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Mittwoch, 7. August 2019

Die Moskauer - Wie das Stalintrauma die DDR prägte

Die Moskauer - Wie das Stalintrauma die DDR prägte von Andreas Petersen

Heute Abend in der "Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus", die sich passend unpassender Weise mitten im Berliner Nikolaiviertel befindet, ein Vortrag zu einem Buch, das eine für mich erschreckende, aber durchaus glaubwürdige Behauptung aufstellt:

Die DDR wurde gegründet, auf den Weg gebracht, von Leuten, die zutiefst traumatisiert waren. Verstört, zerstört, schuldig und gestraft, aller Illusion verlustig gegangen und doch weiter der verzweifelt aufrechterhaltenen großen Lüge anhängend. Die erste Führungsriege der DDR-Politik, unter strenger Kontrolle Moskaus stehend, wird dann genau die Methoden, die sie selbst jahrelang als tödliche Bedrohung erlebt hatten, auf die Konstruktion des "neuen, besseren" Deutschland anwenden. Eine Gruppe von zurecht von Verfolgungswahn geprägten Paranoikern will eine frohe, gerechte Zukunft erschaffen. Wir haben erlebt, wie gut das gelungen ist.

Diese Leute hatten jahrelang, von 1933 bis 1941, unter ständiger akuter Angst gelebt: Wer wird heute geholt? Wohin wendet sich der der mörderische Wind morgen? Hält ein Auto vor meiner Tür? Höre ich Schritte auf meinem Flur? Wurde ich denunziert oder sollte ich denunzieren? Sie waren Opfer und Täter in Personalunion, ihr Heimatland im Nazi-Wahn und das Land ihrer Hoffnung im Strudel der großen Säuberungen.
1936 lebten circa 4600 deutsche "Politemigranten" in der Sowjetunion, "von den 68 führenden Funktionären der KPD ... wurden 41 ermordet." "Über tausend tote Deutsche hingerichtet, verstorben in Lagern und verschollen, lassen sich bis heute benennen." Stalins Terror kostete mehr Kommunisten das Leben, als das Naziregime. Unfaßbar.
Ein Beispiel aus dem Gedächtnis nacherzählt:
Ein jüdischer Kommunist namens Hirsch wird in Nazi-Deutschland verhaftet, verhört, gefoltert, ins KZ gesperrt. Er hält stand, verrät nichts. Erstaunlicherweise wird er entlassen, flieht und schafft es bis nach Moskau. Zeitgleich erläßt das NKDW neue Vorgaben für die Aufspürung von potentiellen Feinden, Spionen, etc. Wilhelm Pieck verlangt Lieferung. Eine Bürokraft, deutsch, Kommunistin gerät ins Schwitzen, sie muß Feinde liefern und denunziert Hirsch. Er hätte sich im KZ nicht korrekt verhalten. Sie schreibt, von Angst gejagt, zehn Briefe an das NKDW, in denen sie seine Schuld immer größer werden läßt. Schließlich wird Hirsch verhaftet, verhört, in ein Lager verdammt. Auf diesem Leidensweg beschuldigt er nun andere Genossen, sich nicht korrekt verhalten zu haben und stirbt schließlich im Gulag. Die Büroangestellte wird nur wenige Jahre später auch erschossen.
Was für eine unerträgliche Tragödie.


Die Zuhörer heute Abend waren größtenteils alt, sehr alt, der fünfzigjährige Bibliothekar neben mir und ich Sechzigjährige waren sozusagen die Vertreter der jungen Generation. Sie waren Kinder, Enkel von Opfern/Tätern, Leidtragende in zweiter Generation. Auch eine Tragödie. Niemand interessiert sich mehr für diese verletzten Menschen, die ihr Leben darauf verwenden, die wirkliche, die wahrhafte Wahrheit herauszufinden. Für sie gibt es keine einfachen Antworten. Schuld und Selbstaufopferung, Verrat und unvorstellbare Leidensfähigkeit liegen für sie ungeschützt nebeneinander.

Ich dachte, was für ein leichtes, geschütztes Leben habe ich gelebt. Niemand wollte mich töten, niemand hat meine Ansichten, Meinungen benutzt, um mich festzunageln, einzuschüchten, abzuurteilen. In welch unübersichtlichen, unlösbaren Situationen mußten diese Menschen versuchen, zu überleben? Aber auch, welche schrecklichen Gewalttaten haben sie verübt, um sich nicht ihrer Lebensangst stellen zu müssen?

Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? Büchner - Dantons Tod

Kurz vor dem Beginn des Vortrages, verteilte die Gründerin der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus Zettel mit sorgfältig ausgewählten Zitaten grüner Politiker, die im Fazit beweisen wollten, das die "grünen Gutmenschen", so nannte sie die Ziterten wiederholt, es vorziehen würden, das islamische Horden uns "Deutsche" überrollen.
Ist unser Leben wirklich nur eine ständige Wiederholung der gleichen Muster? Nur das die Tragödie sich in die Farce verwandelt?

