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Donnerstag, 21. Juni 2018

Das Kopftuch

Artikel 4 des Grundgesetzes

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin
Vom 27. Januar 2005 


Präambel: Alle Beschäftigten genießen Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Keine Beschäftigte und kein Beschäftigter darf wegen ihres oder seines Glaubens oder ihres oder seines weltanschaulichen Bekenntnisses diskriminiert werden. Gleichzeitig ist das Land Berlin zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die Bürgerin oder der Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.

§ 1: Beamtinnen und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind, dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Das gilt im Bereich der Rechtspflege nur für Beamtinnen und Beamte, die hoheitlich tätig sind.

§ 2: Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.


http://gesetze.berlin.de/jportal/portal/t/iaf/page/bsbeprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-VerfArt29GBE2005pP2&doc.part=X&doc.price=0.0&doc.hl=0


Mein Konflikt

Erstens: 
Gott, an den ich nicht glaube, würde doch, wenn es ihn gäbe, nicht wollen, dass das Haar (Frauenhaar), welches Er erschaffen hat und dem Er zu wachsen gebot bzw. auszufallen, je nachdem, geschoren oder unter Tuch / Scheitel versteckt werden muß. Das macht überhaupt keinen Sinn, nicht einmal für Gott. Er hat angeblich das Universum und alles Existierende erschaffen, benötigt aber als Beweis unserer Zuneigung das Tragen einer Kopfbedeckung? Oder das Essen von Fisch am Freitag?
Zweitens:
Alle vorgebrachten Tanach-, Bibel-, bzw. Koranstellen, die die Verhüllung der Frau verlangen, sind höflich gesagt, vage und, wenn sie denn meinen, was interpretiert wird, halten wir uns denn ansonsten an jedes Wort dieser sehr alten Bücher? Nein, tun wir nicht. Wir wählen selektiv, was unseren heutigen Interessen dient.
Drittens:
Die Behauptung, Männer würden beim Anblick von weiblichem Haupthaar derart in Erregung verfallen, dass sie nicht an sich halten können und übergriffig werden müssen, zeichnet ein verzweifelt trauriges Bild vom Mann und ist hoffentlich unglaubwürdig.
Viertens:
Was löst unbedecktes Haar, respektive Arme, Beine, etc. von Männern bei Frauen aus?
Fünftens:
Was bringt gebildete Frauen dazu, das Tragen eines Kopftuches / Scheitels als gottgefällig anzusehen? Bitte, ein Kopftuch!?
Sechstens:
Beschneidung kleiner Jungs kann ich akzeptieren, auch wenn es sicher weh tut, aber es ist wenigstens hygienisch und beraubt die zukünftigen Männer keiner Genüsse. Beschneidung von Mädchen ist ein Verbrechen. Punkt. 
Siebtens:
Alle großen Weltreligionen, ins Extrem getrieben, sind frauenverachtend. Angstbesessene Männer dürfen ihrer bösartigen Unkenntnis und daraus resultierenden Arroganz freien Lauf lassen.
Achtens:
Meine Vorstellung von Freiheit besteht darin, dass jeder tun und lassen darf, das niemand anderen in seiner Freiheit einschränkt oder beschädigt. Das heißt auch, ein demokratisches Land darf nur verbieten, was die Freiheit der Vielen gefährdet. 


Meine unbeantworteten Fragen bezüglich des Kopftuchverbotes

Ich wiederhole, ich persönlich lehne das Tragen von Kopftüchern und ähnlichem im Dienst von religiösem Gehorsam grundsätzlich ab. 
Aber. Aber wenn es für andere so sehr ein Teil ihrer Selbstdefinition ist? 
Schadet es den Schülern, wenn ihre Lehrerin Kopftuch trägt? ich weiß es nicht. 
Eine Richterin mit Kopftuch und dem geleisteten Schwur aufs Grundgesetz, kann sie nicht Recht sprechen? Ich weiß es nicht. 
Verhaftet eine kopftuchtragende Polizistin keine Verbrecher?
Schaden wir uns, wenn wir Zeichen selbstempfundener religiöser Demut verbieten? Ich weiß es nicht. 
Was tun diese ausgebildeten Frauen, wenn wir ihnen bestimmte Berufe verbieten?
Politischer Islamismus ist höchst gefährlich. 
Jede Religion, die Politik bestimmt lehne ich ab. 
Aber. Aber können wir unsere liberale Demokratie durch Ausgrenzung schützen? 
Oder führt die Ausgrenzung zu dem, was wir eigentlich vermeiden wollen?
In der Konfrontation mit Extremisten könnten wir vielleicht unversehens, ohne es zu wollen, gegen unsere Absicht, selber solche werden. 

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.  

Donnerstag, 26. April 2018

Kruzifix - Das Kreuz soll gegen Vampire helfen


Ich betrete einen Raum, an der Wand hängen zwei Holzleisten sich rechtwinklig kreuzend, das Kreuz ist nicht rot, nicht als medizinisch helfend definiert, aber manchmal ist es verziert mit der Figur eines dünnen Mannes mit seitwärts ausgestreckten Armen, und Beinen, die leicht seitwärts wegkippen. Was schießt mir durch den Kopf? Ja, das ist meine kulturelle Identität! Dies hier definiert mich. 

Tut es nicht. Ich bin atheistischer Jude, dass heißt, ich glaube nicht, dass ein Messias für mich gestorben ist, aber leider auch nicht, dass er demnächst oder überhaupt kommen wird. Gebt mir Stühle, ich setze mich zwischen alle.

Ich weigere mich ins Mittelalter zurückzufallen. Nur wir selbst können uns retten. Ich definiere mich über Sprache, Ängste, Gewohnheiten, Vorlieben. Niemand ist mir untergeordnet, niemand ist besser als ich. Aber auch, NIEMAND darf mir vorschreiben, was ich glaube, denke, fühle.

https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuz_(Christentum)

ES IST EIN KREUZ MIT DEM KREUZ:

Das bayerische Kabinett hat am Dienstag in München das Aufhängen von Kreuzen in Dienstgebäuden des Freistaats beschlossen.

Der Tagesspiegel vom 25.04.2018

SEIN KREUZCHEN MACHEN:

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, die Kreuze sollen kein religiöses Symbol des Christentums sein. "Das Kreuz ist das grundlegende Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung". Es verstoße nicht gegen das Neutralitätsgebot.  

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-04/markus-soeder-csu-kreuz-christentum-behoerden-bayern

KREUZ UND QUER:

Für den hl. Paulus hat das Kreuz einen grundlegenden Primat in der Geschichte der Menschheit; es stellt den Brennpunkt seiner Theologie dar, denn vom Kreuz reden heißt vom Heil als der jedem Geschöpf geschenkten Gnade reden. Das Thema des Kreuzes Christi wird ein wesentliches und vorrangiges Element der Verkündigung des Apostels...
Das Kreuz ist aufgrund all dessen, was es darstellt, und somit auch wegen der in ihm enthaltenen theologischen Botschaft Ärgernis und Torheit. Der Apostel sagt das mit beeindruckender Kraft, und wir tun gut daran, es uns in seinen eigenen Worten anzuhören: »Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloß Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit« (1 Kor 1,18–23). 

