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Freitag, 29. März 2024

Zone Of Interest - Was habe ich gesehen?

Seit Wochen drücke ich mich vor diesem Film und dann hat der Regisseur auch noch eine, um es vorsichtig zu formulieren, die grauenhafte Situation in Gaza betreffend, einseitige und vereinfachende Rede anlässlich seines Oscar-Gewinns gehalten.

„Zone of Interest“, ein Film des britischen Regisseurs Jonathan Glazer über das Leben des Kommandanten von Ausschwitz und seiner Familie um das Jahr 1944, besetzt mit deutschen Schauspielern.

Was habe ich gesehen? 

Einen äußerst gut gemachten Film mit exzellenten Schauspielern, großartig fotografiert und ausgestattet, mit einem geradezu genialen Soundtrack. Das Haus, der Garten, die Mauer zum KZ soll mit Efeu verschönt werden, der Umgang der Eheleute miteinander, mit den Kindern und mit dem kostengünstigen Personal aus dem Lager nebenan. Eine Idylle mit Kratzern und Rissen und dem ignorierten gestreiften Elefanten im Raum.

Doch dann beginnt unerwartet ein zweiter Film, Höss wird nach Oranienburg versetzt, die Familie will nicht mit und wir finden uns plötzlich in den Räumen der Macht wieder. Eine bedauerliche dramaturgische Entscheidung, als würde der Regisseur seiner starken, scheinbar privaten Erzählung nicht zutrauen, den Film bis zum Ende zu tragen, als bräuchte es noch das große Ganze. Schade.

Friedl und Hüller sind geradezu perfekt. Sie, ganz körperliche Unwucht, unstörbare Selbstzufriedenheit, die perfekte Inkarnation des Idealbildes deutscher, harter Mütterlichkeit, schon ihre komplizierte, bösartige Frisur ist ein Ereignis. Friedl, sein weicher Körper, die etwas zu hohe Stimme, der weibliche Mund und die traurigen Augen, sein Haarschnitt ein faschistoider Undercut in Perfektion. Die Maske verdient wahrlich einen Oscar.

Aber letztlich hinterlässt der Film mich irgendwie unbehaglich und kühl, trotz der packenden Abspannmusik. Warum nur?

Ist die eigentliche Geschichte dieses Film, dass Rudolf Höß ein weniger gewissenloser Mörder gewesen wäre, wenn seine Frau nicht ihr Haus, ihre Kinder, ihren Garten über alles andere gewertschätzt hätte? Mitgefühl mit dem Kerl und keines für seine Frau? Aber das ist nur ein irritierender Nebengedanke.

Die Negativbilder des Äpfel verteilendes Kindes mochte ich.

Anderes war wiederholend und überdeutlich. (Für den Fall, dass ich es sonst nicht verstehe?) Immer nochmal der schwarze Hund und KZ-Insassen in dienender Funktion, das hässliche Haus, die spießbürgerliche Einrichtung, der blühende Garten und die kilometerlange Mauer zum Lager nebenan.

Warum hat es mich gestört, dass der Film alles „richtig“ macht? Oder habe ich einfach schon zu viel über diese Zeit gelesen, zu viele Filme und Dokumentationen gesehen?

Es ist ein übles Dilemma: mir vorzustellen, dass ich KZ-Kommandant oder Aufseher seien könnte, funktioniert nicht. Aber andererseits weiß ich genug über meine eigenen dunklen Bereiche, dass ich ahne, nur glückliche Umstände haben mich bewahrt. Aber die partielle völlige Gewissenslosigkeit, wie sie hier Höss und Hedwig leben, ist nicht einfach nachzuvollziehen und so hatte ich dann irgendwann das Gefühl, exotischen Exemplaren der menschlichen Rasse zuzusehen.

Mein Vater, Jahrgang 1930, in Magdeburg aufgewachsen, hat mir erzählt, wie der kleine Cohen aus seiner Klasse eines Tages verschwand, das hat mich (und ihn) sehr lang beschäftigt. Ein Kind mit dem du jeden Tag in der Schule sitzt, ist da und dann plötzlich nicht mehr. Du weißt, unbewusst, dass da etwas Schlimmes geschehen ist, doch du ignorierst den Gedanken. Dieses kleine Detail hat mich mehr erschüttert, als dieser wirklich gute Film.

Der Holocaust, das Wort kommt aus dem Griechischen und heißt „Brandopfer“ oder „vollständig verbrannt“, die Shoa, der Untergang, die Katastrophe, Wolfgang Benz befasste sich in Dimension des Völkermords mit allen seit 1990 zugänglichen Quellen, Auswertungs- und Berechnungsmethoden der Opferzahlen. Burkhard Asmuss veröffentlichte 2002 eine Aufstellung mit teilweise gröberen Schätzungen. Insgesamt erhärtete sich dabei eine Gesamtopferzahl von mindestens 5,6 bis zu 6,3 Millionen ermordeten jüdischen Menschen. Dazu kommen Zahlen für Verletzte und Vertriebene. Im von ihm herausgegebenen Handbuch des Antisemitismus bezifferte Benz die Gesamtzahl der Holocaust-Opfer auf „mindestens sechs Millionen“.

Sechs Millionen Menschen, die als Juden identifiziert wurden. Tot. Ermordet. Weil sie Juden waren. Heute leben ungefähr 15 Millionen Juden auf der Welt, bei einer Weltbevölkerung von ungefähr 7,888 Milliarden, also 0,19 % dieser großen Menge von Menschen. Circa 10 Millionen davon sind Israelis. Und sie sind jetzt die ultimaten Bösen. Weiße Kolonialherren, obwohl sie aus dieser Gegend stammen und viele seit der Diaspora in, heute arabischen, Gebieten und Pakistan und Afghanistan lebten. Bis 2002 machten Juden aus arabischen Ländern und ihre Nachkommen immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung Israels aus. Nahezu niemand glaubt nunmehr an eine Zwei-Staaten-Lösung, also was wäre die Alternative? From The River To The Sea, heißt in reale Politik übersetzt : Israel wird ausgelöscht. Diaspora Point Two. Wo sollen sie hin? Niemand will sie. Oder aber Gaza wird ausgelöscht? Wo sollen die Palästinenser hin? Niemand will sie. Weder die Israelis haben eine Wahl, noch die Palästinenser.

 

In den jüdischen Familien Israels wird über Generationen der Schrecken des Holocaust vererbt, bei den Palästinensern, der Schock der Nakba.

Nakba =„Unglück“, „Katastrophe“. Mit diesem Begriff bezeichnet die arabische Welt die Vertreibung von hunderttausenden Palästinensern vor 75 Jahren.

Holocaust. Nakba. Unglück. 



Ein letzter Einwand. In Israel haben bis zum 7. Oktober, dem Tag des Massakers Hunderttausende gegen die Regierung Nethanjahus demonstriert. Ist jemand in Gaza gegen Hamas auf die Strasse gegangen? Und Queers for Palastine würden einen Besuch in Gaza vielleicht nicht überleben.

Samstag, 2. März 2024

DUNE 2

Vorweg, ich habe alle Bücher von Frank Herbert gelesen und auch die Verfilmung von David Lynch gesehen. Abgesehen von Isaak Asimov und Arthur C. Clarke, war er der bevorzugte Sci-Fi-Autor meiner Jugend. 

Im Flur vor dem Bad unserer Wohnung stand ein Regal mit der Schundliteratur meiner Mutter, Krimis, Georgette Heyers Empire-Liebesgeschichten und eben auch Science Fiction Romane - aber alle in Englisch. Also bin ich zu Englisch-Kursen in der Volkshochschule Berlin-Mitte gelaufen und habe mein Schulenglisch verbessert, nur damit ich diese Bücher lesen konnte, und auch wenn ich die erste Zeit nur die Hälfte der Wörter kannte, im Groben wusste ich, worum es ging.

Meine Mutter war, weil die Nazis sie umbringen wollten, in der USA aufgewachsen, sprach Englisch besser als Deutsch und las zeitlebens lieber Englisch.

Ich nehme Denis Villeneuve sehr übel, dass er mich mit einer wahrhaft schlechten Fortsetzung von BLADE RUNNER geärgert hat. Der beste Film aller Zeiten hat das nicht verdient. Selbst Harrison Fords Auftritt konnte dieses selbstgefällig depressive und gänzlich humorlose Werk nicht retten und Ryan Gosling hat mit dieser Rolle begonnen, sich selbst zu ernst zu nehmen und von hier an zuförderst sein Genie zu zelebrieren.

Aber Denis Villeneuve hat uns auch SICARIO und ARRIVAL geschenkt, beides sehr gute Geschichten mit starken weiblichen Heldinnen, spannenden, erschreckenden Vorgängen und einer ganz eigenen und verblüffenden Bildsprache.

DUNE war ok. Timothy Chalamet, sehr jung, sehr schlacksig, schien mir überfordert. Aber ich mochte, die vielfältigen Flugmaschinen und ihre Landungsmanöver und die Art, wie der Regisseur Sand auf einem Wüstenplaneten photographierte. Aber natürlich musste viel Vorgeschichte erzählt werden und die Spannung hielt sich schon darum in Grenzen.

