irgendeiner englisch sprechenden Person einflechten würde, verdrehten sich meine Augäpfel mehrmals gen Himmel. Überhaupt schien die ganze, enorme Menge von zu lernenden Wörtern, es waren mindestens fünfzig, seltsam wilkürlich, trocken und unsinnlich ausgewählt. Kein Spaß mit der völlig irrationalen und gerade deswegen vergnüglichen Rechtschreibung der Briten. Keine Lust an Wörtern, die Eines sagen, aber auch ein Anderes. Alles, was Sprache genüsslich macht, Doppel- und Mehrdeutigkeit, Überschneidungen, Widersprüchlichkeit, blieb ausgespart. 
Sprache ist doch wie Pudding, es gibt nie genug davon und doch, um ins Schlaraffenland, zu kommen, muß man sich durch den süßen Brei durchfressen, bis man irgendwo, in der Sprache ankommt. Sprache ist lustvoll und nie völlig greifbar. Mysterium und logische Konstruktion in einem. Eine Stripteasetänzerin, die nie ganz nackt isein wird.

Stift. 
Ein Wort, fünf Buchstaben. Nur eine Vokabel, wenn ich Deutsch als Fremdsprache lernen würde. Und wenn ich sie gelernt hätte, was wüßte ich dann?

 
DER STIFT, DER SCHREIBT
Buntstift, Rotstift, Bleistift; länglich, ehemals immer aus Holz, nur angespitzt nützlich
&
DER STIFT, DER WÄCHST UND LERNT
Lehrling, Bube, kleiner Kerl, manche Jungs sehen aus wie zu lange Stifte mit Armen dran.

&
DER STIFT, DER BEFESTIGT
Er ist oft spitz, ein Nagel ohne Kopf.
&
DER STIFT, DER VERBINDET
Er ist flach und braucht eine Nut, in die er hineinpasst.

&
DAS STIFT, DAS GESTIFTET WURDE
Es braucht Geld und existiert zu Ehren des stiftenden Geldgebers, oder des einzigen und
alleinigen Gottes, das ist Ansichtssache.
&
DER STIFTER, DER EINE STIFTUNG STIFTET
Er gibt Geld und stiftet es für eine Stiftung zu eigener Ehre oder siehe oben.
&
DER ANSTIFTER
Er stiftet Unruhe, Ärger oder gar einen Austand.
&
DER, DER STIFTEN GEHT
Er macht sich aus dem Staub, verduftet, verschwindet, sucht das Weite, nimmt die Füsse unter den Arm, büxt aus, entrinnt.


Kunigunde.
Der Schlüssel, liebes Herzens-Töchterchen,
Hängt, jetzt erinnr' ich michs, am Stift des Spiegels,
Der überm Putztisch glänzend eingefugt!

Käthchen.
Am Spiegelstift?

Das Käthchen von Heilbronn H. von Kleist
 
Es scheint mir, daß ein Mensch bei dem allerbesten Willen unsäglich viel Unheil anstiften kann, wenn er unbescheiden genug ist, denen nützen zu wollen, deren Geist und Wille ihm verborgen ist.
F. Nietzsche

Der Frauenleib ist der Anstiftung dringend verdächtig.
K. Tucholsky
 
Wo sie eine Verwüstung stiften, nennen sie es Frieden.
Ubi solitudinem faciunt, pacem appellant
Tacitus über die Eroberungen der Römer

Gedanken, weisheitsvoll, wenn ich sie jemals hab.
Sie brechen immer mir beim Bleistiftspitzen ab.