PAPST BENEDIKT XVI. GENERALAUDIENZ Mittwoch, 29. Oktober 2008

ES IM KREUZ HABEN:

Die Kreuzigung war eine im Alten Orient und in der Antike verbreitete Hinrichtungsart. Sie entwickelte sich aus dem Hängen, sollte aber anders als dieses die Todesqual möglichst verlängern. Dazu wurde eine Person an einen aufrechten Pfahl, mit oder ohne Querbalken, gefesselt oder genagelt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzigung 

ÜBER KREUZ GERATEN:

Römische Bürger durften von Rechts wegen nicht gekreuzigt werden. Je nach sozialer Stellung drohte dem Verurteilten in der Frühzeit der Felssturz, später und seltener die Enthauptung, der Freitod oder die Verbannung. Für die römische Klassenjustiz galt die Kreuzigung als schmachvoller Sklaventod, von dem römische Bürger nichts wissen wollten. So schrieb Cicero: Nomen ipsum crucis absit non modo a corpore civium Romanorum, sed etiam a cogitatione, oculis, auribus.„Was Kreuz heißt, soll nicht nur vom Leib der Bürger Roms fernbleiben, sondern auch schon von ihrer Wahrnehmung, ihren Augen und Ohren.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzigung 

DIE KIRCHE UMS KREUZ TRAGEN:


Das wohl bekannteste Abwehrmittel gegen Vampire ist Knoblauch.
Da Vampire Ausgeburten der Hölle sind, können sie Kirchen nicht besuchen und ebenfalls keine Kreuze betrachten, geschweige denn, berühren. Weihwasser ist schädlich für Vampire, wenn sie es berühren bzw. damit bespritzt werden.
Rosenkränze bilden ebenfalls ein Abwehrmittel gegen Vampire. 


http://de.vampiridia.wikia.com/wiki/Abwehrma%C3%9Fnahmen

Dienstag, 14. November 2017

Ägypten 3 - Religion & Frauen

Fünf mal am Tag ertönt der Ruf zum Gebet von allen Minaretten, und es gibt davon unglaublich viele. Manche sind geschmückt mit Neonröhren in Knallfarben, manche mit bunten Lämpchen verziert, einige strahlen in edlem Weiß. Seit dem Verbot des Abspielens von Tonaufnahmen, wird nun wieder live zum Gebet gerufen. Einige Muezzine singsangen wohlklingend, andere blöken oder schreien, gelegentlich bildet sich aus der Vermischung mehrerer ein eigenartiger Mehrtongesang. 
Religion ist allgegenwärtig. Im Basar tönen dringliche Stimmen aus vielen kleinen Lautsprechern. Sie blubbert aus Radios und auf unzähligen Fernsehsendern palavern alte Männer mit Bärten und zum Teil merkwürdigen Kopfbedeckungen über sie. Auf allen Kairoer U-Bahn-Stationen soll es bald "Orte der religiösen Beratung" geben.
Einerseits wurden die ägyptischen Muslimbrüder durch die "demokratische" Machtübernahme des Militärs in arge Bedrängnis gebracht, andererseits nehmen die schwarz verhüllten Frauen zu. 
Was ist das eigentlich genau - Religion? Komprimierte Angst? Unbedingter Machtwillen? Ja, Angst vor dem Tod, Angst vergessen zu werden, das auch. Aber warum verlangt jeder Errettungsgedanke solch immense Repressionen?

Heute in einer südlichen, schmutzigen Kleinstadt, eine junge Frau, vielleicht achtzehn Jahre alt, das kleine Oval ihres Gesichtes, eingezwängt in festen schwarzen Stoff. Da ging Nofretete, klein, zart, wohlgeformt, mit Mandelaugen, weichem Mund und gerader Nase, sie hatte zwei kleine Kinder bei sich. Es werden sicher noch mehr werden. Der kurze Blick, den sie mir schenkte, war magenumdrehend bestürzend. Ihr Leben ist bereits für sie entschieden worden. 
Keine Überraschung, keine Freude, kein Eigenwillen.
Kinderehen sind zahlreich und die weibliche Beschneidung auch. Wenn Mädchen "Glück" haben, läßt man ihnen ihre äußeren Schamlippen.
Der Koran erwähnt nichts von diesem unerträglichen Gemetzel an Frauen und offiziell ist es auch verboten. Aber ihre Mütter, so sagt man, bestehen darauf, weil es sich so gehört.

Auf dem Bahnhof von Kairo, 
zwei Frauen lächeln, eine andere wendet sich weg, eine vierte verbirgt sich.

Islam heißt ins Deutsche übersetzt, "sich ergeben", der Muslim ist also der sich Ergebende - in den Willen Allahs. Ohne Widerstand, ohne Zweifel, ohne Fragen?
Heute kann ich ihn nicht mehr finden, aber noch 2010 gab es den Fernsehsender "Arab Babes" - arabische Frauen, vollverschleiert, ansonsten nackt. WTF?

Sonntag, 13. August 2017

Das Buch der Bücher - Eine Radikalisierung

Ich habe viel Zeit dafür gebraucht, aber jetzt kann ich es mit Gewißheit sagen: ich bin Atheist. Ohne Gott. Ich bin sicher, es gibt keinen Gott. Und wenn es einen geben sollte, lehne ich ihn ab und will ihn nicht einmal kennenlernen. 
Stephen Fry hat es auf den Punkt gebracht: "Warum soll ich einen launischen, boshaften, dummen Gott respektieren, der eine Welt voll von Ungerechtigkeit und Schmerz erschaffen hat?"... Wenn er, Fry, vor der Himmelspforte stehe. Dieser darauf: "Ich würde sagen: Knochenkrebs bei Kindern? Was soll das? Wie kannst du es wagen?"

Seit mehr als einem halben Jahr stammen mindestens die Hälfte der Sätze, die ich lese, aus der Bibel, genauer dem Alten Testament, oder, wie es meine Leute nennen, dem Tanach. Das hat mich verändert.

Die Geschichten in diesem Buch sind lebendig, gewalttätig, leidenschaftlich, unfassbar, brutal, herzerschütternd, atemberaubend, wahr. Als Gelenke dazwischen seitenlange Genealogien, von denen ich erst jetzt begreife, dass sie unsere Verwurzelung ineinander besingen. Von den ersten Menschen irgendwo in Afrika oder anderswo bis zu mir und dir und ihm und ihr.

The DNA Journey

Und Adam zeugte Söhne und Töchter. Und alle Tage Adams, die er lebte, betrugen 930 Jahre, dann starb er. Und Set zeugte Enosch. Und Set lebte 912 Jahre, und er zeugte Söhne und Töchter, dann starb er. Und Enosch zeugte Kenan und er lebte 905 Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dann starb er. Und Kenan zeugte Mahalalel. Und Mahalalel zeugte Jered, Jered Henoch, Henoch Metuschelach, Metuschelach Lamech. Und Lamech zeugte einen Sohn. Und er gab ihm den Namen Noah, indem er sagte: Dieser wird uns trösten über unserer Arbeit und über der Mühsal unserer Hände von dem Erdboden, den der Herr verflucht hat. Und Noah war 500 Jahre alt; und Noah zeugte Sem, Ham und Jafet. Sem, Ham und Jafet.
So weit, so gut.

 Königin Máxima der Niederlande betrachtet ein Gemälde von Rembrandt in der Alten Pinakothek in München.

Die Sprache ist je nach Übersetzung ideologisiert, poetisch oder ungelenk, von kleinauf symbiotisch eingeimpft oder irritierend fremd. Buber & Rosenzweig von grandioser Wortgewalt, aber zumindest für mich, teilweise, nahezu unverständlich. Die Einheitsübersetzung ist klar, aber auch simplifizierend und gewollt modern. Konkurrenzkampf der Übersetzungen?
Wir schlingern in unserer Arbeit zwischen der Elberfelder und der Schlachterbibel hin und her. Die Züricher taucht hier und da auf. Alles christliche Varianten. Leider. Aber über alle Beschäftigung legt sich Ideologie, Urteil, Abgrenzung, Rechtfertigung, Definitionsmachtansprüche (Neues Wort!) und Hass gegen Andersdenkende. 
Väter sind bereit, ihre Söhne zu opfern, Mütter gebären um die Wette in haßerfülltem Konkurrenzkampf, Vergewaltigungen, Eroberungen, Ungerechtigkeit und Machtgier. Gott offeriert Sonderverträge, wütet maßlos, giert nach Liebesbeweisen, hält sich raus, mischt sich ein, bevorzugt, verurteilt, meist ohne jedwede nachvollziehbare Regeln.