Donnerstag, 31. Mai 2018

Die Stadt & die Stadt von China Miéville

"We need fantasy to think the world, and to change it."
"Wir benötigen Phantasie, um die Welt zu denken, und zu ändern."
Marxism and Fantasy: An Introduction China Miéville

Ein Krimi? Ein phantastischer Roman? Eine Parabel? Der Autor hat mal gesagt, er will sich durch alle Genres schreiben.
Es gibt eine Tote, einen Kommissar, die Polizei, Verdächtige und Ermittlungen und Verfolgungsjagden, ganz wie es sich in einem Kriminalroman gehört. 
Irgendwo auf dem Balkan, zwei Städte, Besźel & Ul Qoma, oder eine geteilte Stadt? Sie existieren nebeneinander und ineinander. Die Kinder beider Seiten lernen früh, den anderen Teil und seine Bewohner nicht zu sehen. Im Englischen klingt das besser: to unsee, sie ungesehen machen. Sie laufen nebeneinander ohne sich wahrzunehmen. Sie blenden die Hälfte der Wirklichkeit aus.
Ein bisschen ist das wie ehemals in Ost-Berlin, der Westen war allüberall und doch nicht wirklich da. Als bei meiner Aufnahme in die FDJ an der Mauer plötzlich Flugblätter über dieselbe flogen, kamen sie wie aus dem Nichts. Unter meiner Kindheitsstrasse, der Friedrichstrasse, spürte man das Beben unsichtbarer, nicht bekannter U-Bahnen, der dortige S-Bahnhof hatte hinter einer undurchdringlichen Trennwand einen weiteren Bahnsteig. Straßen hörten urplötzlich auf. Und einmal hörte ich, wie eine West-Berliner Besucherin vor dem Tränenpalast ihrer Begleiterin zurief: " Bei uns hat nicht so geregnet." 
Ja, wir wurden kollektiv darauf gedrillt den westlichen Nachbarn unzusehen.

 China Miéville © Katie Cook

Zurück zum Roman - Wer die unsichtbare Grenze "überschreitet", durch falsch gucken oder gar körperlichen Grenzübergang, wird von the Breach gepackt und verschwindet. The breach = der Bruch, die Einbruchstelle, die Verfehlung, die Rechtsverletzung.
Das Tolle ist, dass der Schreiber der beunruhigenden Metaebene nie erlaubt, aufdringlich zu werden. Diese kafkaeske Welt wird beschrieben als Alltag, unangezweifelt und gewohnt. Und wie es ein anderer Leser beschreibt: "Das Geheimnisvolle darf geheimnisvoll bleiben." Am Ende, wenn der ernsthafte "Held" gegen Ende eine Verfehlung begeht, erschrickt es ihn so sehr wie mich.
Das BBC hat den Roman gerade verfilmt. Will ich sehen.
 
http://buchwurm.org/mie9ville-china-die-stadt-die-stadt-18010/

Montag, 12. Februar 2018

VOGELFALLE - Ein schlimmes gutes Buch

Ja, die Autorin ist eine Freundin, aber das Buch ist zu gut und zu wichtig, als dass dies mich daran hindern sollte, es hier vorzustellen.
Mißbrauch einer Patientin durch ihren Arzt. Unfassbar. Wieder eines von vielen Dingen mit denen ich mich nicht beschäftigt hatte. Ich bin doch in vielerlei Hinsicht glücklich durchs Leben geschlittert. 

Sie ist durch einen kleinen Zeitungsartikel auf das Thema gestoßen. Und dann hat sie eine Geschichte darüber geschrieben und sie auf ihr absolutes Minimum zusammengefroren. Kein Wort zu viel. Jedes so, wie es sein sollte. Keine hilfreiche Sentimentalität, der Schrecken liegt im Bemühen um Würde, wenn diese von roher, kalkulierender Gewalt nahezu zerstört wurde. Beim Lesen entsteht ein Sog, dem ich mich immer wieder durch belanglose Ausweichtätigkeiten entziehen wollte. Man will nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Man muß es, weil es wahr ist. Wer stellt sich gern das Unvorstellbare vor?


Vogelfalle
Roman
Eva-Maria Otte 
mitteldeutscher Verlag 

ISBN 978-3-95462-926-8

Von Macht und Ohnmacht
Wie kommt es, dass Hanna derart aus der Bahn geworfen wird? Die Schauspielerin kann nicht mehr spielen. Ihre Liebe droht zu zerbrechen. Nichts stimmt mehr in ihrem Leben. Es beginnt, als sie nach dem tödlichen Unfall ihrer Freundin Nina wegen Rückenproblemen deren Arzt aufsucht. Zunächst ist sie beeindruckt, dann verstört. Missversteht sie ihn? Was geschieht in seinem Behandlungszimmer mit ihr? Wieso nur ist sie so wehrlos? Warum schweigt sie? Und war Ninas Tod womöglich gar kein Unfall?
Immer mehr verheddert sich Hanna in der Perfidie dieses Arztes, der sie für seine Obsessionen missbraucht. Schließlich steckt sie in der Falle fest.

Rückseitentext u. Verlagsankündigung

Das hat eine Bekannte nach der Lektüre geschrieben:

Liebe Ötti, so hart die Geschichte auch ist,
die sich da aus Dir geschält hat
und nun bedrängend in der Welt ist, sie liest sich phantastisch gut!
Großes Kompliment für Dein Sprachgefühl!!!!
Wahrscheinlich ist das auch ein Geschenk,
dass Dir aus Deinem besonderen Wissen um den Körper
und seine Seele gegeben ist und nun Deine Leser berührt. Enorm!!!
Ich schwärme schon, mache Werbung
Ich umarme Dich sehr innig!!! Deine Nele

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 174c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses


(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt.
(3) Der Versuch ist strafbar.
 

Freitag, 2. Februar 2018

Jüdische Frauen schreiben manchmal gute Bücher

Durch ein Zusammentreffen nicht erklärbarer Umstände lese ich zeitgleich drei Bücher von jüdischen Autorinnen. "Untergetaucht" von Marie Jalowicz Simon, "Unorthodox"  von Deborah Feldman und, gerade fertig gelesen, "Die Gabe" von Naomi Aderman. Jeder Text auf seine Art heftig und konsequent. 