Heute, bei Dune 2, konnte er sich Zeit nehmen, ganze 206 Minuten inclusive Pause. Dune 3 folgt.

Was mochte ich? 

Die Fliegenden. Wer will nicht fliegen können? So sehr schöne Bilder immer wieder. Sehr gute Schauspieler in jeder noch so kleinen Rolle. Javier Bardem ist, wie immer großartig, Josh Brolin schafft es sogar einer aufgebrauchten Rolle, der des treuen Freundes, Struktur zu geben.

Chalamet ist erwachsen geworden, aber immer noch hart an der Kante, weil er halt so sehr zart und so sehr jung wirkt. Zendaya kann wirklich gut zornig sein und das meine ich als Kompliment.

Aber warum ist der Messias weiß? Und die Freeman sprechen eine künstliche Variante des Arabischen? Was soll ich damit anfangen?


Die Hoffnung auf einen Messias gebärt Gewalt. Niemand rettet uns, wenn wir uns nicht selber retten.


Montag, 16. Oktober 2023

Es ist Krieg und ich gehe ins Kino und in die Oper

Vor wenigen Tagen hat Israel der Hamas, nach einem schweren Angriff auf seine Bürger, den Krieg erklärt. Grauenhaft, bedrohlich. Wer ist schuldig? Ich wünschte es gäbe eine einzige richtige Antwort. Das schlechte Gewissen Europas ermöglichte die Gründung des Staates der Juden, die nach der Verwüstung des Holocausts, jedes Recht hatten, einen sicheren Ort zu suchen. Die Palästinenser bezahlten eine Schuld, die sie nicht zu verantworten hatten und einige, nicht wenige wurden durch erfahrenes Leid, aber auch religiösen, nationalistischen rückwärtsgewandten Starrsinn und die Korruptheit ihrer Anführer zu Terroristen. Gibt es eine Lösung? Wenn ja, kenne ich sie nicht. Der Iran jubiliert. Das Regime, das Frauen hasst und Abweichler und wer weiß wen noch. Israel ist ein demokratischer Staat, der von einem korrupten Mann regiert wird und es hat verzweifelt versucht, sich gegen ihn zu wehren. Jetzt müssen alle Israelis notwendigerweise zusammenstehen. Und nun? Ich wünsche die Sicherheit aller Juden überall. Aber ich wünsche auch, dass die Palästinenser würdig leben dürfen. Ich wünsche mir einander ausschließende Dinge, kann nichts tun und gehe Kunst gucken.

DOGMAN von Luc Besson im Babylon Kreuzberg, dass nicht zu verwechseln ist mit dem anderen Kino Babylon, wie eine unglückliche junge Frau feststellen musste. Luc Besson - Im Rausch der Tiefe, Nikita, Leon der Profi, Das Fünfte Element und dann der gänzlich grässliche Valerian. Ich wusste also nicht, was mich erwartete. Die Freundin, mit der ich im Kino war, hat es auf den Punkt gebracht: krasser Scheiß! Caleb Landry Jones ist ein schauspielerisches Ereignis. Ehrlich gesagt, ist mir auch egal, ob der Film gut oder nur halbgut ist. Da hat einer was gewagt. Einen großer Wurf. Und da ist Geschmack nur eine, nicht die wichtigste Kategorie. Überzeugung, Konsequenz und Mut sind Kategorien, die in der Kunst, gerade jetzt, wichtig, manchmal entscheidend sind. Krasser Scheiß!

Hauptprobe zum Intendanten Vorsprechen Hochschule Ernst-Busch in Berlin. Fünf und eine halbe Stunde lang, aber ein Vergnügen. So viel Energie, Hoffnung und Talent.

Anselm Kiefer beschrieben von Wim Wenders. 20 Prozent des Films besteht aus nachgestellten Szenen aus Kiefers Leben, Kiefer als Kind (Wenders Enkel?). Kiefer als junger Mann (Kiefers Sohn oder Enkel?). Das ist Kitsch, und zu vernachlässigen. Merkwürdig, dass Humorlosigkeit und Kitsch einander so oft anverwandt sind. Aber die anderen 80 Prozent sieht man Anselm Kiefer bei der Arbeit zu und das ist eine große Freude. Ein Besessener muss arbeiten, will arbeiten, will hart arbeiten. Baut eine Stadt aus leeren schiefen Türmen bewohnt von Frauenkleidern belastet von Büchern, Stacheldraht, Gewucher, Globen. Er redet wenig, bedacht, genau. Die westdeutsche Kunstkritik hat es ihm erstmal sehr übel genommen, dass er sie nicht in Ruhe ließ mit dem verdammten Faschismus-Thema, ihn als Neo-Nazi abgestempelt und erst sein Erfolg in der USA hat sie gezwungen doch hinzuschauen. Und er sieht auch noch verflixt gut aus, weil er so viel arbeitet und es liebt. Sexy mit 78, das will ich auch. Ich hoffe, ich bekomme die Chance eine große Kiefer-Retrospektive zu sehen, irgendwo, irgendwann. Erinnerung. Vor Jahren im Hamburger Bahnhof mein erster Kiefer, haptisch, grobe Struktur und ein paar Kinderkleider. Es schlug mir in den Magen. 

Und zum letzten Akt meines überfüllten Kulturwochenendes: Parsival in Hannover. "Immer wenn ich Wagner höre, habe ich das Gefühl, ich muß in Polen einmarschieren." sagt Woody Allen, und ich stimme ihm, nach diesem 5 1/2 stündigem Opernelebnis aus vollem Herzen zu. Nach einem interessanten ersten Aufzug, zusammengeschweißt von einem tollen Bühnenbild, haben die Sänger, den Rest der vielen Stunden nur noch herumgestanden, sich mal hingesetzt, um dann aufzustehen, langsam irgendwo anders hinzugehen, um sich dann wieder hinzusetzen. Ich kann mir nicht erklären, warum man so ein Frauenbild zwischen wildem Weib und inzestiöser Mutterliebe, Hure und Mami und diese bibbernde Verherrlichung von Retterphantasien durch den "Reinen Toren", heute noch so unwidersprochen auf die Bühne bringen kann. Wenn im ersten Aufzug noch Andeutungen von Klimanot und Verfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu erahnen waren, verfällt das Ding danach zusehends in kammerspielartiges Psycho - Geraune. Die Qualität der Musik war sicher hoch, davon verstehe ich nicht genug, komme halt vom Schauspiel. Beim Essen in der Pause, schlug meine Dramaturgen-Freundin vor, man könnte doch wenigstens Striche machen, woraufhin ein sehr liebenswürdiger Herr, der an unserem Tisch saß, sagte: "Sicher könnte man, aber dann werden sie gelyncht." "Erlösung für den Erlöser", was für ein protofaschistisches, frauenverachtendes, pseudochristliches Geschwurbel. Man sollte mal den Text ohne Musik aufführen, so ganz nackt, das wäre mir ein Fest, und bitte mit den Regieanweisungen! Zur gleichen Zeit hat übrigens auch Büchner geschrieben und zwar soetwas: "Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte."

PARSIVAL:
Erlöser! Heiland! Herr der Huld!
Wie büss ich Sünder meine Schuld?

KUNDRY:
(deren Erstaunen in leidenschaftliche
Bewunderung übergeht, sucht
schüchtern sich Parsifal zu nähern)

Gelobter Held! Entflieh dem Wahn!
Blick' auf, sei hold der Huldin Nahn!

PARSIFAL:
(immer in gebeugter Stellung, starr
zu Kundry aufblickend, während diese
sich zu ihm neigt und die liebkosenden
Bewegungen ausführt, die er mit dem
Folgenden bezeichnet)

Ja, diese Stimme! So rief sie ihm;
und diesen Blick, - deutlich erkenn' ich ihn,
auch diesen, der ihm so friedlos lachte;
die Lippe, ja... So zuckte sie ihm;
so neigte sich der Nacken,
so hob sich kühn das Haupt;
so flatterten lachend die Locken,
so schlang um den Hals sich der Arm;
so schmeichelte weich die Wange;
mit aller Schmerzen Qual im Bunde,
das Heil der Seele
entküsste ihm der Mund!
Ha! Dieser Kuss!
  

Mittwoch, 12. Juli 2023

Wie würde ich mich entscheiden?

ARRIVAL, ein Film von Denis Villeneuve, den ich gerade zum dritten Mal gesehen habe, stellt eine mich tief erschütternde einfache Frage: Wenn ich wüßte, wie mein Leben verlaufen wird, wen ich wann und wie verlieren werde, um meine Mißerfolge und Niederlagen schon im Voraus wüßte, um jeden kommenden Liebeskummer wüßte, jeden Schmerz, jede Krankheit und schließlich auch wüßte, wann ich und wie sterben werde - was würde ich tun, wie mich entscheiden? Würde ich das Leid mit dem Glück annehmen? Würde ich das Wagnis der Liebe eingehen, wissend, das sie endlich ist?