Carl Spitzweg 


Die Stiftshütte wird verschiedentlich auch das Zelt der Zusammenkunft oder das Zelt des Zeugnisses genannt. Dies war der von Gott anerkannte Ort, wo er unter seinem Volk wohnte und ihm begegnen wollte, und wo in Absonderung von der Außenwelt sein Wille bekannt gegeben wurde. In ihrem Innern befand sich die Bundeslade.
Wiki 

 Stiftskirche in Innichen im Hochpustertal
 
---------------------------------------------------------------------------------------------- Stift, der
indogermanische wurzel stip- 'steif sein'
lat. stipes 'pflock, pfahl' - künstlich hergestellter länglicher, meist cylindrischer körper aus metall oder holz, oft mit einer spitze
Grimms Wörterbuch
Bei einem »Stiftermahl« für eine gemeinnützige Einrichtung kam die Frage auf, wie die Wendung stiften gehen im Sinne von ›abhauen, sich verdrücken‹ entstanden sein mag. In den Lexika, die mir vorliegen, auch bei Lutz Röhrich, findet sich der Ausdruck wohl erwähnt, aber ohne Erklärung. Könnte nicht das Wort Stift in der Bedeutung ›etwas Geringes, Kleinigkeit‹ – man vergleiche Stift als ›Lehrling‹ – der Ausgangspunkt sein? Wer sich schnell aus dem Staub macht, »sich dünne macht«, wirkt nur noch wie ein Strich in der Landschaft?
[!] Der Ausdruck stiften gehen, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts geläufig ist und in vielen Wörterbü­chern, auch Dialektwörterbüchern, ver­zeich­net wird, ist trotz verschiedener Deu­tungsversuche noch nicht plausibel und sicher erklärt.
In der Soldatensprache des Ersten Weltkriegs ist der Ausdruck stiften ge­hen reichlich belegt. Gustav Hochstet­ter ­(Der feldgraue Büchmann. Geflügelte Kraftworte aus der Soldatensprache, 1916) und Otto Maußer (Deutsche Solda­tensprache, 1917) haben stiften und stiften gehen im Sinne von ›weggehen, sich entfernen, bei Gefecht sich wegmachen‹ bzw. (in der Fliegersprache) ›schnell verschwin­den, Deckung suchen‹ doku­mentiert. Dies wird wiedergegeben im Deut­schen Wörterbuch der Brüder Grimm, Bd. 10.II.II (1942, Sp. 2890), wo auch vermerkt wird, dass stiften gehen in die Umgangssprache über­nommen wurde. Die Wendung hat sich ja gehalten, und in der späteren Soldatensprache, auch der in der DDR war stiften gehen zu beobachten.
Entstanden ist der Ausdruck ver­mutlich schon zuvor. Heinz Küpper gibt in seinem Illustrierten Lexikon der deutschen Umgangssprache (Bd. 7, 1984) bei stiftengehen ›sich heimlich entfernen‹ an: »1900 ff.«, und er verweist nicht nur auf die Soldatensprache, sondern auch auf die Verbrecher- und die Polizeisprache. Zur Deutung schreibt er: »Gehört zu mhd ›stieben = Staub aufwirbeln; schnell laufen‹.« Anscheinend unter Bezug auf Küpper erwägt dies auch das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache von F. Kluge/E. Seebold (zuletzt 2002). Doch bleibt dies spekulativ. Auch Johann Knoblochs Hypothese, hier liege eine Wendung aus der Imkersprache vor – siehe das Stiften der Bienen –, ist unbewiesen. Knobloch weist darauf hin, dass die Königin nach dem Bestiften des Eis (die Bieneneier werden also als Stifte angesehen) ihre besondere Zelle verlässt und wegfliegt; ein Einfluss der Imkerfachsprache auf die Umgangssprache sei denkbar (siehe Muttersprache, 1978, S. 261 f.). Zustimmend aufgegriffen wurde diese Erklärung unseres Wissens nicht.
Für Ihren Deutungsversuch spricht zunächst, dass in der Soldatensprache des Ersten Weltkriegs, für die stiften gehen ja reichlich belegt ist, seinerzeit auch Stift in der Bedeutung ›Rekrut‹ geläufig war; dies übrigens schon früher, wie bei Paul Horn belegt (Die deutsche Soldatensprache, 1905). Doch eine rechte Sinnbeziehung will sich für mich nicht herstellen, da der Gang der Erklärung sehr verwickelt und der Ausdruck offenbar älter ist sowie auf andere Weise zu erklären sein müsste. Einige Dialektwörterbücher haben schon diese Beziehung zu Stift formal hergestellt, doch auch kein nachvollziehbares Motiv benannt.
Schon die Autoren jenes Bandes des Deutschen Wörterbuchs vermuten, die Wurzel liege in der Gaunersprache. In anderer Weise wird auf dieses Idiom Bezug genommen in Trübners Deutschem Wörterbuch, Band 6, 1955. Hier wird stiften gehen im Sinne von ›weglaufen‹ erklärt unter Hinweis auf das hebräische Wort schataf mit der Bedeutung ›überströmen‹; der Ausdruck sei »durch Gaunerkreise vor allem der Soldatensprache vermittelt worden«. Eine Bestätigung allerdings war nicht zu ermitteln.
Einen weiteren Hinweis mit Blick auf die Gaunersprache bietet Sigmund A. Wolfs Wörterbuch des Rotwelschen. Deutsche Gaunersprache (1956): Stift ist mehrfach belegt, für ›Knabe‹ und Lehrling, Kellnerlehrling‹ (Stiftche meint ›Knäbchen‹, Stiftbohrer ›Päderast‹). Stift heißt weiterhin aber auch ›Kautabak‹ und stiften ›Tabak kauen‹ (dies wird übrigens von den Dialektwörterbü­chern zum Berlinischen und zum Preußischen unterstützt). So wäre eine weitere Spe­kulation möglich: Könnte die frag­liche Wendung nicht mit Blick auf denjenigen entstanden sein, der sich aus dem Staube macht und Deckung sucht, weil er sich aus dem Gefecht zurückziehen und in Ruhe priemen will?
Eine schlüssige Erklärung für stiften gehen steht wohl noch aus, aber mir scheint, die Herleitung aus stieben hat viel für sich. Im Mittelhochdeutschen meinte stieben nicht nur ›wie Staub umherfliegen‹ und ›Staub von sich geben, stäuben‹, sondern auch ›schnell laufen, rennen, fliegen‹. Auch das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (Bd. 11, 2006) belegt stieben, übertragen und auf den Menschen bezogen, im Sinne von ›sich schnell entfernen, entfliegen‹.
Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS.de) 