"Untergetaucht" von Marie Jalowicz Simon

Eine junge bürgerliche zwanzigjährige Jüdin in Berlin im Jahr 1942: der Vater stirbt, ihre Bekannten und Verwandten erhalten ihre Deportationsbefehle, sie taucht unter, drei lange Jahre wird sie alles tun, um nicht gefangen zu werden. Alles, das liest sich leicht und lebt sich schwer. Ihr Überlebenswille ist bewunderungswürdig und, aus der sicheren Position des Nichtbedrohten, erschütternd fragwürdig. Nach der Befreiung bekommt sie eine Wohnung zugewiesen, schleppt ihre wenigen Habseligkeiten in einem Leiterwagen durch Berlin und schläft, das erste Mal in Jahren, erschöpft und in Sicherheit auf den Boden ihrer Küche ein.

"Unorthodox" von Deborah Feldman

Deborah wächst in einer ultraorthodoxen Satmar-Gemeinde in Williamsburg in New York auf. Ihr Rabbi sagt, dass der Holocaust Gottes Strafe für den nachlässigen Umgang der Gemeinde mit den jüdischen Lebensregeln war. Nur ein gottzugewandtes, die moderne Welt verneinende Leben böte Rettung, selbst Englisch zu sprechen, oder in Deborahs Fall, zu lesen, erzürnt Gott. Deborah tut ihr Bestes und kann doch nicht genügen. 
Amazon sagt: Deborah Feldman führt uns bis an die Grenzen des Erträglichen, wenn sie von der strikten Unterwerfung unter die strengen Lebensgesetze erzählt, von Ausgrenzung, Armut, von der Unterdrückung der Frau, von ihrer Zwangsehe. Sie erzählt, wie sie den beispiellosen Mut und die ungeheure Kraft zum Verlassen der Gemeinde findet – um ihrem Sohn ein Leben in Freiheit zu ermöglichen.
  
Die eine erträgt Unfassbares, um zu überleben und die andere bezahlt für dieses Überleben einen hohen Preis. Schuld auf sich laden, Schuld abtragen, die eigentlich Schuldigen, kommen nur am Rande vor.

Und dann: 

"Die Gabe" von Naomi Aderman

Bei Amazon heißt es: Es sind scheinbar gewöhnliche Alltagsszenen: ein nigerianisches Mädchen am Pool. Die Tochter einer Londoner Gangsterfamilie. Eine US-amerikanische Politikerin. Sie alle verbindet ein Geheimnis: Von heute auf morgen haben Frauen weltweit die Gabe (Macht) – sie können mit ihren Händen elektrische Stromstöße aussenden. Ein Ereignis, das die Machtverhältnisse und das Zusammenleben aller Menschen unaufhaltsam, unwiederbringlich und auf schmerzvolle Weise verändern wird.

Ein englischer Frauen-Sci-Fi-Roman der ungewöhnlichen Art. Im Original heißt er "Die Macht", im Deutschen "Die Gabe", Gott gebe mir Geduld mit hilfreichen Übersetzungen.

Fünfzehnjährige Mädchen können plötzlich durch das Erwachen eines stillgelegten Organs elektrische Stromstöße aussenden, sie sind von einem Tag auf den anderen unerhörterweise physisch stärker als Männer. Durch innigen körperlichen Kontakt können sie diese Fähigkeit auch in ihren Müttern erwecken. Die grundsätzliche Konstellation von starkem und schwachem Geschlecht gerät ins Wanken. Der englische Titel "Die Macht" trifft es viel genauer. Was passiert nun? Ein Briefwechsel, 5000 Jahre später diskutiert die Möglichkeit einer friedlicheren Gesellschaft, wenn Männer ihren friedvolleren, sanfteren Einfluss geltend machen könnten.
Opfer und Täter Profile werden durcheinandergeschüttelt. Wütende Frauen vergewaltigen Männer mit Hilfe von elektrischen Stößen erzeugter Willigkeit. Ist es nur Macht, die uns, egal welchen Geschlechts, korrumpiert? Wir schauen gern auf uns, die Frauen, als das 'schwächere', aber eben auch bessere Geschlecht. Was geschähe, wenn wir 'stärker' wären? 

Donnerstag, 25. September 2014

Antigone 2 - Antigonick von Anne Carson - ein Bilderbuch - ein Comicstrip


Hier sind Kreons Verben für heute:
URTEILE FÄLLEN
GESETZE ERLASSEN
ANSTOSS ERREGEN
KAPITAL AUS ETWAS SCHLAGEN.

Hier sind Kreons Substantive:
MÄNNER
VERNUNFT
VERRAT
TOD
STAATSSCHIFF
MEINS.

Here are Kreon’s verbs for today: 
ADJUDICATE 
LEGISLATE 
SCANDALIZE 
CAPITALIZE. 

Here are Kreon’s nouns: 
MEN 
REASON 
TREASON
DEATH
SHIP OF STATE 
MINE.


ANTIGONICK 
Anne Carson & Bianca Stone &
Robert Currie

Antigon-nick - in the nick of time = gerade rechtzeitig, im letzten Moment - dieser Nick ist der stumme Mitspieler. Wenn alle anderen am Ende, die Bühne verlassen haben, bleibt er, Nick, der fortfährt zu vermessen/zu messen, "who continues measuring".


Die erste Seite

CHORUS (Ungeheuer ist viel...)

Many terribly quiet customers exist but none more
terribly quiet than Man:
his footsteps pass so perilously soft across the sea
in marble winter,
up the stiff blue waves and every Tuesday
down he grinds the unastonishable earth
with horse and shatter.