Zum Beispiel: Gott schenkt den Nachkommen Abrahams das Land Kanaan, nur wohnen dort leider schon andere Leute. Egal.
5. Mose 6, 10 -11Dann wird er (G'tt) dir geben, große, schöne Städte, die du nicht gebaut hast, und Häuser alles Guten voll, die du nicht gefüllt hast, und gemeißelte Brunnen, die du nicht gehauen hast, und Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast; und du wirst essen und satt werden.
5. Mose 20, 10-18: Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat, damit sie euch nicht lehren, alle Gräuel nachzuahmen, die sie begingen, wenn sie ihren Göttern dienten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sündigt.  
Das Buch ist wahrhaftig, die Auslegungen, welcher Religion auch immer, unerträglich. 
Ja, so sind wir. Aber warum sollte ich dafür Gott dankbar sein, ihn lieben?

Mittwoch, 1. März 2017

Die Bibel - Was immer du suchst, du findest es.

Dies sind Bemerkungen einer durch und durch heidnischen Dilettantin, nicht religionswissenschaftlich untermauert, noch sonst irgendwie mehr als persönliche, tief beeindruckte Glossen am Rande. 

Ich lese zur Zeit für ein Projekt das Buch Genesis des Alten Testamentes und zwar ziemlich gründlich, obwohl zugegeben, bei den langen Generationslisten husche ich flotter drüber, aber sonst...
Und es ist ein großes Buch voller unglaublich dichter Geschichten mit harten Brüchen, krassesten Widersprüchen, die geradezu zum Streit aufreizen und zahllosen verblüffenden, nur allzu leicht zu überlesenden Details.

Es gibt eine Werbung für Überraschungseier, in der Kinder mit einem solchen Ei für fünf Minuten allein gelassen werden und ihnen versprochen wird, dass sie, wenn sie es schaffen bis dahin das Ei nicht zu öffnen oder zu essen, ein zweites geschenkt bekämen. 
https://www.youtube.com/watch?v=JhZQNjLBQFQ
Das ist wahrhaft gemein! Und doch nicht viel anders, als das, was Gott, der Herr tut, wenn er Adam sagt, dass er von allen Bäumen des Gartens essen darf, nur vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse nicht. Oder? Du darfst überall hingehen, nur nicht ins dreizehnte Zimmer. Was soll man denn machen? Und wenn Adam & Eva tun, was wir alle tun würden, wird er wütend, belegt sie mit einem harten Fluch und schmeißt sie raus, legt ihn vorher aber noch wärmende Felljacken um. 

Er verurteilt alle Lebewesen zum Tode durch Ertrinken, wegen ihrer Gewalttätigkeit, gibt aber ersteinmal genaue Bauanweisungen für das Rettungsboot, wartet die Bauzeit ab und ersäuft dann die ganze Erde mit allem was darauf kreucht und fleucht, die Fische und Wale etc. werden klug nicht erwähnt. Alle verrecken außer Noahs Familie und vorausgewählte Tierpaare und danach hat er die größte vorstellbare Reuekrise. "Nie wieder! Ich schenke euch den Regenbogen."


Edward Hicks, Americaner, 1780 - 1849 – Geboren in Langhorne, Pennsylvania, United States. Gestorben in Newtown, Pennsylvania

Er schließt ständig Bunde und bricht sie, weil die Menschen sind, wie er sie geschaffen hat, ihm ähnlich. Vielleicht zu ähnlich. Das kommt mir bekannt vor.
Ein grandioses Buch. Und man findet Worte für jede Gelegenheit darin:
 
Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. 
Micha 4.3

Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.  
Jesaja 2.4

Aber eben auch:

Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! der Schwache spreche: Ich bin stark!
Joel 4:10

Wunderbar. Ein Gott für alle Fälle. 

Liebespoesie im Hohelied, jede Menge Kriegsverbrechen, dysfunktionale Familien aller Arten, starke weibliche Heldinnen und patriachalischer Größenwahn, Völkermorde und Beispiele ungeheurer Liebe, alles da, alles in Hingabe an den einen, einzigen Gott. Ich bin Jahwe, und sonst ist keiner da!
Das muß hart sein, in den vielen Vielgötterreligionen haben die Götter Partner zum Streiten, Reden, Lieben. ER ist ganz allein, hat nur uns Menschen als Gegenüber. 

Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne?

Eine Generation geht, eine andere kommt.
Die Erde steht in Ewigkeit.
Die Sonne, die aufging und wieder unterging,
atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht.
Er weht nach Süden, dreht nach Norden, dreht, dreht, weht, der Wind.
Weil er sich immerzu dreht, kehrt er zurück, der Wind.
Alle Flüsse fließen ins Meer,

das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, / kehren sie zurück, um wieder zu entspringen.
Alle Dinge sind rastlos tätig,
kein Mensch kann alles ausdrücken, nie wird ein Auge satt, wenn es beobachtet,

nie wird ein Ohr vom Hören voll.
Was geschehen ist, wird wieder geschehen,
was man getan hat, wird man wieder tun:

Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

Jossel Rakovers Gespräch mit Gott - ein Jahrhunderttext

Heute habe ich ein kleines Büchlein gelesen, einen Text, der in allen Schulen gelesen werden sollte, von dem meine Freundin sagte: "Gott sollte ihn lesen... und sich schämen."

Gott Israels ich bin hierher geflohen, dass ich Dir ungestört dienen kann: um Deine Gebote zu tun und Deinen Namen zu heiligen. Du aber tust alles, dass ich an Dich nicht glauben soll. Wenn Du aber meinen solltest, dass es Dir gelingen wird, mich mit diesen Versuchungen vom richtigen Weg abzubringen, ruf ich Dir zu, mein Gott und Gott meiner Eltern, dass es Dir alles nicht helfen wird. Magst Du mich auch beleidigen, magst Du mich auch züchtigen, magst Du mir auch wegnehmen das Teuerste und Beste, das ich habe auf der Welt, und mich zu Tode peinigen - ich werde immer an Dich glauben. Ich werde Dich immer lieb haben, immer - Dir selbst zum Trotz!

Zvi Kolitz "Jossel Rakovers Wendung zu Gott"

In einer der Ruinen des Warschauer Ghettos ist zwischen Haufen verkohlter Steine und menschlicher Gebeine das folgende Testament gefunden worden, in einer kleinen Flasche versteckt und verborgen, geschrieben in den letzten Stunden des Warschauer Ghettos von einem Juden namens Jossel Rakover:
Warschau, den 28. April 1943