In GOTT LEBT IN BRÜSSEL, auch einem Film, dieser von Jaco Van Dormael, veröffentlicht Gottes zornige Tochter, weltweit die Sterbedaten der Menschen. Was würde dieses Wissen an meinem, an unserem Leben ändern?

Vor vielen Jahren habe ich eine kleine Geschichte gelesen, die mir nicht aus dem Kopf geht, obwohl ich nicht einmal mehr weiß, wer sie geschrieben hat: Die Menschheit bemerkt, dass es wirklich UFOs gibt und das sehr viele und sehr unterschiedliche, die Erde umkreisen. Irgendwann gelingt es uns, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und wir stellen eine Frage, die uns umtreibt: Warum gerade wir, warum beobachtet ihr uns, obwohl wir euch technologisch nicht einmal ansatzweise ebenbürtig sind? Die Antwort ist schwierig zu übersetzen, aber letztendlich lautet sie: Von allen Lebewesen im Universum seid ihr, die einzigen die sterben. Und. Und ihr seid die einzigen, die Kunst haben.

Wir nennen es Schicksal, weil wir nicht wissen, was uns passieren wird. Wüßten wir es, wie würden wir es dann nennen? 

Es sagt sich leicht, dass es ohne Tiefen, keine Höhen gäbe, ohne Leid kein Glück, aber würde ich, wissend, trotzdem den notwendigen Preis bezahlen? Oder keine Entscheidungen mehr treffen, oder aus zu viel Vorauswissen heraus erstarren? Würde ich lieben, ohne das Versprechen der Erfüllung? Würde ich Theater machen, ohne die Hoffnung auf Karriere, auf Erfolg?

Wenn ich nie mehr den augenblicklichen, beglückenden Moment erleben könnte, ohne um sein Endergebnis zu wissen, was würde das mit mir machen?

Sonntag, 9. April 2023

Sonne und Beton - Ein Film

Walter Adolf Georg Gropius (* 18. Mai 1883 in Berlin; † 5. Juli 1969 in Boston, Massachusetts) war ein deutscher (seit 1944 US-amerikanischer) Architekt und Gründer des Bauhauses. Beginnend 1960 entwickelte er das Wohnbau-Projekt Gropiusstadt in Berlin-Neukölln. Die rund 18.500 Wohnungen der von Walter Gropius geplanten Trabantenstadt wurden zu 90 Prozent als Sozialbauwohnungen errichtet. Seit den 1980er Jahren gilt die Gropiusstadt als sozialer Brennpunkt. 

Levy Rico Arcos, der Hauptdarsteller.

Der Film: Vier Jungen, 15, 16 Jahre alt, leben in eben dieser Gropiusstadt, jetzt, 2023, nicht mehr als 15 Kilometer von mir in Berlin-Mitte, dem wahrscheinlich gentrifiziertesten Teil meiner Stadt, entfernt. Mit ihnen erlebe ich eine fremde Welt, die meiner bekannten benachbart ist und doch nur in Momentaufnahmen von ihr aus sichtbar.

Ein Film über eine mir nahezu gänzlich unbekannte Kultur. Na klar, ich schnappe täglich Gesprächsfetzen in der U- oder S-Bahn auf oder wenn ich gelegentlich in Neu-Kölln bin und meine älteste Freundin ist Lehrerin an einer Brennpunktschule in dem Bezirk und sie erzählt viel. Ich habe auch erlebt, wie sich ihr Wortschatz verändert hat in der täglichen Konfrontation mit ihren Schülern. Verrückterweise hatte ich die ersten 15 Minuten sogar Schwierigkeiten dem Dialog zu folgen, bis ich mich in dieses fremde Deutsch eingehört hatte, alle, biodeutsch oder ganz oder teilweise anderen Regionen entstammend sprachen ein anderes, exotisches Deutsch, gespickt mit "ficken", "Hurensohn", "schwul" und erstaunlich und erschreckend phantasievollen Zusammenstellungen von Verbalinjurien aller Art. Gewalttätige Sprache ist offensichtlich oder oder besser offenhörlich überlebenswichtig in solchen Zusammenhängen. 

Diese Kinder sind in Not, Gewalt in unterschiedlichsten Formen gehört zu ihrem Alltag. Sie erleben sie. Sie üben sie nach streng hierarchischen Regeln aus. Sie klammern sich an sie, wie an eine Boje im Sturm. Sie werden von ihr überwältigt und gebrauchen sie ohne sichtbare Skrupel. Kein Geld in einer Welt voller Verlockungen, keine Macht über den Gang des eigenen Lebens, keine nachlebbaren, glaubwürdigen Regeln nach denen sie sich richten könnten.

Die Spieler sind gecastete Laien, aber wahrlich bedacht und genau gecastet. Levy Rico Arcos spielt Lukas, Vincent Wiemer Julius, Rafael Luis Klein-Hessling Gino, Aaron Maldonado Morales Sanchez und alle drumherum. 

Ich habe große Teile des Films durch meine angstvoll gespreizten Finger gesehen, obwohl die eigentliche Brutalität nicht gezeigt wurde, nur Intention von Gewalt, nicht die Treffer. Die Geräuschemacher und Schnittmeister haben tolle Arbeit geleistet.

Hingehen, angucken, erschrecken, nachdenken.

Sonntag, 8. Januar 2023

The Banshees of Inisherin

In meinen Höfen gibt es zwei großartige Programmkinos, das Central und das hackesche höfe kino, ich habe also die Möglichkeit, täglich zwischen vielen Filmen zu wählen und sie dann praktisch im Pyjama anzugucken. Heute abend war es The banshees of Inisherin.

Der Autor und Regisseur ist Martin McDonagh, Ire, aber in England aufgewachesen. Er hat mit dem Schreiben für das Theater begonnen und verfilmt jetzt seit einigen Jahren seine Drehbücher. Die Filme kenne ich alle nicht, nichtmal Three billboards outside Ebbing, aber 1996 habe ich The Beauty Queen of Leenane - Die Schönheitskönigin von Leenane im Royal Court Theater in London gesehen, einen sehr poetischen, melancholischen Abend mit Inseln greller Komik, von dem ich sicher war, dass er auf Deutsch nie wirklich funktionieren würde. 

Banshees sind übrigens weibliche Geister der irischen Mythologie, die Todesfälle durch ihr lautes Weinen vorankündigen; Inisherin ist eine fiktive Insel vor der Küste Irlands. 

Der Film spielt 1923 zu Zeiten des irischen Bürgerkrieges, der durch hör- und sichtbare Explosionen auf dem gegenüberliegenden Ufer immer mal in die Welt des Films hineinschwappt. Diese Welt ist irischer als irisch, sozusagen ein irisches Konzentrat. Auch wenn man kein Englisch spricht, sollte man hier die Originalversion mit Untertiteln wählen, weil Melodie, Klang und Rhythmik der gesprochenen Sprache sehr schön sind und auch wichtig als Kontrapunkt zur Wortkargheit der Figuren und der strengen Bildsprache. Der Mann, McDonagh, kann wahrhaftig Dialoge schreiben! Knapp, täuschend einfach, oft mit Wiederholungen arbeitend, mal sehr böse witzig, mal albern, mal fulminant. In einer Kritik habe ich gelesen, dass Brendan Gleeson und Colin Farrell, sich zu Stan und Laurel des 21. Jahrhunderts entwickeln. Da ist was dran.

Über dem Film schwebt eine gewisse Sentimntalität, die umso merkwürdiger wird, je brutaler sich die menschlichen Beziehungen zuspitzen. Wäsche weht, Volkslieder werden gegeigt und gesungen, Brahms erklingt, eine Frau trägt Rot, dann Gelb, (überhaupt sind die Kostüme wunderbar genau und eigenartig,) ein Miniatur-Esel tippelt herum, die Landschaft erstreckt sich rau und grau und grün. Und in dieser malerischen Umgebung wird ein Junge mißbraucht und verprügelt, eine Freundschaft wird aufgekündigt und dieser Bruch bricht das Herz eines guten Mannes und macht es hart und kalt und der andere, ein Geigenspieler schneidet sich alle Finger seiner linken Hand mit einer Schere ab und wird nie mehr fiedeln können. 

Die zwei Gegenspieler, der eine, jede Erklärung verweigernd, oder sie wortkarg gänzlich nur sich meinend, also egoistisch,  verknappend. Der andere immmer im Kampf mit der Sprache, die ihm gerade dann entgleitet, wenn er existentiell werden will, werden muß.

Colin Farrell ist ein Schauspielwunder. Manchesmal zuvor geradezu zu gutaussehend, um ernst genommen zu werden, ist er fähig, sogar seine Physiognomie zu verwandeln, sie der Lebenswirklichkeit der darzustellenden Person anzupassen. Es ist eine Lust ihm zuzusehen.Brendan Gleeson, der Weißclown, groß, schwer, brodelnd. 