Shatters too the cheeks of birds and traps them in his forest headlights,
salty silvers roll into his net, he weaves it just for that,
this terribly quiet customer.
He dooms
animals and mountains technically,
by yoke he makes the bull bend, the horse to its knees.

And utterance and thought as clear as complicated air and
moods that make a city moral, these he taught himself.
The snowy cold he knows to flee
and every human exigency crackles as he plugs it in:
every outlet works but
one.
Death stays dark.

Death he cannot doom.
Fabrications notwithstanding.
Evil,
good,
laws,
gods,
honest oath taking notwithstanding.

Hilarious in his high city
you see him cantering just as he please,
the lava up to here.
 
© Antigonick by Anne Carson

“seven gates / and in each gate a man / and in each man a death / at the seventh gate.”
"sieben tore / und in jedem tor ein mann / und in jedem mann ein tod / am siebten tor."

Übersetzung & Text & Handschrift: Anne Carson
Illustrationen: Bianca Stone
Design: Robert Currie

Dienstag, 23. September 2014

Der IKS-Haken oder Catch 22 - Joseph Heller 1961


Es war nur ein Haken dabei, und das war der IKS-Haken
There was only one catch and that was Catch-22


Ich verabscheue Kriegsfilme und Kriegsbücher, irgendwann kriecht immer der Heroismus der Kämpfenden ins Spektakel und versauert mir das Ansehen. Heldentum macht mir Angst. Krieg ist gräßlich. Punkt. Ich bin in der glücklichen Lage, noch nie einen am eigenen Leibe erlebt haben zu müssen. Aber selbst lächerliche Bühnenschüsse machen mir Angst, ich will sehr alt und dabei unversehrt, in meinem Bett sterben. Krieg ist gräßlich. Punkt.
Aber, oder besser, darum gibt es für mich vier Ausnahmen, Kriegsfilme, bzw. Bücher über den Krieg, die den Krieg, als genau das beschreiben, weshalb ich ihn hasse: Wege zum Ruhm von Stanley Kubrick, Im Westen nichts Neues nach dem Roman von Erich Maria Remarque, Der Aufstieg in der Regie der viel zu früh verstorbenen Larissa Schepitko und eben den IKS-Haken oder wie das Buch, das die Vorlage lieferte, im Original heißt: Catch 22. 

  
Der Held des Buches/Filmes, Yossarian, will raus aus dem Krieg, er ist Flieger, beim Truppenarzt beschreibt er seine schreckliche Angst bei den Einsätzen, doch der Arzt versichert ihm, dass es normal ist, Angst zu haben und erst, wenn er keine Angst mehr hat, also bleiben will, könnte man ihn ausmustern.
Das ist der IKS-Haken oder der Catch 22.

Wiki sagt, ein Catch 22 ist eine paradoxe Situation, der ein Individuum nicht entkommt, weil die Regeln sich widersprechen.
A catch-22 is a paradoxical situation from which an individual cannot escape because of contradictory rules.  


Ein "catch" ist ein Dilemma, eine Zwickmühle, ein unlösbares Problem, eines bei dem alle Lösungen nur schlechte sein können.
Das ist der Haken, da hängts, daran scheiterts. 

Joseph Heller Der IKS Haken 


„Heißt das, daß die Sache einen Haken hat?“ „Klar hat sie einen Haken“, erwiderte Doc Da-
neeka. „Den IKS-Haken. Wer den Wunsch hat, sich vom Fronteinsatz zu drücken, kann nicht verrückt sein.“
Es war nur ein Haken bei der Sache, und das war der IKS-Haken. IKS besagte, daß die Sorge um die eigene Sicherheit angesichts realer, unmittelbarer Gefahr als Beweis für fehlerloses Funktionieren des Gehirns zu werten sei. Orr war verrückt und konnte fluguntauglich geschrieben werden. Er brauchte nichts weiter zu tun, als ein entsprechendes Gesuch zu machen; tat er dies aber, so galt er nicht länger mehr als verrückt und würde weitere Einsätze fliegen müssen. Oder wäre verrückt, wenn er noch weitere Einsätze flöge, und bei Verstand, wenn er das ablehnte, doch wenn er bei Verstand war, mußte er eben fliegen. Flog er diese Einsätze, so war er verrückt und brauchte nicht zu fliegen; weigerte er sich aber zu fliegen, so mußte er für geistig gesund gelten und war daher verpflichtet zu fliegen. Die unübertreffliche Schlichtheit dieser Klausel der IKS beeindruckte Yossarian zutiefst, und er stieß einen bewundernden Pfiff aus. 


Joseph Heller Catch 22

"You mean there's a catch?"
"Sure there's a catch", Doc Daneeka replied. "Catch-22. Anyone who wants to get out of combat duty isn't really crazy."
There was only one catch and that was Catch-22, which specified that a concern for one's own safety in the face of dangers that were real and immediate was the process of a rational mind. Orr was crazy and could be grounded. All he had to do was ask; and as soon as he did, he would no longer be crazy and would have to fly more missions. Orr would be crazy to fly more missions and sane if he didn't, but if he was sane, he had to fly them. If he flew them, he was crazy and didn't have to; but if he didn't want to, he was sane and had to. Yossarian was moved very deeply by the absolute simplicity of this clause of Catch-22 and let out a respectful whistle.
  