Ich, Jossel, der Sohn David Rakovers aus Tarnopol, ein Anhänger des Rabbi von Ger und Nachkomme der Gerechten, Gelehrten und Heiligen aus den Familien Rakover und Meisls, schreibe diese Zeilen, während die Häuser des Warschauer Ghettos in Flammen stehen und das Haus, in dem ich mich befinde, eins der letzten ist, die noch nicht brennen. Schon seit ein paar Stunden liegen wir in wütendem Artilleriefeuer, und um mich herum zerbersten und brechen krachend die Mauern im Hagel der Granaten. Lang wird es nicht dauern, und auch dieses Haus wird, wie fast alle Häuser des Ghettos, in ein Grab seiner Beschützer und Bewohner verwandelt werden. An blitzend glutroten Sonnenstrahlen, die durch das kleine, halb vermauerte Fenster in mein Zimmer dringen, aus dem wir Tag und Nacht den Feind beschossen haben, erkenne ich, dass es bald Abend sein muss, kurz vor Sonnenuntergang. Die Sonne weiß wahrscheinlich gar nicht, wie wenig ich bedaure, dass ich sie nie wiedersehen werde.
Eigenartiges ist mit uns geschehen: All unsere Begriffe und Gefühle haben sich verändert. Der Sekundentod - schnell und augenblicklich - kommt uns wie ein Erlöser vor: wie ein Befreier und Kettenzerbrecher. Tiere im Wald erscheinen mir so lieb und teuer, dass es mir in der Seele weh tut, wenn ich höre, dass man die Verbrecher, die heute Europa beherrschen, mit Tieren vergleicht. Es ist nicht wahr, dass Hitler etwas Tierisches an sich hat. Er ist - davon bin ich tief überzeugt - ein typisches Kind der modernen Menschheit. Die Menschheit als Ganzes hat ihn geboren und erzogen, und er drückt ganz offen und unverstellt ihre innersten und verborgensten Wünsche aus.
In einem Wald, wo ich mich versteckte, habe ich eines Nachts einen Hund getroffen, krank, verhungert, vielleicht war er auch toll, den Schwanz zwischen den Beinen. Beide haben wir sofort die Gemeinsamkeit unserer Lage gefühlt, denn die Lage der Hunde ist doch keinen Deut besser als unsere. Er hat sich an mich geschmiegt, seinen Kopf in meinem Schoß vergraben und mir die Hände geleckt. Ich weiß nicht, ob ich jemals so geweint habe wie in jener Nacht; ich bin ihm um den Hals gefallen und habe geheult wie ein Kind. Wenn ich betone, dass ich damals die Tiere beneidete, wird es keinen wundern. Doch das, was ich damals gefühlt habe, war mehr als Neid; es war Schande. Ich habe mich vor dem Hund geschämt, dass ich kein Hund bin, sondern ein Mensch. So ist es, und zu einem solchen Geisteszustand ist es mit uns gekommen: Das Leben ist ein Unglück, der Tod ein Erlöser, der Mensch eine Plage, das Tier ein Ideal, der Tag ein Gräuel, die Nacht eine Erquickung.
Millionen Menschen auf der weiten, großen Welt, verliebt in den Tag, in die Sonne und das Licht, wissen nicht und haben nicht die geringste Ahnung, wie viel Finsternis und Unglück uns die Sonne schon bereitet hat. Die Verbrecher haben sie zu einem Instrument in ihren Händen verwandelt; wie einen Suchscheinwerfer haben sie die Sonne benutzt, um die Fußspuren der Flüchtenden auszuleuchten, die sich vor ihnen retten wollten. Als ich mich mit meiner Frau und meinen Kindern - damals sechs an der Zahl - in den Wäldern verbarg, hat die Nacht, und nur die Nacht, uns in ihrem Innern geborgen. Der Tag hat uns den Verfolgern ausgeliefert, die nach unseren Seelen suchten. Wie soll ich je denn den Tag jenes deutschen Feuerhagels über Tausenden von Flüchtlingen auf der Straße von Grodno nach Warschau vergessen?! Mit der Sonne stiegen am frühen Morgen auch ihre Flugzeuge auf, einen ganzen Tag lang haben sie uns danach unaufhörlich gemordet. Bei diesem Massaker vom Himmel herab ist meine Frau mit unserem siebenmonatigen Kleinsten auf ihrem Arm umgekommen, und zwei andere meiner übrigen fünf Kinder verschwanden spurlos am gleichen Tag. David und Jehuda haben sie geheißen, der eine war vier, der andere sechs Jahre alt. (. . .)
Meine beiden Kinder hab ich nicht wiedergesehen, und in einem Traum wurde mir geheißen, mich nicht mehr um sie zu sorgen: Sie befänden sich in den Händen des Herrn des Himmels und der Erde. Meine anderen drei Kinder sind innerhalb eines Jahres im Warschauer Ghetto umgekommen. (. . .)
Jetzt ist meine Stunde gekommen, und wie Hiob kann ich von mir sagen - und ich bin nicht der Einzige, der es sagen kann -: Nackt kehre ich zur Erde zurück, nackt, wie am Tag, als ich geboren wurde. Dreiundvierzig Jahre bin ich alt, und wenn ich jetzt zurückschaue auf die vergangenen Jahre, kann ich mit Sicherheit feststellen - soweit sich ein Mensch überhaupt sicher sein kann -, dass ich ein ehrliches Leben gelebt habe. Mein Herz war voller Liebe zu Gott. Ich war mit Erfolg gesegnet, aber der Erfolg stieg mir nie in den Kopf. Mein Besitz war reichlich. Doch ich hatte, als hätte ich nicht: Nach dem Rat meines Rabbis erachtete ich mein Vermögen als besitzerlos. Falls es jemanden verleiten sollte, davon zu nehmen, sollte es nicht als Diebstahl gelten, sondern so, als hätte er von herrenlosem Gut genommen. Mein Haus stand für jeden Bedürftigen offen, und ich war glücklich, wenn ich Menschen eine Wohltat erweisen durfte. Gott habe ich mit Hingabe gedient, und meine einzige Bitte an Ihn war, dass Er mich Ihm dienen lasse "mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft".
Nun kann ich nicht sagen - nach all dem, was ich miterlebt habe -, dass meine Beziehung zu Gott sich nicht geändert hätte. Mit absoluter Sicherheit kann ich aber wohl sagen, dass mein Glaube an Ihn sich nicht um Haaresbreite verändert hat. Früher, als es mir gut ging, war meine Beziehung zu Ihm wie zu einem, der mich ohne Unterlass beschenkte - und dem ich dafür ständig etwas schuldig blieb. Jetzt ist meine Beziehung zu Ihm wie zu einem, der auch mir etwas schuldet: viel schuldet. Und weil ich fühle, dass auch Er in meiner Schuld steht, darum, denke ich, habe ich das Recht, Ihn zu mahnen. Ich sage aber nicht wie Hiob, dass Gott Seinen Finger auf meine Sünde legen soll, damit ich weiß, wofür ich dies verdiene. Denn Größere und Bessere als ich sind fest überzeugt, dass dies jetzt keine Frage von Strafen für Sünden und Vergehen mehr ist. Etwas ganz Besonderes geht vielmehr vor auf der Welt, und es hat einen Namen: Hastores Ponim - das heißt: Jetzt ist die Zeit, da Gott Sein Gesicht verbirgt.