Worum geht es? Ich rätsele. Um die Absolutheit der Liebe? Kann Mensch gut sein, wenn er keine Liebe mehr erfährt? Ist Kunst und die von ihr erhoffte Unsterblichkeit des Künstlers, kostbarer als "niceness", sprich Gutsein? Was bleibt? Ein Lied das überdauert? Die Erinnerung an Güte? 

 Bild: keystone

COLM: But will I tell ya something that does last.

 

PADRAIC: What? And don’t say somethin’ stupid like music.

 

COLM: Music lasts.

 

PADRAIC: Knew it!

 

COLM: And paintings last. And poetry lasts.

 

PADRAIC: So does niceness.

 

COLM: Do you know who we remember for how nice they was in the 17th century? Who? Absolutely no one. Yet we all remember the music of the time. Everyone, to a man, knows Mozart’s name.

 

PADRAIC: Well, I don’t, so there goes that theory. And anyway, we’re talkin’ about niceness. Not whatsisname. My mammy, she was nice. I remember her. And my daddy, he was nice. I remember him. And my sister, she’s nice. I’ll remember her. Forever I’ll remember her.

 

COLM: And who else will?

 

PADRAIC: “Who else will” what?

Dienstag, 27. Dezember 2022

Die Stillen Trabanten - ein deutscher Film

Was ist das nur mit deutschen Filmen?

Clemens Meyer schreibt filigrane Geschichten über gewöhnliche Einsamkeiten und unerwartete Annäherungen. Mitgefühl wäre ein Wort, um das zu beschreiben, was ich beim Lesen seiner Texte empfinde. Mit jemandem gänzlich Fremden etwas zu empfinden, anstatt gedankenlos Mitleid auszuschütten, Mitleid ist ein hochmütiges Gefühl. Ach, der oder die arme Person, der geht es schlechter als mir. Aber Mitgefühl, verlangt Einfühlung, Verständnis, die Ebenbürtigkeit dessen, mit dem ich mitfühle.

Der Film, den ich verlassen habe, bevor er zu Ende war, hatte Absichten, sehr offensichtliche und tat alles dafür, dass ich diese auch bemerke ud darum waren eine große Menge außergewöhnlich guter Schauspieler dazu gezwungen, nicht Menschen, sondern Ideen von Menschen zu spielen. Sie müssen länger als notwendig emoten, oder verdeutscht erhoffte Gefühle erzeugen. So lang, dass ich leider anfing meine Gefühle anderen Dingen zu zuwenden. Deshalb der verfrühte Abschied.

Ich denke mitlerweile, dass ein harter, strenger Schnitt, eine Dramaturgie, die sich nicht vor, sondern mit aller Macht hinter die Geschichte stellt, jedem Film gut täte.

Hier waren es, zu viele Geschichten mit zu wenig Zeit für Glaubwürdigkeit und zu viel Zeit für Bedeutsamkeit. Ein Wachmann und ein Mädchen, das dem Krieg in der Ukraine bei Verlust der Familie entkommen ist, eine konvertierte Muslimin und ein fast zu liebenswürdiger Fast-Food-Koch, eine Friseuse und eine Mitarbeiterin der Deutschen Bahn, ein totes Kind syrischer Flüchtlinge, zu viele erschütternde Schicksale auf zu engem Raum. Keines kann wirken, weil die anderen ihn in einen Wettbewerb zwingen.

Britische oder Skandinavische Filme über "soziale Probleme" nehmen ihre Geschichte ernst und überlassen der Botschaft dem Hirn der Zuschauer.

Charly Hübner, Peter Kurth, Albrecht Schuch (Ich verehre ihn.), Martina Gedeck, Nastassja Kinski, und und und. Schade.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Pinocchio nacherzählt von Guillermo del Toro

Pinocchio. 

10 oder 11 Verfilmungen gibt es. Niedliche Grillen, liebende, väterliche Gepettos, freche Pinocchios, mal animiert, mal mit menschlichen Darstellern. Immer fehlte mir etwas, zu süß. zu moralisierend und immer auf Kosten der anarchischen Lebenslust der kleinen hölzernen Kreatur. 

Wie im deutschen Struwelpeter wird in dieser italienischen Geschichte ein Kind zurecht gestutzt. Um ein "wirklicher" Junge zu werden, bezahlt Pinocchio am Ende einen hohen Preis, einschließlich  seiner Autonomie.

Das Verrückte ist, dass Collodi, Kind seiner Zeit, trotz seiner geradezu sich ins Auge und Herz bohrenden, pädagogischen Absichten, ein viel wilderer und darum wahrhaftiger Phantast war, als es seinen Absichten entsprochen und gedient hätte. 

Schlangen lachen sich tot, brutale Puppenspieler niesen aus Mitleid, der übelste Bösewicht ist so hoch wie breit und hat eine sanfte, weiche Stimme. 

Guillermo del Torro packt seiner Titelfigur ein schweres Gewicht auf die zarten Schultern. Mussolini, den italienischen Faschismus, Unsterblichkeit und einen leidgeprüften, wahrhaft guten Vater, der seinen Sohn verloren hat. Nicht das Kind ist der Held, sondern der Vater.

Ein Kind, wenn auch aus Holz, voll von Lebenslust und Neugier, erobert sich die Welt, mit den zu erwartenden katastrophalen Erlebnissen. Es will werden, wie die anderen Jungs, ein "richtiger, braver Junge. Angepasst. Selbstlos, ohne sein Selbst. 

 

Die blaue Fee, wird bei Del Torro zu einer eigenartigen Mixtur aus Sphinx und Alien, anstatt der ambivalenten Vorgabe von aus Leiden geborener, erpresserischer Maria und wütendem, totem Kind. Und sie hat mich heftig genervt. 

Das Pinocchio, eine Holzpuppe, nicht so einfach sterben kann, es sei denn, er verbrennt, ist eine herrliche Allegorie der Unsterblichkeitsgewissheit kleiner Kinder, aber hier wird daraus ein angestrengtes Szenario über die unausweichliche Bedeutungsschwere der menschlichen Sterblichkeit.

Kein Szenarium bisher hat, so scheint es mir, das Kind ernst genommen. Geworfen in die Welt, ihr ausgeliefert, kämpfend um seine Eigenartigkeit, seine Unschuld.

Samstag, 29. Oktober 2022

Im Westen nichts Neues - Im Osten jeden Tag was Neues, Schreckliches.

Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen – Zerstampfen, Zerfressen, Tod.
Ruhr, Grippe, Typhus – Würgen, Verbrennen, Tod.
Graben, Lazarett, Massengrab – mehr Möglichkeiten gibt es nicht.

Erich Maria Remarque veröffentlichte 1928 seinen Roman, "Im Westen nichts Neues", den er 1918 als zufällig überlebt habender Soldat der deutschen Armee begonnen hatte zu schreiben. 

Die Geschichte des Soldaten Paul Bäumer von seiner Soldatwerdung bis zu seinem frühen Soldatentod. Der Titel könnte auch "Der vermeidbare Tod des Soldaten Bäumer" sein.

Edward Berger hat den Roman neu verfilmt.

Im Osten was Neues lesen wir seit dem 24. Februar jeden Morgen in unseren Nachrichten. Städte, von denen ich vorher noch nie gehört hatte, sind nun täglicher Teil meiner Lektüre. 

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte  bis zum 23. Oktober 2022 mindestens 6.374 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 402 Kinder.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/

Die Zahl der getöteten Soldaten auf beiden Seiten ist umstritten, aber hoch. Auf jeden Fall sind es viel zu viele Tote. 

"Was ist ein Soldat ohne Krieg?" 

"Ein Mann wird alleine geboren, er lebt allein und er stirbt allein." 

WAS FÜR EIN TRAURIGER DRECK!


Krieg als industriell organisierter Ablauf. Soldaten sterben, werden entkleidet, die Uniformen werden gewaschen, getrocknet, repariert und für neue Soldaten verwendet, die wiederum sterben werden. Das gibt dem Begriff "Secondhand" eine ungemütliche Bedeutung.

Wer wer ist, Freund oder Feind ist nurmehr an der Form der Helme erkenntlich.

Deutsche, die nach 1945 geboren wurden, haben Krieg am eigenen Leib nicht erlebt, wenn sie nicht an Auslandseinsätzen beteiligt waren. Aber meine Freundin ist im Februar 1945 geboren worden, und als dieser neue Krieg im Osten begann, so nah, nicht an exotischen Orten, wie sonst, hat sie intensiv körperlich darauf reagiert. Die Bomben, die das Baby gefühlt hatte, waren in ihr Körpergedächtnis eingebrannt. Ich bin, wie so oft in letzter Zeit, überfordert, Pandemie, Klimakatastrophe, Krieg, es ist zu viel, zu schlimm, zu überwältigend. 

Dreht unsere Welt durch? Wird Irrsinn unsere neue Normalität? Oder war es schon immer so und nun ist es uns privilegierten Europäern erstmals ganz nah an der Haut?

P.S. Albrecht Schuch ist eine Freude. So genau, so differenziert, so glaubwürdig. Daniel Brühl versucht sich an einem seltsamen Dialekt.