Joseph Heller Der IKS Haken

 „Freu dich, dass du am Leben bist.“
„Sei wütend darüber, dass du sterben musst.“ „Das Leben könnte viel schlimmer sein!“ rief
sie.
„Es könnte aber auch viel besser sein“, versicherte er hitzig.
„Du nennst immer nur einen Grund“, nörgelte
sie. „Du hast aber gesagt, du könntest zwei anführen.“
„Und erzähl mir nicht, dass Gott im verborgenen arbeitet“, fuhr Yossarian fort und überrannte ihren Einwurf. „Von verborgen kann keine Rede sein. Er arbeitet nämlich überhaupt nicht. Er spielt. Oder hat uns vergessen. Jedenfalls der Gott, von dem
Leute wie du reden – der ist ein Bauerntölpel, ein ungeschickter, tolpatschiger, hirnloser, arroganter, ungeschliffener Jockel. Lieber Himmel, kann man denn Ehrfurcht vor einem höchsten Wesen empfinden, das es für nötig hält, Dinge wie eine verschleimte Kehle und Zahnverfall in seine göttliche Schöpfung aufzunehmen? Was ging denn eigentlich in jenem verbildeten, bösartigen, verstopften Hirn vor, als er die alten Leute der Fähigkeit beraubte, die Schließmuskeln zu kontrollieren? Warum, zum Teufel, hat er überhaupt den Schmerz geschaffen?“
„Schmerz?“ Leutnant Schittkopps Frau stürzte sich triumphierend auf dieses Wort. „Der Schmerz ist ein sehr nützliches Symptom. Der Schmerz warnt uns vor Gefahren, die dem Körper drohen.“
„Und wer hat diese Gefahren geschaffen?“ verlangte Yossarian zu wissen. Er lachte höhnisch. „O ja, er war wirklich barmherzig, als er uns mit dem Schmerz beschenkt hat! Warum konnte er sich zu unserer Warnung nicht einer Klingel bedienen oder eines seiner himmlischen Chöre? Oder auch eines Systems von blauen und roten Neonleuchten, die alle Menschen mitten auf der Stirn tra- gen? Jeder Fabrikant von Musikautomaten, der sein Geld wert ist, hätte sich das ausdenken können. Warum also nicht er?“
„Die Menschen würden recht blöde aussehen, wenn sie mit roten Neonleuchten auf der Stirn he- rumliefen.“
„Sehen Sie denn schön aus, wenn sie sich in Schmerzen winden oder von Morphium betäubt
daliegen? Was für ein kolossaler, unsterblicher Pfuscher! Denk doch nur, welche Gelegenheit und welche Macht er hatte, etwas wirklich Herrliches zu schaffen, und sieh nur, was für einen stupiden, hässlichen Brei er stattdessen angerührt hat. Sei- ne Unfähigkeit ist geradezu erschütternd. Es liegt auf der Hand, daß er nie Löhne zu zahlen gehabt hat. Kein Geschäftsmann mit Selbstachtung würde einen Pfuscher wie ihn je einstellen, nicht einmal als Adressenschreiber!“
Leutnant Schittkopps Frau war wachsbleich geworden und starrte Yossarian erschreckt und ungläubig an. „Rede lieber nicht so von ihm, Schatz“, tadelte sie ihn leise und feindselig. „Er bestraft dich vielleicht dafür.“
„Straft er mich denn nicht schon genug?“ schnaufte Yossarian wütend. „Man darf ihm das einfach nicht durchgehen lassen. Nein, man darf ihm nicht all den Kummer durchgehen lassen, den er über uns gebracht hat. Eines Tages soll er mir dafür zahlen. Ich weiß auch schon wann. Am Tage des Jüngsten Gerichtes. Jawohl, das ist der Tag, an dem ich ihm endlich so nahe kommen werde, dass ich diesen kleinen Jockel beim Schlips packen und...“
„Hör auf! Hör auf!“ kreischte Leutnant Schittkopps Frau plötzlich und hämmerte, ohne Schaden anzurichten, mit beiden Fäusten auf Yossarians Kopf los. „Hör auf!“
Yossarian ging hinter seinem Arm in Deckung und ließ sie noch einige Sekunden ihre weibliche Wut an ihm austoben, dann packte er entschlossen ihre Handgelenke und zwang sie aufs Bett. „Worüber regst du dich eigentlich so auf, zum Teufel?“ fragte er verwundert und reuig amüsiert. „Ich dachte, du glaubtest nicht an Gott.“
„Tu ich auch nicht“, schluchzte sie und brach heftig in Tränen aus. „Aber der Gott, an den ich nicht glaube, ist ein gütiger Gott, ein gerechter Gott, ein barmherziger Gott. Er ist nicht der gemeine und törichte Gott, als den du ihn hinstellst.“



Joseph Heller Catch 22

"And don't tell me God works in mysterious ways," Yossarian continued, hurtling over her objections. "There's nothing so mysterious about it. He's not working at all. He's playing or else He's forgotten all about us. That's the kind of God you people talk about—a country bumpkin, a clumsy, bungling, brainless, conceited, uncouth hayseed. Good God, how much reverence can you have for a Supreme Being who finds it necessary to include such phenomena as phlegm and tooth decay in His divine system of creation? What in the world was running through that warped, evil, scatological mind of His when He robbed old people of the power to control their bowel movements? Why in the world did he ever create pain? ... Oh, He was really being charitable to us when He gave us pain! [to warn us of danger] Why couldn't He have used a doorbell instead to notify us, or one of His celestial choirs? Or a system of blue-and-red neon tubes right in the middle of each person's forehead. Any jukebox manufacturer worth his salt could have done that. Why couldn't He? ... What a colossal, immortal blunderer! When you consider the opportunity and power He had to really do a job, and then look at the stupid, ugly little mess He made of it instead, His sheer incompetence is almost staggering. ..."