Gott hat Sein Gesicht vor der Welt verhüllt und so die Menschen ihren eigenen wilden Trieben und Instinkten ausgeliefert. Deshalb denke ich, dass es leider - wenn die Mächte der bösen Triebe die Welt beherrschen - auch ganz natürlich ist, dass diejenigen die ersten Opfer werden müssen, in denen sich das Göttliche und Reine vergegenwärtigt. Persönlich ist das vielleicht kein Trost. Doch wie das Schicksal unseres Volkes nicht durch irdische, sondern durch Berechnungen einer anderen Welt bestimmt wird, nicht materiell und physisch, sondern geistig und göttlich, so muss der Gläubige in diesen Geschehnissen einen Teil der großen göttlichen Gleichung erblicken, in der selbst menschliche Tragödien nur wenig wiegen. Das heißt aber nicht, dass die Frommen meines Volkes die Verfügung nun einfach gutheißen und sagen müssen: "Der Herr ist gerecht, und Seine Entscheide sind richtig." Zu sagen, dass wir die Schläge verdienen, die wir empfangen haben, heißt, uns selbst zu lästern. Es ist eine Schmähung des Schem Hameforasch: eine Schändung Seines Heiligen Namens - eine Entheiligung des Namens "Jude", eine Entweihung des Namens "Gott". Es ist eins und dasselbe. Gott wird gelästert, wenn wir uns lästern.
In einem solchen Zustand erwarte ich - natürlich - keine Wunder und bitte Ihn nicht, meinen Gott, Er soll sich meiner erbarmen. Soll Er sich mir gegenüber doch mit derselben gesichtverhüllenden Gleichgültigkeit verhalten, wie Er sie auch schon Millionen anderen Seines Volkes erwiesen hat. Ich bin keine Ausnahme von der Regel. Irgendeine Bevorzugung erwarte ich nicht. Ich werde nicht mehr versuchen, mich zu retten, und ich werde von hier nicht weiterfliehen. Ich werde dem Feuer sogar seine Arbeit erleichtern und meine Kleider mit Benzin übergießen. Drei Flaschen Benzin habe ich noch auf Vorrat, nachdem ich ein paar Dutzend anderer über den Köpfen der Mörder geleert habe.
Das war ein großer Moment in meinem Leben, und wie wild habe ich gelacht dabei! Nie hätte ich mir vorstellen können, dass der Tod von Menschen oder auch Feinden - und sei es auch von solchen Feinden! - mich je hätte so erfreuen können. Mögen närrische Humanisten sagen, was sie wollen, Rache und der Wunsch nach Vergeltung hat schon immer den letzten Widerstand der Unterdrückten herausgepresst, und so wird es auch immer bleiben; nichts schafft ihnen größere seelische Befriedigung. Bis jetzt hatte ich jenen Satz im Talmud nie richtig verstanden, der sagt: "Die Rache ist heilig, weil sie zwischen zwei Namen Gottes erwähnt wird, wo geschrieben steht: ,Ein Gott der Rache ist der Herr!'" Jetzt verstehe ich es. Jetzt fühle ich es, und jetzt weiß ich, worüber mein Herz so jubelt, wenn ich mich daran erinnere, dass wir unseren Gott schon seit Jahrtausenden so rufen: "EI Nekome Adonoj - Gott der Vergeltung, o Herr! Gott der Rache, erhebe Dich!"
Und jetzt, wo ich im Stande bin, das Leben und die Welt aus diesem besonders klaren Blickwinkel zu betrachten, wie er einem Menschen nur bei seltenen Gelegenheiten vor dem Tod geschenkt wird, kommt es mir vor, als sei dies der eigentümliche und charakteristische Unterschied zwischen unserem Gott und dem Gott, an den die Völker Europas glauben: Während unser Gott der Gott der Vergeltung ist und unsere Tora den Tod für die kleinsten Vergehen androht, wird gleichzeitig im Talmud erzählt, wie damals, als der Sanhedrin das höchste Gericht unseres Volkes war - als wir noch frei in unserem Land lebten -, wie damals ein einziges Todesurteil des Hohen Rats in siebzig Jahren genügte, dass man den Richtern nachrufen sollte: "Ihr Mörder!" Der Gott der Völker hingegen, den man "Gott der Liebe" ruft, hat geboten, jedes Geschöpf zu lieben, das nach Seinem Bild geschaffen ist; und doch mordet man uns ohne Erbarmen in Seinem Namen tagein, tagaus, schon seit bald zweitausend Jahren.
Ja, ich habe von Rache gesprochen. Wahre Rache haben wir nur selten gesehen; aber wenn wir sie erlebt haben, war sie so wohltuend und so süß, eine derart tiefe Befriedigung und ein solch gewaltiges Glück, dass es mir war, als hätte für mich ein ganz neues Leben begonnen. Ein Panzer war plötzlich in unsere Gasse eingebrochen und wurde von allen befestigten Häusern umher mit brennenden Benzinflaschen bombardiert. Keiner hat ihn jedoch getroffen, wie er sollte. Ungestört setzte der Panzer seinen Weg fort. Da habe ich mit meinen Freunden abgewartet, bis der Panzer buchstäblich unter unserer Nase vorbeirasselte, dann haben wir ihn alle auf einmal durch die halb vermauerten Fenster angegriffen. Sofort stand der Tank in Flammen, und sechs brennende Nazis sprangen aus ihm heraus. Ach, wie haben sie gebrannt! Sie haben gebrannt wie die Juden, die sie verbrannt haben, aber geschrieen haben sie mehr als die Juden. Die Juden schreien nicht. Sie nehmen den Tod wie einen Erlöser an. Das Warschauer Ghetto stirbt im Kampf, es geht schießend, kämpfend und brennend zugrunde - aber ohne Geschrei.
Ja, drei Flaschen Benzin habe ich noch übrig, und teuer sind sie mir wie dem Trinker der Wein. Wenn ich gleich eine von ihnen über mir ausleeren werde, will ich danach die Blätter, auf die ich diese Zeilen schreibe, in der leeren Flasche verschließen und sie hier zwischen den Ziegeln im Mauerwerk unter dem Fenster verstecken. Sollte sie einmal jemand finden und lesen, wird er vielleicht das Gefühl von einem Juden verstehen - einem von Millionen! -, der als Gottverlassener gestorben ist, von Gott, an den er so fest glaubt. Die beiden anderen Flaschen werde ich über den Köpfen der Banditen hochgehen lassen, wenn mein letzter Augenblick gekommen ist.
Zwölf Menschen waren wir in diesem Zimmer, als der Aufstand begann, und neun Tage haben wir gegen den Feind gekämpft. All meine elf Kameraden sind gefallen. Still sind sie gestorben. Sogar der kleine Bub, von dem nur Gott weiß, wie er hergekommen ist - vielleicht fünf Jahre mag er alt gewesen sein -, liegt jetzt als Toter neben mir. Auf seinem schönen Gesichtchen ruht ein Lächeln, wie es in den Zügen von Kindern aufscheint, wenn sie friedlich träumen. Sogar dieser kleine Junge ist so gelassen wie seine älteren Kameraden gestorben. Heute früh war es. Die meisten von uns lebten schon nicht mehr. Der Junge war auf den Berg von Toten geklettert, um durch den Fensterschlitz einen Blick nach draußen zu werfen. Einige Minuten stand er so neben mir. Dann fiel er plötzlich nach hinten, rollte über die Körper der Gefallenen hinunter und blieb liegen wie ein Stein. Zwischen zwei schwarzen Locken erschien ein Blutstropfen auf seiner kleinen, bleichen Stirn. Es war ein Kopfschuss.
Unser Haus ist eine der letzten Festungen des Ghettos. Bis gestern in der Früh, als der Feind mit den ersten Sonnenstrahlen sein höllisches Feuer gegen dieses Haus eröffnete, haben hier alle noch gelebt. Fünf waren zwar verwundet, aber sie haben doch weitergekämpft. Gestern und heute sind sie alle gefallen, einer nach dem anderen. Einer auf den anderen sind sie gefallen, nacheinander standen sie Wache und schossen, bis sie selbst erschossen wurden.