stiften - afries. stifta 'stiften, gründen, erbauen, in ordnung bringen; neben diesem j-verb steht vielleicht ein ō-verb im altostndfränk. gestiftoda s. u. I. entlehnt sind norw., schwed. stifta, dän. stifte 'stiften, anstiften, errichten'. die herkunft des wortes ist unklar.

von stiften der sinngehalt 'durch einen willensentschlusz und zweckentsprechendes handeln den beginn eines werkes oder einer handlung herbeiführen', doch kann damit keine grundbedeutung festgelegt werden; bereits in den ältesten zeugnissen auf die einmalige handlung des einrichtens bezogen, nicht auf die handwerkliche tätigkeit wie bei gründen und bauen; daher ist eine konkrete grundbedeutung unwahrscheinlich 
Grimms Wörterbuch

 http://www.zeno.org/Adelung-1793/A/Stift,+das

Montag, 9. Februar 2015

Tracht & Eintracht & Zwietracht & Niedertracht & trachten




Wer Zwietracht sät, arbeitet für des Teufels Scheuer

Ich spreche und quatsche und rede so vor mich hin und höre auch vielen zu und manchmal begegne ich mittendrin einem Wort, nicht unbekannt, aber doch nie bedacht verwendet, und das Wort lungert dann so herum und will, dass ich es ausprobiere, in Sätze einbaue, genauer drüber nachdenke. So ein Stocker-Wort kann wie eine kleine Gräte im Hals stecken, ohrwurmartig Schleifen bilden oder nur kurz in der Sicht auftauchen und schnell wieder verblassen. Und manchmal bemerke ich so ein Wort in einem bestimmten Zusammenhang und dann scheint es in ganz anderen Konstellationen aus jeder zweiten Ecke zu schnipsen. Seltsam.