 

Dienstag, 11. März 2014

Die unsichtbaren Städte - Italo Calvino



Marco Polo ließ, wenn wir ihm glauben dürfen, 1298/99 die Erinnerungen an seine Reisen, zu denen auch sein Zusammentreffen mit Kublai Khan, dem mongolischen Herrscher Chinas gehörte, von einem Mitgefangenen in Genueser Kriegsgefangenschaft namens Rustichello da Pisa niederschreiben. "Il Milione" oder "Das Buch des Marco Polo, Bürger der Stadt Venedig, genannt Milione, worin von den Wundern der Welt berichtet wird" nannte er es und keiner seiner Zeitgenossen glaubte ihm ein Wort davon. 

Um 1970 schreibt Italo Calvino diesen Bericht weiter. Das riesige Reich des Kublai Khan ist in keinem guten Zustand. Marco Polo und der Khan disputieren über Städte, wobei der Herrscher auf der Suche nach der perfekten Stadt ist und der Reisende ihm erträumte, unmögliche, erhoffte Städte anbietet. 

"Während auf deinen Wink hin, Sire, die eine und letzte Stadt ihre makellosen Mauern erhebt, sammle ich die Asche der anderen möglichen Städte, die verschwinden, um ihr Platz zu machen, und nie wieder aufgebaut werden noch in Erinnerung bleiben können. Nur wenn du den unaustilgbaren Rest von Unglück kennst, den kein Edelstein aufwiegen kann, wirst du die genaue Karatzahl berechnen können, die der letzte Diamant anstreben muß, und wirst dein Projekt nicht von Anfang an falsch berechnen." I.C.

55 Miniaturen verbunden durch knappe, präzise Gespräche der beiden Protagonisten.
Ein Buch aus Seide, ganz leicht, wehend und rissfest.

Die, für meine Ohren oder Augen, feine Übersetzung ist von Burkhart Kroeber, das Nachwort von Calvinos Freundfeind Paolo Pasolini.
Pasolini schreibt: "Und so wie jede Erzählung aus Tausendundeiner Nacht von einer Abnormität des Schicksals berichtet, so schildert jede Beschreibung Calvinos eine Abnormität im Verhältnis zwischen dem Reich der Ideen und der Wirklichkeit."


Illustration aus Il Milione
Er [Kublai] sagt: »Es ist alles vergebens, wenn der letzte Anlegeplatz nur die Höllenstadt sein kann und die Strömung uns in einer immer engeren Spirale dort hinunterzieht.«
Darauf Polo: »Die Hölle der Lebenden ist nicht etwas, das erst noch kommen wird. Wenn es eine gibt, ist es die, die schon da ist, die Hölle, in der wir jeden Tag leben, die wir durch unser Zusammensein bilden. Es gibt zwei Arten, nicht unter ihr zu leiden. Die erste fällt vielen leicht: die Hölle zu akzeptieren und so sehr Teil von ihr zu werden, daß man sie nicht mehr sieht. Die zweite ist riskant und verlangt ständige Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft: zu suchen und erkennen zu lernen, wer und was inmitten der Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum zu geben.« I.C.


Was für schöne Kapitelüberschriften:

Die Städte und die Erinnerung
Die Städte und der Wunsch
Die Städte und die Zeichen
Die fragilen Städte
Die Städte und der Tausch

Die Städte und die Augen
Die Städte und der Name
Die Städte und die Toten
Die fortdauernden Städte
Die Städte und der Himmel
Die verborgenen Städte

Das Museum Jumex des Archtekten David Chipperfield in Mexiko City:




Dienstag, 25. Februar 2014

Alfred Sisley & Mirko Bonné - Nie mehr Nacht


NIE WIEDER NACHT

Ein ganz leises, langsames, lyrisches Buch. Einer will mit sich aufhören, sich auflösen, auch wenn er nicht wirklich weiß warum. Er ist Bruder, Onkel, Sohn, Freund, Zeichner und will dies alles abstreifen, verlieren. Nicht emphatisch oder voll wilder Verzweiflung, nein, nur sehr traurig.
Von Brücken in Frankreich, um die im Ersten Weltkrieg hart gekämpft wurde, erzählt das Buch genauso persönlich und zärtlich, wie von den Menschen, die der sich vereinsamende Erzähler trifft. Und Bilder werden beschrieben, wie die von Sisley von einer Überschwemmung durch die Seine. Kleine impressionistische Bilder ohne tragische Vorkommnisse. Vormals war da Land, jetzt ist dort Wasser. Und vielleicht geht unter der silbrigen Oberfläche das Leben einfach weiter, weil es wohl sehr schwer ist, einfach damit aufzuhören.





Alle Bilder: Alfred Sisley, Überschwemmung bei Port Marly 1872 bzw. 1876

Freitag, 9. August 2013

Zum Weltkatzentag - Das Katzenhaus



Kinderbücher, Bücher, die man als Kind gelesen hat oder vorgelesen bekommen hat. sitzen in speziellen Erinnerungsräumen, Kinderschallplatten und -filme übrigens auch. Manchmal scheinen sie fast vergessen und dann aus merkwürdigsten Gründen geht eine Tür auf und eine vollständige Erinnerung steht da, inclusive heißem Kakao mit Weißbrotstulle, der Uhr, die 15.00 Uhr zeigt am Samstag und Professor Flimmrich ankündigt. "Ach, du meine Nase!"
Da erweist sich auch der Ost/West Biographieunterschied als ganz entscheidend. Der Zauberer der Smaragdstadt oder Der Zauberer von Oz? Na?
Ferdinand der Stier, Blauvogel, Lütt Matten und die weiße Muschel, viel von James Krüss, unzählige russische Märchenfilme mit blondem Iwanuschka und bezopfter Heldin, "Lat mi in Ruh, ick will in min Truh!", Tschingis Aitmatow und Lehrer mit Eselsohren im Prag der 70er Jahre - ein verrücktes Gemenge aus Sätzen, Bildern, Stimmen und seltsamerweise auch Gerüchen. Wie vertraut und wie schön. Unkritisch verdaut meist und Teil von dem, was ich bin.