Munition habe ich außer den drei Flaschen Benzin keine mehr. Aus den drei oberen Etagen über mir wird noch heftig geschossen. Mir aber können sie keine Hilfe mehr schicken, denn das Treppenhaus scheint allem Anschein nach von Granaten zerstört. Ich glaube, bald kracht das ganze Haus zusammen. Ich liege auf dem Boden, während ich diese Zellen schreibe. Um mich herum: meine toten Freunde. Ich schaue in ihre Gesichter, und mir ist, als wäre Ironie über sie ausgegossen, ruhig und leicht spöttisch. Gerade als wollten sie mir sagen: Hab noch ein bisschen Geduld, du närrischer Mensch, nur ein paar Minuten noch, und auch dir wird alles klar werden. Dieselbe Miene umspielt besonders die Lippen des Kleinen, der sich wie ein Schlafender neben meiner rechten Hand ausstreckt. Sein kleiner Mund lächelt, als lache er innerlich. Und mir, der noch lebt und noch fühlt und noch denkt wie ein Lebewesen aus Fleisch und Blut, mir ist es, als lache er über mich. Als durchschaue er mich. Er lacht so still und vielsagend über mich, wie es für Menschen, die etwas wissen, typisch ist, wenn sie über Wissen mit Menschen reden, die gar nichts wissen, aber meinen, sie wüssten alles. Er weiß jetzt schon alles, das Bübchen, ihm ist schon alles klar. Er weiß sogar, warum er geboren wurde, wenn er doch so früh sterben musste, und warum er gestorben ist - und das nur fünf Jahre nach seiner Geburt. Und selbst wenn er es nicht weiß, weiß er doch, dass das Wissen oder das Nichtwissen darüber vollkommen unwichtig und unbedeutend ist im Licht der Offenbarung göttlicher Herrlichkeit in jener besseren Welt, wo er sich jetzt befindet - vielleicht in den Armen seiner ermordeten Eltern, zu denen er zurückgefunden hat.
In ein, zwei Stunden werde auch ich es wissen. Und wenn das Feuer nicht mein Gesicht verzehrt, wird ein ähnliches Lächeln nach meinem Tod vielleicht auch auf meinen Zügen ruhen. Aber noch lebe ich. Und da will ich vor meinem Tod zu meinem Gott noch einmal wie ein Lebender reden: wie ein einfacher, lebendiger Mensch, der die große, aber unglückliche Ehre hatte, ein Jude zu sein.
Ich bin stolz, dass ich ein Jude bin - nicht trotz der Beziehung, die die Welt zu uns hat, sondern gerade dieser Beziehung wegen. Ich würde mich schämen, ein Angehöriger der Völker zu sein, die jene Verbrecher geboren und erzogen haben, die die Taten verantworten müssen, die an uns verbrochen wurden.
Ja, ich bin stolz auf mein Judesein. Denn Jude zu sein ist eine Kunst. Jude zu sein ist schwer. Es ist keine Kunst, Engländer zu sein, ein Amerikaner oder ein Franzose. Es ist vielleicht leichter und bequemer, einer von ihnen zu sein, aber keineswegs ehrenhafter. Ja, es ist eine Ehre, ein Jude zu sein.
Ich glaube, Jude sein, das heißt: ein Kämpfer sein, ein ewiger Schwimmer gegen den brodelnden, verbrecherischen menschlichen Strom. Der Jude ist ein Streiter, ein Blutzeuge, ein Verhafteter Gottes: Sein Eigentum, heilig. Ihr, unsere Feinde, sagt, wir seien schlecht. Ich glaube aber, wir sind besser als ihr: feiner. Doch selbst wenn wir schlechter wären, hätte ich gern gesehen, wie ihr an unserer Stelle ausgesehen hättet.
Ich bin glücklich, zum unglücklichsten aller Völker der Welt zu gehören - dessen Tora das höchste Gesetz und die schönste Moral enthält. Jetzt ist diese Tora noch einmal mehr geheiligt und verewigt worden in der Art und Weise ihrer letzten Schwächung und Schändung durch die Feinde Gottes.
Judesein ist angeboren, eingefleischt, glaube ich. Zum Juden wird man wie zum Künstler geboren. Vom Judesein kann man sich nicht befreien. Das ist das göttliche Mal an uns, das uns als Sein auserwähltes Volk aussondert. Die das nicht verstehen, werden niemals den höheren Sinn unseres Martyriums begreifen. "Es gibt kein ganzeres Ding als ein zerbrochenes Herz", hat einmal ein großer Rabbi gesagt; und es gibt auch kein auserwählteres Volk als ein permanent gepeinigtes. Wenn ich nicht glauben könnte, dass Gott uns zu seinem auserwählten Volk bestimmt hat, so würde ich doch glauben, dass wir durch unsere Leiden auserwählt wurden.
Ich glaube an den Gott Israels, auch wenn Er alles getan hat, dass ich nicht an Ihn glauben soll. Ich glaube an Seine Gesetze, auch wenn ich Seine Taten nicht rechtfertigen kann. Jetzt ist meine Beziehung zu Ihm nicht mehr die eines Knechts zu seinem Herrn, sondern wie die eines Schülers zum Lehrer. Ich beuge mein Haupt vor Seiner Größe, aber werde die Rute nicht küssen, mit der Er mich schlägt. Ich habe Ihn lieb. Doch Seine Tora habe ich lieber. Selbst wenn ich mich in Ihm getäuscht hätte, Seine Tora würde ich weiter hüten. Gott heißt Religion. Seine Tora aber bedeutet eine Lebensweise! Und je mehr wir sterben für diese Lebensweisung, so unsterblicher wird sie werden.
Darum erlaube mir, Gott, vor meinem Tod, völlig frei von jeder Angst, ohne den geringsten Schrecken, in einer Lage absoluter innerer Ruhe und Sicherheit, Dich zur Rede zu stellen, ein letztes Mal in meinem Leben.
Du sagst, dass wir gesündigt haben? Aber natürlich! Und dafür werden wir bestraft? Auch das kann ich verstehen. Ich will aber, dass Du mir sagst, ob es irgendeine Sünde auf der Welt gibt, die eine solche Strafe verdient, wie wir sie bekommen haben!
Du sagst, Du wirst es unseren Feinden noch heimzahlen? Ich bin überzeugt, dass Du es ihnen erbarmungslos zurückzahlen wirst - gnadenlos. Auch daran zweifle ich nicht. Ich will aber, dass Du mir sagst, ob es überhaupt irgendeine Strafe auf der Welt geben kann, die im Stande ist, die Verbrechen zu sühnen, die gegen uns begangen wurden.
Nun sagst Du vielleicht, dass es jetzt keine Frage von Sünde und Strafe ist, sondern dass es so eben ist, wenn Du Dein Gesicht verhüllst und die Menschen ihren Trieben überlässt. Dann will ich Dich aber fragen, Herr, und diese Frage brennt in mir wie ein verzehrendes Feuer: Was noch, oh, sag es uns, was noch muss geschehen, damit Du Dein Gesicht vor der Welt wieder enthüllen wirst?
Ich will Dir klar und offen sagen, dass wir jetzt mehr als auf jeder früheren Stufe unseres unendlichen Leidensweges - wir, die Gepeinigten, die Geschändeten, die Erstickten, die lebendig Begrabenen und lebendig Verbrannten, wir, die Gedemütigten, die Verspotteten, die Verlachten, die zu Millionen Umgebrachten -, dass wir jetzt mehr als je zuvor das Recht haben zu wissen: Wo liegen die Grenzen Deiner Geduld?
Und noch etwas will ich Dir sagen: Du sollst den Strick nicht zu sehr anspannen! Denn er könnte - Gott verhüte! - noch reißen. Die Versuchung, in die Du uns geführt hast, ist so schwer, so unerträglich schwer, dass Du denjenigen Deines Volkes vergeben sollst und musst, die sich in ihrem Unglück und Zorn von Dir abgekehrt haben.