Meine Beschreibungen:
Eintracht - friedlich & harmonisch, mit der Gefahr öde und stagnierend zu werden, wenn sie um jeden Preis bewahrt werden soll.
Zwietracht - Unfrieden und Neid, nicht Uneinigsein, sondern gegeneinander, sich nicht mehr wahrnehmend, aber verurteilend.
Niedertracht - wenn man ihr begegnet, auch in sich selbst, reißt sie einem die Beine weg.
Tracht Prügel - dazu interessant zu lesen: http://www.welt.de/print/wams/kultur/article136989914/Es-muss-weh-tun.html

Aber dieses ganze Mahagonny
Ist nur, weil alles so schlecht ist
Weil keine Ruhe herrscht 
Und keine Eintracht
und weil es nichts gibt
Woran man sich halten kann
b.b. 

Tracht
eine Tracht Prügel - umgangssprachlich: Schläge: eine Tracht Prügel/(auch:) eine Tracht bekommen, kriegen; jemandem eine [gehörige] Tracht Prügel verpassen; zu »Tracht« in der älteren Bedeutung»aufgetragene Speise«; Prügel, die man jemandem verabreicht, wurden früher oft mit Gerichten, die man jemandem serviert, verglichen
Duden 
dazu Tracht - dracht: das, was getragen wird

Staatskunst ist die kluge Anwendung persönlicher Niedertracht für das Allgemeinwohl. 
Abraham Lincoln

Zwietracht
aus mittelhochdeutsch zwitraht, abgeleitet von enzwei tragen, „sich entzweien, uneinig sein
Wiktionary

Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.
Jesus in Lukas 12, Vers 51 bis 53

Eintracht
mittelhochdeutsch eintraht „Übereinkunft, Absprache, Vertrag“, abgeleitet von mittelhochdeutsch über ein tragen „übereinkommen, -stimmen, sich vertragen, beschließen, vereinbaren“; vergleiche frühneuhochdeutsch übereintragen. Das Wort ist seit dem 14. Jahrhundert belegt.
Wiktionary
Zustand der Einmütigkeit, der Harmonie mit anderen
Universal Lexikon

Wo Zwietracht, laß mich Eintracht bringen 
F. von Assisi

Niedertracht - bewusst gemeine, hinterhältige, boshafte Gesinnung
niederträchtig
Das Adjektiv gehört seit dem 15. Jahrhundert zum Standardwortschatz und leitet sich vom mittelhochdeutschen nidertrehtic, nidertrechtic herablassend, zu mittelhochdeutsch sich tragen, sich benehmen (also sich nach unten benehmend) ab. Im 16. Jahrhundert kommt auch hochträchtig im Sinne von hochfahrend dazu. Im 18. Jahrhundert verschlechtert sich die Bedeutung zu sittlich gemein und gering geschätzt, verächtlich. Hierzu entsteht dann die Rückbildung als Substantiv Niedertracht.
Wiktionary

Eintracht ernährt, Zwietracht verzehrt

traktieren mittelhochdeutsch trahten, althochdeutsch trahtōn < lateinisch tractare, traktieren - etwas Bestimmtes zu erreichen versuchen, 
Wiktionary
tractare - bearbeiten, berühren, schleppen, untersuchen, verhandeln, verwalten, behandeln, benehmen, besprechen, herumzerren
herumziehen, leiten, sich beschäftigen, verarbeiten, überdenken
Wörterbuch Deutsch-Latein


Psychomachia of Prudentius London
British Library MS Cotton Cleopatra C. VIII, Canterbury, Christ Church, 
Illuminierte Handschrift des 8. Jh.s n. Chr. 
Die Eintracht wird von der Zwietracht leicht verwundet.

 
Die Zwietracht schlingt mit Schlangenarmen
Die Todesfackel ohn' Erbarmen
Und würgt mit Wut in einem Augenblick,
Der göttlichen Vernunft zur Schande,
Die ganze Hoffnung ganzer Lande
Und mancher Jahre schönes Glück.
J.G. Seume


Die Masken der Niedertracht 

Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann
Marie-France Hirigoyen
Taschenbuch
http://www.amazon.de/Die-Masken-Niedertracht-Seelische-dagegen/dp/342336288X/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1423514852&sr=8-1&keywords=die+masken+der+niedertracht