Samstag, 25. Dezember 2021

DON'T LOOK UP - Netflix schenkt uns eine weihnachtliche Apokalypse

DON'T LOOK UP

Ein sehr großer Komet steuert auf die Erde zu und wird sie demnächst zerstören, was tuen wir, um das zu verhindern?

Nichts.

Dann unter übergroßem Druck, das absolut Notwendige.

Ohne all zu viel Opfer zu bringen.

Ein guter Freund von mir, der seit 1990 in den USA lebt und dort gerne lebt, erzählte mir, dass er 2017, als Trump die Wahl zum Präsidenten der USA gewann, und er ist ein bekennender Zyniker, zwei Wochen lang unter Magenschmerzen und Brechreiz litt.

Die Wut und die Angst, die ich fühle, wenn ich es mit Menschen zu tun bekomme, die irrational argumentieren, für die weiß nicht weiß ist, 1 + 2 nicht 3, sondern 5, sind real. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden von ihnen mit einem Schulterzucken abgetan. Ihre Gefühle werden als Meinungen verkauft. Behauptungen bekommen das Gewicht von Urteilen. "Ich lasse mich nicht impfen, denn Gott hat mir ein Immunsystem gegeben." Ich brauche keine Impfung, denn ich lebe gesund, bewege mich viel an der frischen Luft und esse gesund.", "Ich fühle tief in mir, das da was nicht stimmt und handele dementsprechend.". 

Wenn mein Gasherd nicht funktioniert, wende ich mich an einen Experten für Gasherde, wenn mein Blinddarm schmerzt, gehe ich in die Notaufnahme, um Hilfe zu bekommen. Aber bei Corona weiß ich es besser, denn hier geht es nicht um die drei Impfungen, die ich benötige, um in Kenia auf Safari zu gehen, sondern um meine Freiheit. 

Was ist mit unseren Gehirnen passiert? 

Im Film sieht man den sich der Erde nähernden Kometen ab einem bestimmten Punkt deutlich am Himmel, da ist "Don't look up", "Schau nicht hin", der passende Slogan, weniger Tests, heißt weniger Corona. Was ist mit unseren Gehirnen passiert?



Sonntag, 7. November 2021

The French Dispatch und Riders Of Justice

Ich habe nur ein einziges Zeitungabonnement. Mehr oder weniger pünktlich, einmal die Woche steckt in meinem Briefkasten mit einem US-Poststempel ein Umschlag mit dem NEW YORKER drin. Die Titelseite ist gezeichnet oder gemalt, die Cartoons reichlich und gut, die viele Artikel richtig lang und enorm fundiert, und, was so sehr besonders ist, großartig geschrieben. 

Herr Wes Anderson hat eine Liebeserklärung an diese Zeitung gefilmt, an ihren Witz, ihre Intelligenz und beharrend traditionelle Ästhetik, letztere macht das Lesen, den optischen Vorgang umso mehr zur Freude.

Alles ist fein, tolle Schauspieler noch für den letzten gemurmelten Halbsatz, frecher Eklektizismus, unverschämter Einsatz jedes erdenklichen visuellen Mittels, Zitate aller Art - alles hoch artifiziell, nie gänzlich ernst, auch der Tod noch ein Bonmot. Benicio del Toro allein erlaubt sich Tiefe ohne die andere Waagschale der Komödie zu überlasten. 

Ein Film zum Dauerlächeln während man ihn sieht, zart, schnell, fein, doch außer einer heiteren Zeit und einigen Bildeinfällen bleibt nicht viel hängen.

Vor Jahren zappte ich durchs Programm und blieb bei einem merkwürdigen Film hängen. Mir erging es, wie es mir, nochmals viele Jahre früher, beim Ansehen von Monty Pythons Flying Circus im Dritten ergangen war, ich fühlte mich verstanden. Das war Humor, der mich lachen machte, immer hart an der Grenze zur Gewalt oder sogar zur Bösartigkeit, aber diese Grenze wie durch ein Wunder nie überschreitend. 

Der merkwürdige Film war "Adams Äpfel" von Anders Thomas Jensen und ich habe ihn mittlerweile wohl zehnmal gesehen.  Mein allererstes Mal mit Mads Mikkelsen! 

"Wilbur Wants To Kill Himself" (Mads als Doktor), Men and Chicken" (Mads als charmante Folge von Inzest), "Dänische Delikatessen" (Mads als Fleischergeselle) und heute abend: "Riders of Justice", Gerechtigkeitsreiter oder, wie es der deutsche Verleih entschied "Helden der Wahrscheinlichkeit" (Gott hilf bei verdeutschten Titeln, ich dachte erst, es handele sich um eine Dokumentation über Statistiker.) 

Kurze Abschweifung, Mads Mikkelsen: wo Hollywood erwartbare Varianten von Bösewichtern sieht, es sei ihm sehr gegönnt, sehen seine skandinavischen, meist dänischen Regisseure, alles mögliche, Lehrer, Ehemänner, Pfarrer, Ärzte, einen Soldaten, was weiß ich, und er verwandelt sich. (Und mit seinem prägnanten und unüblich schönen Gesicht ist das noch einen Zacken toller.) Ich vermute er amüsiert sich prächtig in seinem Zwitter-Dasein.

"Helden der Wahrscheinlichkeit", der Film macht Sprünge zwischen Rachedrama, Komödie, Klamotte, philosophischem Diskurs und psychologischem Drama, die nicht funktionieren können und es doch tun. Er ist ernst und albern, tieftraurig und bedient gleichzeitig die erwarteten Klischees, er ist weise und zutiefst unsicher, ob seiner "Weisheit".

Die Frage nach dem Sinn des Lebens fand ich immer schon blöd, der Sinn des Lebens muß das Leben sein. Aber trotzdem kann ich nicht verhindern, dass, wenn mir Unglück geschieht, die Frage nach dem WARUM? im Hirn tobt. Gibt es Schuldige an diesem, meinem Unglück? Wäre dieses, mein Unglück verhinderbar gewesen? Habe ich mein Unglück verdient? 

Ein Ver-Zweifler erzählt eine Geschichte, weil er die Willkür des Lebens und des Todes etwas entgegensetzen will. Und was kann er entgegensetzen? Eine Geschichte.

Troja wird erobert, seine Bewohner versklavt, wir erzählen uns ihre Geschichte. Ein dreissigjähriger Jude in Galiläa predigt gewaltlosen Widerstand und wird gekreuzigt, wir erzählen uns seine Geschichte. Die Toten der Pest, der Kriege, der Unmenschlichkeit, sie sind tot und nichts bleibt von ihnen, als ihre  Geschichten.

Freitag, 25. Juni 2021

THE WORLD ACCORDING TO MARVEL

SPOILERWARNUNG FÜR ALLE BISHERIGEN MARVELPRODUKTIONEN!

ICH LIEBE SUPERHELDENFILME. 

Was kann ich zu meiner Verteidigung sagen? 

Meine Mutter hat als Emigranten-Kind in Los Angeles Comicbücher gesammelt und mußte sie zurücklassen, als es zurück nach Deutschland ging? (Inclusive Superman Heft 1!) Und sie hatte ein Faible für die Thorfilme, tja, blonde witzige Männer, ihr "Ekke"-Komplex. Es war ein Riesenspaß mit ihr, imerhin schon achtzigjährig, mit Popcorn und Cola und Drei-D-Brille bewaffnet, diesen wahrlich gut gemachten Trash zu gucken. Jetzt ist sie fort und unser Kino am Potsdamer Platz auch, Disney Plus und alleine gucken ist nicht dasselbe. Aber; coranabedingt, tue ich es doch.

Ich liebe auch andere, ernsthafte Dinge? Manche Menschen, das Wort ist nicht genderbar, (oder?) lieben Torte, manche Proust, manche mathematische Gleichungen. Ich halt, unter vielem anderen, SUPERHELDENFILME

Wikipedia liebe ich auch, aber nur ein bisschen: Liebe (über mittelhochdeutsch liep, „Gutes, Angenehmes, Wertes“ von indogermanisch *leubh- gern, lieb haben, begehren) ist eine Bezeichnung für stärkste Zuneigung und Wertschätzung.

SUPERHELDENFILME. Marvel, DC eher weniger. 

Kevin Feige hat die meisten dieser Filme produziert. X-Men und Deadpool laufen zwar extra, werden aber sicher noch zueinander finden. Herr Feige ist schlau, klug, ob aus Geschäftssinn oder weil er die Welt beobachtet und ihrer Veränderung folgt oder aus einer Mischung von beidem. 

Noch in Iron Man II wurde Scarlett Johansson von Iron Man lässig mit ziemlich sexistischen Bemerkungen begrüßt, Heute hat Marvel mit Wonder Woman, Captain Marvel, Black Widow, der Valkyrie, Wanda Maximoff, Storm, Jean Grey und anderen viele starke, eigenwillige weibliche Frauen in Hauptrollen. 