Vergib denen, die sich in ihrem Unglück von Dir abgekehrt haben, aber auch denjenigen Deines Volkes, die sich in ihrem Glück von Dir abgewandt haben. Du hast unser Leben in einen solch unendlich schrecklichen Kampf verwandelt, dass die Feiglinge unter uns versuchen mussten, ihm auszuweichen. Vor ihm davonzulaufen, wo sie gerade einen Ausweg erblickten. Schlag sie nicht dafür! Feiglinge schlägt man nicht, mit Feiglingen hat man Erbarmen. Herr, erbarme Dich ihrer mehr als unser!
Vergib auch denjenigen, die Deinen Namen gelästert haben: die anderen Göttern dienen gingen, die gleichgültig gegen Dich geworden sind. Du hast sie so sehr geprüft, dass sie nicht mehr glauben, dass Du ihr Vater bist, dass sie überhaupt einen Vater haben.
Ich sage Dir das alles so deutlich, weil ich an Dich glaube, weil ich mehr an Dich glaube als je zuvor - weil ich jetzt weiß, dass Du mein Gott bist. Denn Du bist doch nicht, Du kannst doch nicht der Gott jener sein, deren Taten der grauenvollste Beweis ihrer aggressiven Gottlosigkeit sind.
Denn wenn Du nicht mein Gott bist - wessen Gott bist Du dann? Der Gott der Mörder?
Wenn die, die mich hassen, die mich morden, so finster sind, so schlecht, wer bin dann ich - wenn nicht jemand, der etwas von Deinem Licht verkörpert und von Deiner Güte?
Ich kann Dich nicht loben für die Taten, die Du duldest. Ich segne und lobe Dich aber für Deine schiere Existenz, für Deine schreckliche Größe. Wie gewaltig muss sie sein, wenn sogar das, was jetzt geschieht, auf Dich keinen entscheidenden Eindruck macht?
Aber gerade, weil Du so groß bist und ich so klein, bitte ich Dich -warne ich Dich! - um Deines Namens willen: Hör auf, Deine Größe dadurch zu krönen, dass Du die Unglücklichen schlagen lässt!
Ich bitte Dich auch nicht, Du sollst die Schuldigen schlagen. Es liegt in der schrecklichen Logik der unvermeidlichen Geschehnisse, dass sie sich zum Schluss selber treffen werden - weil in unserem Tod das Gewissen der Welt getötet worden ist. Weil eine Welt gemordet wurde im Mord an Israel.
Die Welt wird sich auffressen in ihrem eigenen Bösen, in ihrem eigenen Blut wird sie ersaufen.
Die Mörder haben das Urteil über sich schon selbst gesprochen, und sie werden ihm nicht entrinnen. Du aber sprich Deinen Schuldspruch, doppelt schwer, über diejenigen, die den Mord verschweigen!
Über diejenigen, die den Mord mit ihren Lippen verurteilen, aber sich in ihren Herzen daran freuen.
Über diejenigen, die sich in ihren ruchlosen Herzen sagen: Ja, zu erklären, dass er schlecht sei, der Tyrann, gehört sich wohl - aber er tut auch für uns ein Stück Arbeit, für das wir ihm immer dankbar sein werden.
In Deiner Tora steht geschrieben, dass ein Dieb strenger bestraft werden muss als ein Räuber, obwohl der Dieb sein Opfer nicht überfällt und an Leib und Leben bedroht, sondern ihm nur heimlich sein Eigentum zu stehlen sucht.
Der Räuber überfällt sein Opfer am helllichten Tag. Er hat vor den Menschen so wenig Furcht wie vor Gott.
Der Dieb hingegen fürchtet die Menschen, Gott aber nicht. Darum soll seine Strafe härter sein als die für den Räuber. Es macht mir also nichts aus, wenn Du die Mörder wie Räuber behandelst, weil ihr Verhalten gegenüber Dir und uns dasselbe ist. Aus ihren Morden und Verbrechen machen sie kein Geheimnis.
Die aber, die das Morden verschweigen, diejenigen, die Dich nicht fürchten, aber fürchten, was die Menschen wohl sagen werden (Narren, sie wissen nicht, dass die Menschen gar nichts sagen werden!), die, die ihr Mitleid mit dem Ertrinkenden bekunden und sich weigern, ihn zu retten, die, oh, die, beschwör ich Dich, mein Gott, sollst Du bestrafen wie die Diebe!
Der Tod kann nicht mehr warten, und ich muss mit dem Schreiben zu Ende kommen. Aus den Stockwerken über mir wird das Feuer mit jeder Minute schwächer. Jetzt fallen die letzten Verteidiger unserer Festung, und mit ihnen fällt und stirbt das große, das schöne, das gottesfürchtige jüdische Warschau. Jetzt geht die Sonne unter, und Gott sei Dank werde ich sie nie wiedersehen. Der Feuerschein des Infernos flackert durchs Fenster, und das Stückchen Himmel, das ich sehe, ist von flammendem Rot überflutet wie ein Wasserfall aus Blut. Eine Stunde, höchstens noch, und ich werde bei meiner Familie sein - und mit den Millionen anderer Umgekommener meines Volkes in jener besseren Welt, in der keine Zweifel mehr sind und wo nur noch die Hand Gottes herrscht.
Ich sterbe ruhig, friedlich, aber nicht beruhigt, nicht befriedigt; besiegt, geschlagen, aber nicht versklavt; bitter, aber nicht enttäuscht. Ein Gläubiger und Glaubender, kein Schuldner und Bittsteller, nicht als Bittender, nicht als Betender. Ein Liebhaber Gottes, doch nicht Sein blinder Amen-Sager.
Ich bin Ihm nachgegangen, auch wenn Er mich von sich gestoßen hat. Ich bin Seinen Geboten gefolgt, auch wenn Er mich dafür geschlagen hat. Ich habe Ihn lieb gehabt, ich bin in Ihn verliebt gewesen und geblieben, auch wenn Er mich bis in den Staub erniedrigt, zu Tode gepeinigt, Gespött und Schande preisgegeben hat.
Mein Rabbi pflegte mir immer wieder die Geschichte von einem Juden zu erzählen, der mit Frau und Kind der spanischen Inquisition entkommen war und sich auf einem kleinen Boot über stürmische See zu einer steinigen Insel durchgeschlagen hatte. Da zuckte ein Blitz auf und erschlug die Frau. Da kam ein Sturmwind und wirbelte sein Kind ins Meer. Allein, elend, hinausgeworfen wie ein Stein, nackt und barfuß, vom Sturm gepeitscht, von Donnern und Blitzen geschreckt, die Haare zerzaust und die Hände zu Gott erhoben, ist der Jude seinen Weg weitergegangen auf die wüste Felseninsel und hat sich so an Gott gewandt:
"Gott Israels", sagte er, "ich bin hierher geflohen, dass ich Dir ungestört dienen kann: um Deine Gebote zu tun und Deinen Namen zu heiligen. Du aber tust alles, dass ich an Dich nicht glauben soll. Wenn Du aber meinen solltest, dass es Dir gelingen wird, mich mit diesen Versuchungen vom richtigen Weg abzubringen, ruf ich Dir zu, mein Gott und Gott meiner Eltern, dass es Dir alles nicht helfen wird. Magst Du mich auch beleidigen, magst Du mich auch züchtigen, magst Du mir auch wegnehmen das Teuerste und Beste, das ich habe auf der Welt, und mich zu Tode peinigen - ich werde immer an Dich glauben. Ich werde Dich immer lieb haben, immer - Dir selbst zum Trotz!"
Und das sind auch meine letzten Worte an Dich, mein zorniger Gott: Es wird Dir gar nichts nützen! Du hast alles getan, dass ich an Dir irre werde, dass ich nicht an Dich glaube. Ich sterbe aber gerade so, wie ich gelebt habe, als unbeirrbar an Dich Glaubender.
Gelobt soll sein auf ewig der Gott der Toten, der Gott der Vergeltung, der Wahrheit und des Gerichts, der bald sein Gesicht wieder vor der Welt enthüllen wird und mit Seiner allmächtigen Stimme ihre Fundamente erschüttert.
"Schma Isroel! - Höre Israel! Der Herr ist unser Gott, der Herr ist Einer! In Deine Hände, o Herr, empfehle ich meinen Geist!"