DAS KATZENHAUS
 
Ich habe dieses Buch sehr gemocht, als Kind damals im letzten Jahrhundert. Und das Hörspiel hat eine Traumbesetzung, Inge Keller als reiche Katze, die Reichel als Ziege und Paryla und Bendokat als Schwein und Henne, besser geht's nicht.
Meine Lieblingsnichte hat mein Vorlesen auch sehr genossen.


Das Hörspiel von Litera

https://www.youtube.com/watch?v=OWpaqSxoD10 

Fürstin Koschka - eine vornehme Katze  - Inge Keller
Kater Wassja - ihr alter Hausdiener  - Helmut Müller-Lankow
Zwei Kleine Katzen - Waisenkinder - Monica Bielenstein & Helga Koren
Herr Bockowitsch - ein alter Ziegenbock - Peter Dommisch
Seine Frau - eine alte Ziege  - Käthe Reichel
Die Nachbarin - das Schwein  - Katja Paryla
Baron von Hahn - ein Cochinchina-Hahn  - Günter Junghans
Seine Frau - die Henne - Margit Bendokat
Biber und Ferkel  - Karin Reif & Elvira Schuster & Lutz Dechant & Holm Gärtner & Hans Oldenbürger & Lothar Tarelkin 

Der Erzähler - Wolfgang Dehler

Text - Samuil Marschak
Deutsche Nachdichtung - Martin Remané
Regie - Jürgen Schmidt
Musikdramaturgische Einrichtung - Joachim Thurm
Musik- und Tonregie - Karl-Hans Rockstedt

Sonntag, 10. März 2013

Die fantastische Welt von Oz



„Toto, I have a feeling we’re not in Kansas anymore.“
„Toto, ich habe das Gefühl, wir sind nicht mehr in Kansas.“
Dorothy nach dem Hurrikan zu ihrem Hund  

 
    Alexander Melentjewitsch Wolkow übersetzt ein Buch und er liebt dieses Buch und 
    er erfindet neue Wendungen und Details für dessen Geschichte und irgendwann wird 
    es "sein" Buch und es wird 1939 in der vom Stalinismus geschüttelten Sowjetunion  
    veröffentlicht und heißt "Der Zauberer der Smaragdenstadt". Fünf weitere Bücher 
    werden folgen und ich, ein Kind der DDR, werde sie aufsaugen und Herrn Wolkow 
    verehren.
    Aber das ursprüngliche Buch hat Frank Baum geschrieben und es erschien 1900 in 
    den USA unter dem Titel "Der wunderbare Zauberer von Oz", hat auch mehrere 
    nachfolgende Bücher und ist unserem gemeinsamen mitteleuropäischen-
    nordamerikanischem Gedächtnis eingebrannt durch Judy Garland im zu engen 
    Trägerrock, die in Begleitung von Schoßhund, Vogelscheuche, Löwe und Blechmann 
    "Somewhwhere over the rainbow" singt und dabei über eine gelbe Ziegelsteinstrasse 
    läuft. Obwohl sie das eigentlich in Kansas in Gesellschaft eines Huhns tut. So 
    komprimiert Gedächtnis Erfahrungen zu Ikonen. 

 
 
   Ein extrem fetter Hawaiianer hat die ultimate Version gesungen mit der Stimme eines 
   Engels im Körper eines bedauernswertes Opfers der amerikanischen Art der Ernährung.
   http://www.youtube.com/watch?v=CgHkbrhAF_E
   Der Film erzählt nun die Vorgeschichte von Dorothys/Ellis Abenteuern und ist nur für 
   die kleineren Kinder unter uns gedacht. Ein charmanter Tunichtgut, ein Aufschneider, ein 
   mittelmäßiger "Zauberer" auf ländlichen Jahrmärkten bekommt die Chance über sich 
   hinauszuwachsen, ein wahrer Zauberer zu werden, jemand, der gegen den Neid und 
   den Hass kämpft und siegt, weil er seine Tricks, seine Illusionen, seine Lügen für den 
   Sieg des Guten über das Böse einsetzt - Traum jedes Theaterarbeiters - er siegt, weil 
   er besser schwindeln kann, als die andere Seite.
   Sam Raimi hat keinen großen Film geschaffen, aber einen guten. Meine 8-jährige Zauber-
   Nichte hat mitgefiebert und ich auch.
 



Irgendwo, über dem Regenbogen,
Sind die Himmel blau
Und die Träume, die du wagst zu träumen
werden wirklich wahr!


Eines Tages werde ich einen Wunsch an einen Stern schicken,
und aufwachen, wo die Wolken ganz weit 

unter mir sind,
wo Sorgen schmelzen, wie Zitronenbonbons.

Hoch oben über den Schornsteinspitzen, 
da wirst du mich finden.
 

Irgendwo über dem Regenbogen,
Fliegen die Rotkehlchen
Vögel fliegen über den Regenbogen
Warum denn, warum kann ich es nicht? 
Wenn glückliche kleine Vögel
Über den Regenbogen fliegen
Warum, warum kann ich es nicht?