Captain America ist schwarz. Endlich. Vor drei Jahren habe in Washington Square Park in New York Black Panther im Freilichtkino gesehen, einen tollen Film mit fast ausschließlich schwarzen Besetzung und auch im Publikum waren wir als Weiße in deutlicher Minderzahl. Was für ein Erlebnis, einmal für zwei kurze Stunden Film aus der anderen Perspektive, der nicht "wichtigen", zu erleben

Wanda Vision erzählt von PTSD und gibt uns gleichzeitig eine Geschichte der Vorabendserie. Ich habe sicher nicht alle Referenzen erkannt: I love Lucy, Die Partridge Familie, Verliebt in eine Hexe, Zauberhafte Jeannie, Mary Tyler Moore.

18.00 Uhr bis 18.30 und dann eine weitere halbe Stunde bis 19.00 Uhr, das war zwischen 7 und 13, also 1965 und 1971 meine erlaubte Fernsehmenge an Wochentagen.

Und jetzt Loki, die Serie. Die Infinity-Stones als Briefbeschwerer in einer anderen Zeitebene? Hamlets Vater starb durch einen Schlaganfall, Mephisto war Klempner, Shen-Te eigentlich ein Mann, Bachs 9. hat Mozart komponiert - WTF? Mal sehen, wo das noch hingeht.

Überhaupt die Unverschämtheit mit der Mythologien und sämtliche Science Fiction Motive der letzten zweihundert Jahre und gleichzeitig unsere jetzige Zeit aufgesaugt und durchgeschüttelt werden, ist ein Abenteuer. Zeus & Co kämpfen gegen Aliens (Wonder Woman), ein AI will die Welt retten und sie zu diesem Zweck auslöschen (Age of Ultron), Kämpfe auf einem fiktionalen Balkan und in einem der Kolonialisierung entkommenen High-Tech Land in Afrika (Sukovia & Wakanda), Nazi-Super-Bösewichte und Sozialrevolutionäre (Captain America & The Falcon and the Winter Soldier), der Kalte Krieg und Space War. Und immer Familienaufstellungen, feindliche Brüder, unerreichbare Väter, geliebte, leidende Mütter.

Für mich ist es, als sähe ich meine Welt durch ein Kaleidoskop, amerikanische Superpowervisionen treffen auf gebrochene Helden und die Unvermeidbarkeit einer witzigen Bemerkung. Die Kämpfe interessieren mich weniger, aber das Spiel zwischen manchmal irritierendem America First Gehabe und den irren Typen, die dafür kämpfen oder in diese Kämpfe hineingeraten und die überraschend glaubwürdigen Verdrehungen in die sie hineingeraten, ist mein Spaß.

ICH LIEBE SUPERHELDENFILME.


Samstag, 2. Januar 2021

DRUK - DER RAUSCH - ANOTHER ROUND

Ehrlich gesagt würde ich Mads Mikkelsen mit Freuden dabei zusehen, wie er Gebrauchsanweisungen einliest, aber das war hier nicht nötig.

Thomas Vinterberg hat mit Mads Mikkelsen einen Film erträumt. Über Jahre, über Schicksalsschläge, Vinterbergs Tochter starb in der Drehzeit.

Vier Männer mittleren Alters, Lehrer, erschöpft, stumpf, unfroh - es geht ihnen so halbwegs und über verpasste Sehnsüchte zu reden, ist nicht ihre Art. 

Anläßlich eines Geburtstages wirft einer der Freunde die obskure Idee eines dänischen Philosophen in die Runde: dem Menschen fehlt ein alkoholischer Grundanteil im Blut, 0,5 Prozent sind nötig, damit er glücklich, wirklich lebendig sein könnte. 

Ein Experiment wird beschlossen. 

Wenn M. M. den ersten Alkohol trinkt, werden seine Augen feucht. Die Stärke des Alkohols? Das Erwachen der Angst?

Zuerst das Glück, zwei Shots Wodka und der Unterricht vor gelangweilten Studenten verlebendigt sich.

Der Alkoholpegel wird nicht eingehalten, kann nicht eingehalten werden, die Auswüchse sind unvermeidlich und übel.

Einer versackt im Alkoholismus und tötet sich. Die andren beenden das Experiment auf unterschiedliche Art.

SPOILER ALERT! 

Aber dann das eigentliche Wunder, es gibt ein, nur in einem dänischen Film mögliches Happy End. Die letzte Szene, Mads Mikkelsen, dessen Filmfigur seinen besten Freund verloren hat und der, möglicherweise, seine Frau zurückgewinnt, tanzt, er tanzt inmitten einer Menge von jungen Leuten, die gerade ihren Schulabschluss feiern, er tanzt, In der Anerkennung des Moments, in Akzeptanz des Alterns, im Moment. Er lebt.

Bereue nicht, was nicht zu ändern ist, erwarte nicht, was Du nicht lenken kannst, lebe. Lebe jetzt. Genau in diesem einem, nicht wiederholbarem Moment.

https://www.youtube.com/watch?v=-ZAomL6VhR4 



Sonntag, 13. September 2020

Kulturwochenende in Berlin am Ende des Sommers

1
Joachim Meyerhoff liest aus seinem Buch "Hamster im hinteren Stromgebiet".

"ZEIT IST HIRN"

Wir sind sehr viele an diesem Spätsommernachmittag im Freilichtkino Friedrichshain bei einer Veranstaltung von Radio 1. Ganz ungewohnt, solche Menschenmassen. Maske tragen bis zum nummerierten Platz, der Abstand wird eingehalten, die Stimmung ist lässig. Es ist angenehm warm, aber während der anderthalbstündigen Lesung fallen Blätter auf mich. Noch ist Sommer. 

Meyerhoff hat mit knapp über 50 einen Schlaganfall erlitten. Schlagartig hat ihn etwas angefallen. Die Bühne ist sehr weit weg, ein winziger Mann sitzt an einem Tisch und liest seinen Text in ein Mikrophon. Er hält mein Interesse, ich kichere, lache sogar. Das könnte auch mir passieren, jetzt oder morgen. Schwingt da Angst in meinem Lachen? Er ist ein ok Schreiber, aber ein großartig genauer Erinnerer. 

Was seine Kinder, die er ganz offensichtlich sehr liebt, über seine Beschreibungen denken, würde mich interessieren. Jedenfalls bin ich irgendwie froh, dass mein Vater seine Eindrücke meiner Teenagerzeit nicht veröffentlicht hat.

2
RomCom nennen es die Amis, Romantische Komödie, Kiss Me Kosher von Shirel Peleg. Die Produktion entstand an 27 Drehtagen in vier Sprachen – hauptsächlich in Englisch sowie teilweise in Deutsch, Hebräisch und Arabisch - in und um Tel Aviv und Jerusalem.

Die Synchronisation ist die böseste Krux des Films. Eigentlich reden die Figuren in Englisch, Hebräisch und Deutsch und Arabisch miteinander, eigentlich haben sie heftige Akzente, verstehen sich nicht oder nur halb, die deutsche Synchronisation läßt nichts davon erahnen. Die Großmutter zum Beispiel, Deutsch geboren, mit vier Jahren von ihren Eltern versteckt, die im KZ umkamen, und von einer Deutschen gerettet, nach dem Krieg vermutlich nach Israel geflohen und sie raucht Kette - ihre deutsche Stimme spricht ohne Spuren von Jiddisch, ohne Gefühle für die Sprache mit der sie aufwuchs und die sie hassen lernte, ohne die Folgen, die Kettenrauchen auf die Stimmbänder hat. Als wenn man einen Film über den Turmbau zu Babylon in einer allen verständlichen Sprache drehen würde. Faul und unachtsam. Schade.

Dass der Film trotzdem halbwegs funktioniert ist ein Wunder. Moran Rosenblatt & Luise Wolfram spielen das zentrale Liebespaar. Luise Wolfram sieht aus wie die Wiederkunft aller herrlichen Renaissanceportraits, ihre Schönheit unirdisch, ihr Spiel ganz geerdet. Moran Rosenblatt verschenkt ihren Charme freigiebig. 

 

 

Schön, dass das Nicht-Problem der Geschichte die lesbische Liebe ist. Es gibt genug andere Konflikte, den Holocaust, den arabisch-israelischen Dauerkrieg, Palästina, unterschiedliche Erwartungen an eine Beziehung und ehemalige Liebhaberinnen. Ein Film, der der deutschen Falle fast entgeht, er wird fast nie bedeutungsschwanger, immer kurz vorher wird geschnitten oder ein Witz gemacht.

3
Galerie-Wochende in Berlins Mitte - Andreas Greiner - Olafur Eliasson - Andreas Gursky - Robert Capa 1945.

Bei Capa habe ich geheult. 1945, das erste Rosh-ha-Shana nach der Verwüstung in einer kleinen Berliner Synagoge, die noch steht, die Betenden sind amerikanische Soldaten und Überlebende. So viel Trauer in den Augen und Körpern. 