(Aus dem Jiddischen von Paul Badde. Gekürzte Fassung)


https://www.welt.de/print-welt/article592745/Jossel-Rakovers-Wendung-zu-Gott.html
 

Sonntag, 27. November 2016

ADVENT

Tannenkränze mit vier Kerzen, Stollen in Form eines eingewickelten Babies, Kekse, Adventskalender, Schwibbögen, und ab jetzt darf man Weihnachtslieder singen, ohne Unglück herbeizurufen. Das tut es nämlich, wenn man diese Weisen außerhalb der Vorweihnachtszeit singt, summt, pfeift.

November 1982 oder 83 in der Drogerie gegenüber meiner damaligen Wohnung in Berlin-Friedrichshain: eine zierliche alte Dame will die Kerzen für ihren Adventskranz kaufen und bekommt von der Verkäuferin den Bescheid, dass da Kerzenmangel herrsche, ein Engpaß, jedem Bürger dieses Jahr nur drei Kerzen zuständen. Die Frau bricht in Tränen aus und stottert unter Schluchzern: " Aber ich hatte sogar 45 vier Kerzen!"

Advenire ist das lateinische Wort für ankommen, adventus heißt also Ankunft.
Adventus Domini, die Ankunft des Herren. Die Zeit vor seiner Geburt oder seiner Wiederkunft (tolles Wort - Wiederkehr und Kunft mittelhochdeutsch für Kommen, Zukunft, Ankunft, Nahen, Rückkehr, Wiederkehr - also künftige Wiederkehr).
Die vier Sonntage, von einem Papst festgelegt,  stehen symbolisch für die viertausend Jahre, welche die Menschen gemäß kirchlicher Geschichtsschreibung nach dem Sündenfall auf den Erlöser warten mussten. (Wiki)
Da der Advent immer in der Heiligen Nacht gipfelt, verschiebt sich der erste Sonntag, manchmal ist der Advent vier Wochen, manchmal fünf, manchmal was dazwischen.

Sagt der Tochter Zion:
Siehe, dein König kommt zu dir,
sanft, und auf einem Esel reitend,
auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.

Matth. 21.1 - 11

Viermaliges Feiern in Vorfreude auf einen Geburtstag. Er kommt und er wird wiederkommen, auf einem kleinen Esel. Unwahrscheinlich, aber ein schönes Bild.

Montag, 29. August 2016

Wenn Gott lebendig macht, tut er das, indem er tötet


Wenn ich also auf irgendeine Weise verstehen könnte, wie dieser Gott barmherzig und gerecht sein kann, der so viel Zorn und Ungerechtigkeit an den Tag legt, wäre der Glaube nicht nötig.


Herr Luther schreibt einen Text in Reaktion auf Worte des Erasmus von Rotterdam und ich lese und denke eine bessere Begründung für meinen Nichtglauben ist fast nicht möglich. Ich kann es auch so formulieren, wenn Luther recht hat, will ich keine Seligkeit. Wenn Gott Demütigung, Selbstaufgabe und unbedingten Glauben wider alle Verstehbarkeit verlangt, will ich ihm ungehorsam sein.
Oder wie es Stephen Fry auf die Frage was er, tot und im Himmel angekommen zu Gott sagen würde, formulierte: "Knochenkrebs bei Kindern, was soll das?"
Ich bemerke mein Atheismus wird mit den Jahren wütender. Aber viele, die ich mag, glauben auf verschiedenste Weise und, ich werde den Teufel tun, ihnen das übel zu nehmen.

Übrigens mochten beide Juden nicht, eine chistliche Krankheit der häufigen Art, aber der eine gab der Vernunft Raum und Grund und gestand damit dem Menschen einen freien Willen zu. Aber der andere, der unsere, der in diesem Jahr so sehr gefeierte ...

Martin Luther - VOM UNFREIEN WILLEN 

oder 

De servo arbitrio - Über den geknechteten Willen 1525
 
EIN KURZER AUSZUG:
 
Wenn wir glauben, es sei wahr, daß Gott alles vorherweiß und vorherordnet, dann kann er in seinem Vorherwissen und in seiner Vorherbestimmung weder getäuscht noch gehindert werden, dann kann auch nichts geschehen, wenn er es nicht selbst will. Das ist die Vernunft selbst gezwungen zuzugeben, die zugleich selbst bezeugt, daß es einen freien Willen weder im Menschen noch im Engel, noch in sonst einer Kreatur geben kann.
...  
 
Erstens: Gott verheißt den Demütigen, das heißt denen, die an sich verzweifelt sind und sich aufgegeben haben, mit Bestimmtheit seine Gnade. Ganz und gar aber kann sich kein Mensch eher demütigen, bis daß er weiß, daß seine Seligkeit vollständig außerhalb seiner Kräfte, Absichten, Bemühungen, seines Willens und seiner Werke gänzlich von dem Belieben, Beschluß, Willen und der Tat eines anderen, nämlich Gottes allein, abhänge. Wenn er nämlich im Vertrauen auf sich selbst bleibt — und das tut er so lange wie er sich einbildet, er vermöge auch noch so wenig für seine Seligkeit zu tun — und nicht von Grund auf an sich verzweifelt, so demütigt er sich deswegen nicht vor Gott, sondern vermutet oder hofft oder wünscht wenigstens Gelegenheit, Zeit oder irgendein gutes Werk, dadurch er dennoch zur Seligkeit gelange. Wer aber wirklich nicht daran zweifelt, daß alles vom Willen Gottes abhänge, der verzweifelt völlig an sich selbst, wählt nichts eigenes, sondern erwartet den alles wirkenden Gott. Der ist am nächsten der Gnade und der Seligkeit. Deshalb werden um der Auserwählten willen diese Lehren gepredigt, damit sie — auf diese Weise gedemütigt und zunichte geworden — selig werden. Die übrigen widerstehen dieser Demütigung, ja sie verurteilen sogar diese Verkündigung der Verzweiflung an sich selbst, sie wollen, daß ihnen wenigstens ein ganz klein wenig übrig gelassen werde, das sie selbst vollbringen können. Das ist, sage ich, der eine Grund: daß die Frommen die Verheißung der Gnade in Demut erkennen, anrufen und empfangen.

Der andere Grund ist, daß der Glaube es mit den unsichtbaren Dingen zu tun hat (Hebr. 11, l). Damit also dem Glauben Raum gegeben werde, ist es notwendig, daß alles was geglaubt wird, sich unsichtbar mache. Er kann sich aber nicht gründlicher unsichtbar machen als unter dem Gegensatz zur Empfindung und Erfahrung, wie er hier vorliegt. So zum Beispiel: wenn Gott lebendig macht, tut er das, indem er tötet, wenn er gerecht macht, tut er das, indem er schuldig macht, wenn er in den Himmel bringt, tut er das, indem er zur Hölle führt, so wie die Schrift sagt (l. Sam. 2, 6): "Der Herr tötet und macht lebendig, führt in die Hölle und wieder heraus". ... So verbirgt er seine ewige Güte und Barmherzigkeit unter ewigem Zorn, Gerechtigkeit unter Ungerechtigkeit. Hier liegt die höchste Stufe des Glaubens vor: zu glauben, daß er gnädig ist, der so wenige rettet und so viele verdammt, zu glauben, daß er gerecht ist, der durch seinen eigenen Willen uns notwendig verdammenswert macht, so daß es scheint, wie Erasmus sagt, daß er an den Qualen der Unglücklichen Gefallen habe und mehr Haß als Liebe verdiene. Wenn ich also auf irgendeine Weise verstehen könnte, wie dieser Gott barmherzig und gerecht sein kann, der so viel Zorn und Ungerechtigkeit an den Tag legt, wäre der Glaube nicht nötig. Jetzt, da es nicht begriffen werden kann, wird Raum, den Glauben zu entfalten, indem solches gepredigt und allgemein bekannt gemacht wird, ganz wie, wenn Gott tötet, der Glaube an das Leben, im Tode geübt wird.