SOMEWHERE OVER THE RAINBOW

Somewhere over the rainbow
Skies are blue,
And the dreams that you dare to dream
Really do come true.


Someday I'll wish upon a star
And wake up where the clouds are far
Behind me.
Where troubles melt like lemon drops
Away above the chimney tops
That's where you'll find me.


Somewhere over the rainbow
Bluebirds fly.
Birds fly over the rainbow.
Why then, oh why can't I?


If happy little bluebirds fly
Beyond the rainbow
Why, oh why can't I?


Mittwoch, 10. Oktober 2012

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten - Ein Buch

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

von Neil MacGregor

Neil MacGregor ist Direktor des Britishen Museums in London, und es ist wahrhaft ein Britisches Museum, das er da leitet. Die Objekte, die es überfüllen, sind aus allen Territorien des ehemaligen Imperiums Britannica zusammengetragen, geschleppt, verschleppt worden. Was für ein Übermaß, ein Schmaus, ein Staunen! Es wurde 1753 gegründet, ist seit 1759 der Öffentlichkeit zugängig und der Eintritt ist bis heute frei.
Es mögen mehr als 14 Tage sein, die ich insgesamt in diesem Gebäude zugebracht habe, in begeisterter Erinnerung an meinen Traum vom Studium der Archäologie. 
Sicher der Stein von Rosetta, die Elgin Marbles, die kolossale Statue des Ramses II. und so weiter und so immer weiter - WOW! UNGLAUBICH! TOLL! - aber in jeder zweiten Ecke steht auch noch ein Wunder und im Flur und auf den Treppen, man kann sich gar nicht vorstellen, was noch in den Kellern rumliegen mag. 


Ramses II, um 1250 v. Chr. 19. Dynastie, Theben, Ägypten

Übrigens findet sich ein Teil der Geschichte dieses Museums in diesem Buch.
Das Buch der Kinder von A.S. Byatt  
Aus dem Englischen von Melanie Walz.
Aus dem Klappentext: Im Süden Englands, in London, Paris und im zügellosen Schwabing suchen die Familien Wellwood, Fludd und Cairn am Ende des 19. Jahrhunderts ein freieres und erfüllteres Leben, sie proben neue Wege in Kunst und Politik, Liebe und Erziehung. Immer mit dabei sind die vielen Kinder, die sich mit ihren unterschiedlichen Talenten und Temperamenten einen Weg durch die Lebensexperimente ihrer Eltern bahnen.
Das Buch mäandert durch viele Leben und verliert, für mich, doch nie sein Zentrum. Wohlhabende Menschen spielen mit sozialistischen, liberalen, freidenkerischen Ideen, ohne sich wirklich ins Risiko ihrer Realisierung zu begeben. Und wenn die Kinder dann 1914 zu Soldaten und die daheimbleibenden zu Soldatenbräuten werden, schlägt der Ton um, das Tempo zieht an, das lang liebevoll Aufgebaute wird mit größter Kälte und Sachlichkeit in wenigen Kapiteln zerstört. Da macht Krieg auch in einem Buch Angst.
Zurück zu den 100 Gegenständen, MacGregor hat einhundert Dinge nach Bedeutsamkeit und Verliebtheit ausgewählt, um mit ihrer Hilfe durch die Geschichte der Welt zu wandern. Und es ist wirklich die Welt, nicht nur der kleine eurozentrische Ausschnitt, den wir gemeinhin betrachten.  


Die Gall-Peters Projektion der Welt

Herr Gall und später Herr Peters entwickelten eine "neue" Weltkarte. Auf den üblichen, allgemein verwendeten, Mercator genannt, werden Regionen in Abhängigkeit zu ihrer Nähe zum Äquator vergrößert, Grönland wirkt so größer als Afrika, in der Realität ist aber Afrika 14 mal so groß wie Grönland. Europa wirkt in diesen Gall-Peters Karten winzig im Vergleich zum Rest der Welt. Scheinbar ist sogar Kartographie nicht meinungsfrei, oder?

Und wieder zurück zum Buch, es ist ein Buch voll von Geschichten und Geschichte, es zeigt wundervolle Bilder und es schmeckt, riecht nach Liebe. Da lebt jemand in der Welt, in all ihrer verwirrenden Verschiedenheit, er läßt die Brutalität, die ihr eigen ist, nicht aus, aber kann die Verzückung, die die Schönheit, die sie auch hervorbringen kann, nicht unterdrücken.


Messing-Kopf aus Süd-West Nigeria, Yoruba, Königreich Ife, 12. bis 14. Jahrhundert








Ist er schön? Er ist schön. Und dieser Kopf und seine 16 Kumpanen habe die griechisch-römisch-christliche Version der Weltgeschichte ein wenig durcheinandergebracht. Gut so!

Wiki sagt:
Robert Neil MacGregor, Order of Merit (* 16. Juni 1946 in Glasgow) ist ein britischer Kunsthistoriker und Museumsdirektor.
MacGregor studierte zunächst Französisch und Deutsch am New College der Universität Oxford, Philosophie an der École normale supérieure in Paris, sowie Rechtswissenschaft an der University of Edinburgh. Anschließend absolvierte er ein Studium der Kunstgeschichte am Courtauld Institute of Art der Universität London.
Nach einigen Jahren als Lektor für Kunstgeschichte und Architektur an der University of Reading sowie am Courtauld Institute of Art übernahm er 1981 die Herausgeberschaft des Burlington Magazine, einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift für Kunst und Dekoration, die er bis 1987 innehatte. Im selben Jahr wurde er Direktor der National Gallery. Seit 2002 ist er Direktor des British Museum.