Greiner sollte man sich unbedingt ansehen. Hatte den Namen noch nicht gehört. Er photographiert Bäume, den Wald. Den sterbenden Wald. Ohne Sentimentalität. Seine Bilder sind so bearbeitet und verpixelt, dass sie wie 3D Ölgemälde aussehen. Eine künstliche Intelligenz hat aus 10 000 seiner Harz-Bilder ein Video erschaffen, der Soundtrack ist Mendelsohn-Bartoldys Chorwerk "Abschied vom Walde" in extremer Verlangsamung. Kiefern. Grüne Kiefern. Tote Kiefern. 

Eliiasson - ich habe schon bessere Arbeiten von ihm gesehen, aber immer wieder beeindruckt mich die Verbindung von Technik, Licht und körperlicher Erfahrung, die er ermöglicht.

Gursky - ein Bauhausgebäude in weiß und rot, vier Kanzler von hinten und eine Madonna mit Kind.

Montag, 7. September 2020

DIE RÜDEN - ein Film über Hunde und Menschen

Die Versuchsanordnung: vier gewalttätige männliche Gefängnisinsassen in hellblauen Overalls, drei verwüstete zornige bissige Hunde, eine tätowierte androgyne Therapeutin im Punkerlook, eine Gefängnispsychologin und ein -direktor, beide in an Kubrick erinnernden 70er Jahre Kostümierung.
Durch das Aufeinandertreffen von Hund und Mensch soll Selbsterkenntnis erlebt werden.
Der Preis: mögliche vorzeitige Entlassung bei guter Führung.

Der Ort der Handlung: eine steinerne Festung in wilder Landschaft, sie erscheint zu Beginn aus Nebel und verschwindet am Schluß in denselben, drinnen eine Kampfarena mit einer Beobachtungsgalerie im ersten Stock.

Was toll ist, Connie Walther, die Regisseurin, ist wagemutig, ein seltenes Vorkommnis im deutschen Film, denke ich. Sie gerät dabei manchmal ins Schwülstige, Kitschige, aber dazwischen geht sie aufs Ganze, hochkonzentriert und intensiv. Nadin Matthews, Hundetrainerin, ist ein cooles Weib und man glaubt ihr. Die vier Kriminellen sind wirklich entlassene Straftäter und, dass sie keine Schauspieler sind, und zwar gute, hätte ich nicht geglaubt, wenn ich es nicht gegoogelt hätte. 

"Wenn er schaut, sieht er nur Feinde."

https://www.youtube.com/watch?v=fHyz0inwB3s 

Toxische Männlichkeit ist ein momentan ein oft gebrauchtes Schlagwort, aber was bedeutet es? Was ist Natur, was gesellschaftliche Prägung? Der Film hatte kein Drehbuch! Zwischen den Männern und den Hunden ist mit Übersetzungshilfe durch die Trainerin etwas passiert, etwas Glaubwürdiges.


https://dierueden-derfilm.de/

Die Hunde tragen immer metallene Maulkörbe. Ihre Freiheit ist zu gefährlich.

https://www.youtube.com/watch?v=zYwvAv_HFHc

Samstag, 5. September 2020

TENET

MEMENTO war etwas wirklich Neues, ich musste hellwach bleiben beim Zuschauen, DARK KNIGHT habe ich geliebt, weil mit Heath Ledgers Joker, endlich ein Bösewicht ohne Trauma, ohne schlechtes Gewissen, aus lauter Spaß an der Zerstörung auftrat. INCEPTION bot coole Effekte und genug gute Schauspieler für drei Filme, INTERSTELLAR war ok, und beim zweiten Ansehen im Fernsehen, habe ich dann auch die Handlung verstanden.
Jetzt, nach sechsmonatiger Kinoabstinenz zu Ehren von Corona, habe ich mir TENET angesehen.
Wiki schreibt: Die lateinische Wortfolge SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS, genannt Sator-Quadrat, ist ein Satzpalindrom, das man als magisches Quadrat horizontal und vertikal, vorwärts und rückwärts lesen kann.
Eine mögliche Übersetzung ist: Der Sämann Arepo hält mit Mühe die Räder. Oder christlich gedeutet: Gott hat die Welt ausgesät und hält die Räder des Weltalls in Händen. Also heißt Tenet, in etwa "er hält", im Englischen hat es die Bedeutung von "Glaubenssatz". Und es ist ein Palindrom, so wie Anna und Otto, vorwärts wie rückwärts zu lesen, was bei einem Film, der mit dem Wechsel von Gegenwart und Zukunft auf der Zeitlinie spielt, Sinn macht.

So weit, so gut. Aber der Film ist auch sehr langweilig.


Und es war nicht die Geschichte, die ich nicht verstanden habe, sondern die Dialoge, weil fast alle nachlässig eitel nuschelten. Aber der Kern meines Desinteresses lag im Desinteresse des Regisseurs an seinen Figuren. Vielleicht war er so sehr mit den komplizierten Verstrickungen seiner Zeitsprung-, Inversionskonstruktion beschäftigt, dass er den Kopf nicht frei genug hatte, seinen Schauspielern genug Material zu liefern, so dass sie ihre Rollen verlebendigen konnten. Der Protagonist, sein Freund, die Frau, der Böse, die Schläger, usw. alle aus Pappe, Behauptungen, ohne Herz, Schweiß, Schmerz, Dreck. Kenneth Brannagh chargiert, das die Schwarte kracht, Robert Pattinson sieht zu gut aus, Elizabeth Debicki ist 1,90m hoch und sehr dünn (Im "Nightmanager" mocht ich sie.), und der Hauptdarsteller John David Washington hätte, glaube ich, wenn er die Chance gehabt hätte, eine gute Arbeit machen können.

Ich bin vor dem Ende gegangen. Vorher lief ein Trailer des nächsten James Bond Filmes "No Time To Die" und Daniel Craig, mit seinem scharfkantigen, müden Proletengesicht, wirkte realer und gebeutelter, als alles, was ich nachher sah.



 


Sonntag, 2. Februar 2020

Die Wütenden – Les Misérables

Die Wütenden – Les Misérables

Ins Kino gehen, Karte kaufen, zuschauen. 

Ladj Ly ist ein junger französischer Filmregisseur, der in Montfermeil, einem Vorort von Paris, aufgewachsen ist. Sein erster Spielfilm ist für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert und das, denke ich, zu Recht.

Montfermeil ist einer der Vororte, die unter der Bezeichnung Banlieues in unsern Wortschatz geraten sind. 

Wiki sagt: Der französische Ausdruck Banlieue, von lateinisch bannum leucae, wörtlich: „Bannmeile“ bezeichnet die verstädterten Bereiche außerhalb eines Stadtzentrums bzw. die Randzone einer Großstadt, die sich im 19. Jahrhundert im Zuge von Industrialisierung wie Urbanisierung herausbildeten.

https://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/152511/problemgebiet-banlieue 

Ly erzählt über Dinge, die er kennt, er erzählt sie mit Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Wut und unter Mitwirkung von Schauspielern und vieler Einwohner von Montfermeil.

2018, ganz Frankreih bejubelt den Sieg der französischen Mannschaft in der Fußball-Weltmeisterschaft. Ganz Frankreich, ganz Paris, die jugendlichen Bewohner der Vorstädte sind ins Zentrum gefahren, um mitzujubeln. Sie sind Franzosen, hier geboren und aufgewachsen. 

Dann gehen sie zurück nach Montfermeil, ins Abseits.

Ein Löwenbaby wird aus einem Zigeuner-Zirkus gestohlen. Eine Harmlosigkeit hat schreckliche Folgen, scheint gelöst und eskaliert ins Entsetzliche. Auch gute Absichten erweisen sich als hilflos, verständliche Verhärtungen verhindern Verständigung. Der Umgangston ist roh. Niemand ist wirklich böse, Unschuld ist ein Risikofaktor.

Der Film findet das perfekte Ende. Er entläßt mich in verzweifelte Hoffnung oder ins resignierende Aufgeben, je nach Gemütslage. Ich habe geweint und hoffe.

Ich lebe ein sehr privilegiertes Leben. Die meisten von uns tun es. Das sollten wir bedenken. Nicht wegen des trendigen "white privilege" Labels, sondern, weil wir oft wirklich keine Ahnung haben, wie andere Menschen leben und um wieviel härter ihre Ausgangsposition, um wieviel geringer ihre Chancen und um wieviel größer die Hürden sind, die sie zu überwinden haben.

Merkt Euch, Freunde! Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner. Victor Hugo in Les Misérables

Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. 


Ladj Ly

Samstag, 11. Januar 2020

KNIVES OUT im Kino

KNIVES OUT – Mord ist Familiensache
Messer raus? Nein, da nehmen wir doch lieber den Vorschlag des Erklärbären, damit unser deutsches, leicht zu verunsicherndes Publikum gut vorbereitet ist.

KNIVES OUT ist ein nicht wirklich guter Fernsehfilm, der zum Kinofilm aufgeblasen wurde, und dem überraschenderweise auch die beeindruckende Besetzungsliste nicht hilft, das große Format zu rechtfertigen.

KNIVES OUT - Benoit Blanc, der Privatdetektiv. Ihn spielt Daniel Craig, den habe ich, lassen wir James Bond mal außen vor, als großartigen Schauspieler in merkwürdigen, eigentümlichen Filmen gesehen. "Layer Cake" und "Love Is The Devil" über Francis Bacon sind nur zwei Beispiele. Hier zelebriert er einen breiten Südstaaten-Akzent und gefällt sich selbst etwas zu sehr.

Jamie Lee Curtis ist immer gut, Christopher Plummer verläßlich, Chris Evans als !!!!SPOILER!!!! Mörder sollte unbedingt funktionieren. Aber nichts klappt, wie es sollte. 

Miss Marple und Poirot habe ich schon in guten Kinoversionen gesehen und, vor allem die älteren Versionen, sehr gemocht. "Tod auf dem Nil" mit Peter Ustinov und "Mord im Orient Express" mit Albert Finney als Poirot.

Joan Hickson, Angela Lansbury und Margaret Rutherfordhaben Miss Marple gespielt. "Sleuth" oder "Mord mit kleinen Fehlern" ist ein wunderbares Kammer-Krimispiel auf der großen Leinwand, mit Michael Caine & Laurence Olivier als einander austricksendes Traumpaar.

Menschen in einem Haus, die ein Problem haben, "August: Osage County", "Der Große Frust" ("The Big Chill"), "The Breakfast Club", "Misery", "Das Fest", "Fenster Zum Hof", etc., etc.. Kammerspiele können Vorlagen für gute Filme sein.

KNIVES OUT bietet weder faszinierendes Psychodrama, noch einfallsreiche Bebilderung eines beschränkten Motivs und es gab nicht einmal Wendungen in der Aufklärung des Mordes, die mich wirklich überrascht haben.

LANGWEILIG!

Ich habe keine Ahnung warum der Film so großartige Kritiken bekommen hat.

https://giphy.com/gifs/bbcamerica-bbc-america-killing-eve-polastri-U7Uxq9Lyz02oStvUIE



Sonntag, 17. November 2019

Und der Zukunft zugewandt

Workuta, ein Ort im nördlichen Polarkreis, ein Konzentrationslager, hier wurde nicht industriell effizient getötet wie in den Lagern des Dritten Reiches, aber es wurden zehntausende Menschen durch Ausbeutung, Hunger und Folter gemordet für die Industrie der UdSSR.
Bei Minus Sechsundreissig Grad mußte nicht mehr im Freien gearbeitet werde - welch ein Hohn.

Am Beispiel dreier Frauen, deutscher Kommunistinnen, die sich aus verschiedenen Gründen 1938 in der UdSSR befanden, eine war mit ihrer linken Singegruppe auf Tournee, eine war emigriert auf der Flucht vor den Nazis, bei der dritten bin ich mir nicht sicher, erzählt der Film eine geradezu aberwitzige und doch wahre Geschichte.
Alle drei werden im Zuge einer der stalinistischen "Säuberungswellen" als Spione angeklagt und in fünfminütigen Prozessen für schuldig erklärt und nach Workuta verbannt. 10 Jahre, 10 Jahre später sieht man sie dann dort schuften unter unfassbaren Bedingungen, aber noch lebendig. Die eine hat ein Kind, der Vater wurde von Wachen erschossen, weil er sein Kind sehen wollte.
Nach einer Intervention durch den Sohn von Wilhelm Pieck werden sie freigelassen und nach Deutschland, genauer in die DDR verfrachtet.

Schon die Szene zwischen Wilhelm Pieck und seinem Sohn Arthur ist ein Zeitzeugnis der großen Art: Pieck hatte den stalinistischen willkürlichen Terror in Moskau überlebt. Hatte er Glück? Hat er selbst denunziert? Wie lebte man mit dem "Verschwinden" von so vielen Genossen? War er traumatisiert? War die DDR ein Produkt der Traumatisierung ihrer Gründer? 
Die einen mußten in den Konzentrationslagern unschuldig schuldig werden, um zu überleben, die anderen mußten, um der stalinistischen Paranoia zu entgehen, ihre Utopie bis zur Unkenntlichkeit verbiegen.
Welche Erklärungskonstruktionen baute sich Pieck? Zwischen Hitlerdeutschland und Stalins Russland gefangen - eine Schraubzwinge der unvorstellbaren Art. Und was treibt den Sohn, er war Soldat in der Roten Armee, hatte gegen die Deutschen gekämpft und ist nun ohne fachliche Qualifikation Chef der Deutschen Lufthansa Ost, später Interflug genannt.

Die drei davongekommenen Frauen werden liebevoll aufgenommen, nur dürfen sie, bei Strafandrohung, unter keinen Umständen über ihre Lagerzeit reden, sollen sagen
"Sie hätten an verschiedenen Orten in der UdSSR gearbeitet". Die Wahrheit muß warten, bis die sozialistische Zukunft gesichert ist, bis dahin ist "die Wahrheit, das was uns (den Kommunisten) nützt". Was folgt ist eine Analyse der ganz normalen Schizophrenie, ohne die ein Überleben, Leben nicht möglich war.

Wir alle litten an dieser Schizophrenie, wir alle. Wenn wir Glück hatten, oder Schutz, hielten sich die Symptome im Rahmen. Wenn wir dumpf waren, verlief die Krankheit unbemerkt. Wenn wir gewissenlos waren, hatte wir unseren Spaß damit. Krank waren wir alle. Und die Spätfolgen dieser Erkrankung spiegeln sich in den Wahlergebnissen und Diskussionen der Gegenwart.

Aber die, die wirklich glaubten und doch gestraft wurden, gestraft von einer Macht, die sie liebten, die hatten keinen Ausweg. Die haben gelitten und gehorcht. Und waren verloren und haben doch so viel Kraft und Güte gehabt. Welch eine Tragödie.



Tragödie: Wiki definiert sie so:
Kennzeichnend für die Tragödie ist der schicksalhafte Konflikt der Hauptfigur. Ihre Situation verschlechtert sich ab dem Punkt, an dem die Katastrophe eintritt. In diesem Fall bedeutet das Wort Katastrophe nur die unausweichliche Verschlechterung für den tragischen Helden...
Das Scheitern des Helden ist in der Tragödie unausweichlich; die Ursache liegt in der Konstellation und dem Charakter der Figur. Der Keim der Tragödie ist, dass der Mensch der Hybris verfällt und dem ihm vorbestimmten Schicksal durch sein Handeln entgehen will. 

Dem Morgenrot entgegen,
Ihr Kampfgenossen all!
Bald siegt ihr allerwegen,
Bald weicht der Feinde Wall!
Mit Macht heran und haltet Schritt!
Arbeiterjugend? Will sie mit?
Wir sind die junge Garde

Des Proletariats! 

Ein Film über Schauspieler

DIE VERWANDLUNG

Die Verwandlung ist ein Dokumentarfilm von Michael Harder, der schon Filme über Boxer, Archäologen und einen über den Sänger Thomas Quasthoff geschaffen hat. 
Dieser ist über den Beruf des Schauspielers. 
Er hat jeden der Auskunft Gebenden in denselben Raum gesetzt, sie durften rauchen und trinken, nur keinen Alkohol, und dann hat er Fragen gestellt und ihnen zugehört, wenn sie antworteten, pausierten, abschweiften, rumstammelten, zur Wahrheit kamen. 
Michael Harder muß ein wahrer Meister des Zuhörens sein.
Vielleicht zwanzig höchst unterschiedliche Schauspieler zwischen 23 und Ende Siebzig, drei Frauen, der Rest Männer (Oh die Quote!)  versuchen sich, in ihren Erfahrungen mit ihrem Beruf zu erkären. Und es wirkt nur selten eitel. 
Michael Harder muß ein wahrer Meister des Zuhörens und des Fragenstellens sein.
Seltsamerweise sprechen meine Kollegen, die, wie ich auch, oft sehr gern reden, selten in ernsthafter, forschender Weise über ihren Beruf. 
Meckern tun wir fast alle gern, Witze machen auch, aber die individuellen Methoden, Schmerzen, Träume, Ängste, Glücksmomente, die unser verrückte, furchtbare, wundervolle Beruf mit sich bringt, werden selten mehr als nur nebenbei gestreift. Das ist ja auch extrem intim, sehr privat, und das Ergebnis wird dann öffentlich zur Schau gestellt.
Michael Harder muß ein wahrer Meister des Zuhörens, des Fragenstellens und des Auswählens sein.
Ulrike Krumbiegel hat es gut zusammengefasst: sie hätte beim Zuschauen zu ihrer Überraschung erfahren, wie ähnlich wir uns letztendlich dann doch sind.


Es waren sehr viele interessante Leute zu sehen, aber Alexander Scheer hat wirklich mehr Charme, als erlaubt sein sollte.
Er wird wohl noch einige Male im Kino gezeigt, aber wer das nicht schafft, kann in der Mediathek des NDR gucken:
https://www.ardmediathek.de/ndr/player/Y3JpZDovL25kci5kZS9lYjAxNzcwMC01ZjNmLTQ4YTUtODJhZi03MmFjMTFkNTdhODE/